ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE VORSTÄNDE FÜHRENDER ERDÖL- UND ERDGASKONZERNE
SOWIE ANDERER IM ENERGIESEKTOR TÄTIGER UNTERNEHMEN
Clementina-Saal
Samstag,, 9. Juni 2018
Herr Kardinal,
sehr geehrte Vorstandsmitglieder, Investoren und Fachleute,
meine Damen und Herren!
Ich heiße Sie herzlich willkommen zum Abschluss der Tagung, die den Themen der Energieumstellung und der Sorge für das gemeinsame Haus gewidmet war und die hier im Vatikan stattgefunden hat.
Es ist sehr positiv, dass diejenigen, die eine wichtige, wegweisende Rolle bei Entscheidungen, Initiativen und Investitionen im Energiesektor bekleiden, Gelegenheit zu einem fruchtbaren Austausch von Meinungen und Kenntnissen haben. Ich danke Ihnen für Ihre qualifizierte Anwesenheit und ich hoffe, dass Sie im gegenseitigen Anhören zu einem vertieften Überdenken kamen und neue Perspektiven in Betracht ziehen konnten. Die Fortschritte in Wissenschaft und Technik beschleunigen jede Art von Kommunikation immer mehr. Sobald eine Nachricht, eine Idee oder eine Methode – sie mögen richtig oder falsch, gut oder schlecht, wirksam oder abwegig sein – an die Öffentlichkeit kommen, verbreiten sie sich in wenigen Sekunden. Auch Menschen können einander begegnen und Waren ausgetauscht werden in einem Rhythmus, mit einer Geschwindigkeit und einer Intensität, die früher unvorstellbar gewesen wären, wobei Ozeane und Kontinente rasch überwunden werden. Unsere Gesellschaften sind immer mehr miteinander vernetzt.
Diese intensive Bewegung der Datenmassen sowie großer Mengen von Menschen und Dingen benötigt viel Energie. Der Energiebedarf ist höher als in jeder anderen Epoche. Ein großer Teil unserer Lebensbereiche sind von der Energie abhängig, und leider müssen wir feststellen, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, die keinen Zugang zur Elektrizität haben: Es ist sogar die Rede von über einer Milliarde Menschen.
Hier entsteht die Herausforderung, die enorme Menge an Energie, die für alle notwendig ist, garantieren zu können, wobei die Ressourcen unter Vermeidung der Schaffung eines Ungleichgewichts in der Umwelt abgebaut werden müssen. Denn dies würde einen Verfalls- und Verschmutzungsprozess verursachen, durch den die gesamte heutige und zukünftige Menschheit schwer in Mitleidenschaft gezogen würde. Die Luftqualität, das Meeresspiegelniveau, die Süßwasservorräte, das Klima und das Gleichgewicht empfindlicher Ökosysteme bekommen natürlich die Auswirkungen der Art und Weise, wie die Menschen ihren »Energiedurst« stillen, zu spüren – leider mit gravierenden Ungleichheiten.
Um diesen »Durst« zu stillen, dürfen der wirkliche Durst nach Wasser, die Armut oder die soziale Ausgrenzung nicht vermehrt werden. Der Notwendigkeit, wachsende Energiemengen für den Betrieb von Maschinen zur Verfügung zu haben, darf nicht entsprochen werden um den Preis der Vergiftung der Luft, die wir atmen. Der Bedarf, Raum für menschliche Tätigkeiten zu schaffen, darf nicht so verwirklicht werden, dass dadurch die Existenz unserer Spezies und anderer Lebewesen auf der Erde gefährdet wird. Es ist eine »irrige Annahme, dass man über eine unbegrenzte Menge von Energie und Ressourcen verfügen könne, dass diese sofort erneuerbar und dass die negativen Auswirkungen der Manipulationen der natürlichen Ordnung problemlos zu beheben seien« (Enzyklika Laudato si’, 106).
Die Energiefrage ist daher zu einer der wichtigsten theoretischen und praktischen Herausforderungen für die internationale Gemeinschaft geworden. Vom Umgang mit ihr wird die Lebensqualität abhängen und die Frage, ob die in verschiedenen Teilen des Planeten vorhandenen Konflikte leichter eine Lösung finden oder ob sie aufgrund der tiefen Ungleichgewichte in der Umwelt und wegen des Energiemangels durch neuen Zündstoff angeheizt werden, während sie die soziale Stabilität zerstören und Menschenleben vernichten. Es muss daher eine langfristige globale Strategie gefunden werden, die Energiesicherheit bietet und auf diese Weise die wirtschaftliche Stabilität fördert, Gesundheit und Umwelt schützt und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen unterstützt, indem präzise Verpflichtungen übernommen werden, um dem Problem des Klimawandels zu begegnen.
In der Enzyklika Laudato si’ habe ich an alle Menschen guten Willens appelliert (vgl. Nr. 3; 62-64), Sorge zu tragen für das gemeinsame Haus und insbesondere für eine »Energieumstellung « (Nr. 165), um katastrophale Klimaänderungen abzuwenden, die dem Wohlergehen und der Zukunft der Menschheitsfamilie und ihres gemeinsamen Hauses Schaden zufügen könnten. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, mit ernsthaftem Engagement auf eine Umstellung hinzuarbeiten, die den Einsatz von Energien mit hohem Wirkungsgrad und niedriger Verschmutzungsrate kontinuierlich vergrößert.
Es handelt sich um eine epochale Herausforderung, aber auch um eine große Chance, bei der uns die Bemühungen um eine bessere Energiezufuhr für die schwächeren Länder, vor allem in den ländlichen Gebieten, sowie um eine Diversifizierung der Energiequellen besonders am Herzen liegen sollten. Wir sind uns bewusst, dass die Herausforderungen, denen wir gegenüberstehen, miteinander verbunden sind. Denn wenn wir Armut und Hunger beseitigen wollen, wie es von den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen gefordert wird, müssen die eine Milliarde Menschen oder mehr, die heute nicht über Elektrizität verfügen, Zugang zu ihr bekommen. Gleichzeitig wäre es jedoch gut, wenn diese Energie sauber wäre und der systematische Einsatz fossiler Brennstoffe eingedämmt würde. Die wünschenswerte Perspektive der Energie für alle darf keinesfalls zu einer nicht wünschenswerten Spirale immer schwerwiegenderer klimatischer Veränderungen führen, und zwar durch einen zu befürchtenden globalen Anstieg der Temperaturen, schwierigere Umweltbedingungen sowie die Zunahme der Armut in der Welt.
Im Dezember 2015 haben, wie Sie wissen, 196 Nationen miteinander verhandelt und das Übereinkommen von Paris angenommen, in der festen Absicht, im Vergleich zum vorindustriellen Niveau den Anstieg der globalen Erwärmung unter zwei Grad Celsius und wenn möglich unter 1,5 Grad Celsius zu halten. Zweieinhalb Jahre danach sind die CO2-Emissionen und die atmosphärischen Treibhausgas-Konzentrationen immer noch sehr hoch. Das ist sehr beunruhigend und besorgniserregend.
Sorge bereitet auch die anhaltende Suche nach neuen fossilen Brennstoffreserven, obgleich das Übereinkommen von Paris deutlich rät, den größten Teil des fossilen Kraftstoffs unter der Erde zu lassen. Darum müssen Industrielle, Investoren, Forscher und Verbraucher gemeinsam über die Umstellung und die Suche nach Alternativen sprechen. Die Zivilisation braucht Energie, aber der Gebrauch von Energie darf die Zivilisation nicht zerstören! Das Erkennen einer angemessenen energetischen Mischung ist grundlegend, um die Umweltverschmutzung zu bekämpfen, die Armut auszumerzen und die soziale Gleichheit zu fördern. Diese Aspekte verstärken einander gegenseitig, da die Zusammenarbeit im energetischen Bereich dazu bestimmt ist, die Linderung der Armut, die Förderung der sozialen Inklusion und den Umweltschutz zu beeinflussen. Es handelt sich um Ziele, zu deren Erlangung es notwendig ist, die Perspektive der Rechte der Völker und der Kulturen einzunehmen (vgl. Laudato si’, 144). Die finanziellen und wirtschaftlichen Mittel, die Weitergabe technischer Fähigkeiten sowie die regionale und internationale Zusammenarbeit ganz allgemein sollten mit diesen Zielen übereinstimmen. Diese dürfen nicht als Frucht einer bestimmten Ideologie betrachtet werden, sondern müssen als Zivilisationsziele anerkannt werden, die auch das wirtschaftliche Wachstum und die soziale Ordnung fördern.
Eine Ausbeutung der Umwelt dagegen, die die langfristigen Fragen nicht in Betracht zieht, könnte nur versuchen, ein kurzfristiges wirtschaftliches Wachstum zu fördern, hätte jedoch über einen längeren Zeitraum hinweg sicher negative Auswirkungen und würde die Generationengerechtigkeit ebenso beeinträchtigen wie den Entwicklungsprozess. Es bedarf immer einer besonnenen Abwägung der Auswirkungen wirtschaftlicher Entscheidungen auf die Umwelt, um die langfristigen Kosten für Mensch und Umwelt sorgfältig zu bedenken und dabei die örtlichen Institutionen und Gemeinschaften weitmöglichst in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Durch eure Bemühungen wurden Fortschritte gemacht. Die Öl- und Gasgesellschaften sind dabei, tiefgreifendere Ansätze zu entwickeln, um klimatische Risiken abzuwägen und ihre Unternehmenspläne entsprechend zu verändern. Das ist lobenswert. Die globalen Investoren überdenken gerade ihre Investitionsstrategien, um Umweltfragen in Betracht zu ziehen. Neue Ansätze einer »umweltfreundlichen Finanz « werden ersichtlich. Gewiss wurden Fortschritte gemacht. Aber genügt das? Haben wir die Wende rechtzeitig eingeleitet? Niemand kann diese Frage mit Sicherheit beantworten, aber mit jedem Monat, der vergeht, wird die Herausforderung der Energieumstellung immer dringlicher.
Sowohl die politischen Entscheidungen als auch die soziale Verantwortung der Unternehmen und die Investitionskriterien müssen das langfristige Gemeinwohl vor Augen haben, um konkrete Solidarität zwischen den Generationen zu schaffen und Opportunismus und Zynismus zu vermeiden, die darauf ausgerichtet sind, in kurzer Zeit Teilergebnisse zu erlangen, die jedoch die Zukunft mit sehr hohen Kosten und ebenso gewichtigen Schäden belasten würden. Außerdem gibt es auch einige tiefe ethische Beweggründe, uns im Bewusstsein der Dringlichkeit auf eine globale Energieumstellung hinzubewegen. Bekanntlich sind wir von Klimakrisen betroffen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind jedoch nicht gleichmäßig verteilt.
Die Armen haben unter den verheerenden Schäden der globalen Erwärmung am meisten zu leiden, was wachsende Störungen im landwirtschaftlichen Bereich mit sich bringt, die Verfügbarkeit von Wasser unsicher macht und Menschen schlimmen Unwettern aussetzt. Viele von denen, die es sich kaum leisten können, sind bereits gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und an andere Orte auszuwandern, ohne zu wissen, wie sie aufgenommen werden. Noch viel mehr Menschen werden es in Zukunft tun müssen. Die Umstellung auf eine zugängliche und saubere Energie ist eine Verantwortung, die wir gegenüber Millionen unserer Brüder und Schwestern in der Welt, gegenüber den armen Ländern und gegenüber den zukünftigen Generationen haben. Man kann diesen Weg nicht mit Entschlossenheit fortsetzen ohne ein größeres Bewusstsein, dass wir alle zu einer einzigen Menschheitsfamilie gehören, die mit Banden der
Brüderlichkeit und der Solidarität verbunden ist. Nur wenn man mit beständiger Aufmerksamkeit gegenüber dieser grundlegende Einheit, die alle Unterschiede überwindet, denkt und handelt, und nur indem man ein Bewusstsein der universalen und generationenübergreifenden Solidarität pflegt, kann man wirklich mit Entschlossenheit den aufgezeigten Weg fortsetzen. Eine von gegenseitiger Abhängigkeit geprägte Welt verpflichtet zum Nachdenken und zum Voranbringen eines langfristigen gemeinsamen Plans, der heute investiert, um das Morgen aufzubauen. Luft und Wasser folgen nicht unterschiedlichen Gesetzen je nach dem Land, das sie durchqueren; verschmutzende Substanzen verhalten sich nicht je nach Breitengrad unterschiedlich, sondern haben einheitliche Regeln. Die Umwelt- und Energieprobleme haben bereits globale Auswirkungen und Dimensionen. Daher erfordern sie globale Antworten, die mit Geduld und Dialog gesucht und mit Vernunft und Beständigkeit umgesetzt werden müssen.
Ein absoluter Glaube an Märkte und Technik hat viele Menschen veranlasst zu meinen, dass Veränderungen in den wirtschaftlichen und technischen Systemen ausreichend sein werden, um für das gegenwärtige ökologische und soziale Ungleichgewicht Abhilfe zu schaffen. Wir müssen jedoch zugeben, dass die Forderung nach ständigem wirtschaftlichem Wachstum schwerwiegende ökologische und soziale Folgen mit sich gebracht hat, da unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem immer mehr auf der Grundlage von vermehrter Rohstoffgewinnung, von Konsum und Verschwendung gedeiht. »Das Problem ist, dass wir noch nicht über die Kultur verfügen, die es braucht, um dieser Krise entgegenzutreten. Es ist notwendig, ›leaderships‹ zu bilden, die Wege aufzeigen, indem sie versuchen, die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generationen unter Einbeziehung aller zu berücksichtigen, ohne die kommenden Generationen zu beeinträchtigen« (Laudato si’, 53).
Die Reflexion über diese tieferen kulturellen Grundthemen führt uns dazu, erneut über das grundlegende Ziel des Lebens nachzudenken. »Es wird keine neue Beziehung zur Natur geben ohne einen neuen Menschen« (ebd., 118). Eine solche Erneuerung erfordert eine neue Form von Leadership, und diese Leader brauchen ein tiefes und intelligentes Verständnis der Tatsache, dass die Erde ein einziges System bildet und dass die Menschheit ebenso ein einziges Ganzes ist. Papst Benedikt XVI. hat gesagt: »Das Buch der Natur ist eines und unteilbar sowohl bezüglich der Umwelt wie des Lebens und der Bereiche Sexualität, Ehe, Familie, soziale Beziehungen, kurz der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen. Unsere Pflichten gegenüber der Umwelt verbinden sich mit den Pflichten, die wir gegenüber dem Menschen an sich und in Beziehung zu den anderen haben. Man kann nicht die einen Pflichten fordern und die anderen unterdrücken. Das ist ein schwerwiegender Widerspruch der heutigen Mentalität und Praxis, der den Menschen demütigt, die Umwelt erschüttert und die Gesellschaft beschädigt« (Enzyklika Caritas in veritate, 51).
Liebe Brüder und Schwestern, ich wende mich insbesondere an Sie, die Sie sehr viel an Fähigkeiten und Erfahrungen erhalten haben. Ich möchte Sie aufrufen, dass diejenigen, die ihre Bereitschaft zur Erneuerung und zur Verbesserung der Lebensqualität vieler Menschen durch ihre Begabung und berufliche Kompetenz gezeigt haben, weiterhin dazu beitragen mögen, indem sie ihre Fähigkeiten in den Dienst von zwei großen Schwachpunkten der heutigen Welt stellen: in den Dienst der Armen und der Umwelt.
Ich lade Sie ein, die Keimzelle einer Gruppe von Leadern zu sein, deren Vorstellung von der globalen Energieumstellung so beschaffen ist, dass sie alle Völker der Erde berücksichtigt, ebenso wie die zukünftigen Generationen, jede Spezies und alle Ökosysteme. Möge dies als große Chance einer Leadership betrachtet werden, um dauerhaft Einfluss zu nehmen zum Wohl der Menschheitsfamilie: eine Chance, die an Ihre kühnste Vorstellungskraft appelliert. Es handelt sich nicht um etwas, das Sie oder Ihre einzelnen Unternehmen allein tun können. Gemeinsam und in Zusammenarbeit mit anderen gibt es jedoch wenigstens die Möglichkeit zu einem neuen Ansatz, der bisher noch nicht hervorgehoben wurde.
Die Annahme dieses Appells bringt eine große Verantwortung mit sich, die den Segen und die Gnade Gottes verlangt, ebenso wie den guten Willen von Männern und Frauen der ganzen Welt. Wir dürfen keine Zeit verlieren: Wir haben die Erde vom Schöpfer als Heim und Garten erhalten und dürfen sie den zukünftigen Generationen nicht als Wildnis hinterlassen (vgl. Laudato si’, 160). Mit Dankbarkeit segne ich Sie und bitte darum, dass der allmächtige Gott einem jeden von Ihnen große Entschlossenheit und Mut gewähren möge, um dem gemeinsamen Haus in einer erneuerten Form der Zusammenarbeit zu dienen.
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