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PASTORALBESUCH VON PAPST FRANZISKUS
IN  PIETRELCINA UND SAN GIOVANNI ROTONDO
ZUM 50. TODESTAG VON PATER PIO VON PIETRELCINA

BEGEGNUNG MIT DEN GLÄUBIGEN

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Vorplatz des Liturgiesaals, Pietrelcina
Samstag, 17. März 2018

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Liebe Brüder und Schwestern,
guten Tag!

Ich freue mich, in diesem Ort zu sein, wo Francesco Forgione geboren wurde und seinen langen und fruchtbaren menschlichen und geistlichen Weg begann. In dieser Gemeinde wurde sein menschliches Wesen geprägt, er lernte zu beten und in den armen Menschen das Fleisch des Herrn zu erkennen, bis er in der Nachfolge Christi wuchs und darum bat, bei den Kapuzinern aufgenommen zu werden: So wurde er Bruder Pio von Pietrelcina. Hier begann er, die Mutterschaft der Kirche zu erfahren, deren frommer Sohn er stets geblieben ist. Er liebte die Kirche, er liebte die Kirche mit all ihren Problemen, mit all ihren Missständen, mit all unseren Sünden. Denn wir sind alle Sünder. Wir schämen uns, aber der Geist Gottes hat uns in dieser Kirche, die heilig ist, zusammengerufen.

Und er liebte die heilige Kirche und ihre sündigen Kinder, alle. Das war der heilige Pater Pio. Hier dachte er tief über das Geheimnis Gottes nach, der uns geliebt und sich für uns hingegeben hat (vgl. Gal 2,20). Indem ich dieses heiligen Schülers des heiligen Franziskus mit Wertschätzung und Liebe gedenke, grüße ich euch alle, seine Landsleute, euren Pfarrer und den Bürgermeister sowie den Hirten der Diözese, Bischof Felice Accrocca, die Gemeinschaft der Kapuziner und euch alle, die ihr hier anwesend seid. Wir befinden uns heute auf demselben Gelände, wo Pater Pio sich im September 1911 aufhielt, um »etwas gesündere Luft zu atmen«. Damals gab es keine Antibiotika, und Krankheiten wurden geheilt, indem man in das Heimatdorf, zur Mutter zurückkehrte, um zu essen, was einem guttut, die Luft gut einzuatmen und zu beten.

Das tat er, wie ein x-beliebiger Mensch, wie ein Bauer. Das war sein Adel. Nie verleugnete er sein Dorf, nie verleugnete er seine Herkunft, nie verleugnete er seine Familie. Damals hielt er sich nämlich aus gesundheitlichen Gründen in seinem Heimatort auf. Das war für ihn keine einfache Zeit: Er war innerlich gequält und fürchtete, in Sünde zu geraten, da er sich vom Teufel angegriffen fühlte. Und der gibt keinen Frieden, denn er rührt sich [er ist umtriebig]. Glaubt ihr, dass der Teufel existiert?… Ihr seid davon nicht sehr überzeugt?

Ich werde dem Bischof sagen, dass er Katechesen halten soll… Existiert der Teufel oder nicht? [Die Anwesenden antworten: »Ja!«]. Und er geht hin, er geht überall hin, er dringt in uns ein, er treibt uns um, er quält uns, er betrügt uns. Und er [Pater Pio] hatte Angst, dass der Teufel ihn angreifen, ihn zur Sünde drängen würde. Mit wenigen konnte er darüber sprechen, sowohl in Briefen als auch im Ort: Nur gegenüber dem Erzpriester Salvatore Pannullo brachte er »fast ganz« seinen Wunsch zum Ausdruck, »darüber erhellt zu werden« (vgl. Lettera 57, in Epistolario I, S. 250). Denn er verstand es nicht, er wollte klären, was in seiner Seele vor sich ging. Er war ein guter Junge! In jenen schrecklichen Augenblicken schöpfte Pater Pio aus dem unablässigen Gebet und aus dem Vertrauen, das er dem Herrn zu schenken verstand, neue Lebenskraft. Er sagte: »All die Schreckgespenster, die der Teufel meinem Verstand eingibt, verschwinden, wenn ich mich vertrauensvoll den Armen Jesu überlasse.«

Hier liegt die ganze Theologie! Du hast ein Problem, du bist traurig, du bist krank: Begebe dich in die Arme Jesu. Und er hat das getan. Er liebte Jesus, und er vertraute ihm. So sagte er in einem Brief an den Provinzialminister, sein Herz fühle sich »angezogen von einer höheren Kraft, bevor es am Morgen im Sakrament mit Ihm vereint wird«. »Und dieses Verlangen war nicht gestillt«, wenn er ihn empfangen hatte, sondern es »wurde immer heftiger« (vgl. Lettera 31, in Epistolario I, S. 217). Pater Pio tauchte in das Gebet ein, um dem göttlichen Plan immer mehr zu entsprechen. Durch die Feier der heiligen Messe, die das Herz jedes Tages und die Fülle seiner Spiritualität war, erreichte er ein hohes Maß der Vereinigung mit dem Herrn. In dieser Zeit empfing er aus der Höhe besondere mystische Gaben, die dem Erscheinen der Zeichen des Leidens Christi in seinem Fleisch vorausgingen.

Liebe Brüder und Schwestern von Pietrelcina und aus der Diözese Benevento, ihr zählt den heiligen Pater Pio zu den schönsten und lichtvollsten Gestalten eures Volkes. Dieser demütige Kapuzinerpater hat die Welt in Staunen versetzt durch sein Leben, das ganz dem Gebet und dem geduldigen Anhören der Brüder und Schwestern gewidmet war, auf deren Leiden er den Balsam der Liebe Christi goss. Mögt auch ihr sein heroisches Vorbild und seine Tugenden nachahmen und so zu Werkzeugen der Liebe Gottes, der Liebe Jesu zu den Schwächsten werden. Gleichzeitig sollt ihr in Anbetracht seiner bedingungslosen Treue zur Kirche ein Zeugnis der Gemeinschaft geben, denn nur die Gemeinschaft – also immer vereint zu sein, im Frieden untereinander, die Gemeinschaft untereinander – erbaut und baut auf. Ein Dorf, das jeden Tag streitet, wächst nicht, wird nicht aufgebaut; es schreckt die Menschen ab. Es ist ein krankes und trauriges Dorf. Ein Dorf dagegen, wo man nach Frieden strebt, wo alle einander lieben – mehr oder weniger, aber sie sind einander wohlgesinnt –, wo man einander nichts Schlechtes wünscht: Ein solches Dorf wächst, auch wenn es klein ist. Es wächst immer mehr, es wird größer, und es wird stark. Bitte vergeudet keine Zeit, keine Kraft, um miteinander zu streiten. Das führt zu nichts. Es lässt dich nicht wachsen! Es lässt dich nicht vorankommen. Denken wir an ein Kind, das immerzu weint und die Wiege nicht verlassen will, und weint und weint. Und wenn die Mutter es auf den Fußboden stellt, damit es zu krabbeln beginnen kann, dann weint und weint es… und es kehrt in die Wiege zurück.

Ich frage euch: Wird dieses Kind fähig sein zu laufen? Nein. Weil es immer in der Wiege ist! Wenn ein Dorf immerzu streitet, wird es dann fähig sein zu wachsen? Nein. Weil die ganze Zeit, die ganze Kraft in den Streit investiert wird. Bitte: Frieden unter euch, Gemeinschaft unter euch. Und wenn jemand von euch den Drang verspürt, über einen anderen zu klatschen, dann beißt euch auf die Zunge! Das wird euch guttun, gut in der Seele. Denn die Zunge wird anschwellen, aber es wird euch guttun; auch dem Dorf. Gebt dieses Zeugnis der Gemeinschaft.

Ich hoffe, dass dieser Ort und sein Territorium aus den Lebenslehren von Pater Pio neue Lebenskraft schöpfen können, in einem nicht einfachen Augenblick wie dem gegenwärtigen, wo die Bevölkerung immer mehr zurückgeht und älter wird, weil viele junge Menschen gezwungen sind, woanders hinzugehen, um Arbeit zu suchen. Die interne Migration der jungen Menschen ist ein Problem. Betet zur Gottesmutter, dass sie euch die Gnade schenken möge, dass die jungen Menschen hier bei euch, in der Nähe der Familie Arbeit finden mögen und nicht gezwungen sind wegzugehen, woanders danach zu suchen, und es mit dem Dorf immer mehr bergab geht. Die Bevölkerung wird älter, aber das ist ein Schatz. Die alten Menschen sind ein Schatz!

Bitte, grenzt die alten Menschen nicht aus. Man darf die alten Menschen nicht ausgrenzen, nein. Die alten Menschen sind die Weisheit. Die Alten sollen lernen, mit den Jungen zu sprechen, und die Jungen sollen lernen, mit den Alten zu sprechen. Sie besitzen die Weisheit eines Dorfes, die alten Menschen. Als ich angekommen bin, habe ich mich sehr gefreut, einen 99-jährigen Mann zu begrüßen und ein »junges Mädchen« von 97 Jahren. Wunderschön! Sie sind eure Weisheit!

Sprecht mit ihnen. Sie müssen Protagonisten des Wachstums dieses Dorfes sein. Die Fürsprache eures heiligen Mitbürgers möge den Willen unterstützen, die Kräfte zu vereinen, um vor allem den jungen Generationen konkrete Perspektiven für eine hoffnungsvolle Zukunft zu bieten. Es darf nicht an einer fürsorglichen Aufmerksamkeit voller Zärtlichkeit – wie ich gesagt habe – gegenüber den alten Menschen fehlen, die das Erbe eurer Gemeinden sind. Ich würde mich freuen, wenn man eines Tages den alten Menschen, die der Menschheit Gedächtnis geben, den Nobelpreis verleihen würde.

Ich ermutige diese Region, das christliche und priesterliche Zeugnis des heiligen Pio von Pietrelcina als kostbaren Schatz zu wahren: Möge es für einen jeden von euch ein Ansporn sein, euer Dasein in Fülle zu leben, im Stil der Seligpreisungen und mit Werken der Barmherzigkeit. Die Jungfrau Maria, die ihr mit dem Titel »Madonna della Libera« verehrt, möge euch helfen, mit Freude auf dem Weg der Heiligkeit zu wandeln. Und bitte betet für mich, denn ich brauche es. Danke!

 



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