APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH KOLUMBIEN
(6.-11. SEPTEMBER 2017)
PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER
AUF DEM RÜCKFLUG
VON KOLUMBIEN NACH ROM
Sonntag, 10. September 2017
Greg Burke:
Danke, Heiliger Vater, für die Zeit, die Sie uns heute widmen nach einer intensiven und anstrengenden Reise, für manche sehr anstrengend, doch auch eine ertragreiche Reise. Mehrmals haben Sie den Menschen für die Dinge gedankt, die Sie bei ihnen gelernt haben. Auch wir lernen viele Dinge in diesen Kulturen der Begegnung und wir danken Ihnen dafür. Besonders Kolumbien mit seiner jüngeren Vergangenheit – nicht nur der jüngeren – hat uns einige sehr starke Zeugnisse geliefert, bewegende Zeugnisse der Vergebung und der Versöhnung. Es hat uns aber auch eine anhaltende Lektion der Freude und der Hoffnung gegeben, zwei Worte, die Sie auf dieser Reise oft gebraucht haben. Vielleicht möchten Sie jetzt etwas sagen, und dann gehen wir anschließend zu den Fragen über. Danke.
Papst Franziskus:
Guten Abend und vielen Dank für Ihre Arbeit. In der Tat war ich sehr bewegt von der Freude, von der Zärtlichkeit, von der Jugend, von der Noblesse des kolumbianischen Volkes. Es ist wirklich ein nobles Volk, das keine Furcht hat, sich zu äußern, wie es fühlt. Es fürchtet sich nicht, zu erfahren und sichtbar zu machen, was es empfindet. So habe ich es wahrgenommen. Dies ist das dritte Mal, [dass ich nach Kolumbien gekommen bin,] soweit ich mich erinnere, wenn auch ein Bischof gesagt hat: „Nein, Sie waren ein viertes Mal hier, doch nur für kleinere Besprechungen“. Einmal in La Ceja und bei zwei oder drei weiteren Gelegenheiten in Bogotá. Aber ich kannte das tiefe Kolumbien nicht, jenes, das man auf den Straßen sieht. Und ich danke für das Zeugnis der Freude, der Hoffnung, der Geduld im Leiden bei diesem Volk. Das hat mir sehr gut getan. Danke.
Greg Burke:
Danke, Heiliger Vater. Die erste Frage kommt von César Moreno von „Caracol Radio“.
César Moreno („Caracol Radio“):
[Auf Spanisch] Danke, Heiligkeit, und guten Abend. Zunächst möchte ich seitens aller kolumbianischen Medien, die uns hier auf dieser Reise begleitet haben, seitens aller unserer Kollegen und Freunde, danken, dass Sie in unsere Heimat gekommen sind und dass Sie uns so viele schöne und tiefe Botschaften geschenkt haben. Wir möchten Ihnen danken für Ihre so große Zuneigung und Ihre so große Nähe, die Sie dem kolumbianischen Volk bekundet haben. Eure Heiligkeit, vielen Dank. Meine Frage ist die folgende: Sie, Heiliger Vater, sind in ein gespaltenes Land gekommen um des Friedensprozesses willen, um zwischen denen, die ihn akzeptieren, und denen, die diesen Prozess nicht akzeptieren, zu vermitteln. Was ist konkret zu tun, welche Schritte sind zu machen, um die entzweiten Teile näher zu bringen, damit dieser Hass und dieser Groll aufhöre? Wenn Eure Heiligkeit in einigen Jahren in unser Land zurückkehren könnten, wie denken Sie, was würde Ihnen gefallen, in Kolumbien zu sehen? Danke.
Papst Franziskus:
[Auf Spanisch] Zumindest würde mir gefallen, wenn das Motto dann „Machen wir den zweiten Schritt!“ lautete. Es vergingen – ich dachte, es wären mehr gewesen, ich schätzte sechzig Jahre –, aber wie man mir sagte, 54 Jahre Guerilla-Krieg mehr oder weniger, und da sammelt sich sehr, sehr, sehr viel Hass, sehr viel Groll an, und es gibt sehr viele kranke Seelen. Und die Krankheit ist nicht schuldhaft. Sie kommt so. Du fasst einen an, der die Masern hat, und schon haben sie dich erfasst … [Auf Italienisch] Entschuldigung, ich spreche jetzt italienisch. Die kranke Seele … die Krankheit ist keine schuldhafte Angelegenheit; sie kommt so. Und diese Milizen – seien es die Guerillas, seien es die paramilitärischen Gruppen, seien es jene von dort, und auch die vielfache Korruption im Land – haben wirklich schlimme Sünden begangen und damit diese Krankheit des Hasses hervorgerufen … Es gibt jedoch Schritte, die Hoffnung machen, Schritte der Verhandlung, der letzte ist der Waffenstillstand mit der nationalen Befreiungsarmee ELN: Ich danke ihnen sehr, ich danke sehr dafür. Aber es gibt noch etwas mehr, das ich wahrgenommen habe; es ist die Lust, in diesem Prozess voranzugehen, und zwar über die Verhandlungen hinaus, die stattfinden und die man machen muss. Es ist eine spontane Lust, und dort gibt es die Kraft des Volkes. Darin liegt meine Hoffnung. Das Volk will „atmen“, aber wir müssen ihm dabei helfen, ihm helfen mit der Nähe, mit dem Gebet und vor allem mit dem Verständnis dafür, wie viel Schmerz in diesen Menschen steckt.
Greg Burke:
Nun, Heiliger Vater, kommt José Mojica von „El Tiempo“ an die Reihe.
José Mojica („El Tiempo“):
[Auf Spanisch] Heiliger Vater, es ist eine Ehre, hier bei Ihnen zu sein. Mein Name ist José Mojica; ich bin Journalist bei „El Tiempo“, einem kolumbianischen Zeitungsverlag, und ich grüße Sie auch im Namen meiner kolumbianischen Kollegen und aller Medien meines Landes. Kolumbien hat viele Jahrzehnte der Kriegsgewalt durchgemacht, im bewaffneten Konflikt und auch durch den Drogenhandel. Allerdings ist die Verwüstung durch die Korruption in der Politik so schädlich gewesen wie der Krieg selbst, und obwohl die Korruption nicht neu ist – immer wussten wir, dass sie existiert; wir wissen, dass es immer Korruption gab –, ist sie jetzt noch offensichtlicher, weil wir nicht mehr die Nachrichten vom Krieg, vom bewaffneten Konflikt erhalten. Was ist angesichts dieser Geißel zu tun? Wie sollen wir mit den Korrupten umgehen, wie kann man sie bestrafen, und schließlich, könnte man die Korrupten exkommunizieren?
Papst Franziskus:
[Auf Spanisch] Sie haben eine Frage gestellt, mit der ich mich oft beschäftigt habe. Ich habe es mir in dieser Weise überlegt: Erhält der Korrupte Vergebung? So habe ich mich gefragt. Und ich habe diese Erwägung gemacht, als ich von einem Fall in der Provinz Catamarca in Argentinien hörte, ein Fall von Misshandlung, Missbrauch, von Vergewaltigung eines Mädchens. Die darin verwickelten Personen waren mit den politisch und wirtschaftlich Mächtigen dieser Provinz sehr verbunden. [Fährt auf Italienisch fort] In dieser Zeit wurde ich auf einen Artikel von Frigerio in der Zeitung „La Nación“ aufmerksam [Frigerio, O. „Corrupción, un problema político“. La Nación, Jg. 122, Nr. 42.863]. Ich habe daraufhin ein kleines Buch geschrieben mit dem Titel „Korruption und Sünde“. Wir alle sündigen immer wieder, und wir wissen, dass der Herr uns nahe ist, dass Er nicht müde wird, uns zu verzeihen. Doch da liegt der Unterschied: Gott wird nie müde zu verzeihen, aber der Sünder rafft sich irgendwann auf und bittet um Vergebung. Das Problem ist, dass der Korrupte müde wird, um Vergebung zu bitten, und er dann vergisst, wie man um Vergebung bittet: Das ist das ernste Problem. Es ist ein Zustand der Abstumpfung gegenüber den Werten, gegenüber der Zerstörung und der Ausbeutung der Menschen. Er ist nicht fähig, um Vergebung zu bitten. Es ist wie eine Verdammung. Daher ist es sehr schwer, einem Korrupten zu helfen, sehr schwer. Aber Gott kann es machen. Dafür bete ich.
Greg Burke:
Heiliger Vater, jetzt kommt Hernan Reyes von „Télam“. Können bitte Elena und Valentina nach vorne kommen? Danke.
Hernan Reyes („Télam“):
Heiligkeit, die Frage ist von den Journalisten der spanischen Sprachgruppe. Sie haben von diesem ersten Schritt gesprochen, den Kolumbien gemacht hat. Heute haben Sie in der heiligen Messe gesagt, dass es nicht genügt habe, dass die beiden Parteien einen Dialog führten. Es wäre vielmehr nötig gewesen, mehr Akteure einzubeziehen. Sind Sie der Ansicht, dass es möglich sei, dieses kolumbianische Modell bei anderen Konflikten in der Welt zu wiederholen?
Papst Franziskus:
Andere Menschen einbeziehen … Auch heute habe ich in der Predigt davon gesprochen und habe mich dabei vom Abschnitt des Evangeliums anregen lassen. Andere Menschen einbeziehen: Das ist nicht das erste Mal. In vielen Konflikten sind andere Subjekte involviert worden. Es ist eine Weise voranzuschreiten, eine Frage der Weisheit, eine politische Methode … Es ist Weisheit, um Hilfe zu bitten. Doch ich glaube, heute wollte ich in der Predigt andeuten – sie war eher eine Botschaft als eine Predigt – ich glaube, dass diese technisch-politischen Mittel uns helfen; sie erfordern gelegentlich eine Intervention der Vereinten Nationen, um aus einer Krise herauszukommen. Doch ein Friedensprozess geht nur weiter, wenn ihn das Volk in die Hand nimmt. Wenn das Volk ihn nicht in die Hand nimmt, wird man ein wenig weitergehen können, wird man zu einem Kompromiss gelangen … Das wollte ich bei diesem Besuch deutlich machen: Der Hauptakteuer der Befriedung ist entweder das Volk oder man gelangt nur bis zu einem bestimmten Punkt. Wenn das Volk jedoch die Sache in die Hand nimmt, ist es fähig, sie gut zu machen. Ich möchte sagen, dies ist der bessere Weg. Danke.
Greg Burke:
Nun Elena Pinardi. Können Sie den Platz wechseln mit Valentina …
Elena Pinardi (EBU-UER):
Guten Abend, Heiligkeit. Zuallererst möchten wir Sie fragen, wie es Ihnen geht. Wir alle haben gesehen, dass Sie sich den Kopf angestoßen haben. Wie geht es Ihnen? Haben Sie sich wehgetan?
Papst Franziskus:
In dem Moment … Ich habe mich etwas vorgebeugt, um Kinder zu begrüßen. Dabei habe ich die Scheibe nicht gesehen und … bum!
Elena Pinardi:
Nun, die Frage ist die folgende: Während unseres Fluges kommen wir nahe am Hurrikan Irma vorbei, der zig Tote gefordert und enorme Schäden auf den Karibischen Inseln und auf Kuba verursacht hat. Man fürchtet, dass weite Gebiete Floridas überschwemmt werden könnten. Sechs Millionen Menschen haben ihre Häuser verlassen müssen. Nach dem Hurrikan Harvey befanden sich drei Hurrikane fast zu gleicher Zeit über dem Gebiet. Die Wissenschaftler nehmen an, dass die Erwärmung der Ozeane ein Faktor sei, der dazu beiträgt, die Stürme und die jahreszeitlich bedingten Hurrikane intensiver zu machen. Gibt es eine moralische Verantwortung der politischen Verantwortungsträger, die sich weigern, mit den anderen Ländern zusammenzuarbeiten, um die Emission von Treibhausgasen zu kontrollieren, weil sie bestreiten, dass der Klimawandel auch menschengemacht ist?
Papst Franziskus:
Danke. Ich beginne mit dem letzten Teil, um ihn nicht zu vergessen: Wer das bestreitet, muss zu den Wissenschaftlern gehen und sie fragen. Diese sprechen sehr deutlich. Die Wissenschaftler sind präzise. Vor ein paar Tagen, als die Nachricht verbreitet wurde von dem russischen Schiff – glaube ich –, das von Norwegen bis nach Japan oder nach Taipei ohne Eisbrecher durch das Nordpolarmeer gefahren ist; und die Fotografien zeigten Eisstücke … jetzt kann man schon das Polarmeer passieren. Es ist sehr klar, sehr klar. Als diese Nachricht herauskam, hat eine Universität – ich erinnere mich nicht mehr wo – eine andere verbreitet, die sagte: „Wir haben nur drei Jahre Zeit, um kehrtzumachen, sonst werden die Folgen fürchterlich sein“. Ich weiß nicht, ob es wahr ist, „drei Jahre“ oder nicht; aber dass es, wenn wir nicht kehrtmachen, mit uns bergab geht, das ist wahr. Der Klimawandel: Man sieht die Auswirkungen, und die Wissenschaftler benennen deutlich den Weg, dem zu folgen ist. Und wir alle haben eine Verantwortung, alle. Jeder eine ganz kleine, oder größere, eine moralische Verantwortung: Im Akzeptieren, in der Meinungsäußerung und in der Entscheidung. Und wir müssen das ernst nehmen. Ich denke, das ist eine Sache, über die man nicht scherzen sollte. Sie ist sehr ernst. Sie fragen mich: Welche ist die moralische Verantwortung? Jeder trägt eine Verantwortung. Auch die Politiker haben die ihre. Jeder hat seine eigene. Gemäß der Antwort, die er gibt.
Elena Pinardi:
Es gibt Leute, die den Eindruck haben, dass wir auf die Apokalypse zugehen mit all diesen atmosphärischen Ereignissen …
Papst Franziskus:
Ich weiß nicht. Ich sage: Jeder trägt seine eigene moralische Verantwortung; das ist das Erste. Zweitens: Wenn er etwas im Zweifel ist, ob das so ganz stimmt, frage er die Wissenschaftler. Sie sind ganz klar. Es sind keine aus der Luft gegriffene Behauptungen: Sie sind ganz eindeutig. Dann entscheide er. Und die Geschichte wird die Entscheidungen beurteilen. Danke.
Greg Burke:
Hier sind Enzo Romeo und Valentina. Zuerst Enzo, dann Valentina.
Enzo Romeo (RAI):
Guten Abend, Heiliger Vater. Ich knüpfe an die Frage an, die mein Kollege vorher gestellt hat. In Ihren Ansprachen in Kolumbien haben Sie nämlich mehrmals auf die Notwendigkeit, mit der Schöpfung Frieden zu schließen und die Umwelt zu achten, hingewiesen als eine erforderliche Voraussetzung, damit ein stabiler sozialer Frieden geschaffen werden kann. Wir sehen die Auswirkungen des Klimawandels auch in Italien. Ich weiß nicht, ob Sie es erfahren haben, es gab einige Tote in Livorno …
Papst Franziskus:
Ja, nach dreieinhalb Monaten Trockenheit.
Enzo Romeo:
Genau. Viele Schäden in Rom … Wir alle sind also von dieser Situation betroffen. Aber warum wird man sich dessen nur langsam bewusst? Vor allem seitens der Regierungen, die hingegen so schnell zu reagieren scheinen, in anderen Bereichen etwa – stets das Thema Waffen: Wir erleben zum Beispiel die Krise mit Korea. Auch dazu wüsste ich gerne Ihre Meinung.
Papst Franziskus:
Das Warum? Nun, es kommt mir ein Wort des Alten Testaments in den Sinn, ich denke aus den Psalmen: „Der Mensch ist ohne Einsicht, ein Tor, der es nicht erkennt“ [vgl. Ps 92,7]. Das einzige Lebewesen der Schöpfung, das zweimal in das gleiche Loch fällt, ist der Mensch. Das Pferd und die anderen Tiere, sie tun das nicht. Da ist der Stolz, die Überheblichkeit zu sagen: „Nein, es wird aber nicht so sein …“ Und dann gibt es den Götzen Brieftasche, nicht? Jedoch nicht nur bezüglich der Schöpfung: viele Dinge, viele Entscheidungen, viele Widersprüche – einige davon hängen vom Geld ab. Heute in Cartagena: Ich habe in einem Teil begonnen, sagen wir im armen Teil von Cartagena, arm. Der andere Teil, das Touristenviertel, Luxus über Luxus ohne jegliches moralisches Maß sozusagen. Aber die dorthin gehen, bemerken sie es nicht? Oder die sozialpolitischen Analytiker, bemerken sie nichts? „Der Mensch ist ohne Einsicht“, sagte die Bibel. Und so, wenn man nicht sehen will, sieht man nicht. Man sieht nur von einer Seite. Ich weiß es nicht. Bezüglich Nordkorea, ich sage es ehrlich, ich verstehe es nicht, wirklich. Denn ich verstehe wirklich nicht diese Welt der Geopolitik, sie ist sehr komplex für mich. Aber ich denke, soweit ich es sehe, es gibt einen Interessenkonflikt, der sich meiner Kenntnis entzieht, ich kann ihn wirklich nicht erklären. Aber der andere Aspekt ist wichtig: Man wird sich der Sache nicht bewusst. Ich denke an Cartagena heute. Aber das ist ungerecht, und kann man sich dessen bewusst werden? Dies kommt mir in den Sinn. Danke.
Greg Burke:
Valentina, und wenn die nächsten beiden nach vor kommen können …
Papst Franziskus:
Die „Dekanin“ …
Valentina Alazraki (Televisa):
(Sie fragt, wie es dem Heiligen Vater geht.)
Papst Franziskus:
Es tut aber nicht weh. Sie haben mir ein blaues Auge verpasst. [Sie lachen.]
Valentina Alazraki:
Es tut uns jedenfalls leid. Auch wenn es Ihnen nicht weh tut, tut es uns leid.
Heiligkeit, jedes Mal, wenn Sie die Jugendlichen treffen, in welchem Teil der Erde auch immer, sagen Sie stets: „Lasst euch die Hoffnung nicht rauben, lasst euch die Freude und die Zukunft nicht rauben.“ Leider ist in den Vereinigten Staaten das Gesetz bezüglich der „Dreamers“ aufgehoben worden: Wir sprechen hier von achthunderttausend Jugendlichen, sehr vielen Mexikanern, Kolumbianern, aus vielen Ländern. Glauben Sie nicht, dass diese Jugendlichen mit der Aufhebung dieses Gesetzes die Freude, die Hoffnung, die Zukunft verlieren? Und dann, wenn ich Ihre Liebenswürdigkeit und die der Kollegen noch weiter beanspruchen darf, könnten Sie ein kleines Gebet, einen kleinen Gedanken für alle Opfer des Erdbebens in Mexiko und des Hurrikans Irma sprechen? Danke.
Papst Franziskus:
Ja, wirklich; ich möchte Sie fragen, auf welches Gesetz Sie sich beziehen. Ich habe von diesem Gesetz gehört, doch konnte ich nicht die Artikel lesen und wie man die Entscheidung umsetzt. Ich kenne es nicht gut, aber es bringt weder gute Früchte für die Jugendlichen, noch für die Familie, wenn man die Jugendlichen von der Familie trennt. Ich denke, dass dieses Gesetz – es wurde, glaube ich, nicht vom Parlament, sondern von der Exekutive verabschiedet; wenn dem so ist, aber ich bin nicht sicher, dann gibt es Hoffnung, dass man ein bisschen darüber nachdenkt. Denn ich habe den Präsidenten der Vereinigten Staaten sprechen hören: Er stellt sich als ein Mann des Lebensschutzes vor und wenn er ein guter Pro-Life-Vertreter ist, versteht er, dass die Familie die Wiege des Lebens ist und man ihre Einheit verteidigen muss. Daher habe ich Interesse, dieses Gesetz gut zu studieren. Aber wirklich, im Allgemeinen, sei es dieser Fall oder andere Fälle – wenn sich die Jugendlichen wie in vielen Fällen ausgenutzt fühlen, sehen sie sich letztendlich ohne Hoffnung. Und wer raubt sie? Die Drogen, andere Abhängigkeiten, der Selbstmord … Der Selbstmord von Jugendlichen ist sehr schlimm, und es kommt dazu, wenn sie von ihren Wurzeln getrennt werden. Die Beziehung eines Jugendlichen zu seinen Wurzeln ist sehr bedeutungsvoll. Die entwurzelten Jugendlichen heute bitten um Hilfe: Sie wollen ihre Wurzeln wiederfinden. Deshalb dränge ich so sehr auf einen Dialog zwischen jungen und alten Menschen und übergehe dabei ein bisschen die Eltern. Sie sollen auch mit den Eltern den Dialog pflegen, aber die alten Menschen [sind wichtig], weil hier die Wurzeln sind; und sie sind ein bisschen weiter weg, um die Konflikte zu vermeiden, die sie mit den näherliegenden Wurzeln wie den Eltern haben können. Aber die Jugendlichen heute müssen ihre Wurzeln wiederfinden. Alles, was sich gegen die Wurzeln richtet, raubt ihnen die Hoffnung. Ich weiß nicht, ob ich die Frage beantwortet habe…
Valentina Alazraki:
Sie können aus den Vereinigten Staaten abgeschoben werden …
Papst Franziskus:
Nun ja, sie verlieren eine Wurzel … Das ist ein Problem. Doch ich will mich zu diesem Gesetz wirklich nicht äußern, weil ich es nicht gelesen habe, und ich mag nicht über Dinge sprechen, die ich nicht vorher studiert habe. Und dann, Valentina ist Mexikanerin und Mexiko hat viel gelitten, und in dieser letzten Angelegenheit bitte ich alle aus Solidarität mit der „Dekanin“ – es gibt den anderen „Dekan“ dort – um ein Gebet für ihr Vaterland. Danke.
Greg Burke:
Danke, Heiliger Vater. Nun Fausto Gasparroni von der Ansa.
Fausto Gasparroni (Ansa):
Heiligkeit, im Namen der italienischen Gruppe möchte ich eine Frage zum Thema Migranten stellen, insbesondere hinsichtlich der Tatsache, dass die italienische Kirche kürzlich – sagen wir es so – ein gewisses Verständnis für die neue Politik der Regierung zum Ausdruck gebracht hat, nämlich eine Beschränkung in Sachen Ausreisen aus Libyen und damit der Landungen [in Italien] durchzuführen. Es wurde auch geschrieben, dass es dazu ein Treffen zwischen Ihnen und dem Ministerpräsidenten Gentiloni gegeben hat. Wir würden gerne wissen, ob bei diesem Treffen tatsächlich über dieses Thema gesprochen wurde, ob es dieses Treffen gab und dieses Thema berührt wurde, und vor allem, was Sie über diese Politik der Unterbindung der Ausreisen denken angesichts der Tatsache, dass dann die Migranten, die in Libyen bleiben – wie es auch Untersuchungen dokumentiert haben – unter unmenschlichen Bedingungen leben, unter wirklich sehr prekären Bedingungen. Danke.
Papst Franziskus:
Zunächst: Das Treffen mit Ministerpräsident Gentiloni war ein persönliches Treffen und nicht zu diesem Thema. Es fand vor diesem Problem statt, das erst einige Wochen später auftrat, fast einen Monat später. Es fand vor dem Problem statt. Zweitens: Ich empfinde gegenüber Italien und Griechenland eine Verpflichtung zum Dank, denn sie haben ihr Herz den Migranten geöffnet. Aber es reicht nicht, das Herz zu öffnen. Die Frage der Migranten heißt zuerst, immer ein geöffnetes Herz zu haben. Es ist auch ein Gebot Gottes, sie aufzunehmen. „Denn du warst ein Sklave, ein Fremder in Ägypten“ (vgl. Lev 19,33-34), so sagt die Heilige Schrift. Aber eine Regierung muss dieses Problem mit der Tugend behandeln, die dem Regieren eigen ist, d.h. mit Klugheit. Was bedeutet das? Erstens: Wie viel Platz habe ich? Zweitens: Sie nicht nur aufnehmen, sondern integrieren. Sie integrieren. Hier in Italien habe ich wunderbare Beispiele an Integration gesehen. Als ich zur Universität Roma Tre gegangen bin, haben mir vier Studenten Fragen gestellt; eine Studentin – sie war die letzte, die eine Frage stellte –, habe ich angeschaut: „Aber dieses Gesicht kenne ich doch …“ Sie war vor weniger als einem Jahr mit mir im Flugzeug aus Lesbos gekommen: Sie hat die Sprache gelernt und, da sie Biologie in ihrer Heimat studierte, hat sie ihr Studium anrechnen lassen und weiterstudiert. Sie hat die Sprache gelernt. Das nennt man integrieren. Auf einem anderen Flug – als ich aus Schweden zurückkehrte, glaube ich – habe ich über die Integrationspolitik Schwedens als einem Modell gesprochen. Aber auch Schweden hat gesagt, mit Klugheit: „Die Anzahl ist diese, mehr schaffe ich nicht.“ Denn es gibt die Gefahr der Nicht-Integration. Drittens: Es gibt ein humanitäres Problem, was Sie eben angesprochen haben. Ist sich die Menschheit dieser Lager bewusst? Ist sie sich der Lebensbedingungen in der Wüste, von denen Sie sprachen, bewusst? Ich habe Fotos gesehen … Es gibt Ausbeuter … Sie haben von der italienischen Regierung gesprochen: Ich habe den Eindruck, dass sie gerade alles für humanitäre Arbeiten unternimmt, um auch das Problem zu lösen, nicht aufnehmen zu können …
Aber [zusammenfassend]: ein immer offenes Herz, Klugheit, Integration und humanitäre Nähe.
Da ist noch eine Sache, die ich sagen will. Das gilt vor allem für Afrika. In unserem kollektiven Unbewussten gibt es ein Motto, ein Prinzip: „Afrika muss ausgebeutet werden.“ Heute haben wir in Cartagena ein Beispiel der Ausbeutung von Menschen gesehen, in diesem Fall [der Sklaven]. Und ein Regierungschef hat darüber eine schöne Wahrheit gesagt: „Die vor dem Krieg fliehen, sind ein anderes Problem; aber für die vielen, die vor dem Hunger fliehen, wollen wir dort investieren, damit sie wachsen.“ Aber im kollektiven Unbewussten ist es vorhanden: Jedes Mal wenn entwickelte Länder nach Afrika gehen, dann um auszubeuten. Das müssen wir umkehren: Afrika ist ein Freund und es muss ihm geholfen zu wachsen. Die anderen Probleme, die Kriege, gehören wo anders hin. Ich weiß nicht, ob ich es damit klar gemacht habe …
Greg Burke:
Heiligkeit, wir müssen gehen. Wenn wir aber noch eine letzte Frage machen können? Xavier Le Normand von I. Media …
Xavier Le Normand (I. Media):
Guten Abend, Heiliger Vater. Heiligkeit, heute haben Sie nach dem Angelus von Venezuela gesprochen. Sie haben darum gebeten, dass jede Art von Gewalt im politischen Leben zurückgewiesen wird. Am Donnerstag nach der Messe in Bogotá haben Sie fünf venezolanische Bischöfe begrüßt. Wir wissen alle: Der Heilige Stuhl war und ist immer noch sehr bemüht um den Dialog in diesem Land. Seit Monaten fordern Sie ein Ende aller Gewalt. Doch Präsident Maduro richtet einerseits sehr heftige Worte gegen die Bischöfe, andererseits sagt er, auf der Seite von Papst Franziskus zu stehen. Wäre es nicht möglich, entschiedenere und vielleicht klarere Worte zu sagen? Danke, Heiligkeit.
Papst Franziskus:
Ich glaube, dass der Heilige Stuhl entschieden und klar gesprochen hat. Das, was Präsident Maduro sagt, das möge er erklären: Ich weiß nicht, was er denkt. Aber der Heilige Stuhl hat viel getan: Er hat dort zur Arbeitsgruppe der vier Ex-Präsidenten einen Nuntius ersten Ranges entsandt; dann hat er mit Menschen gesprochen, hat öffentlich gesprochen. Ich habe viele Male beim Angelusgebet über die Situation gesprochen und dabei immer einen Ausweg gesucht und geholfen, meine Hilfe angeboten für einen Ausweg. Ich weiß nicht … Aber die Sache scheint sehr schwierig zu sein. Und was noch schmerzlicher ist, ist das humanitäre Problem: Viele Menschen fliehen oder leiden … Ein humanitäres Problem, bei dessen Lösung wir in jeder Form mithelfen müssen. Ich denke, dass sich die Vereinten Nationen auch da Gehör verschaffen müssen, um zu helfen … Danke.
Greg Burke:
Danke, Heiligkeit. Ich glaube, wir müssen gehen.
Papst Franziskus:
Wegen der Turbulenzen?
Greg Burke:
Ja …
Papst Franziskus:
Man sagt, dass es Turbulenzen gibt und wir gehen müssen. Aber ich danke euch vielmals, ich danke euch vielmals für eure Arbeit. Und einmal mehr möchte ich dem Beispiel des kolumbianischen Volkes danken. Und ich möchte mit einem Bild schließen, das mich seitens der Kolumbianer am meisten getroffen hat: In den vier Städten gab es große Menschenmengen an den Straßen, die gegrüßt haben … Mich hat am meisten berührt, dass die Väter und die Mütter ihre Kinder emporgehoben haben, um sie dem Papst zu zeigen und damit der Papst sie segne. Gleichsam um zu sagen: „Dies ist mein Schatz, dies ist meine Hoffnung, dies ist meine Zukunft. Das glaube ich.“ Das hat mich berührt – die Zärtlichkeit, die Augen dieser Väter und Mütter. Wunderschön! Dies ist ein Symbol, ein Symbol der Hoffnung und der Zukunft. Ein Volk, das Kinder bekommt und sie dann zeigt, sie so herzeigt, gleichsam um zu sagen: „Dies ist mein Schatz“, das ist ein Volk, das Hoffnung und Zukunft hat. Vielen Dank. Danke.
Papst Franziskus:
Danke, Heiligkeit. Angenehme Ruhe.
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