ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE MITGLIEDER DES OBERSTEN GERICHTSRATS
Sala Clementina
Dienstag, 17. Juni 2014
Ich entschuldige mich für das letzte Mal, wirklich. Im Lauf des Vormittags habe ich mich plötzlich nicht wohl gefühlt, Fieber, und ich musste die Termine absagen. Ich entschuldige mich dafür. [Die Audienz war ursprünglich für den 9. Juni vorgesehen.] Herzlich heiße ich Sie willkommen, die Sie den »Consiglio Superiore della Magistratura« bilden, wie auch die Mitarbeiter und Familienangehörigen. Ich danke Prof. Michele Vietti für seine freundlichen Worte; ein freundschaftlicher Gedanke gilt auch dem Präsidenten der Republik, der in dieser Institution den Vorsitz führt.
Die Ihnen im Dienst der Nation übertragene Aufgabe hat das gute Funktionieren eines für das gesellschaftliche Zusammenleben lebenswichtigen Sektors zum Ziel. Deshalb möchte ich Ihnen sowie allen, die sich auf diesem Gebiet mit rechtem Gewissen und hohem juristischen und zivilen Verantwortungsbewusstsein einsetzen, meine Wertschätzung und meine Ermutigung für Ihre Tätigkeit zum Ausdruck bringen. Ich möchte meine Aufmerksamkeit auf den ethischen Aspekt richten, den das Amt des Richters verkörpert. In jedem Land sind juridische Normen dazu bestimmt, Freiheit und Unabhängigkeit der Richter zu schützen, damit sie ihre wichtige und schwierige Arbeit mit den notwendigen Sicherheiten ausführen können. Das verleiht Ihnen eine besonders wichtige Position, um angemessen der Aufgabe zu entsprechen, die die Gesellschaft Ihnen anvertraut, um eine stets unanfechtbare Unparteilichkeit zu bewahren, um allein auf der Grundlage der gerechten Rechtsnorm mit Objektivität und Klugheit abzuwägen und vor allem um auf die Stimme eines unfehlbaren Gewissens zu antworten, das auf die grundlegenden Werte gegründet ist. Die Unabhängigkeit des Richters und die Objektivität des von ihm gesprochenen Urteils erfordern eine sorgfältige und genaue Anwendung der geltenden Gesetze. Die Rechtssicherheit und das Gleichgewicht der verschiedenen Gewalten einer demokratischen Gesellschaft finden ihre Zusammenfassung im Prinzip der Legalität, zu deren Sicherung die Richter ihre Tätigkeit ausüben.
Vom Richter hängen Entscheidungen ab, die sich nicht nur auf Rechte und Besitz der Bürger auswirken, sondern auch ihre Existenz betreffen. Folglich muss das Recht sprechende Subjekt auf jeder Ebene intellektuelle, psychologische und moralische Qualitäten besitzen, die Vertrauenswürdigkeit für eine so wichtige Funktion gewährleisten. Die unter allen diesen Qualitäten vorherrschende – und ich würde sagen für den Richter charakteristische – Eigenschaft ist die Klugheit. Die keine Tugend ist, um unbeweglich zu bleiben: »Ich bin vorsichtig: ich bleibe stehen, nein! Es ist eine Tugend der Leitung, eine Tugend, um die Dinge voran zu bringen, die Tugend, die einen Menschen geneigt macht, gelassen die Rechtsgründe abzuwägen, die in der Tat die Grundlage des Urteils bilden müssen. Man wird mehr Klugheit walten lassen, wenn man über ein hohes inneres Gleichgewicht verfügt, in der Lage, die dem eigenen Charakter, den persönlichen Ansichten, den eigenen ideologischen Überzeugungen entspringenden Impulse zu beherrschen.
Die italienische Gesellschaft erwartet viel von der Gerichtsbarkeit, besonders im aktuellen Kontext, der unter anderem von einer Schwächung der überlieferten Werte und einer Evolution der demokratischen Strukturen geprägt ist. Sie mögen sich dafür einsetzen, die legitimen Erwartungen der Menschen nicht zu enttäuschen. Bemühen Sie sich, immer mehr ein Vorbild moralischer Integrität für die gesamte Gesellschaft zu sein. Es fehlt nicht an wertvollen Lehren und Vorbildern, an denen Sie sich inspirieren können.
Ich möchte die Lichtgestalt erwähnen, die Vittorio Bachelet war, der den »Consiglio Superiore della Magistratura« in sehr schwierigen Zeiten geleitet hat und der Gewalt der sogenannten »Anni di piombo« [Terrorismus der 70-er Jahre] zum Opfer gefallen ist, und auch Rosario Livatino, von der Mafia ermordet, dessen Seligsprechungsprozess im Gang ist. Sie haben ein beispielhaftes Zeugnis gegeben für den Stil, der dem christlichen Laiengläubigen zu eigen ist: loyal gegenüber den Institutionen, offen für den Dialog, entschlossen und mutig bei der Verteidigung der Gerechtigkeit und der Würde des Menschen.
Der Herr, gerechter Richter und barmherziger Vater, erleuchte Ihr Leben und Handeln. Sein Segen begleite und stütze einen jeden von Ihnen und Ihre kollegiale Arbeit wie auch Ihre Kollegen in der Rechtsprechung und Ihre Familien. Danke.
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