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.BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
BEI DER INTERNATIONALEN KONFERENZ
ZUM THEMA MENSCHENRECHTE
ROM, 10.-11. DEZEMBER 2018

 

Herr Kardinal,
verehrte Brüder im Bischofs- und im Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Ich freue mich, Euch allen meinen herzlichen Gruß zukommen zu lassen: den Vertretern der Staaten beim Heiligen Stuhl, der Institutionen der Vereinten Nationen, des Europarates, der bischöflichen Kommissionen »Justitia et Pax« sowie der Kommissionen für die Sozialpastoral, der akademischen Welt und der Organisationen der Zivilgesellschaft. Ihr habt Euch in Rom versammelt für den Internationalen Kongress zum Thema »Die Menschenrechte in der heutigen Welt: Errungenschaften, Versäumnisse, Verwehrungen«, der vom Dikasterium für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen sowie von der Päpstlichen Universität »Gregoriana« veranstaltet wurde, anlässlich des 70. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie des 25. Jahrestages der Erklärung und des Aktionsprogramms von Wien.

Durch diese beiden Dokumente hat die Familie der Nationen anerkannt, dass alle Menschen gleich an Würde sind.[1] Daher kommen die Grundrechte und -freiheiten, die im Wesen des Menschen – einer untrennbaren Einheit aus Leib und Seele – verwurzelt und daher allgemeingültig und unteilbar sind, einander bedingen und einen Sinnzusammenhang bilden.[2] Gleichzeitig wird in der Erklärung von 1948 anerkannt: »Jeder hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung seiner Persönlichkeit möglich ist.«[3]

In dem Jahr, in dem bedeutende Jahrestage dieser internationalen Rechtsmittel gefeiert werden, erscheint eine vertiefte Reflexion über die Grundlage und die Achtung der Menschenrechte in der heutigen Welt sehr angebracht. Ich hoffe, dass diese Reflexion ein erneuertes Bemühen zugunsten der Verteidigung der Menschenwürde ankündigt, mit besonderer Aufmerksamkeit gegenüber den schwächeren Gliedern der Gemeinschaft.

Wenn man unsere gegenwärtigen Gesellschaften aufmerksam beobachtet, entdeckt man in der Tat zahlreiche Widersprüche, aufgrund derer wir uns fragen, ob die Gleichheit an Würde aller Menschen, die vor nunmehr 70 Jahren feierlich verkündet wurde, wirklich unter allen Umständen anerkannt, geachtet, geschützt und gefördert wird. Es gibt heute in der Welt weiterhin zahlreiche Formen der Ungerechtigkeit, genährt von verkürzten anthropologischen Sichtweisen sowie von einem Wirtschaftsmodell, das auf dem Profit gründet und nicht davor zurückscheut, den Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten.[4] Während ein Teil der Menschheit im Überfluss lebt, sieht der andere Teil die eigene Würde aberkannt, verachtet, mit Füßen getreten und seine Grundrechte ignoriert oder verletzt.

Ich denke unter anderem an die ungeborenen Kinder, denen das Recht verwehrt wird, zur Welt zu kommen; an jene, die keinen Zugang haben zu den unverzichtbaren Mitteln für ein menschenwürdiges Leben[5]; an jene, die von einer angemessenen Bildung ausgeschlossen sind; an jene, die zu Unrecht der Arbeit beraubt oder gezwungen sind, wie Sklaven zu arbeiten; an jene, die unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert sind, die Folter erleiden oder denen die Möglichkeit der Besserung genommen ist[6]; an die Opfer von erzwungenem Verschwinden und an ihre Familien. Meine Gedanken richten sich auch an all jene, die in einer von Misstrauen und Verachtung beherrschten Atmosphäre leben, die Gegenstand von Intoleranz, Diskriminierung und Gewalt sind aufgrund ihrer Hautfarbe, ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit.[7]

Abschließend dürfen auch jene nicht vergessen werden, die im tragischen Zusammenhang von bewaffneten Konflikten zahlreiche Verletzungen ihrer Grundrechte erleiden, während skrupellose Händler des Todes[8] sich auf Kosten des Blutes ihrer Brüder und Schwestern bereichern. Angesichts dieser schwerwiegenden Phänomene sind wir alle auf den Plan gerufen. Denn wenn die Grundrechte verletzt werden oder wenn einige sie sich zum Vorrecht machen, zum Nachteil anderer, oder wenn sie nur bestimmten Gruppen gewährleistet werden, dann geschieht schweres Unrecht, das seinerseits Konflikte nährt mit schwerwiegenden Folgen sowohl innerhalb der einzelnen Nationen als auch in ihren Beziehungen untereinander.

Jeder ist daher aufgerufen, mit Mut und Entschlossenheit, in seiner jeweiligen Rolle, zur Achtung der Grundrechte eines jeden Menschen beizutragen, besonders der »unsichtbaren«: der vielen, die Hunger und Durst leiden, die nackt, krank, fremd oder im Gefängnis sind (vgl. Mt 25,35-36), die an den Rändern der Gesellschaft leben oder von ihr ausgesondert sind. Diese Notwendigkeit zu Gerechtigkeit und Solidarität hat eine besondere Bedeutung für uns Christen, denn das Evangelium selbst lädt uns ein, den Blick den kleinsten unserer Brüder und Schwestern zuzuwenden, Mitleid mit ihnen zu haben (vgl. Mt 14,14) und uns konkret dafür einzusetzen, ihr Leiden zu lindern.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit einen eindringlichen Appell an alle richten, die institutionelle Verantwortung tragen, und sie bitten, die Menschenrechte in den Mittelpunkt aller politischen Maßnahmen zu stellen, auch jener der Entwicklungszusammenarbeit, auch wenn das bedeutet, gegen den Strom zu schwimmen. Mit dem Wunsch, dass diese Tage der Reflexion die Gewissen wecken und Initiativen eingeben mögen, die auf den Schutz und die Förderung der Menschenwürde ausgerichtet sind, vertraue ich einen jeden von euch, eure Familien und eure Völker der Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, Königin des Friedens, an und rufe auf alle überreichen göttlichen Segen herab.

Aus dem Vatikan, am 10. Dezember 2018

FRANZISKUS

 


 

[1] Vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, 10. Dezember 1948, Präambel und Artikel 1.

[2] Vgl. Wiener Erklärung und Aktionsprogramm, 25. Juni 1993, Nr. 5.

[3] Allgemeine Erklärung der Menschenrechte,  Art. 29.1.

[4] Vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 53.

[5] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris,

11. April 1963, 6.

[6] Vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2267.

[7] Vgl. Ansprache an die Teilnehmer der Konferenz zum Thema »Fremdenhass, Rassismus und Populismus im Zusammenhang mit weltweiter Migration«, 20. September 2018.

[8] Vgl. Generalaudienz, Petersplatz, 11. Juni 2014.

 

 



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