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BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE UNO-KONFERENZ ZU VERHANDLUNGEN
ÜBER EIN ATOMWAFFEN-VERBOT

[New York, 27.-31. März 2017]
 

An Ihre Exzellenz Frau Elayne Whyte Gómez Präsidentin der UNO-Konferenz zu Verhandlungen über ein rechtlich bindendes Instrument, um mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung ein Verbot der Atomwaffen zu erreichen

Herzlich grüße ich Sie, Frau Präsidentin, sowie alle Vertreter der verschiedenen Nationen, der internationalen Organisationen und der Zivilgesellschaften, die an dieser Konferenz teilnehmen. Ich möchte Sie ermutigen, entschlossen daran zu arbeiten, die notwendigen Voraussetzungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Am 25. September 2015 habe ich vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen unterstrichen, was die Präambel und der erste Artikel der Charta der Vereinten Nationen als die Grundlagen des internationalen Rechtsgebäudes bezeichnen: Frieden, die friedliche Lösung der Kontroversen und die Entwicklung von freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Nationen.

Eine Ethik und ein Recht, die auf der Drohung gegenseitiger Zerstörung – und möglicherweise der Vernichtung der ganzen Menschheit – beruhen, widersprechen dem Geist der Vereinten Nationen. Daher müssen wir uns für eine Welt ohne Atomwaffen einsetzen, indem wir den Nichtverbreitungsvertrag dem Buchstaben und dem Geist nach gänzlich zur Anwendung bringen (vgl. Ansprache an die Mitglieder der UN-Generalversammlung, 25. September 2015).

Warum aber soll man sich im aktuellen internationalen Szenarium, das von einer unstabilen Atmosphäre des Konflikts gekennzeichnet ist, dieses anspruchsvolle und weitblickende Ziel setzen? In einer Atmosphäre, die sowohl Ursache als auch Hinweis auf die Schwierigkeiten ist, die bei der Förderung und Stärkung des Prozesses nuklearer Abrüstung und Nichtverbreitung zutage treten?

Zieht man die Hauptbedrohungen für Frieden und Sicherheit mit ihren vielen Aspekten in dieser multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts in Betracht – wie zum Beispiel Terrorismus, asymmetrische Konflikte, Cyber-Sicherheit, Umweltprobleme, Armut –, dann kommen einem nicht wenige Zweifel aufgrund der Unangemessenheit nuklearer Abschreckung als wirksamer Antwort auf diese Herausforderungen. Diese Sorgen werden noch größer, wenn wir an die katastrophalen humanitären und ökologischen Konsequenzen denken, die der Einsatz von Atomwaffen haben würde, mit verheerenden, in Zeit und Raum unkontrollierbaren Folgen für alle. Ähnlichen Grund zur Sorge gibt die Ressourcenverschwendung für Atomenergie zu militärischen Zwecken,

Ressourcen, die stattdessen für angemessenere Prioritäten eingesetzt werden könnten, wie zum Beispiel für die Förderung des Friedens und die ganzheitliche Entwicklung des Menschen wie auch für den Kampf gegen Armut und die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Wir müssen uns auch die Frage stellen, wie nachhaltig eine auf Angst gegründete Stabilität sein kann, insofern sie die Angst noch vergrößert und vertrauensvolle Beziehungen zwischen den Völkern untergräbt.

Internationaler Frieden und internationale Stabilität dürfen nicht auf ein falsches Gefühl der Sicherheit gegründet sein, auf die Androhung gegenseitiger Zerstörung oder totaler Auslöschung oder indem man bloß ein Kräftegleichgewicht aufrechterhält. Frieden muss auf Gerechtigkeit, auf ganzheitliche menschliche Entwicklung, auf die Achtung der Grundrechte, die Bewahrung der Schöpfung, die Beteiligung aller am öffentlichen Leben, auf das Vertrauen zwischen den Völkern, die Unterstützung friedlicher Institutionen, auf den Zugang zu Bildung und Gesundheitswesen, auf Dialog und Solidarität gegründet sein. Aus dieser Perspektive heraus müssen wir die nukleare Abschreckung hinter uns lassen: Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, zukunftsweisende Strategien umzusetzen, um das Ziel von Frieden und Stabilität zu fördern und kurzsichtige Lösungsansätze für Probleme nationaler und internationaler Sicherheit zu vermeiden.

In diesem Kontext wird das letzte Ziel der vollkommenen Abschaffung von Atomwaffen sowohl zu einer Herausforderung als auch zu einer moralischen und humanitären Pflicht. Eine praktische Herangehensweise sollte ein Nachdenken über eine Ethik des Friedens und der multilateralen, kooperativen Sicherheit fördern. Diese muss über die Haltungen der Angst und des Isolationismus hinausgehen, die viele der heutigen Debatten beherrschen. Eine Welt ohne Atomwaffen zu verwirklichen, das umfasst einen langfristigen Prozess, der auf das Bewusstsein gegründet ist, dass »alles miteinander verbunden ist« in der Perspektive einer ganzheitlichen Ökologie (vgl. Laudato si’, 117.138). Das gemeinsame Schicksal der Menschheit erfordert die pragmatische Stärkung des Dialogs sowie Aufbau und Konsolidierung von Mechanismen des Vertrauens und der Zusammenarbeit, die in der Lage sind, Voraussetzungen für eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen.

Zunehmende Interdependenz und wachsende Globalisierung bedeuten, dass jedwede Antwort auf die Bedrohung durch Atomwaffen kollektiv und abgestimmt erfolgen sowie auf gegenseitiges Vertrauen gegründet sein sollte. Dieses Vertrauen kann nur durch einen Dialog aufgebaut werden, der ehrlich auf das Gemeinwohl abzielt und nicht auf den Schutz von verschleierten Interessen oder Eigeninteressen. Der Dialog sollte so weit wie möglich alle einschließen: Atommächte, Staaten ohne Atomwaffen, den militärischen und den privaten Sektor, Religionsgemeinschaften, Zivilgesellschaften und internationale Organisationen. Bei diesem Bemühen müssen wir alle Formen gegenseitiger Schuldzuweisungen und Polarisierungen vermeiden, die den Dialog behindern, statt ihn zu fördern. Die Menschheit verfügt über die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen. Wir haben die Freiheit, Intelligenz und Fähigkeit, die Technik zu lenken und zu steuern, unserer Macht Grenzen zu setzen und all dies in den Dienst einer anderen Art von Fortschritt zu stellen: eines menschlicheren, sozialeren und ganzheitlicheren Fortschritts (vgl. ebd. 13.78.112; Botschaft an die Teilnehmer des Weltklimagipfels 2016 (COP22), 10. November 2016).

Die Konferenz hat die Absicht, einen von ethischen und moralischen Argumenten inspirierten Vertrag auszuhandeln. Es handelt sich um einen Akt der Hoffnung, und es ist mein Wunsch, dass es auch ein entscheidender Schritt auf dem Weg zu einer Welt ohne Atomwaffen sein möge. Auch wenn dies ein sehr komplexes, langfristiges Ziel ist, ist es doch nicht unerreichbar.

Frau Präsidentin, ich hege den aufrichtigen Wunsch, dass die Bemühungen dieser Konferenz erfolgreich sein mögen und einen wirksamen Beitrag leisten können, eine Ethik des Friedens und der multilateralen, kooperativen Sicherheit zu unterstützen, die die Menschheit heute dringend braucht. Auf alle Teilnehmer an diesem wichtigen Treffen und auf die Bürger der von ihnen vertretenen Länder rufe ich den Segen des Allmächtigen herab.

Aus dem Vatikan, am 23. März 2017

Franziskus

 



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