FEST DER DARSTELLUNG DES HERRN
23. WELTTAG DES GEWEIHTEN LEBENS
HEILIGE MESSE FÜR DIE PERSONEN DES GEWEIHTEN LEBENS
PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS
Vatikanische Basilika
Samstag, 2. Februar 2019
Die heutige Liturgie zeigt uns Jesus, der er seinem Volk entgegengeht. Es ist das Fest der Begegnung: die Neuheit des Kindes trifft auf die Tradition des Tempels; die Verheißung findet Erfüllung; die jungen Maria und Josef treffen auf die alten Simeon und Anna. Alles begegnet sich also, wenn Jesus kommt.
Was sagt uns dies? Vor allem, dass auch wir gerufen sind, Jesus, der uns entgegenkommt, aufzunehmen. Ihm begegnen: dem Gott des Lebens muss man jeden Tag des Lebens begegnen; nicht manchmal, sondern jeden Tag. Jesus zu folgen ist nicht eine ein für alle Mal getroffene Entscheidung, es ist eine tägliche Entscheidung. Und dem Herrn begegnet man nicht virtuell, sondern unmittelbar, indem man ihm im Leben begegnet, im konkreten Leben. Andernfalls wird Jesus nur zu einer schönen Erinnerung der Vergangenheit. Wenn wir ihn jedoch als den Herrn des Lebens, die Mitte von allem, das pulsierende Herz von allem aufnehmen, dann lebt und lebt er fort in uns. Und auch uns geschieht, was im Tempel geschah: um ihn herum begegnet sich alles, wird das Leben harmonisch. Mit Jesus findet man wieder den Mut voranzugehen und die Kraft, fest zu stehen. Die Begegnung mit dem Herrn ist die Quelle. Es ist also wichtig, zu den Quellen zurückzukehren: in der Erinnerung zu den entscheidenden Begegnungen mit ihm zurückzugehen, die erste Liebe neu zu entfachen, vielleicht unsere Liebesgeschichte mit dem Herrn niederzuschreiben. Es wird unserem gottgeweihten Leben guttun, damit es nicht zu einer Zeit, die vorübergeht, wird, sondern eine Zeit der Begegnung sei.
Wenn wir uns an unsere grundlegende Begegnung mit dem Herrn erinnern, merken wir, dass diese nicht als eine private Angelegenheit zwischen uns und Gott entstanden ist. Nein, sie ist im gläubigen Volk aufgegangen, neben vielen Brüdern und Schwestern, zu einer bestimmten Zeit und an einem genauen Orten. Das Evangelium sagt es uns, wenn es uns zeigt, wie die Begegnung im Volk Gottes geschieht, in seiner konkreten Geschichte, in seinen lebendigen Traditionen: im Tempel, entsprechend dem Gesetz, im Klima der Prophetie, mit den jungen und alten Menschen zusammen (vgl. Lk 2,25-28.34). So auch das gottgeweihte Leben: es geht auf und blüht in der Kirche; wenn es sich absondert, verwelkt es. Es reift, wenn die Jungen und Alten gemeinsam gehen, wenn die Jungen ihre Wurzeln wiederfinden und die Alten die Früchte ernten. Es stagniert jedoch, wenn man alleine geht, wenn man auf die Vergangenheit fixiert bleibt oder Hals über Kopf vorwärtsläuft, um zu überleben. Heute, am Fest der Begegnung, bitten wir um die Gnade, den lebendigen Herrn im gläubigen Volk wiederzuentdecken und das empfangene Charisma der Gnade des Heute begegnen zu lassen.
Das Evangelium sagt uns auch, dass die Begegnung Gottes mit seinem Volk einen Ausgangspunkt und ein Ziel hat. Man beginnt mit dem Ruf zum Tempel und man gelangt zur Schau im Tempel. Der Ruf erfolgt zweifach. Es gibt einen ersten Ruf entsprechend dem Gesetz (vgl. V. 22). Es ist der Ruf an Josef und Maria, die zum Tempel gehen, um zu erfüllen, was das Gesetzt vorschreibt. Der Text unterstreicht es gleich einem Refrain viermal (vgl. Vv. 22.23.24.27). Es ist nicht ein Zwang: die Eltern Jesu gehen nicht notgedrungen oder um einer bloß äußeren Pflichterfüllung willen; sie gehen, um dem Ruf Gottes zu antworten. Es gibt dann einen zweiten Ruf entsprechend dem Geist. Es ist der Ruf an Simeon und Anna. Auch dieser wird nachdrücklich hervorgehoben: Dreimal wird in Bezug auf Simeon über den Heiligen Geist gesprochen (vgl. Vv. 25.26.27), und der Text schließt mit der Prophetin Hanna, die vom Geist erfüllt Gott preist (vgl. V. 38). Zwei junge Menschen eilen vom Gesetz gerufen zum Tempel; zwei alte Menschen getrieben vom Geist. Was sagt dieser zweifache Ruf des Gesetzes und des Geistes für unser geistliches Leben und unser gottgeweihtes Leben? Dass wir alle zu einem zweifachen Gehorsam gerufen sind: zum Gesetz – im Sinne dessen, was dem Leben eine gute Ordnung gibt, – und zum Geist, der im Leben neue Dinge bewirkt. So entsteht die Begegnung mit dem Herrn: Der Geist offenbart den Herrn, aber um ihn aufzunehmen, ist die treue Beständigkeit des Alltags nötig. Auch die größten Charismen bringen ohne ein geordnetes Leben keine Frucht. Andererseits reichen die besten Regeln ohne die Neuheit des Geistes nicht aus: Gesetz und Geist gehören zusammen.
Um diesen Ruf zum Tempel besser zu verstehen, den wir heute in den ersten Tagen des Lebens Jesu sehen, können wir die ersten Tage seines öffentlichen Wirkens betrachten, wo er in Kana Wasser in Wein verwandelt. Auch dort gibt es einen Ruf zum Gehorsam, mit Maria, die sagt: »Was er [Jesus] euch sagt, das tut!« (Joh 2,5). Was auch immer er euch sagt. Und Jesus verlangt etwas Besonderes; er macht nicht sofort etwas Neues, er besorgt den fehlenden Wein nicht aus dem Nichts – er hätte es tun können –, sondern er verlangt etwas Konkretes, das Einsatz erfordert. Er verlangt, die sechs großen Steinkrüge für die rituelle Reinigung, welche an das Gesetz erinnern, zu füllen. Dies bedeutete, ungefähr sechshundert Liter Wasser aus dem Brunnen einzufüllen: Zeit und Mühe, die sinnlos erschienen, weil nicht das Wasser fehlte, sondern der Wein! Und doch schöpft Jesus gerade aus diesen »bis zum Rand« (V. 7) gefüllten Krügen den neuen Wein. So ist es für uns: Gott ruft uns, ihm durch die Treue in konkreten Dingen zu begegnen – Gott begegnet man immer im Konkreten: das tägliche Gebet, die Messe, die Beichte, eine echte Nächstenliebe, das Wort Gottes an jedem Tag, die geistige oder leibliche Nähe vor allem zu den am meisten Bedürftigen. Es sind konkrete Dinge, wie im gottgeweihten Leben der Gehorsam zum Oberen und zu den Regeln. Wenn man dieses Gesetz mit Liebe – mit Liebe! – in die Praxis umsetzt, bricht der Heilige Geist herein und bringt wie in Kana die Überraschung Gottes. Das Wasser des Alltags verwandelt sich dann in den Wein der Neuheit des Lebens, das gebundener scheint, in Wirklichkeit aber freier wird. Mir kommt gerade eine bescheidene Schwester in den Sinn, die genau dieses Charisma hatte, für die Priester und Seminaristen da zu sein. Vorgestern wurde hier in der Diözese [Rom] ihr Seligsprechungsprozess eingeleitet. Eine einfache Schwester: Sie hatte keine großen leuchtenden Ideen, aber sie besaß die Weisheit des Gehorsams, der Treue und der Furchtlosigkeit vor Neuheiten. Bitten wir den Herrn, dass er durch Schwester Bernardetta uns allen die Gnade schenke, auf diesem Weg zu gehen.
Die Begegnung, die aus dem Ruf entsteht, findet ihren Höhepunkt in der Schau: Simeon sagt: »Denn meine Augen haben das Heil gesehen« (Lk 2,30). Er sieht das Kind und sieht das Heil. Er sieht nicht den Messias, der Wundertaten vollbringt, sondern ein kleines Kind. Er sieht nicht etwas Außerordentliches, sondern Jesus mit den Eltern, die zum Tempel ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben bringen, also die bescheidenste Gabe (vgl. V. 24). Simeon sieht die Einfachheit Gottes und nimmt seine Gegenwart auf. Er sucht nichts anderes, er verlangt und will nicht mehr, ihm genügt es, das Kind zu sehen und es in die Arme zu nehmen: „Nunc dimittis“, nun kannst du mich scheiden lassen (vgl. V. 29). Ihm genügt Gott, wie er ist. In ihm findet er den letzten Sinn des Lebens. Es ist die Schau des gottweihten Lebens, eine einfache Schau, prophetisch in ihrer Einfachheit, wo man den Herrn vor Augen und in den Händen hält und man nichts anderes braucht. Er ist das Leben, er ist die Hoffnung, er ist die Zukunft. Das gottgeweihte Leben ist diese prophetische Schau in der Kirche: es ist der Blick, der Gott in der Welt gegenwärtig sieht, auch wenn viele ihn nicht bemerken; es ist die Stimme, die sagt: „Gott genügt, das Übrige vergeht“; es ist der Lobpreis, der trotz allem ertönt, wie die Prophetin Hanna zeigt. Sie war eine sehr alte Frau, die über viele Jahre als Witwe gelebt hatte, aber sie war nicht verfinstert, nostalgisch oder auf sich selbst zurückgezogen; im Gegenteil, sie kommt unvermittelt, lobt Gott und spricht nur über ihn (vgl. V. 38). Gerne stelle ich mir vor, dass diese Frau „gut schwatzte“, und gegen das Übel des Tratsches wäre sie eine gute Patronin, um uns zu bekehren. Sie ging nämlich von da nach dort und sagte feierlich: „Dieser ist es! Dieses Kind ist es! Geht hin, ihn zu sehen!“ Gerne sehe ich sie so, wie eine Frau aus dem Viertel.
Das ist das gottweihte Leben: Lobpreis, der dem Volk Gottes Freude bereitet, prophetische Schau, die das offenbart, was zählt. Wenn es so ist, blüht es und wird für alle zu einem Weckruf gegen die Mittelmäßigkeit: gegen den Rückgang des Anteils am geistlichen Leben, gegen die Versuchung, mit Gott auf Baisse zu spekulieren, gegen die Anpassung an ein bequemes und weltliches Leben, gegen das Klagen – die Klagen! –, die Unzufriedenheit und das Selbstmitleid, gegen die Gewohnheit eines „Man tut, was man kann“ und „Man hat es immer schon so gemacht“: Das sind keine Redensarten gemäß Gott. Das gottgeweihte Leben ist nicht Überleben, es ist keine Vorbereitung zur „ars bene moriendi“: dies ist die Versuchung heute angesichts des Rückgangs der Berufungen. Nein, es ist nicht Überleben, es ist neues Leben. „Aber … wir sind doch wenige …“ – Es ist neues Leben. Es ist lebendige Begegnung mit dem Herrn in seinem Volk. Es ist Ruf zum täglichen treuen Gehorsam und zu den unbekannten Überraschungen des Heiligen Geistes. Es ist Schau dessen, was man wirklich ergreifen muss, um die Freude zu haben: Jesus.
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