APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH CHILE UND PERU
(15.-22. JANUAR 2018)
HEILIGE MESSE FÜR FRIEDEN UND GERECHTIGKEIT
PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS
O’Higgins Park (Santiago de Chile)
Dienstag, 16. Januar 2018
»Als Jesus die vielen Menschen sah« (Mt 5,1). In diesen ersten Worten aus dem Evangelium, das wir gerade gehört haben, finden wir die Haltung, mit der Jesus uns entgegengehen will, dieselbe Haltung, mit der Gott sein Volk immer überrascht hat (vgl. Ex 3,7). Die erste Haltung Jesu ist es, nach den Gesichtern der Seinen Ausschau zu halten und sie anzublicken. Diese Gesichter setzen die abgründige Liebe Gottes in Bewegung. Es waren nicht Ideen oder Konzepte, die Jesus bewegten… es sind die Gesichter, die Personen; es ist das Leben, das nach dem Leben ruft, das der Vater uns übermitteln will.
Als er die vielen Menschen sah, traf Jesus auf die Gesichter der Menschen, die ihm folgten, und das Schönste ist es zu sehen, dass sie ihrerseits im Blick Jesu das Echo ihres Suchens und Sehnens finden. Aus dieser Begegnung entsteht dieser Katalog der Seligpreisungen, die der Horizont sind, dem zu folgen wir eingeladen und herausgefordert sind. Die Seligpreisungen entstehen nicht aus einer passiven Haltung angesichts der Realität; ebenso wenig können sie nicht von einem Zuschauer kommen, der zu einem traurigen Aufzeichner von Statistiken des Geschehenden wird. Sie gehen nicht von Unheilspropheten aus, die sich daran erfreuen, Hoffnungslosigkeit zu säen. Und auch nicht aus Trugbildern, die uns mit einem „Klick“ in einem Augenblick Glück versprechen. Im Gegenteil, die Seligpreisungen haben ihren Ursprung im mitfühlenden Herzen Jesu, das den mitleidenden und mitleidsbedürftigen Herzen der Menschen begegnet, die nach einem gesegneten Leben suchen und sich danach sehnen; von Menschen, die mit dem Leid vertraut sind; die die Bestürzung und den Schmerz kennen, der entsteht, wenn „der Boden unter den Füßen bebt“ oder „die Träume weggespült werden“ und die Arbeit eines ganzen Lebens zusammenbricht; aber noch besser kennen sie die Beharrlichkeit und den Kampf um das Vorwärtskommen, das Wiederaufbauen und das Wiederanfangen.
Wie sehr kennt sich das chilenische Herz mit Wiederaufbau und Neuanfang aus; wie sehr wisst ihr um das Aufstehen nach so vielen Stürzen! An dieses Herz wendet sich Jesus; auf dass dieses Herz die Seligpreisungen empfange!
Die Seligpreisungen entstehen nicht aus nörglerischen Haltungen und auch nicht aus dem „billigen Geschwätz“ derjenigen, die glauben, alles zu wissen, aber sich für nichts und niemandem einsetzen wollen und schließlich jede Möglichkeit lahmlegen, Wandlungs- und Wiederaufbauprozesse in unseren Gemeinschaften, in unserem Leben anzustoßen. Die Seligpreisungen kommen aus dem barmherzigen Herzen, das nicht müde wird zu hoffen. Und es erfährt: Die Hoffnung ist »der neue Tag, die Ausrottung des Stillstands, das Abschütteln einer negativen Niedergeschlagenheit« (Pablo Neruda, El habitante y su esperenza, 5).
Wenn Jesus den Armen, den Weinenden, den Trauernden, den Geduldigen, denjenigen, der vergeben hat, seligpreist … rottet er schließlich die lähmende Bewegungslosigkeit desjenigen aus, der glaubt, dass die Dinge sich nicht ändern können, desjenigen, der aufgehört hat, an die verwandelnde Macht von Gott Vater und an seine Brüder zu glauben, insbesondere an seine gebrechlichsten, an die verworfenen Brüder. Wenn Jesus die Seligpreisungen verkündet, so rüttelt er diese Resignation, den negativen Zusammenbruch auf, der uns glauben macht, dass man besser lebt, wenn man vor den Problemen flüchtet, wenn wir die anderen meiden; wenn wir uns in unseren Bequemlichkeiten verstecken oder einschließen, wenn wir in einem betäubenden Konsumismus einschlafen (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 2): diese Resignation, die uns dazu führt, uns von allen zu isolieren, abzuspalten, zu trennen; uns angesichts des Lebens und des Leidens der anderen blind zu stellen.
Die Seligpreisungen sind dieser neue Tag für alle, die weiterhin auf die Zukunft setzen, weiter träumen, weiter sich vom Geist Gottes berühren und antreiben lassen.
Stellen wir uns einmal vor, dass Jesus vom Cerro Renca oder der Puntilla kommt und zu uns sagt: Selig seid ihr … Ja, selig bist du und du, jeder von uns. Selig seid ihr, die ihr euch vom Geist Gottes anstecken lasst und für diesen neuen Tag kämpft und arbeitet, für dieses neue Chile, denn euch wird das Himmelreich gehören. »Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden« (Mt 5,9).
Und angesichts der Resignation, die unsere lebenswichtigen Verbindungen wie billiges Gerede unterhöhlt und uns spaltet, sagt uns Jesus: Selig, die sich für die Versöhnung einsetzen. Glücklich, die fähig sind, sich die Hände schmutzig zu machen und dafür zu arbeiten, dass die anderen in Frieden leben können. Glücklich, die sich abmühen, um keine Spaltung zu säen. Auf diese Weise macht uns die Seligpreisung zu Friedensstiftern; sie lädt uns ein, uns dafür zu engagieren, dass der Geist der Versöhnung Raum unter uns gewinne. Willst du Glück? Willst du Seligkeit? Glücklich sind, die dafür arbeiten, dass andere ein glückliches Leben führen können. Willst du Frieden, so arbeite für den Frieden.
Ich kann nicht umhin, diesen großen Hirten Santiagos zu erwähnen, der einmal bei einem Te Deum sagte: »„Wenn du den Frieden willst, arbeite für die Gerechtigkeit“ … Und wenn jemand uns fragt: „Was ist die Gerechtigkeit?“ oder auch, ob sie vielleicht nur darin besteht, „nicht zu stehlen“, werden wir ihm sagen, dass es eine andere Gerechtigkeit gibt: die nämlich, die verlangt, dass jeder Mensch als Mensch behandelt wird« (Card. Raúl Silva Henríquez, Homilie bei der ökumenischen Feier des Te Deum, 18. September 1977).
Den Frieden auf einen Schlag durch Nähe, durch Verbundenheit säen! Dadurch, dass wir auf einen Schlag aus unseren Häusern kommen und die Gesichter anschauen, dem begegnen, dem es schlecht geht, der nicht als Person, als würdiger Sohn dieses Landes behandelt wurde. Dies ist die einzige Weise, die wir haben, um eine Zukunft des Friedens zu schmieden, um wieder ein Geflecht der Wirklichkeit zu weben, das sich nicht auftrennt. Der Arbeiter für den Frieden weiß, dass es oftmals notwendig ist, große oder subtile Engherzigkeit oder Machtstreben zu überwinden, die aus dem Anspruch entstehen, aufzusteigen und „sich einen Namen zu machen“, um Ansehen auf Kosten anderer zu erlangen. Der Arbeiter für den Frieden weiß, dass es nicht genügt zu sagen: Ich tue niemandem etwas Schlechtes, wie der heilige Alberto Hurtado sagte: »Es ist sehr gut, nichts Schlechtes zu tun, aber es ist sehr schlecht, nichts Gutes zu tun« (Meditación radial, April 1944).
Den Frieden aufzubauen ist ein Prozess, der uns zusammenruft und unsere Kreativität anregt, um Beziehungen zu pflegen, die im Nachbarn nicht einen Fremden, einen Unbekannten sehen, sondern einen Sohn dieses Landes.
Empfehlen wir uns der Unbefleckten Jungfrau, die vom Cerro San Cristobal diese Stadt behütet und begleitet. Sie möge uns helfen, den Geist der Seligpreisungen zu leben und zu ersehnen; damit man in allen Ecken dieser Stadt gleichsam wie ein Flüstern höre: »Selig die Frieden stiften, denn sie werden Kinder Gottes genannt werden« (Mt 5,9).
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