[DE - EN - ES - FR - IT - PT - ZH_CN - ZH_TW] BISCHOFSSYNODE ________________________________________________ XV. ORDENTLICHE GENERALVERSAMMLUNG Die Jugendlichen, der Glaube und die Erkenntnis der Berufung VORBEREITUNGSDOKUMENT INHALT Einleitung Auf den Spuren des geliebten Jüngers I – DIE JUGENDLICHEN IN DER WELT VON HEUTE 1. Eine Welt, die sich schnell verändert 2. Die neuen Generationen
Zugehörigkeit und Teilnahme Persönliche und institutionelle Bezugspunkte Unterwegs zu einer (hyper-)vernetzten Generation
3. Die Jugendlichen und die Entscheidungen II – GLAUBE, UNTERSCHEIDUNG, BERUFUNG 1. Glaube und Berufung 2. Die Gabe der Unterscheidung
Erkennen Interpretieren Wählen
3. Wege der Berufung und der Sendung 4. Die Begleitung III – DIE PASTORALE TÄTIGKEIT 1. Mit den Jugendlichen unterwegs
Hinausgehen Sehen Rufen
2. Subjekte
Alle Jugendlichen, ohne Ausnahme Eine verantwortliche Gemeinschaft Die Bezugspersonen
3. Orte
Das tägliche Leben und der soziale Einsatz Die spezifischen Räume der Pastoral Die digitale Welt
4. Mittel
Die Sprachen der Pastoral Die erzieherische Sorge und die Wege der Evangelisierung Schweigen, Kontemplation, Gebet
5. Maria von Nazareth FRAGEBOGEN. 1. Sammlung von Daten 2. Die Situation beschreiben 3. Die Praxis mitteilen Einleitung „Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird“ (Joh 15,11): das ist der Plan Gottes für die Frauen und Männer jedes Zeitalters und daher auch für alle Jugendlichen des III. Jahrtausends – ohne Ausnahme. Die Freude des Evangeliums zu verkünden – das ist die Sendung, die der Herr seiner Kirche anvertraut hat. Die Synode über die neue Evangelisierung und das Apostolische Schreiben Evangelii gaudium haben sich damit beschäftigt, wie diese Sendung in der Welt von heute verwirklicht werden kann; die beiden Synoden über die Familie und das Nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris laetitia waren hingegen der Begleitung der Familien auf diese Freude hin gewidmet. Diesen Weg weitergehend hat die Kirche entschieden, durch ein erneutes synodales Vorgehen, diesmal zum Thema „Die Jugendlichen, der Glaube und die Berufungsunterscheidung“ sich die Frage zu stellen, wie die Jugendlichen begleitet werden können, um die Berufung zur Liebe und zum Leben in Fülle zu erkennen und anzunehmen. Auch die Jugendlichen selbst sollen gebeten werden, ihr dabei zu helfen, die Art und Weise zu erkennen, die heute am wirksamsten ist, um die Frohe Botschaft zu verkünden. Durch die Jugendlichen kann die Kirche die Stimme des Herrn vernehmen, der auch heute noch spricht. Wie früher Samuel (vgl. 1 Sam 3,1–21) und Jeremia (vgl. Jer 1,4–10), so gibt es auch heute Jugendliche, die in der Lage sind, die Zeichen der Zeit zu erkennen, die der Geist unserer Zeit schenkt. Indem wir auf ihre Erwartungen hören, können wir die Welt von morgen erkennen, die auf uns zukommt, und die Wege entdecken, welche die Kirche zu beschreiten berufen ist. Im täglichen Leben nimmt die Berufung zur Liebe für jeden eine konkrete Gestalt an. Dies geschieht durch eine Reihe von Entscheidungen, welche den Lebensstand (Ehe, Weiheamt, Ordensleben, usw.), den Beruf, die Art und Weise des sozialen und politischen Einsatzes, den Lebensstil, den Umgang mit Zeit und Geld, usw. betreffen. Ob selbst getroffen oder erlitten, bewusst oder unbewusst vorgenommen, handelt es sich immer um Entscheidungen, denen sich keiner entziehen kann. Das Ziel der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung besteht darin, herauszufinden, wie sie im Licht des Glaubens in Schritte auf die Fülle der Freude hin umgewandelt werden können, zu der wir alle berufen sind. Die Kirche ist sich bewusst, das zu besitzen, „was die Kraft und die Freude der Jugendlichen ausmacht: die Fähigkeit, sich über das zu freuen, was anfängt, sich hinzugeben, ohne zurückzuschauen, sich ausgehend vom neu Erreichten zu erneuern“ (Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils an die Jugendlichen, 8. Dezember 1965); die Reichtümer ihrer geistlichen Tradition bieten viele Möglichkeiten an, um die Reifung des Gewissens auf eine echte Freiheit hin zu begleiten. Mit diesem Vorbereitungsdokument beginnt in dieser Perspektive die Phase der Konsultation des Volkes Gottes. Das Dokument – das an die Synoden und Hierarchenräte der Katholischen Ostkirchen, an die Bischofskonferenzen, an die Dikasterien der Römischen Kurie und die Vereinigung der Ordensobern gerichtet ist – schließt mit einem Fragebogen. Darüber hinaus ist über eine Internetseite eine Befragung aller Jugendlichen vorgesehen. Der Fragebogen betrifft ihre Erwartungen und ihr Leben. Die Antworten auf die beiden Fragebögen stellen die Grundlage für die Erarbeitung des Arbeitsdokumentes, Instrumentum laboris, dar, welches den Bezugspunkt für die Diskussion der Synodenväter bildet. Dieses Vorbereitungsdokument schlägt eine in drei Schritten vorzunehmende Überlegung vor. Es wird damit begonnen, zusammenfassend einige der sozialen und kulturellen Dynamiken der Welt zu beschreiben, in der die Jugendlichen aufwachsen und ihre Entscheidungen treffen, um in dieser Hinsicht eine Deutung aus dem Glauben vorzuschlagen. Dann werden die wesentlichen Schritte des Unterscheidungsprozesses erneut durchgegangen. Er ist das hauptsächliche Instrument, das die Kirche den Jugendlichen anbieten kann, damit sie im Licht des Glaubens die eigene Berufung erkennen können. Schließlich wird es um die hauptsächlichen Themen der Jugend- und Berufungspastoral gehen. Es geht also nicht um ein bereits vollständiges Dokument, sondern um eine Art Karte, deren Absicht darin besteht, eine Suchbewegung zu fördern, deren Früchte nur am Ende des synodalen Weges deutlich werden können. Auf den Spuren des geliebten Jüngers Zu Beginn des Weges soll zur Anregung eine biblische Ikone angeboten werden: Johannes, der Evangelist. In der traditionellen Lesart des vierten Evangeliums ist er sowohl die beispielhafte Gestalt des Jugendlichen, der sich zur Nachfolge Jesu entscheidet, als auch „der Jünger, den Jesus liebte“ (Joh 13,23; 19,26; 21,7). „Als Jesus vorüberging, richtete Johannes [der Täufer] seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: ‚Was wollt ihr?‘ Sie sagten zu ihm: ‚Rabbi – das heißt übersetzt: Meister – wo wohnst Du.‘ Er antwortete: ‚Kommt und seht.‘ Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde“ (Joh 1,36–39). Auf der Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens hören zwei Jünger Johannes des Täufers die eindringliche Frage Jesu: „Was wollt ihr?“ Auf ihre Erwiderung „Rabbi – das heißt übersetzt: Meister – wo wohnst Du?“ folgt die Antwort Jesu, die zugleich eine Einladung ist: „Kommt und seht“ (Verse 38–39). Jesus ruft sie gleichzeitig zu einem inneren Weg und zur Bereitschaft auf, sich konkret in Bewegung zu setzen, ohne genau zu wissen, wo sie das hinführen kann. Es handelt sich um eine denkwürdige Begegnung; so sehr, dass auch die genaue Stunde in Erinnerung bleibt (Vers 39). Dank des Mutes zu gehen und zu sehen, erfahren die Jünger die treue Freundschaft Christi und können zukünftig Tag für Tag mit ihm leben, sich von seinem Wort in Frage stellen und anregen lassen, sich von seinen Taten überraschen und bewegen lassen. In besonderer Weise wird Johannes berufen, Zeuge des Leidens und der Auferstehung seines Meisters zu sein. Beim letzten Abendmahl (vgl. Joh 13,21–29), führt ihn seine Vertrautheit mit ihm dazu, sein Haupt an die Brust Jesu zu legen und sich seinem Wort anzuvertrauen. Als er Simon Petrus zum Haus des Hohepriesters führt, muss er sich der Nacht der Prüfung und der Einsamkeit stellen (vgl. Joh 18,13–27). Unter dem Kreuz nimmt er den tiefen Schmerz der Mutter an, der er anvertraut wird. Zugleich übernimmt er die Verantwortung, sich um sie zu kümmern (vgl. Joh 19,25–27). Am Ostermorgen nimmt er mit Petrus an jenem überstürzten Lauf zum leeren Grab teil, der gleichzeitig so voller Hoffnung ist (vgl. Joh 20,1–10). Schließlich erkennt er beim wunderbaren Fischfang am See von Tiberias (vgl. Joh 21,1–14) den Auferstandenen und gibt der Gemeinschaft Zeugnis von ihm. Die Gestalt des Johannes kann uns helfen, die Erfahrung der Berufung als einen fortschreitenden Prozess der inneren Unterscheidung und der Reifung im Glauben zu betrachten, der uns dazu führt, in der Hingabe unserer selbst und in der Teilnahme an der Verkündigung der frohen Botschaft die Freude der Liebe und das Leben in Fülle zu entdecken. I DIE JUGENDLICHEN IN DER WELT VON HEUTE In diesem Kapitel soll keine vollständige Analyse der Gesellschaft und der Welt der Jugendlichen vorgelegt werden. Es geht darum, einige Ergebnisse der Sozialforschung gegenwärtig zu halten, die von Nutzen sein können, wenn es darum geht, das Thema der Berufungsunterscheidung anzugehen und auch um „uns davon zutiefst anrühren zu lassen und dem dann folgenden ethischen und geistlichen Weg eine Basis der Konkretheit zu verleihen“ (Laudato si', 15). Das im Hinblick auf die weltweite Perspektive gezeichnete Bild muss an die Konkretheit der spezifischen Umstände in jeder Region angeglichen werden; denn, auch wenn alle den globalen Tendenzen ausgesetzt sind, bleiben die Unterschiede in den verschiedenen Bereichen des Planeten doch von Bedeutung. Aus verschiedenen Gründen ist es richtig, festzustellen, dass es eine Vielfalt von jugendlichen Welten gibt und nicht nur eine Einzige. Aus den vielen Unterschieden ragen einige mit besonderer Deutlichkeit hervor. Der erste Unterschied ist eine Auswirkung der demographischen Dynamiken und trennt die Länder mit einer hohen Geburtenrate, in denen die Jugendlichen einen hohen und wachsenden Anteil an der Bevölkerung darstellen, von den Ländern, in denen ihr demographisches Gewicht zurückgeht. Ein zweiter Unterschied ist historisch bedingt und unterscheidet die Länder und Kontinente mit antiker christlicher Tradition, deren Kultur Trägerin einer Erinnerung ist, die nicht verloren gehen darf, von Ländern und Kontinenten, deren Kultur hingegen von anderen religiösen Traditionen gekennzeichnet ist und in denen das Christentum eine Minderheit darstellt, die oft erst seit kurzer Zeit anzutreffen ist. Schließlich kann auch der Unterschied zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht nicht vergessen werden: einerseits bringt dieser Unterschied verschiedene Sensibilitäten mit sich, auf der anderen Seite ist er Quell von Formen der Über- und Unterordnung, der Ausgrenzung und der Diskriminierung, von denen alle Gesellschaften sich befreien müssen. Im Bewusstsein, dass auch diese Festlegung an die verschiedenen Umstände vor Ort angepasst werden muss, wird auf den folgenden Seiten der Begriff „Jugendliche“ für Menschen im Alter von ca. 16 bis 29 Jahren verwendet. In jedem Fall ist es gut, sich daran zu erinnern, dass die Jugend nicht in erster Linie eine bestimmte Kategorie von Menschen identifiziert, sondern vielmehr eine Phase des Lebens ist, welche durch jede Generation in einer einzigartigen und unwiederholbaren Weise geprägt wird. 1. Eine Welt, die sich schnell verändert Die Gesellschaft und die Kulturen der Gegenwart sind vor allem durch die Schnelligkeit der Prozesse gekennzeichnet, die Veränderungen und Umwandlungen herbeiführen (vgl. Laudato si’, 18). Die Verbindung zwischen erhöhter Komplexität und schneller Veränderung sorgt dafür, dass wir uns in einem Zusammenhang bewegen, der von Flüchtigkeit und Unsicherheit gekennzeichnet ist, wie sie vorher nicht erfahren wurden: Diese Tatsache muss zunächst einmal festgestellt werden, ohne dabei vorschnell zu urteilen, ob es sich um ein Problem oder aber um eine Chance handelt. Diese Situation macht es erforderlich, einen umfassenden Blickwinkel einzunehmen und die Fähigkeit zu erwerben, langfristig zu planen, wobei auf die Nachhaltigkeit und auf die Auswirkungen der Entscheidungen von heute auf ferne Zeiten und Orte zu achten ist. Das Anwachsen der Unsicherheit hat Auswirkungen auf die Bedingung der Verletzlichkeit, d. h. die Kombination eines sozialen Unwohlseins und der wirtschaftlichen Schwierigkeit, sowie auf die erlebte Besorgnis breiter Schichten der Bevölkerung. Im Hinblick auf die Welt der Arbeit können wir an das Phänomen der Arbeitslosigkeit denken, an das Anwachsen der Flexibilität und der Ausbeutung vor allem Minderjähriger, oder aber an das Geflecht von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und sogar umweltbedingten Ursachen, welche das exponentielle Anwachsen der Zahl von Flüchtlingen und Migranten erklären. Gegenüber den wenigen Privilegierten, die in der Lage sind, jene Vorteile zu nutzen, welche die Prozesse der wirtschaftlichen Globalisierung bieten, leben viele in einer Situation der Verletzlichkeit und der Unsicherheit, was sich auf ihre Lebenswege und ihre Entscheidungen auswirkt. Auf globaler Ebene ist die Welt von heute durch eine „wissenschaftliche“ Kultur gekennzeichnet, die oft von der Technik und von den unendlichen Möglichkeiten gekennzeichnet ist, die von ihr verheißen werden, in deren Inneren sich aber „die Formen von Traurigkeit und Einsamkeit zu vervielfältigen scheinen, in die die Menschen – und sogar viele Jugendliche – fallen“ (Misericordia et misera, 3). Wie die Enzyklika Laudato si' lehrt, steht der Zusammenhang zwischen dem technokratischen Paradigma und der krampfhaften Suche nach kurzfristigem Profit am Ursprung jener Wegwerfkultur, welche Millionen von Menschen, unter ihnen viele Jugendliche, ausschließt und die zur unterschiedslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen und zur Zerstörung der Umwelt führt, wodurch die Zukunft der nächsten Generationen bedroht wird (vgl. 20–22). Sodann darf die Tatsache nicht vergessen werden, dass viele Gesellschaften immer multikultureller und multireligiöser werden. Vor allen Dingen stellt das gleichzeitige Vorhandensein verschiedener religiöser Traditionen zugleich eine Herausforderung und eine Chance dar: Die Orientierungslosigkeit und die Versuchung zum Relativismus können zunehmen, aber zugleich steigern sich die Möglichkeiten des fruchtbaren Austausches und der gegenseitigen Bereicherung. Den Augen des Glaubens erscheint dies wie ein Zeichen unserer Zeit, das ein Wachsen in der Kultur des Zuhörens, des Respekts und des Dialogs erforderlich macht. 2. Die neuen Generationen Wer heute jung ist, lebt diese Phase in einer Welt, die von der Welt der Generation der eigenen Eltern und Erzieher verschieden ist. Mit den wirtschaftlichen und sozialen Umbrüchen wandeln sich nicht nur das Beziehungssystem und die Möglichkeiten, unterschwellig wandeln sich auch die Wünsche, die Bedürfnisse, die Sensibilitäten und die Art und Weise, mit anderen in Beziehung zu treten. Auch wenn es aus einem bestimmten Blickwinkel zutreffen mag, dass die Jugendlichen durch die Globalisierung dazu neigen, in allen Teilen der Welt immer homogener zu werden, bleiben doch in den verschiedenen Kontexten vor Ort kulturelle und institutionelle Besonderheiten, die sich auf den Prozess der Sozialisierung und des Aufbaus der Identität auswirken. Die Herausforderung der Multikulturalität betrifft in besonderer Weise die Welt der Jugendlichen, z. B. im Hinblick auf die Besonderheiten der „zweiten Generationen“ (d. h. der Jugendlichen, die in einer Gesellschaft und einer Kultur aufwachsen, die auf Grund des Phänomens der Migration von der ihrer Eltern verschieden ist) oder bei Kindern von Paaren, die in irgendeiner Weise „gemischt“ sind (im Hinblick auf die Ethnie, die Kultur und/oder die Religion). In vielen Teilen der Welt erfahren die Jugendlichen besonders harte Bedingungen, innerhalb derer es schwierig wird, einen Raum für echte Lebensentscheidungen zu öffnen, weil es nicht die geringste Möglichkeit der Betätigung von Freiheit gibt. Denken wir an die Jugendlichen, die in Armut und Ausgrenzung leben; an diejenigen, die ohne Eltern oder Familie aufwachsen, oder aber keine Möglichkeit haben, zur Schule zu gehen; an die Kinder und Heranwachsenden, die in vielen Randgebieten auf der Straße leben; an die arbeitslosen Jugendlichen, an die Flüchtlinge und Migranten; an diejenigen, die Opfer der Ausbeutung, des Menschenhandelns und der Sklaverei sind; an die Kinder und Heranwachsenden, die mit Gewalt für kriminelle Banden oder irreguläre Milizen rekrutiert werden; an die Kinder oder Heranwachsenden, die gezwungen werden, gegen ihren Willen zu heiraten. In der Welt sind es zu viele, die aus der Kindheit direkt ins Erwachsenenalter übergehen und eine Bürde von Verantwortungen übernehmen müssen, für die sie sich nicht entschieden haben. Oft müssen die jungen Mädchen und Frauen Schwierigkeiten begegnen, welche über diejenigen von Gleichaltrigen hinausgehen. Auf internationaler Ebene durchgeführte Studien erlauben es, einige charakteristische Züge der Jugendlichen unserer Zeit herauszustellen. Zugehörigkeit und Teilnahme Die Jugendlichen erleben sich nicht als eine benachteiligte Kategorie oder als eine soziale Gruppe, die geschützt werden muss und insofern als eine passive Zielgruppe von pastoralen Programmen oder politischen Entscheidungen. Nicht wenige von ihnen möchten aktiver Teil der gegenwärtigen Wandlungsprozesse sein. Dies wird durch die Erfahrung der Aktivität und Erneuerung von unten bestätigt, bei denen die Jugendlichen oft die hauptsächlichen, wenn auch nicht die einzigen, Protagonisten sind. Die Bereitschaft zur Teilnahme und zur Mitarbeit in konkreten Aktionen, bei denen der persönliche Beitrag jedes einzelnen Anlass zu einer identitätsstiftenden Anerkennung ist, geht einher mit der Gleichgültigkeit gegenüber jenen Umfeldern, in denen die Jugendlichen zu Recht oder zu Unrecht der Meinung sind, keinen Platz zu finden oder keine Anregungen zu erhalten; dies kann zum Rückzug führen, oder zur Schwierigkeit, wünschen, träumen und planen zu können, wie es die Verbreitung des Phänomens der NEET zeigt (not in education, employment or training, d. h. der Jugendlichen, die weder studieren, noch arbeiten, noch in einer Berufsausbildung stehen). Die Diskrepanz zwischen den passiven und entmutigten Jugendlichen und denjenigen, die unternehmungslustig und vital sind, ist die Frucht der Möglichkeiten, die jedem innerhalb des sozialen und familiären Kontextes, in dem er aufwächst, konkret angeboten werden, sowie der Erfahrung von Sinn, Beziehung und Wert, die auch vor Beginn des Jugendalters gemacht wird. Der Mangel an Vertrauen in sich selbst und in die eigenen Fähigkeiten kann nicht nur in der Passivität zum Ausdruck kommen, sondern auch in der übertriebenen Sorge um das eigene Bild und in einem nachgiebigen Konformismus bezüglich der Moden des Augenblicks. Persönliche und institutionelle Bezugspunkte Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die Jugendlichen das Bedürfnis nach Bezugspersonen spüren, die ihnen nahe sind, glaubwürdig, kohärent und ehrlich. Zugleich suchen sie nach Orten und Gelegenheiten, um ihre Fähigkeit zur Beziehung zu anderen (seien es Erwachsene oder Gleichaltrige) zu erproben und sich den Dynamiken der Affektivität zu stellen. Sie suchen nach Menschen, die in der Lage sind, Gleichklang zum Ausdruck zu bringen und Unterstützung, Ermutigung und Hilfe zur Erkenntnis der eigenen Grenzen anzubieten, ohne ihr Urteil aufzudrängen. In dieser Hinsicht bleibt die Rolle der Eltern und der Familien weiterhin entscheidend, wenn auch manchmal problematisch. Die reiferen Generationen haben manchmal die Neigung, die Möglichkeiten der Jüngeren zu unterschätzen. Sie heben die Schwächen hervor und haben Schwierigkeiten, die Bedürfnisse der Jüngeren zu verstehen. Die Eltern und die erwachsenen Erzieher können auch die eigenen Fehler vor Augen haben, sowie das, von dem sie nicht möchten, dass die Jugendlichen es tun, aber oft ist ihnen nicht in gleicher Weise klar, wie sie ihnen helfen können, ihren Blick auf die Zukunft zu richten. Die beiden häufigsten Reaktionen sind der Verzicht darauf, die eigene Meinung zu äußern oder aber die Auferlegung der eigenen Entscheidungen. Abwesende oder überbehütende Eltern machen die Kinder schwächer und neigen dazu, die Gefahren zu unterschätzen oder von der Angst besessen zu sein, Fehler zu machen. Die Jugendlichen suchen aber nicht nur erwachsene Bezugspersonen: Es gibt auch ein starkes Verlangen nach dem offenen Austausch mit ihresgleichen. In dieser Hinsicht gibt es ein großes Bedürfnis nach Gelegenheiten zum freien Austausch, nach der Möglichkeit, Affekte auszudrücken, informell zu lernen, Rollen und Fähigkeiten ohne Druck und ohne Angst ausprobieren zu können. Bei einer tendenziellen Vorsicht gegenüber denjenigen, die nicht zum persönlichen Umfeld gehören, hegen die Jugendlichen oft Misstrauen, Gleichgültigkeit oder Auflehnung gegenüber den Institutionen. Dies betrifft nicht nur die Politik, sondern überträgt sich auch immer mehr auf die Bildungseinrichtungen und die Kirche in ihrem institutionellen Erscheinungsbild. Sie wünschen sich die Kirche näher an den Menschen, aufmerksamer für die sozialen Probleme, aber es ist für sie nicht selbstverständlich, dass dies unmittelbar geschieht. All dies geht in einem Umfeld vor sich, in dem die konfessionelle Zugehörigkeit und die religiöse Praxis immer mehr zu Zügen einer Minderheit werden und die Jugendlichen stellen sich dem nicht „entgegen“, sondern sind dabei zu lernen, „ohne“ den Gott, der im Evangelium vorgestellt wird und „ohne“ die Kirche zu leben. Dabei vertrauen sie sich aber alternativen Formen der Religiosität und Spiritualität an, die wenig institutionalisiert sind, oder flüchten sich in Sekten oder religiöse Erfahrungen, die eng mit einer Identität[smatrix] verbunden sind. In einigen Gegenden ist die Kirche dabei, sich aus der flächendeckenden Präsenz zurückzuziehen und es wird daher schwieriger, ihr zu begegnen, während die herrschende Kultur Trägerin von Vorstellungen ist, die häufig im Gegensatz zu den Werten des Evangeliums stehen, egal, ob es sich dabei um Elemente der eigenen Tradition oder den lokalen Ausdruck einer von Konsumismus und Individualismus gekennzeichneten Globalisierung handelt. Unterwegs zu einer (hyper-)vernetzten Generation Die jungen Generationen sind heute durch ihre Beziehung zu den modernen Kommunikationstechniken und dem, was normalerweise „virtuelle Welt“ genannt wird, gekennzeichnet. Diese Welt hat aber auch sehr reale Auswirkungen. Sie bietet die Chance des Zugangs zu einer Reihe von Möglichkeiten, welche die vorhergehenden Generationen nicht hatten, hält aber gleichzeitig auch Risiken bereit. Es bleibt aber von großer Bedeutung, hervorzuheben, wie die Erfahrung technisch vermittelter Beziehungen die Vorstellung von der Welt, der Wirklichkeit und den zwischenmenschlichen Beziehungen bedingt. Die pastorale Tätigkeit ist aufgerufen, sich dieser Herausforderung zu stellen und eine entsprechende Kultur zu entwickeln. 3. Die Jugendlichen und die Entscheidungen Im Kontext der Flüchtigkeit und Vorläufigkeit, den wir beschrieben haben, erfordern der Übergang zum Erwachsenenalter und die Ausbildung einer Identität immer mehr einen „reflexiven“ Weg. Die Menschen sind gezwungen, die eigenen Wege immer wieder anzupassen und sich die eigenen Entscheidungen immer wieder neu anzueignen. Darüber hinaus verbreitet sich zusammen mit der westlichen Kultur eine Vorstellung von Freiheit, welche als Gelegenheit verstanden wird, immer wieder neue Möglichkeiten zu wählen. Man lehnt es ab, zu glauben, dass der Entwurf eines Lebensweges zugleich die Möglichkeit verschließt, in Zukunft andere Wege zu gehen: „Heute entscheide ich mich dafür, morgen wird man sehen“. Im Bereich der persönlichen Beziehungen und der Welt der Arbeit stehen eher immer wieder veränderbare Optionen als endgültige Entscheidungen am Horizont. In diesem Kontext funktionieren die alten Zugehensweisen nicht mehr und die von den vorhergehenden Generationen überlieferte Erfahrung wird schnell unbrauchbar. Echte Gelegenheiten und tückische Risiken verflechten sich zu einem nicht leicht zu entwirrenden Knäuel. Entsprechende kulturelle, soziale und geistliche Instrumente sind daher unerlässlich, damit die Mechanismen des Entscheidungsprozesses nicht blockiert werden und es nicht dazu kommt, dass man, vielleicht aus Angst einen Fehler zu machen, Veränderungen eher erleidet, als selbst die Führung zu übernehmen. Papst Franziskus hat darauf hingewiesen: „‚Wie können wir den Ideenreichtum und den Mut zu weitreichenden Entscheidungen wecken, jene Herzensimpulse, mit denen sich die erzieherischen und emotionalen Herausforderungen meistern lassen?‘ Ich wiederhole ein Wort, das ich schon oft gesagt habe: Gehe Risiken ein! Riskiere es. Wer nichts riskiert, kommt nicht voran. ‚Aber wenn ich dabei Fehler mache?‘ Gepriesen sei der Herr! Es wäre ein noch größerer Fehler, wenn du stillstündest“ (Ansprache in Villa Nazareth, 18. Juni 2016). Bei der Suche nach Wegen, die in der Lage sind, den Mut und den Elan des Herzens wieder zu wecken, kann man nicht daran vorbeigehen, das die Person Jesu Christi und die von ihm verkündete Frohe Botschaft weiterhin viele Jugendlichen faszinieren. Die Fähigkeit der Jugendlichen, Entscheidungen zu treffen, ist durch Schwierigkeiten behindert, die mit dem Zustand der Unsicherheit in Zusammenhang stehen: die Schwierigkeit, Arbeit zu finden oder ihr dramatischer Mangel; die Hindernisse, wenn es darum geht, wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erreichen; die Unmöglichkeit, den eigenen Berufsweg stabil vorauszusehen. Für die jungen Frauen ist es normalerweise noch schwieriger, diese Hindernisse zu überwinden. Die wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten der Familie, die Art und Weise, in der die Jugendlichen einige Züge der gegenwärtigen Kultur übernehmen, sowie die Auswirkungen der neuen Technologien erfordern eine größere Fähigkeit, im weitesten Sinn auf die erzieherische Herausforderung zu antworten: es geht hier um die Dringlichkeit der Erziehung, welche Papst Benedikt XVI. in seinem Brief an die Stadt und die Diözese Rom über die Notwendigkeit der Erziehung (21. Januar 2008) hervorgehoben hat. Auf globaler Ebene müssen auch die Ungleichheiten zwischen den Ländern und ihre Auswirkungen auf die Möglichkeiten berücksichtigt werden, welche den Jugendlichen in den verschiedenen Gesellschaften im Bereich der Inklusion geboten werden können. Auch kulturelle und religiöse Faktoren können Ausschließung hervorbringen, zum Beispiel im Hinblick auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern oder die Diskriminierung der ethnischen oder religiösen Minderheiten. Dies kann so weit gehen, dass die wagemutigeren Jugendlichen zur Auswanderung gedrängt werden. In diesem Zusammenhang wird es besonders dringlich, die persönlichen Fähigkeiten zu fördern und sie in den Dienst eines soliden Projektes gemeinsamen Wachstums zu stellen. Die Jugendlichen schätzen es, wenn sie die Gelegenheit zu Tätigkeit in konkreten Projekten haben, in denen sie – miteinander verbunden – ihre Fähigkeit erproben können, Ergebnisse zu erzielen, einen Protagonismus ausüben können, der zum Ziel hat, das Umfeld, in dem sie leben, zu verbessern und die Möglichkeit haben, in der Praxis Kompetenzen, die für ihr Leben und ihre Arbeit nützlich sind, erwerben und verbessern zu können. Die soziale Innovation bringt einen positiven Protagonismus zum Ausdruck, der die Bedingung der neuen Generation verwandelt: von Verlierern, die Schutz vor den Risiken der Veränderung suchen, werden sie zu Subjekten des Wandels und fähig, neue Möglichkeiten zu schaffen. Es ist von Bedeutung, dass gerade die Jugendlichen – die häufig in ein Stereotyp der Passivität und der Unerfahrenheit eingesperrt werden – Alternativen vorschlagen und praktizieren, die zeigen, wie die Welt oder die Kirche sein könnte. Wenn wir wollen, dass in der Gesellschaft oder in der Gemeinschaft der Christen etwas Neues geschieht, müssen wir Raum schaffen, damit neue Menschen handeln können. Mit anderen Worten: Den Wandel nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit zu planen, macht es erforderlich, den neuen Generationen zuzugestehen, ein neues Modell der Entwicklung auszuprobieren. Dies ist vor allem in den Ländern und institutionellen Kontexten problematisch, in denen das Alter derjenigen, die Verantwortung tragen, hoch und der Rhythmus des Generationswechsels verlangsamt ist. II GLAUBE, UNTERSCHEIDUNG, BERFUFUNG Durch den Verlauf dieser Synode möchte die Kirche ihren eigenen Wunsch wiederholen, jeden Jugendlichen, ohne Ausnahme, zu treffen und zu begleiten und sich seiner anzunehmen. Weder können noch wollen wir sie der Einsamkeit und den Ausgrenzungen überlassen, denen die Welt sie aussetzt. Dass ihr Leben eine gute Erfahrung sei, dass sie sich nicht auf Wegen der Gewalt oder des Todes verlieren, dass die Enttäuschung sie nicht in der Entfremdung gefangen sein lässt: all dies kann demjenigen nicht gleichgültig sein, der zum Leben und zum Glauben geboren wurde und dem bewusst ist, dass er eine große Gabe empfangen hat. In der Kraft dieser Gabe wissen wir, dass auf die Welt zu kommen bedeutet, dem Versprechen eines guten Lebens zu begegnen, und dass die Erfahrung, angenommen und beschützt zu sein, die ursprüngliche Erfahrung ist, die in jedem das Vertrauen begründet, nicht an den Mangel von Sinn und das Dunkel des Todes ausgeliefert zu sein, sowie der Hoffnung Nahrung gibt, die eigenen Fähigkeiten auf einem Weg hin zur Fülle des Lebens ausdrücken zu können. Die Weisheit der orientalischen Kirche hilft uns dabei zu entdecken, wie dieses Vertrauen in der Erfahrung der „drei Geburten“ verwurzelt ist: die natürliche Geburt als Mann oder Frau in einer Welt, welche in der Lage ist, das Leben aufzunehmen und zu erhalten; die Geburt der Taufe, „wenn jemand aus Gnade Kind Gottes wird“; und schließlich eine dritte Geburt, wenn der Übergang stattfindet „vom körperlichen zum geistlichen Leben“ und sich die Öffnung auf die reife Ausübung der Freiheit ereignet (vgl. Ansprachen von Philoxenos von Mabbug, syrischer Bischof des 5. Jhdt., n. 9). Anderen das Geschenk anzubieten, das wir selber erhalten haben, bedeutet, sie auf diesem Weg zu begleiten, sie zu unterstützen, wenn sie ihre eigenen Schwächen und die Schwierigkeiten des Lebens angehen, aber vor allem, die Freiheiten zu unterstützen, die sich noch ausbilden. Angefangen bei ihren Hirten ist die Kirche von all dem herausgefordert, sich zur Diskussion zu stellen und ihre Berufung zum Behüten wiederzuentdecken, in dem Stil, an den Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikates erinnert hat: „Das sich-Kümmern, das Hüten verlangt Güte, es verlangt, mit Zärtlichkeit gelebt zu werden. In den Evangelien erscheint Josef als ein starker, mutiger, arbeitsamer Mann, aber in seinem Innern zeigt sich eine große Zärtlichkeit, die nicht etwa die Tugend des Schwachen ist, nein, im Gegenteil: Sie deutet auf eine Seelenstärke hin und auf die Fähigkeit zu Aufmerksamkeit, zu Mitleid, zu wahrer Öffnung für den anderen, zu Liebe.“ (Predigt zu Beginn des Petrusdienstes, 19. März 2013). In dieser Perspektive sollen nun einige Hinweise im Hinblick auf die Begleitung der Jugendlichen gegeben werden. Diese erfolgt ausgehend vom Glauben, im Hören auf die Tradition der Kirche und mit dem klaren Ziel, sie bei ihrer Berufungsunterscheidung und bei der Vornahme der grundlegenden Lebensentscheidungen zu unterstützen, ausgehend von dem Bewusstsein, dass einige dieser Entscheidungen irreversibel sind. 1. Glaube und Berufung Der Glaube als Teilhabe an der Art und Weise Jesu, zu sehen (vgl. Lumen fidei, 18), ist die Quelle der Berufungsunterscheidung, denn er gibt ihr die grundlegenden Inhalte, die spezifischen Ausdrucksformen, den eigenen Stil und die entsprechende Pädagogik. Dieses Geschenk der Gnade mit Freude und Bereitschaft anzunehmen, erfordert, es durch konkrete und kohärente Entscheidungen fruchtbar werden zu lassen. „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf: Liebt einander“ (Joh 15,16–17). Wenn die Berufung zur Freude der Liebe der grundlegende Appell ist, den Gott ins Herz jedes Jugendlichen legt, damit sein Dasein Frucht bringen kann, dann ist der Glaube zugleich Geschenk von oben und Antwort dessen, der sich erwählt und geliebt fühlt. „Der Glaube ist nicht eine Zuflucht für Menschen ohne Mut, er macht vielmehr das Leben weit. Er lässt eine große Berufung entdecken, die Berufung zur Liebe, und er garantiert, dass diese Liebe verlässlich ist und es wert ist, sich ihr zu übereignen, da ihr Fundament auf der Treue Gottes steht, die stärker ist als all unsere Schwäche“ (Lumen fidei, 53). Dieser Glaube wird zum „Licht, um alle sozialen Beziehungen zu erleuchten“ und trägt dazu bei, die universale Brüderlichkeit zwischen den Frauen und Männern aller Zeiten aufzubauen (ebd., 54). Die Bibel enthält zahlreiche Berufungserzählungen und die Antwort der Jugendlichen. Im Licht des Glaubens wird ihnen schrittweise das Projekt leidenschaftlicher Liebe bewusst, das Gott für jeden bereithält. Dies ist die Absicht jeder Handlung Gottes, beginnend mit der Schöpfung als „gutem“ Ort, der in der Lage ist, das Leben anzunehmen, der als Geschenk angeboten wird, als Kette von Beziehungen, denen man vertrauen kann. Glauben heißt, auf den Geist zu hören und mit der eigenen Intelligenz und den eigenen Affekten in einen Dialog mit dem Wort zu treten, das Weg, Wahrheit und Leben ist (vgl. Joh 14,6), zu lernen, ihm Vertrauen zu schenken, indem man es in der Konkretheit des Alltags „inkarniert“. Sowohl in den Momenten, in denen sich die Erfahrung des Kreuzes nähert, als auch in den Momenten, in denen Angesichts der Zeichen der Auferstehung Freude erfahren wird – genauso, wie es der „geliebte Jünger“ getan hat. Dies ist die Herausforderung, vor der die christliche Gemeinschaft und jeder einzelne Christ stehen. Der Ort dieses Dialogs ist das Gewissen. Es ist, wie das Zweite Vatikanische Konzil lehrt, „die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“ (Gaudium et spes, 16). Das Gewissen ist daher ein unverletzbarer Raum, in dem die Einladung ergeht, eine Verheißung anzunehmen. Die Stimme des Geistes aus den anderen Stimmen heraushören und entscheiden, welche Antwort zu geben ist – diese Aufgabe ist jedem gestellt: Die anderen können bei dieser Aufgabe begleiten und bestärken, aber sie nicht ersetzen. Das Leben und die Geschichte lehren uns, dass es für die Menschen nicht immer einfach ist, die konkrete Gestalt jener Freude zu erkennen, zu der Gott uns ruft und auf die unsere Sehnsucht zielt. Heute, im Zusammenhang mit den Veränderungen und der verbreiteten Unsicherheit, ist es nicht leichter geworden. Andere Male muss der Mensch mit Entmutigung rechnen oder mit der Kraft anderer Abhängigkeiten, die ihn auf seinem Weg zur Vollkommenheit aufhalten: dies ist die Erfahrung vieler, zum Beispiel jenes jungen Mannes, der zu viele Reichtümer hatte, um frei zu sein, den Ruf Jesu anzunehmen und der daher traurig wegging, statt voller Freude zu sein (vgl. Mk 10,17–22). Auch wenn die menschliche Freiheit immer weiter gereinigt und befreit werden muss, verliert sie dabei doch nicht die grundlegende Fähigkeit, das Gute zu erkennen und zu tun: „Die Menschen, die fähig sind, sich bis zum Äußersten herabzuwürdigen, können sich auch beherrschen, sich wieder für das Gute entscheiden und sich bessern, über alle geistigen und sozialen Konditionierungen hinweg, die sich ihnen aufdrängen“ (Laudato si’, 205). 2. Die Gabe der Unterscheidung Die Unterscheidung wird dann geübt, wenn es gilt, in Situationen der Unsicherheit und angesichts sich widersprechender innerer Regungen Entscheidungen zu treffen und dem eigenen Handeln eine Richtung zu geben. „Unterscheidung“ ist ein klassischer Begriff der Tradition der Kirche, der auf viele verschiedene Situationen angewandt wird. So gibt es die Unterscheidung der Zeichen der Zeit, die darauf ausgerichtet ist, die Gegenwart und das Wirken des Geistes in der Geschichte zu erkennen; die moralische Unterscheidung, welche Gut und Böse unterscheidet; die geistliche Unterscheidung, der es darum geht, die Versuchung zu erkennen, um sie zurückweisen und auf dem Weg zur Fülle des Lebens weitergehen zu können. Die Zusammenhänge zwischen diesen verschiedenen Ausdrucksformen sind klar und sie können nie völlig aufgelöst werden. Vor diesem Hintergrund geht es hier um die Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung, d. h. um den Prozess, innerhalb dessen ein Mensch dazu gelangt, im Dialog mit dem Herrn und im Hören auf die Stimme des Geistes, ausgehend vom Lebensstand, die grundlegenden Entscheidungen zu treffen. Jeder Mensch steht vor der Frage, wie es ihm gelingt, die Gelegenheit zur Selbstverwirklichung nicht zu vergeuden. Für die Christen ist diese Frage noch intensiver und tiefer. Wie kann die frohe Botschaft des Evangeliums gelebt und eine Antwort auf den Ruf gegeben werden, den der Herr an all jene richtet, denen er entgegenkommt: durch die Ehe, das Weiheamt oder das Ordensleben? Und in welchem Bereich können die eigenen Talente fruchtbar gemacht werden: im Berufsleben, im Volontariat, im Dienst an den Letzten, im politischen Einsatz? Der Geist spricht und handelt durch die Ereignisse im Leben des Einzelnen. Aber die Ereignisse für sich genommen sind stumm oder vieldeutig, denn sie können verschieden ausgelegt werden. Eine Entscheidung, die Bedeutung der Ereignisse zu erkennen, erfordert einen Weg der Unterscheidung. Die drei Worte, mit denen es in Evangelii gaudium, 51 beschrieben wird – erkennen, interpretieren und wählen – können uns helfen, ein Vorgehen zu beschreiben, das sowohl für den Einzelnen, als auch für Gruppen und Gemeinschaften geeignet ist. Dabei ist zu bedenken, dass in der Praxis die Grenzen zwischen den verschiedenen Phasen nie so klar sind. Erkennen Das Erkennen betrifft in erster Linie die Auswirkungen, welche die Ereignisse meines Lebens, die Menschen, denen ich begegne, die Worte, die ich höre, oder lese, auf mein Inneres haben: eine Vielfalt von „Begierden, Gefühlen, Emotionen“ (Amoris laetitia, 143) mit ganz unterschiedlichen Anzeichen: Traurigkeit, Dunkelheit, Fülle, Angst, Freude, Frieden, Sinn von Leere, Zärtlichkeit, Wut, Hoffnung, Lauheit, usw. Ich fühle mich von einer Vielzahl von Richtungen angezogen oder dahin gedrängt, ohne dass mir eine als diejenige erscheint, die ich eindeutig einschlagen muss; es ist ein Augenblick von Höhen und Tiefen und in einigen Fällen eines echten inneren Kampfes. Zu erkennen erfordert, diesen emotionalen Reichtum aufkommen zu lassen und die verschiedenen Leidenschaften zu benennen, ohne sie zu bewerten. Es erfordert auch, den „Geschmack“ festzustellen, den sie hinterlassen, d. h. den Gleichklang oder die Dissonanz zwischen dem, was ich erfahre, und dem, was in meinem tiefen Innern ist. In dieser Phase kommt dem Wort Gottes eine große Bedeutung zu: Über sie nachzudenken stößt, wie alle Erfahrungen des Kontakts mit der eigenen Innerlichkeit, die Leidenschaften an. Zugleich eröffnet sich eine Möglichkeit, sie aufsteigen zu lassen, wenn man sich in die Ereignisse, die das Wort Gottes berichtet, hineinversetzt. Die Phase des Erkennens rückt die Fähigkeit zum Zuhören und die Affektivität des Menschen ins Zentrum, ohne sich aus Angst der Mühe des Schweigens zu entziehen. Auf dem Weg der persönlichen Reifung geht es hier um einen grundlegenden Schritt. Dies gilt besonders für die Jugendlichen, welche mit größerer Intensität die Kraft der Begierden erfahren und davon auch erschrocken werden können und dann auf die großen Schritte verzichten, zu denen sie sich vielleicht gedrängt fühlen. Interpretieren Es reicht nicht aus, das, was erlebt wird, zu erkennen: Es muss auch interpretiert werden oder, mit anderen Worten, es muss verstanden werden, wozu der Geist durch das, was er im Einzelnen bewirkt, ruft. Oft beschränkt man sich darauf, eine Erfahrung zu erzählen und dabei zu unterstreichen, dass sie „mich sehr berührt“ hat. Es ist schwieriger, den Ursprung und den Sinn der erfahrenen Wünsche und Emotionen zu erfassen und einzuschätzen, ob sie uns in eine konstruktive Richtung führen oder vielmehr dazu, uns auf uns selbst zurückzuziehen. Diese Phase der Interpretation ist sehr delikat: Sie erfordert Geduld, Aufmerksamkeit und auch eine bestimmte Gewandtheit. Man muss in der Lage sein, sich über die Auswirkungen der sozialen und psychologischen Bedingtheiten klar zu werden. Sie erfordert es, auch die eigenen intellektuellen Fähigkeiten einzusetzen, ohne dabei dem Risiko zu erliegen, abstrakte Theorien darüber aufzustellen, was gut und schön wäre zu tun: Auch bei der Unterscheidung steht „die Wirklichkeit über der Idee“ (Evangelii gaudium, 231). Bei der Interpretation kann man es auch nicht unterlassen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen und realistisch jene Möglichkeiten in Betracht zu ziehen, die zur Verfügung stehen. Um die Begierden und inneren Bewegungen interpretieren zu können, ist es erforderlich, sich im Licht des Wortes Gottes ehrlich auch mit den moralischen Anforderungen des christlichen Lebens auseinanderzusetzen und dabei immer zu versuchen, sie in der konkreten Situation, in der man lebt, anzuwenden. Diese Anstrengung treibt denjenigen, der sie unternimmt, dazu, sich nicht mit der legalistischen Logik des unerlässlichen Minimums zufriedenzugeben, sondern im Gegenteil die Art und Weise zu finden, wie die eigenen Gaben und die eigenen Möglichkeiten am besten einzusetzen sind: Daher erscheint dies den Jugendlichen als ein anziehender und anregender Vorschlag. Diese Arbeit der Interpretation geht in einem inneren Dialog mit dem Herrn vor sich, wobei alle Fähigkeiten des Menschen aktiviert werden. Die Hilfe eines Menschen, der ein Experte ist, wenn es darum geht, auf den Geist zu hören, ist eine wertvolle Unterstützung, welche die Kirche anbietet, und es wäre unbedacht, sie nicht zu nutzen. Wählen Wenn die Welt der Wünsche und Leidenschaften einmal verstanden und interpretiert ist, wird der Akt der Entscheidung zu einer Betätigung der echten menschlichen Freiheit und der persönlichen Verantwortung, wenn auch immer in einem bestimmten Umfeld und daher begrenzt. Die Wahl entzieht sich daher den blinden Kräften der Triebe, denen ein bestimmter Relativismus der Gegenwart die Rolle des letzten Kriteriums zuzuschreiben geneigt ist und damit den Menschen in der Wechselhaftigkeit gefangen hält. Zugleich befreit sie uns aus der Unterworfenheit unter den von außerhalb des Menschen kommenden und daher heteronomen Druck und erfordert auch eine Kohärenz des Lebens. In der Geschichte sind die grundlegenden Entscheidungen des Lebens lange Zeit nicht von den Beteiligten selbst getroffen worden. Wie im I. Kapitel erwähnt wurde, ist dies in einigen Teilen der Welt noch immer so. Wirklich freie und verantwortliche Entscheidungen zu fördern, und sich von jeder Verhaftung an die Vorgehensweisen anderer Zeiten zu befreien, bleibt das Ziel jeder ernsthaften Berufungspastoral. Die Unterscheidung ist das erstrangige Mittel, das es erlaubt, den unverletzbaren Raum des Gewissens zu bewahren, ohne in Anspruch zu nehmen, es zu ersetzen (vgl. Amoris laetitia, 37). Im Hinblick auf ihre Bestätigung erfordert es die Entscheidung, im konkreten Leben erprobt zu werden. Die Wahl darf nicht in einer Innerlichkeit gefangen bleiben, welche riskiert, virtuell und kraftlos zu bleiben. Dies ist eine in der gegenwärtigen Kultur verbreitete Gefahr. Die Wahl muss sich in Aktionen ausdrücken, Fleisch annehmen, den Anfang eines Weges darstellen und das Risiko eingehen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, welche die Wünsche und Emotionen hervorgebracht hat. Andere Wünsche und Emotionen entstehen in dieser Phase: Sie zu erkennen und zu interpretieren erlaubt es, die Güte der getroffenen Entscheidung zu bestätigen oder sie zu überprüfen. Daher ist es wichtig, „auszusteigen“, auch aus der Angst, Fehler zu machen. Wie wir gesehen haben, kann sie lähmend wirken. 3. Wege der Berufung und der Sendung Die Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung wird nicht in einem einzelnen Akt vollzogen, auch wenn es in der Darstellung über jede Berufung möglich ist, von entscheidenden Begebenheiten und Begegnungen zu berichten. Wie alle wichtigen Ereignisse im Leben ist auch die Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung ein langer Prozess, der sich über die Zeit entwickelt. Im Verlauf dieser Zeit ist es wichtig, beständig auf die Zeichen zu achten, durch welche der Herr die Berufung, die ausdrücklich persönlich und unwiederholbar ist, präzisiert und spezifiziert. Der Herr hat Abram und Sarah gebeten, aufzubrechen, aber nur auf einem fortschreitenden Weg, der nicht ohne falsche Schritte verlief, wurde klar, welches das anfangs mysteriöse „Land, das ich Dir zeigen werde“ ist (Gen 12,1). Maria selbst schreitet durch die Betrachtung der Worte, die sie hört, und die Ereignisse, die ihr wiederfahren, auch derjenigen, die sie nicht versteht (vgl. Lk 2,50–51), im Verständnis der eigenen Berufung fort. Wenn es darum geht, die Orientierung der getroffenen Entscheidung zu bestimmen, ist die Zeit von grundlegender Bedeutung. Wie jede Seite der Bibel lehrt, gibt es keine Berufung, die nicht auf eine Sendung ausgerichtet ist, die mit Furcht und Begeisterung angenommen wird. Die Sendung anzunehmen beinhaltet auch die Verfügbarkeit, das eigene Leben zu wagen und auf den Spuren Jesu den Weg des Kreuzes zu gehen. Er hat sich mit Entschiedenheit auf den Weg nach Jerusalem gemacht (vgl. Lk 9,51), um sein eigenes Leben für die Menschheit zu opfern. Nur wenn der Mensch darauf verzichtet, mit den eigenen Bedürfnissen im Mittelpunkt zu stehen, öffnet sich der Raum, um das Projekt Gottes anzunehmen, das im Familienleben, im Weiheamt oder im Ordensleben bestehen kann oder darin, gewissenhaft den eigenen Beruf auszuüben und ernsthaft das Gemeinwohl zu suchen. Besonders an den Orten, an denen die Kultur zutiefst vom Individualismus durchdrungen ist, geht es darum, zu überprüfen, wieweit die Entscheidungen von der eigenen narzisstischen Selbstverwirklichung bestimmt werden und inwieweit sie die Bereitschaft einschließen, das eigene Dasein in der Logik der großzügigen Hingabe seiner selbst zu leben. Daher kommt im Hinblick auf die Unterscheidung zur Berufungsfindung dem Kontakt mit der Armut, der Verletzlichkeit und der Not eine große Bedeutung zu. Was die zukünftigen Hirten angeht, ist es angemessen, vor allem das Wachstum in der Bereitschaft eingehend zu prüfen und zu fördern, sich vom „Geruch der Schafe“ durchdringen zu lassen. 4. Die Begleitung Als Grundlage der Unterscheidung können wir drei Überzeugungen finden, die in der Erfahrung jedes Menschen fest verwurzelt sind, wenn sie im Licht des Glaubens und der christlichen Tradition gelesen werden. Die erste ist, dass der Geist Gottes im Herzen jedes Mannes und jeder Frau durch Gefühle und Wünsche handelt, die mit Ideen, Bildern und Projekten verbunden sind. Wenn er aufmerksam darauf hört, hat jeder Mensch die Möglichkeit, diese Signale zu deuten. Die zweite Überzeugung besteht darin, dass das menschliche Herz durch die eigene Schwäche und durch die Sünde normalerweise geteilt ist, denn es fühlt sich von verschiedenen, manchmal entgegengesetzten Anrufen angezogen. Die dritte Überzeugung ist die, dass der Lebensweg auf jeden Fall eine Entscheidung auferlegt, denn man kann nicht unendlich unentschieden bleiben. Es kommt aber darauf an, sich der entsprechenden Mittel zu bedienen, um den Ruf des Herrn zur Freude der Liebe zu hören und sich zu entscheiden, darauf zu antworten. Unter diesen Mitteln hebt die geistliche Tradition die Wichtigkeit der persönlichen Begleitung hervor. Um einen anderen Menschen begleiten zu können, reicht es nicht, die Theorie der Unterscheidung zu studieren. Es geht darum, selbst die Erfahrung zu leben, die Bewegungen des Herzens zu deuten, um darin das Handeln des Geistes zu erkennen, dessen Stimme es versteht, zu jedem Einzelnen in seiner Unverwechselbarkeit zu sprechen. Die persönliche Begleitung macht es erforderlich, die eigene Empfänglichkeit für die Stimme des Geistes ständig zu verfeinern und führt dazu, in den persönlichen Umständen eine Ressource und einen Reichtum zu entdecken. Es geht darum, die Beziehung zwischen dem Menschen und dem Herrn zu fördern und daran mitzuarbeiten, das zu beseitigen, was sie behindert. Hier liegt der Unterschied zwischen der Begleitung zur Unterscheidung und der psychologischen Unterstützung, die sich jedoch, wenn sie zur Transzendenz offen ist, oft von fundamentaler Bedeutung erweist. Der Psychologe unterstützt einen Menschen in seinen Schwierigkeiten und hilft ihm, sich seiner Schwächen und Möglichkeiten bewusst zu werden; der geistliche Begleiter verweist den Menschen auf den Herrn und bereitet das Feld für die Begegnung mit Ihm (vgl. Joh 3,29–30). Die Abschnitte des Evangeliums, welche von den Begegnungen Jesu mit den Menschen seiner Zeit berichten, heben einige Elemente hervor, die uns helfen, ein Profil dessen zu entwerfen, der einen jungen Menschen bei der Entscheidung im Hinblick auf seine Berufung begleitet: den liebevollen Blick (die Berufung der ersten Jünger, vgl. Joh 1,35–51); das autoritative Wort (die Lehre in der Synagoge von Kapharnaum vgl. Lk 4,32); die Fähigkeit, zum Nächsten zu werden (das Gleichnis vom guten Samariter, vgl. Lk 10,25–37); die Entscheidung, „an der Seite zu gehen“ (die Emmausjünger, vgl. Lk 24,13–35); das authentische Zeugnis, ohne Angst gegen die am weitesten verbreiteten Vorurteile anzugehen (die Fußwaschung beim letzten Abendmahl, vgl. Joh 13,1–20). In ihrem Einsatz im Hinblick auf die Begleitung der jungen Generationen nimmt die Kirche den an sie gerichteten Anruf auf, an der Freude der Jugendlichen mitzuarbeiten, statt zu versuchen, sich ihres Glaubens zu bemächtigen (vgl. 2 Kor 1,24). Dieser Dienst hat letztendlich seine Wurzeln im Gebet und in der Bitte um die Gabe des Geistes, der jeden Einzelnen führt und erleuchtet. III DIE PASTORALE TÄTIGKEIT Was bedeutet es für die Kirche, besonders in einer Zeit, die von Unsicherheit und Vorläufigkeit gekennzeichnet ist, die Jugendlichen dahin zu begleiten, die Freude des Evangeliums anzunehmen? Die Absicht dieses Kapitels besteht darin, herauszustellen, was es mit sich bringt, die Herausforderung der Seelsorge und der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung ernst zu nehmen. Dabei sollen die Subjekte, die Räume und die zur Verfügung stehenden Mittel berücksichtigt werden. In diesem Sinne erkennen wir, im Wissen um die bestehenden Unterschiede, eine wechselseitige Verbindung zwischen der Jugendpastoral und der Berufungspastoral an. Hier geht es nicht um ein erschöpfendes Panorama, sondern um Angaben, die auf der Grundlage der Erfahrung jeder Kirche vor Ort zu vervollständigen sind. 1. Mit den Jugendlichen unterwegs Die Jugendlichen zu begleiten, macht es erforderlich, aus den eigenen vorgefertigten Schemata auszusteigen und ihnen da zu begegnen, wo sie sind, sich ihren Zeiten und Rhythmen anzupassen. Es bedeutet auch, sie ernst zu nehmen in ihrer Schwierigkeit, die Realität, in der sie leben, zu verstehen und die empfangene Verkündigung in Gesten und Worte zu übersetzen, im täglichen Bemühen, an der eigenen Lebensgeschichte zu bauen und der mehr oder weniger bewussten Suche nach einem Sinn in ihrem Leben. Jeden Sonntag halten die Christen die Erinnerung an Jesus, der gestorben und auferstanden ist, lebendig und begegnen ihm in der Feier der Eucharistie. Viele Kinder werden im Glauben der Kirche getauft und setzen anschließend den Weg der christlichen Initiation fort. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit einer reifen Entscheidung zu einem Leben aus dem Glauben. Um dahin zu gelangen, ist ein Weg erforderlich, der manchmal auch über Straßen führt, die unvorhersehbar sind und abseits der üblichen Räume der christlichen Gemeinschaft liegen. Daher bedeutet Berufungspastoral, wie Papst Franziskus in Erinnerung gerufen hat, „den Stil Jesu zu erlernen, der an die Orte des täglichen Lebens kommt, ohne Eile stehenbleibt, die Brüder mit Barmherzigkeit anblickt und sie so zur Begegnung mit Gott, dem Vater, führt“ (Ansprache an die Teilnehmer an der Internationalen Tagung zur Berufungspastoral, 21. Oktober 2016). Die ganze christliche Gemeinschaft wird aufgebaut, wenn wir mit den Jugendlichen unterwegs sind. Gerade weil es darum geht, die Freiheit der Jugendlichen anzusprechen, muss die Kreativität jeder Gemeinschaft, Vorschläge machen zu können, welche der Einzigartigkeit jedes Einzelnen gerecht werden und deren Entwicklung unterstützen können, recht eingeschätzt werden. In vielen Fällen geht es auch darum zu lernen, der Neuheit echten Raum zu geben, ohne sie in dem Versuch, sie in Schubladen zu stecken, zu ersticken: Es kann keine fruchtbare Saat der Berufung geben, wenn wir schlicht im „bequemen pastoralen Kriterium des ‚Es wurde immer so gemacht‘“ eingeschlossen bleiben. Es geht vielmehr darum, „wagemutig und kreativ zu sein in dieser Aufgabe, die Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs- Methoden der eigenen Gemeinden zu überdenken“ (Evangelii gaudium, 33). Drei Worte, die in den Evangelien die Art und Weise beschreiben, in der Jesus den Menschen seiner Zeit begegnet ist, helfen uns, diesen pastoralen Stil zu strukturieren: hinausgehen, sehen, rufen. Hinausgehen In dieser Ausprägung bedeutet Berufungspastoral, die Einladung Papst Franziskus anzunehmen, hinauszugehen, besonders aus den Versteinerungen, welche die Verkündigung der Freude des Evangeliums weniger glaubwürdig machen, aus den Schemata, in denen die Menschen sich einsortiert fühlen und hinaus aus einer Art Kirche zu sein, die manchmal anachronistisch erscheint. Hinausgehen als ein Zeichen innerer Freiheit von den gewöhnlichen Tätigkeiten und Sorgen erlaubt auch, dass die Jugendlichen zu Protagonisten werden. Sie werden die christliche Gemeinschaft umso anziehender finden, je mehr sie erleben, dass der konkrete und originelle Beitrag, den sie leisten können, angenommen wird. Sehen In die Welt der Jugendlichen hinauszugehen, erfordert die Bereitschaft, Zeit mit ihnen zu verbringen, ihre Geschichten, ihre Freuden und Hoffnungen, ihre Trauer und Angst anzuhören, um sie zu teilen: Das ist der Weg, um das Evangelium zu inkulturieren und jede Kultur, auch diejenige der Jugendlichen, zu evangelisieren. Wenn die Evangelien von den Begegnungen Jesu mit den Frauen und Männern seiner Zeit berichten, heben sie gerade seine Fähigkeit hervor, mit ihnen stehen zu bleiben sowie die Faszination, die derjenige erlebt, der seinem Blick begegnet. Dies ist der Blick jedes echten Hirten, der in der Lage ist, in die Tiefe des Herzens zu schauen, ohne aufdringlich oder bedrohlich zu erscheinen; es ist der wahre Blick der Unterscheidung, der nicht vom Gewissen des anderen Besitz ergreifen oder den Weg der göttlichen Gnade ausgehend von den eigenen Schemata vorherbestimmen will. Rufen In den Erzählungen der Evangelien verwandelt sich der liebende Blick Jesu in ein Wort, das einen Ruf zu etwas Neuem darstellt, das es anzunehmen, zu erkunden und auszubauen gilt. Rufen heißt zunächst, die Sehnsucht wieder zu erwecken, die Menschen aus dem herauszuführen, was sie blockiert oder aus den Bequemlichkeiten, in denen sie sich ausruhen. Rufen heißt, Fragen zu stellen, auf die es keine vorgefertigten Antworten gibt. Es ist das, was die Menschen bewegt, sich auf den Weg zu machen und der Freude des Evangeliums zu begegnen, nicht die Vorschrift von Normen, die zu beachten sind. 2. Subjekte Alle Jugendlichen, ohne Ausnahme Die Jugendlichen sind Subjekt und Objekt der Pastoral. In Wirklichkeit werden sie von der Gesellschaft oft wie eine unnütze oder unbequeme Sache behandelt: Die Kirche kann diese Haltung nicht wiederholen, denn alle Jugendlichen ohne Ausnahme haben das Recht, auf ihrem Weg begleitet zu werden. Jede Gemeinschaft ist sodann aufgerufen, besonders den armen, ausgegrenzten und ausgeschlossenen Jugendlichen Aufmerksamkeit zu schenken und sie zu Protagonisten zu machen. Den Jugendlichen, die unter den Bedingungen von großer Armut und Schwierigkeiten, Gewalt und Krieg, Krankheit, Behinderung und Leiden leben, zum Nächsten zu werden, ist ein besonderes Geschenk des Geistes, das in der Lage ist, den Stil einer Kirche, die aus sich herausgeht, aufleuchten zu lassen. Die Kirche selbst ist aufgerufen, von den Jugendlichen zu lernen: Viele jugendliche Heilige, die weiterhin eine Quelle der Inspiration für alle sind, geben davon ein leuchtendes Zeugnis. Eine verantwortliche Gemeinschaft Die ganze christliche Gemeinschaft muss sich im Hinblick auf die Aufgabe, die neuen Generationen zu erziehen, verantwortlich fühlen und wir müssen anerkennen, dass es viele Christen sind, welche diese Aufgabe übernehmen, angefangen von denen, die sich im Bereich des kirchlichen Lebens engagieren. Auch die Bemühungen derer, die das gute Leben des Evangeliums und die Freude, die es mit sich bringt, in den Räumen des Alltags bezeugen, verdienen Wertschätzung. Schließlich gilt es, die Möglichkeiten der Beteiligung der Jugendlichen in den Organen der diözesanen und pfarrlichen Gemeinschaft, angefangen mit den Pastoralräten, wertzuschätzen. Sie laden die Jugendlichen ein, den Beitrag ihrer Kreativität zu leisten und nehmen ihre Ideen an, auch wenn sie provokativ erscheinen. Überall auf der Welt gibt es Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Vereinigungen, Bewegungen und kirchliche Einrichtungen, die in der Lage sind, für die Jugendlichen Erfahrungen des Wachstums und der Unterscheidung zu planen und anzubieten, die wirklich bedeutsam sind. Manchmal bleibt im Bereich der Planung ein Raum der Improvisation und der Inkompetenz: Gegen dieses Risiko muss man sich verteidigen, indem man immer mehr die Aufgabe ernst nimmt, die Jugendpastoral in korrekter, kohärenter und wirksamer Weise zu durchdenken, zu konkretisieren, zu koordinieren und umzusetzen. Auch hier wird die Notwendigkeit einer besonderen und fortgesetzten Vorbereitung der Ausbilder deutlich. Die Bezugspersonen Die Rolle von glaubwürdigen Erwachsenen, mit denen man in eine positive Beziehung treten kann, ist auf jedem Weg menschlicher Reifung und der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung grundlegend. Es braucht angesehene Gläubige mit einer klaren menschlichen Identität, einer festen kirchlichen Zugehörigkeit, einer sichtbaren spirituellen Qualität, einer starken erzieherischen Leidenschaft und einer tiefen Fähigkeit zur Unterscheidung. Manchmal aber neigen unvorbereitete und unreife Erwachsene dazu, in einer besitzergreifenden oder manipulativen Art und Weise zu handeln. Sie schaffen negative Abhängigkeiten, starkes Unbehagen und ein schwerwiegendes Gegenzeugnis. All dies kann bis hin zum Missbrauch führen. Damit glaubhafte Bezugspersonen zur Verfügung stehen, müssen sie ausgebildet und unterstützt werden, indem man ihnen auch größere pädagogische Kompetenz zur Verfügung stellt. Dies gilt besonders im Hinblick auf diejenigen, denen die Aufgabe der Begleitung bei der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung zum Weiheamt oder zum Ordensleben übertragen wird. Eltern und Familie: Innerhalb jeder christlichen Gemeinschaft soll die unersetzliche erzieherische Rolle anerkannt werden, welche Eltern und andere Familienmitglieder ausüben. Innerhalb der Familie sind es in erster Linie die Eltern, die in der Liebe, die sie untereinander und mit ihren Kindern verbindet, jeden Tag die Sorge Gottes für jeden Menschen zum Ausdruck bringen. Diesbezüglich sind die Hinweise wertvoll, welche Papst Franziskus in einem eigenen Kapitel von Amoris laetitia (vgl. 259–290) gegeben hat. Hirten: Die Begegnung mit Priestern, die in der Lage sind, sich in der Welt der Jugendlichen wirklich ins Spiel zu bringen und ihnen Zeit und Ressourcen zu widmen, ist – auch Dank des großzügigen Zeugnisses von Ordensmännern und -frauen – entscheidend für das Wachstum der neuen Generationen. Daran hat auch Papst Franziskus erinnert: „Das erbitte ich vor allem von den Hirten der Kirche, den Bischöfen und Priestern: Ihr seid die Hauptverantwortlichen für die christlichen und priesterlichen Berufungen und diese Aufgabe darf man nicht an eine bürokratische Dienststelle abschieben. Auch ihr habt eine Begegnung erlebt, die euer Leben verändert hat, als ein anderer Priester – der Pfarrer, der Beichtvater, der geistliche Begleiter – euch die Schönheit der Liebe Gottes hat erfahren lassen. Und so auch ihr: Wenn ihr hinausgeht, die Jugendlichen anhört – dazu braucht man viel Geduld! –, dann könnt ihr ihnen helfen, die Bewegungen ihres Herzens zu unterscheiden und ihren Schritten Orientierung zu geben“ (Ansprache an die Teilnehmer einer Tagung zur Berufungspastoral, 21. Oktober 2016). Lehrer und andere Erzieher: Viele katholische Lehrer sind als Zeugen in den Universitäten und in den verschiedenen Arten von Schulen im Einsatz; in der Welt der Arbeit sind sie mit Kompetenz und Leidenschaft anwesend; in der Politik versuchen viele Gläubige, Sauerteig für eine gerechtere Gesellschaft zu sein; im Volontariat setzen sich viele für das Gemeinwohl und den Schutz der Schöpfung ein; viele sind im Bereich der Freizeitgestaltung und des Sports mit Elan und Großzügigkeit tätig. All jene legen Zeugnis ab für menschliche und christliche Berufungen, die mit Treue und Einsatz angenommen und gelebt werden. In denjenigen, die sie sehen, wecken sie das Verlangen, genauso zu handeln: Auf die eigene Berufung großzügig zu antworten, ist die erste Art der Berufungspastoral. 3. Orte Das tägliche Leben und der soziale Einsatz Erwachsen zu werden bedeutet zu lernen, selbstständig Bereiche des Lebens zu bewältigen, die zugleich grundlegend und alltäglich sind: den Gebrauch der Zeit und des Geldes, den Stil des Lebens und des Konsums, das Studium und die Freizeit, die Kleidung und das Essen, das Gefühlsleben und die Sexualität. Dieser Lernprozess, in den die Jugendlichen unweigerlich verwickelt sind, ist die Gelegenheit, Ordnung in das eigene Leben und die eigenen Prioritäten zu bringen und dabei Wege der Entscheidung zu erfahren, die ein Übungsfeld für die Unterscheidung werden können und zugleich die eigene Ausrichtung im Hinblick auf wichtigere Entscheidungen konsolidieren: Je authentischer der Glaube ist, desto mehr hinterfragt er das Leben und lässt sich von ihm hinterfragen. Eine besondere Erwähnung verdienen die oft schwierigen Problematiken in der Welt der Arbeit bzw. beim Mangel an Arbeit: Auch dies sind Gelegenheiten, um die eigene Berufung anzunehmen und zu vertiefen. Die Armen schreien und mit ihnen die Erde: Das Bemühen, ihnen zuzuhören, kann ein konkreter Anlass sein, um dem Herrn und der Kirche zu begegnen und die eigene Berufung zu entdecken. Wie Papst Franziskus lehrt, können die gemeinschaftlichen Aktivitäten derjenigen, die für das gemeinsame Haus und die Lebensqualität der Armen Sorge tragen, „wenn sie Ausdruck einer hingebungsvollen Liebe sind, zu intensiven spirituellen Erfahrungen werden“ (Laudato si’, 232) und auch zu Gelegenheiten des Weges und der Berufungsunterscheidung. Die spezifischen Räume der Pastoral Die Kirche bietet den Jugendlichen besondere Räume der Begegnung und der kulturellen Bildung, der Erziehung und der Evangelisierung, der Feier und des Dienstes an und steht in der ersten Reihe, wenn es darum geht, alle und jeden offen anzunehmen. Die Herausforderungen für diese Räume und diejenigen, die sie beleben, bestehen darin, immer weiter in der Logik des Aufbaus eines integralen Netzwerkes von Vorschlägen voranzugehen und in der eigenen Arbeitsweise einen Stil des Herausgehens, des Sehen-Hörens und des Rufens anzunehmen. • Auf weltweiter Ebene ragen die Weltjugendtage heraus. Daneben spüren Bischofskonferenzen und Diözesen immer mehr die Notwendigkeit, den Jugendlichen spezifische Veranstaltungen und Erfahrungen anzubieten. • Die Pfarreien bieten den jungen Generationen Räume, Aktivitäten, Zeiten und Wege an. Das sakramentale Leben bietet grundlegende Möglichkeiten, um in der Fähigkeit, die Gabe Gottes im eigenen Leben anzunehmen, zu wachsen und lädt zur aktiven Teilnahme an der Sendung der Kirche ein. Die Jugendzentren und Oratorien sind Zeichen der Aufmerksamkeit auf die Welt der Jugendlichen. • Die katholischen Universitäten und Schulen sind mit ihrem wertvollen Dienst im Bereich der Kultur und der Bildung ein anderes Mittel der Gegenwart der Kirche unter den Jugendlichen. • Die sozialen Aktivitäten und der Freiwilligendienst bieten die Gelegenheit, sich in einem großzügigen Dienst selbst ins Spiel zu bringen; die Begegnung mit Menschen, die Armut und Ausschluss erfahren, kann eine günstige Gelegenheit zum geistlichen Wachstum und zur Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung sein: Auch in dieser Hinsicht sind die Armen Meister oder – mehr noch – Träger der guten Nachricht, dass die Schwäche der Ort ist, an dem man Heil erfahren kann. • Die Vereinigungen und kirchlichen Bewegungen, aber auch viele andere spirituelle Orte, bieten den Jugendlichen ernsthafte Wege zur Unterscheidung an; die missionarischen Erfahrungen werden zu Gelegenheiten des großherzigen Dienstes und des fruchtbaren Austauschs; die Wiederentdeckung der Wallfahrt als Form und Stil des Weges erscheint wertvoll und vielversprechend; in vielen Fällen unterstützt und nährt die Volksfrömmigkeit den Glauben der Jugendlichen. • Den Seminarien und Ausbildungshäusern kommt eine strategische Rolle zu. Sie sollen, auch durch ein intensives Gemeinschaftsleben, den Jugendlichen, die sie aufnehmen, ermöglichen, Erfahrungen zu machen, die sie ihrerseits in die Lage versetzt, andere zu begleiten. Die digitale Welt Aus den Gründen, die vorher schon in Erinnerung gerufen wurden, bedarf die Welt der new media, die besonders für die Jugendlichen ein echter Lebensort geworden ist, einer besonderen Erwähnung. Sie bietet vorher nicht gekannte Möglichkeiten, besonders im Hinblick auf den Zugang zu Informationen und den Aufbau von Beziehungen auf Entfernung, bringt aber auch Risiken mit sich (zum Beispiel Cybermobbing, Glücksspiel, Pornographie, die Gefahren des chat room, ideologische Manipulation, usw.). Auch wenn es hier sehr viele regionale Unterschiede gibt, baut die christliche Gemeinschaft die eigene Präsenz in diesem neuen Areopag erst auf. Hier kann sie bestimmt etwas von den Jugendlichen lernen. 4. Mittel Die Sprachen der Pastoral Manchmal wird uns bewusst, dass sich zwischen der kirchlichen Sprache und der Sprache der Jugendlichen ein Abstand bildet, der schwierig zu überbrücken ist, auch wenn es viele Erfahrungen einer fruchtbaren Begegnung zwischen den Sensibilitäten der Jugendlichen und den Vorschlägen der Kirche im biblischen, liturgischen, künstlerischen oder im Medienbereich gibt. Wir träumen von einer Kirche, die es versteht, der Welt der Jugendlichen und ihren Sprachen Raum zu geben sowie ihre Kreativität und Talente wertzuschätzen. Wir erkennen an, dass besonders der Sport eine erzieherische Ressource darstellt, die große Möglichkeiten bietet. Die Musik und die anderen künstlerischen Ausdrucksformen kennen Formen der besonderen Mitteilung, die den Weg des Wachstums der Jugendlichen begleiten. Die erzieherische Sorge und die Wege der Evangelisierung In der pastoralen Tätigkeit mit den Jugendlichen, bei der es mehr darum geht, Prozesse anzustoßen, als Räume zu besetzen, erkennen wir in erster Linie die Bedeutung des Dienstes am menschlichen Wachstum jedes Einzelnen sowie der pädagogischen und bildnerischen Mittel, welche sie unterhalten können. Zwischen Evangelisierung und Erziehung gibt es ein fruchtbares genetisches Band, das in der gegenwärtigen Realität der Gradualität der Reifungswege Rechnung tragen muss. Gegenüber der Vergangenheit müssen wir uns an Wege der Annäherung an den Glauben gewöhnen, die immer weniger standardisiert und mehr auf die persönlichen Charakteristiken des Einzelnen abgestimmt sind: Neben denen, die weiterhin den traditionellen Etappen der christlichen Initiation folgen, gelangen viele auf anderen Wegen und in fortgeschrittenem Alter zur Begegnung mit dem Herrn und der Gemeinschaft der Glaubenden, z. B. ausgehend von einem Einsatz für die Gerechtigkeit oder von der Begegnung im außerkirchlichen Bereich mit jemandem, der in der Lage ist, ein glaubwürdiger Zeuge zu sein. Die Herausforderung für die Gemeinschaft besteht darin, alle aufzunehmen und dabei Jesus zu folgen, der es verstand, mit Juden und Samaritern, mit Heiden aus der griechischen Kultur und den römischen Besatzern zu sprechen und dabei die tiefsten Sehnsüchte des Einzelnen zu erkennen. Schweigen, Kontemplation, Gebet Schließlich und vor allem gibt es keine Unterscheidung, wenn nicht die Vertrautheit mit dem Herrn und der Dialog mit seinem Wort gepflegt werden. Besonders die Lectio Divina ist eine wertvolle Methode, welche die Tradition der Kirche uns hinterlassen hat. In einer immer lauteren Gesellschaft, die eine Überfülle von Reizen bietet, ist ein grundlegendes Ziel der auf Berufung hin orientierten Jugendpastoral, Gelegenheiten anzubieten, um den Wert des Schweigens und der Kontemplation zu kosten und auf das Nachdenken über die eigene Erfahrung und das Hören auf das Gewissen hin zu bilden. 5. Maria von Nazareth Vertrauen wir Maria diesen Weg an, auf dem die Kirche sich fragt, wie sie die Jugendlichen begleiten kann, damit sie den Ruf zur Freude der Liebe und zum Leben in Fülle annehmen. Sie, die junge Frau aus Nazareth, hat in jeder Etappe ihres Daseins das Wort angenommen und bewahrt, „es in ihrem Herzen bewegt“ (Lk 2,19) und ist damit als erste diesen Weg gegangen. Jeder Jugendliche kann in Maria den Stil des Zuhörens entdecken, den Mut des Glaubens, die Tiefe der Unterscheidung und die Hingabe an den Dienst (vgl. Lk 1,39–45). In ihrer „Kleinheit“ hat die mit Josef verlobte Jungfrau die Schwäche und die Mühe erfahren, die es bedeutet, den geheimnisvollen Willen Gottes zu verstehen (vgl. Lk 1,34). Auch sie ist gerufen, aus sich selbst und ihren Plänen herauszugehen und zu lernen, sich anzuvertrauen und zu vertrauen. Indem sie an die großen Dinge erinnert, die der Allmächtige an ihr vollbracht hat (vgl. Lk 1,49), fühlt sich die Jungfrau nicht allein, sondern ganz geliebt und vom Fürchte Dich nicht des Engels (vgl. Lk 1,30) getragen. Im Bewusstsein, dass Gott mit ihr ist, öffnet Maria ihr Herz zum Ich bin bereit und eröffnet so die Straße des Evangeliums (vgl. Lk 1,38). Frau der Fürsprache (vgl. Joh 2,3), nimmt sie angesichts des Kreuzes ihres Sohnes, mit dem geliebten Jünger vereint, erneut den Ruf an, fruchtbar zu sein und im Leben der Menschen Leben zu zeugen. In ihren Augen kann jeder Jugendliche die Freude der Unterscheidung wiederentdecken, in ihrem Herzen die Zärtlichkeit der Intimität und den Mut des Zeugnisses und der Sendung erfahren. FRAGEBOGEN Ziel des Fragebogens ist es, den Organismen zu helfen, die ein Recht darauf haben, ihr Verständnis der Welt der Jugendlichen zum Ausdruck zu bringen und ihre Erfahrung bei der Begleitung von Berufungen zu reflektieren. Dies geschieht im Hinblick auf die Sammlung von Daten zur Abfassung des Arbeitsdokumentes der Synode, dem Instrumentum laboris. Um den verschiedenen Situationen in den Kontinenten gerecht werden zu können, wurden nach der Frage Nr. 15 drei spezifische Fragen für jede geographische Zone eingefügt, auf welche die entsprechenden Organismen antworten sollen. Um diese Arbeit zu vereinfachen und zu erleichtern werden die verschiedenen Organismen gebeten, als Antwort ein Dossier mit höchstens einem Dutzend Seiten einzureichen (etwa eine Seite für die Daten, sieben bis acht Seiten für die Darstellung der Situation und je eine Seite für die Mitteilung der drei Erfahrungen). Wenn es erforderlich ist und gewünscht wird, können andere Texte als Beleg oder Ergänzung dieses synthetischen Dossiers beigefügt werden. 1. Sammlung von Daten Es wird darum gebeten, nach Möglichkeit die Quelle und das Bezugsjahr anzugeben. Im Anhang können in geraffter Form weitere Daten hinzugefügt werden, die relevant erscheinen, um die Situation in den verschiedenen Ländern besser verstehen zu können. • Zahl der Einwohner des Landes/der Länder und Geburtenraten. • Zahl und prozentualer Anteil der Jugendlichen (16–29 Jahre) im Land/in den Ländern. • Zahl und prozentualer Anteil der Katholiken im Land/in den Ländern. • Durchschnittsalter (in den letzten fünf Jahren) bei der Eheschließung (wobei zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden ist), beim Eintritt ins Seminar und beim Eintritt ins Ordensleben (wiederum für Frauen und Männer getrennt). • In der Phase 16–29 Jahre, Anteil von: Studenten, Arbeitern (wenn möglich sollen die Bereiche unterschieden werden), Arbeitslose und NEET. 2. Die Situation beschreiben a) Jugendliche, Kirche und Gesellschaft Diese Fragen beziehen sich sowohl auf die Jugendlichen, die kirchliche Einrichtungen besuchen, als auch auf diejenigen, die fernstehen oder entfremdet sind. 31. Auf welche Weise wird die Realität der Jugendlichen wahrgenommen? 32. Welche sind gegenwärtig die hauptsächlichen Herausforderungen und welche die bedeutendsten Möglichkeiten für die Jugendlichen in Eurem Land/in Euren Ländern? 33. Welche Formen und Orte der institutionalisierten und nicht institutionalisierten Jugendvereinigungen haben im kirchlichen Bereich den meisten Erfolg und warum? 34. Welche Formen und Orte der institutionalisierten und nicht institutionalisierten Jugendvereinigungen haben außerhalb des kirchlichen Bereiches den meisten Erfolg und warum? 35. Was erbitten die Jugendlichen Eures Landes (Eurer Länder) heute konkret von der Kirche? 36. Welche Räume der Teilhabe am Leben der kirchlichen Gemeinschaft werden den Jugendlichen in Eurem Land (Euren Ländern) geboten? 37. Wie und wo gelingt es Euch, den Jugendlichen zu begegnen, welche nicht in die kirchlichen Einrichtungen kommen? b) Die berufungsorientierte Jugendpastoral 38. Wie werden die Familien und die Gemeinschaften in die Unterscheidung der Jugendlichen im Hinblick auf die Berufung einbezogen? 39. Welchen Beitrag leisten die (staatlichen oder kirchlichen) Schulen und Universitäten oder andere Bildungseinrichtungen im Hinblick auf die Ausbildung zur Berufungsunterscheidung? 40. Inwiefern wird der von der Entwicklung der digitalen Welt bestimmte kulturelle Wandel berücksichtigt? 41. Wie weit gelingt es, die Weltjugendtage oder andere nationale und internationale Ereignisse in die normale pastorale Praxis zu integrieren? 42. In welcher Weise werden in Euren Diözesen Erfahrungen und Wege der berufungsorientierten Jugendpastoral geplant? c) Die Begleiter 43. Wie viel Zeit und Raum widmen die Hirten und die anderen Erzieher der persönlichen geistlichen Begleitung? 44. Welche Initiativen und Ausbildungswege werden für die Begleiter bei der Berufungsfindung angeboten? 45. Welche Art der persönlichen Begleitung wird in den Seminaren angeboten? d) Spezielle Fragen für geographische Gebiete AFRIKA g. Welche Vorstellungen und Strukturen der berufungsorientierten Jugendpastoral entsprechen den Bedürfnissen Eures Kontinentes am besten? h. Wie wird die geistliche Vaterschaft in Zusammenhängen ausgelegt, in denen man ohne die Figur des Vaters aufwächst? Welche Ausbildung wird angeboten? i. Wie gelingt es Euch, den Jugendlichen zu vermitteln, dass sie gebraucht werden, um die Zukunft der Kirche zu gestalten? AMERIKA g. Auf welche Weise nehmen sich Eure Gemeinschaften der Jugendlichen an, die Situationen extremer Gewalt erleben (Guerilla, Banden, Gefängnis, Drogenabhängigkeit, erzwungene Ehen) und wie begleiten sie diese auf dem Lebensweg? h. Welche Ausbildung wird angeboten, um den Einsatz der Jugendlichen im sozialpolitischen Bereich zugunsten des Allgemeinwohls zu unterstützen? i. Welche pastoralen Tätigkeiten sind in stark säkularisierten Kontexten am besten geeignet, um nach der christlichen Initiation einen Weg des Glaubens weiterzugehen? ASIEN UND OZEANIEN g. Warum und wie üben die religiösen Vereinigungen, die ihnen von außerhalb der Kirche angeboten werden, auf die Jugendlichen eine Anziehung aus? h. Wie können die Werte der lokalen Kultur und das christliche Angebot auch unter Wertschätzung der Volksfrömmigkeit miteinander verbunden werden? i. Wie können in der Pastoral die jugendlichen Sprachen, vor allen Dingen die Medien, der Sport und die Musik, eingesetzt werden? EUROPA • Wie helft ihr den Jugendlichen, ausgehend vom Reichtum der christlichen Erinnerung Europas, mit Zuversicht und Hoffnung in die Zukunft zu blicken? • Oft fühlen sich die Jugendlichen vom politischen, wirtschaftlichen und sozialen System, in dem sie leben, ausgesondert und zurückgewiesen. Wie hört ihr auf dieses kritische und Protest-Potential, damit es sich in Vorschläge und Zusammenarbeit verwandeln kann? • Auf welchen Ebenen funktioniert die Beziehung zwischen den Generationen noch? Wie kann sie dort, wo sie nicht mehr funktioniert, wieder aktiviert werden? 3. Die Praxis mitteilen 1. Zählt die hauptsächlichen Typologien pastoraler Praxis bei der Begleitung und bei der Unterscheidung im Hinblick auf die Berufung auf, die in Euren Realitäten gelebt werden. 2. Wählt drei Praktiken aus, die ihr besonders interessant und geeignet findet, um sie mit der Universalkirche zu teilen und stellt sie nach folgendem Schema dar (höchstens eine Seite pro Erfahrung). g) Beschreibung: Umreißt in wenigen Zeilen die Erfahrung. Wer sind die Protagonisten? Wie geht die Aktivität vor sich? Wo? Etc. h) Analyse: Bewertet auch in erzählender Weise die Erfahrung, um die qualifizierenden Elemente besser erfassen zu können: Welches sind die Ziele? Welches die theoretischen Voraussetzungen? Welches sind die interessantesten Intuitionen? Wie haben sie sich entwickelt? Etc. i) Bewertung: Welche Ziele wurden erreicht, welche nicht? Die Stark- und Schwachpunkte. Welche Auswirkungen gibt es im sozialen, kulturellen und kirchlichen Bereich? Warum und worin ist die Erfahrung bedeutend bzw. bildend? Etc. Generalsekretariat der Bischofssynode © Copyright – Libreria Editrice Vaticana |