Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EN  - ES  - FR  - IT  - PL  - PT ]

APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH AJACCIO ZUM ABSCHLUSS DES KONGRESSES
“LA RELIGIOSITÉ POPULAIRE EN MÉDITERRANÉE”

ANGELUSGEBET MIT DEN BISCHÖFEN, PRIESTERN, DIAKONEN, ORDENSLEUTEN UND SEMINARISTEN

ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS

Kathedrale "Notre-Dame-de-l’Assomption" - Ajaccio
Sonntag, 15. Dezember 2024

[Multimedia]

_________________________________

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt,
liebe gottgeweihte Frauen, liebe Priester, Diakone, gottgeweihte Männer, Seminaristen!

Ich bin nur für einen Tag diesem schönen Land, aber ich wollte euch wenigstens kurz treffen, um euch zu begrüßen. Dies gibt mir die Gelegenheit, zunächst einmal Danke zu sagen: Danke, dass es euch gibt mit eurem Leben, das ihr verschenkt; danke für eure Arbeit, für euren täglichen Einsatz; danke, dass ihr ein Zeichen der barmherzigen Liebe Gottes und Zeugen des Evangeliums seid. Ich habe mich sehr gefreut, als ich einen von euch begrüßen konnte: Er ist 95 Jahre alt und seit 70 Jahren Priester! Das heißt es, diese schöne Berufung weiterzuführen. Danke, Bruder, für dein Zeugnis! Vielen Dank!

Und vom „Danke“ komme ich sofort auf die Gnade Gottes zu sprechen, die das Fundament des christlichen Glaubens und jeder Form der Weihe in der Kirche ist. In unserem europäischen Kontext mangelt es nicht an Problemen und Herausforderungen in Bezug auf die Weitergabe des Glaubens, und jeden Tag müsst ihr euch dem stellen und entdeckt dabei, dass ihr klein und schwach seid: Ihr seid nicht sehr zahlreich, ihr verfügt nicht über mächtige Mittel, die Milieus, in denen ihr tätig seid, sind für die Verkündigung des Evangeliums nicht immer aufgeschlossen. Und manchmal fühle ich mich an einen Film erinnert, denn manche Menschen sind bereit, das Evangelium anzunehmen, aber nicht den „Boten“. In jenem Film gab es diesen Satz: „Die Musik ja, aber den Musiker nicht“. Denkt daran: Die Treue bei der Weitergabe des Evangeliums. Dies wird uns helfen. Die priesterliche Armut, möchte ich sagen, ist jedoch ein Segen! Warum? Sie befreit uns von dem Anspruch, alles allein schaffen zu wollen und lehrt uns, die christliche Mission als etwas zu betrachten, das nicht von menschlicher Kraft abhängt, sondern vor allem vom Wirken des Herrn, der mit dem Wenigen, das wir ihm bieten können, immer etwas bewirkt und schafft.

Vergessen wir das nicht: Im Mittelpunkt steht der Herr. Nicht ich stehe im Mittelpunkt, sondern Gott. Bei uns sagen wir für einen eingebildeten Priester, der sich selbst in den Mittelpunkt stellt: Das ist ein Priester yo, me, mí, conmigo, para mí. Ich, mir, mit mir, für mich. Nein, der Herr steht im Mittelpunkt. Und das ist etwas, was jeder Seelsorger, jeder Geweihte vielleicht jeden Morgen bei Sonnenaufgang im Gebet wiederholen sollte: auch heute, in meinem Dienst, stehe nicht ich im Mittelpunkt, sondern Gott, der Herr. Und ich sage das, weil es eine Gefahr in der Weltlichkeit gibt, eine Gefahr, die die Eitelkeit ist. Wie ein „Pfau“ zu sein. Zu sehr auf sich selbst zu sehen. Die Eitelkeit. Und die Eitelkeit ist ein übles Laster, mit einem üblen Geruch. Wie ein Pfau zu sein.

Der Vorrang der göttlichen Gnade bedeutet jedoch nicht, dass wir ruhig schlafen können, ohne Verantwortung zu übernehmen. Im Gegenteil, wir müssen uns als „Mitarbeiter der Gnade Gottes“ verstehen (vgl. 1 Kor 3,9). Und so werden wir auf unserem Weg mit dem Herrn jeden Tag auf eine wesentliche Frage zurückgeführt: Wie lebe ich mein Priestertum, meine Weihe, meine Jüngerschaft? Bin ich Jesus nahe?

Als ich Pastoralbesuche machte, in dem anderen Bistum, traf ich einige gute Priester, die sehr, sehr viel arbeiteten. „Sag mal, was machst du eigentlich abends?“ – „Ich bin müde, esse einen Happen und gehe dann ins Bett, um mich ein wenig auszuruhen und fernzusehen.“ – „Aber gehst du nicht in die Kapelle, um deinen Chef zu grüßen?“ – „Äh, nein...“ – „Und du, bevor du einschläfst, machst du das, ein Ave Maria zu beten? Sei zumindest höflich: Geh in der Kapelle vorbei und sag: Tschüss, vielen Dank, bis morgen.“ Vergesst den Herrn nicht! Der Herr am Anfang, in der Mitte und am Ende des Tages. Er ist unser Chef. Und er ist ein Chef, der mehr arbeitet, als wir es tun! Vergesst das nicht.

Und ich stelle euch diese Frage: Wie lebe ich die Nachfolge? Tragt sie in euren Herzen, unterschätzt sie nicht, und unterschätzt nicht die Notwendigkeit dieser Unterscheidung, diesen Blick ins eigene Innere, damit wir nicht in den Rhythmen und äußeren Aktivitäten „zermahlen“ werden und unsere innere Festigkeit verlieren. Von meiner Seite möchte ich euch eine zweifache Einladung mit auf den Weg geben: Tragt Sorge für euch selbst und tragt Sorge für die anderen.

Erstens: Tragt Sorge für euch. Denn das Priester- oder Ordensleben ist kein „Ja“, das wir ein für alle Mal gesprochen haben. Man lebt mit dem Herrn nicht von Rendite! Im Gegenteil, jeden Tag muss die Freude an der Begegnung mit ihm erneuert werden, jeden Augenblick müssen wir neu auf seine Stimme hören und uns entscheiden, ihm zu folgen, auch in den Augenblicken, in denen wir fallen. Steh auf, schau zum Herrn: „Entschuldige mich, hilf mir weiterzugehen“. Diese geschwisterliche und kindliche Verbundenheit.

Denken wir daran: Unser Leben drückt sich in der Hingabe unser selbst aus, aber je mehr ein Priester, eine Ordensschwester, ein Ordensmann sich hingibt, sich verschenkt, für das Reich Gottes arbeitet, desto notwendiger wird es, dass sie sich auch um sich selbst kümmern. Ein Priester, eine Schwester, ein Diakon, der sich selbst vernachlässigt, wird am Ende auch die ihm Anvertrauten vernachlässigen. Dafür brauchen wir eine kleine „Lebensregel“ – die Ordensleute haben bereits eine –, die täglich eine bestimmte Zeit mit dem Gebet und der Eucharistie, einem Zwiegespräch mit dem Herrn beinhaltet, je nach der eigenen Spiritualität und dem eigenen Stil. Und ich möchte noch hinzufügen: sich einige Momente des Alleinseins zu bewahren; einen Bruder oder eine Schwester zu haben, mit dem oder der man frei das teilen kann, was man im Herzen trägt – früher hieß das der geistliche Leiter, die geistliche Leiterin –; etwas zu pflegen, das uns am Herzen liegt, und nicht um die Zeit zu vertreiben, sondern um sich auf gesunde Weise von der Anstrengung des Dienstes zu erholen. Der Dienst macht müde! Man sollte sich vor den Menschen fürchten, die immer aktiv sind, immer im Mittelpunkt stehen, die sich vielleicht aus Übereifer nie ausruhen, sich selbst nie eine Pause nehmen. Brüder, dies ist nicht gut, es braucht Räume und Augenblicke, in denen jeder Priester und jede gottgeweihte Person für sich selbst Sorge trägt. Und nicht, um sich ein Lifting zu gönnen, um besser auszusehen, nein, um mit dem Freund, mit dem Herrn und vor allem mit der Mutter zu sprechen – lasst die Gottesmutter bitte nicht beiseite –, um über das eigene Leben zu sprechen, darüber, wie die Dinge laufen. Und habt dafür immer sowohl einen Beichtvater als auch einen Freund, der euch gut kennt und mit dem ihr euch unterhalten und eine gute Unterscheidung vornehmen könnt. „Priesterliche Pilze“ sind nicht gut!

Und zu dieser Achtsamkeit gehört noch etwas anderes: die Brüderlichkeit untereinander. Lernen wir, nicht nur die Mühen und Herausforderungen zu teilen, sondern auch die Freude und die Freundschaft zwischen uns. Euer Bischof sagt etwas, das mir sehr gut gefällt, nämlich dass es wichtig ist, vom „Buch der Klagelieder“ zum „Buch des Hoheliedes“ überzugehen. Wir tun dies selten. Wir mögen Klagelieder! Und wenn der arme Bischof an diesem Morgen seinen Pileolus vergessen hat: „Na, schau dir den Bischof an...“. Man sucht sich was, um über den Bischof zu lästern. Es ist wahr, der Bischof ist ein Sünder wie jeder von uns. Wir sind Brüder! Gehen wir vom „Buch der Klagelieder“ zum „Buch des Hoheliedes“ über. Das ist wichtig, das sagt auch ein Psalm: »Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt« (Ps 30,12). Freuen wir uns gemeinsam darüber, Apostel und Jünger des Herrn zu sein! Freude muss geteilt werden. Sonst wird der Platz, den die Freude einnehmen soll, vom Essig eingenommen. Es ist eine hässliche Sache, einen Priester mit einem verbitterten Herzen anzutreffen. Es ist hässlich. „Aber warum bist du so?“ – „Ja, weil der Bischof mich nicht mag... Weil sie jenen anderen zum Bischof ernannt haben und nicht mich... Weil... Weil...“. Die Beschwerden. Bitte hört auf mit den Klagen, mit dem Neid. Neid ist ein „gelbes“ Laster. Bitten wir den Herrn, unser Klagen in Tanzen zu verwandeln, uns einen Sinn für Humor zu geben, die Schlichtheit des Evangeliums.

Zweitens: Tragt Sorge für die anderen. Der Auftrag, den ein jeder von euch erhalten hat, hat immer nur ein Ziel: Jesus zu den anderen zu bringen, den Herzen den Trost des Evangeliums zu spenden. Ich denke gern an den Augenblick, als der Apostel Paulus im Begriff steht, nach Korinth zurückzukehren, und an die Gemeinde schreibt: »Ich aber will sehr gern alles aufwenden und mich für euch aufreiben« (2 Kor 12,15). Sich für die Seelen aufreiben, sich in der Hingabe für die uns Anvertrauten aufreiben. Und ich erinnere mich an einen jungen heiligmäßigen Priester, der vor nicht allzu langer Zeit an Krebs verstorben ist. Er lebte in einem Slum mit den ärmsten Menschen. Er pflegte zu sagen: „Manchmal möchte ich das Fenster mit Ziegelsteinen zumauern, denn die Leute kommen zu jeder Stunde und wenn ich nicht an die Tür gehe, klopfen sie ans Fenster“. Ein Priester, der ein offenes Herz für alle hat, ohne Unterschiede zu machen.

Das Zuhören, die Nähe zu den Menschen, auch dies ist eine Einladung, nach den unter den heutigen Bedingungen wirksamsten pastoralen Wegen der Evangelisierung zu suchen. Habt keine Angst vor Veränderung, davor, alte Muster zu überdenken, die Ausdrucksformen des Glaubens zu erneuern und zu lernen, dass unsere Sendung nicht eine Frage menschlicher Strategien ist. Sie ist in erster Linie eine Frage des Glaubens. Für die Anderen Sorge tragen: für diejenigen, die auf das Wort Jesu warten, für diejenigen, die sich von ihm entfernt haben, für diejenigen, die Orientierung oder Trost in ihrem Leid brauchen. Fürsorge für alle, in der Ausbildung und vor allem in der Begegnung. Den Menschen dort begegnen, wo sie leben und arbeiten, dies ist wichtig.

Und dann noch eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt: Bitte vergebt immer. Und vergebt alles. Vergebt alles und immer. Den Priestern sage ich, im Sakrament der Versöhnung nicht zu viele Fragen zu stellen. Zuhören und verzeihen. Ein Kardinal – der etwas konservativ, etwas rigoros, aber ein großartiger Priester ist – sagte in einer Vorlesung für Priester: „Wenn jemand [in der Beichte] zu stottern beginnt, weil er sich schämt, sage ich ihm: Ist schon gut, ich verstehe, mach mit etwas anderem weiter. In Wirklichkeit habe ich nichts verstanden, aber Er [der Herr] hat verstanden“. Bitte quält die Leute im Beichtstuhl nicht: wo, wie, wann, mit wem... Vergebt immer, vergebt immer! Es gibt einen guten Kapuzinerpater in Buenos Aires, den ich im Alter von 96 Jahren zum Kardinal ernannt habe. Bei ihm steht immer eine lange Schlange von Menschen, denn er ist ein guter Beichtvater, auch ich ging zu ihm. Dieser Beichtvater sagte mir einmal: „Hör mal, manchmal habe ich Skrupel, zu viel zu vergeben.“ – „Und was machst du dann?“ – „Ich gehe beten und sage: Herr, verzeih mir, ich habe zu viel vergeben. Aber gleich darauf sage ich: „Aber du warst es, der mir ein schlechtes Beispiel gegeben hat!“ Immer vergeben. Alles vergeben. Und das sage ich auch den Ordensfrauen und -männern: Vergeben, vergessen, wenn man uns etwas Böses antut, die ehrgeizigen Kämpfe in der Gemeinschaft ... Vergeben. Der Herr hat uns das Beispiel gegeben: Alles vergeben und immer! Jedem und jeder. Und ich gestehe euch etwas: Ich bin schon seit 55 Jahren Priester, ja, vorgestern sind es 55 geworden, und ich habe noch nie die Absolution verweigert. Und Beichte hören gefällt mir sehr. Ich habe immer nach einer Möglichkeit gesucht, um zu vergeben. Ich weiß nicht, ob das gut ist, ob der Herr mir gewährt ... Aber dies ist mein Zeugnis.

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke euch von Herzen und wünsche euch einen Dienst voller Hoffnung und Freude. Lasst euch auch in Momenten der Müdigkeit und Entmutigung nicht gehen. Wendet eure Herzen wieder dem Herrn zu. Vergesst nicht, vor dem Herrn zu weinen! Er zeigt sich und lässt sich finden, wenn ihr für euch selbst und für die Anderen Sorge tragt. Auf diese Weise schenkt er denen seinen Trost, die er berufen und gesandt hat. Macht mutig weiter, er wird euch mit Freude erfüllen.

Wenden wir uns nun im Gebet an die Jungfrau Maria. In dieser Kathedrale, die den Titel ihrer Aufnahme in den Himmel trägt, verehrt das gläubige Volk sie als Patronin und Mutter der Barmherzigkeit, als die „Madunnuccia“. Von dieser Mittelmeerinsel aus erheben wir zu ihr die Bitte um Frieden: Frieden für alle Länder, die an dieses Meer grenzen, insbesondere für das Heilige Land, wo Maria Jesus zur Welt gebracht hat. Frieden für Palästina, für Israel, für den Libanon, für Syrien, für den gesamten Nahen Osten! Frieden im gemarterten Myanmar. Und möge die heilige Mutter Gottes den ersehnten Frieden für das ukrainische und das russische Volk erwirken. Sie sind Geschwister – „Nein, Vater, sie sind Cousins!“ – Ob sie Cousins oder Geschwister sind, ich weiß es nicht, aber sie sollen sich gegenseitig verstehen! Frieden! Brüder und Schwestern, der Krieg ist immer eine Niederlage. Und der Krieg in Ordensgemeinschaften, der Krieg in Pfarreien ist immer eine Niederlage, immer! Möge der Herr uns allen Frieden schenken.

Und lasst uns für die Opfer des Wirbelsturms beten, der in den letzten Stunden den Archipel von Mayotte heimgesucht hat. Ich bin all denen, die von dieser Tragödie betroffen sind, geistlich nahe.

Und nun lasst uns alle gemeinsam den Angelus beten.

Angelus Domini...



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana