ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE MITGLIEDER DES KARDINALSKOLLEGIUMS UND
DER RÖMISCHEN KURIE BEIM TRADITIONELLEN WEIHNACHTSEMPFANG
Segnungsaula
Donnerstag, 23. Dezember 2021
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Liebe Brüder und Schwestern, guten Morgen!
Wie jedes Jahr haben wir die Gelegenheit, einige Tage vor dem Weihnachtsfest zusammenzukommen. Auf diese Weise können wir durch den Austausch von guten Wünschen unsere Geschwisterlichkeit sichtbar zum Ausdruck zu bringen; aber es ist auch eine Zeit des Nachdenkens und der Gewissenserforschung für jeden von uns, damit das Licht des fleischgewordenen Wortes uns immer besser zeigen kann, wer wir sind und was unsere Sendung ist.
Wir alle wissen es: das Weihnachtsgeheimnis ist das Geheimnis Gottes, der auf dem Weg der Demut in die Welt kommt. Es ist Fleisch geworden: jene große synkatabasis. Diese unsere Zeit scheint die Demut vergessen zu haben oder sie einfach zu einer Form von Moralismus degradiert zu haben, und hat ihr damit ihre eigentliche Sprengkraft genommen.
Aber wenn wir das ganze Geheimnis von Weihnachten in einem Wort ausdrücken müssten, dann glaube ich, dass das Wort Demut uns am meisten helfen kann. In den Evangelien wird von einer ärmlichen, einfachen Umgebung berichtet, die für eine Frau, die gebären soll, nicht geeignet ist. Doch der König der Könige kommt nicht in die Welt, indem er Aufmerksamkeit erregt, sondern indem er eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf die Herzen derer ausübt, die die überwältigende Gegenwart einer Neuheit spüren, die im Begriff ist, die Geschichte zu verändern. Daher gefällt es mir, mir vorzustellen und auch zu sagen, dass die Demut sein Eingangstor war, und er uns einlädt, uns alle, es zu durchschreiten. Mir kommt dabei jener Abschnitt der Exerzitien in den Sinn: man kommt nicht vorwärts ohne Demut, und man kann in der Demut nicht vorankommen ohne Demütigungen. Und der heilige Ignatius rät uns, um Demütigungen zu bitten.
Es ist nicht leicht zu verstehen, was Demut ist. Sie ist das Ergebnis einer Veränderung, die der Geist selbst in uns durch die Geschichte, die wir leben, bewirkt, wie es zum Beispiel bei Naaman, dem Syrer, der Fall war (vgl. 2 Kön 5). Zur Zeit des Propheten Elischa genoss diese Persönlichkeit ein hohes Ansehen. Er war ein tapferer General des aramäischen Heeres, der bei mehreren Gelegenheiten seine Tapferkeit und seinen Mut bewiesen hatte. Doch neben Ansehen, Stärke, Wertschätzung, Ehren und Ruhm muss dieser Mann auch mit einem schrecklichen Drama leben: Er ist aussätzig. Seine Rüstung, dieselbe Rüstung, die ihn berühmt macht, bedeckt in Wirklichkeit eine zerbrechliche, verwundete, kranke Menschennatur. Diesen Widerspruch finden wir oft in unserem eigenen Leben: Manchmal sind große Gaben der Panzer, der große Schwächen verdeckt.
Naaman begreift eine grundlegende Wahrheit: Man kann sich nicht sein Leben lang hinter einer Rüstung, einer Rolle, einer gesellschaftlichen Anerkennung verstecken: das schadet am Ende. Es kommt eine Zeit im Leben eines jeden Menschen, in der er den Wunsch verspürt, nicht mehr hinter dem Deckmantel des Ruhmes dieser Welt zu leben, sondern in der Fülle eines ehrlichen Lebens, das keine Rüstungen und Masken mehr benötigt. Dieser Wunsch treibt den tapferen Heerführer Naaman dazu an, sich auf die Suche nach jemandem zu machen, der ihm helfen kann, und er tut dies auf Anraten einer Sklavin, einer jüdischen Kriegsgefangenen, die von einem Gott erzählt, der in der Lage ist, solche Widersprüche zu heilen.
Nachdem er sich mit Silber und Gold eingedeckt hat, macht sich Naaman auf die Reise und kommt zu dem Propheten Elischa. Der Prophet verlangt von Naaman als einzige Bedingung für seine Genesung, dass er sich entkleidet und sieben Mal im Jordan wäscht. Kein Ansehen, keine Ehre, kein Gold und kein Silber! Die Gnade, die rettet, ist umsonst und kann nicht auf den Preis der Dinge dieser Welt reduziert werden.
Naaman wehrt sich gegen diese Bitte, sie erscheint ihm zu banal, zu einfach, zu leicht erfüllbar. Es scheint, dass die Kraft der Einfachheit keinen Platz in seiner Vorstellungswelt hatte. Aber die Worte seiner Diener bringen ihn dazu, seine Meinung zu ändern: »Wenn der Prophet etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst rein« (2 Kön 5,13). Naaman ergibt sich, und mit einer Geste der Demut „steigt er herab“, legt seine Rüstung ab und steigt in das Wasser des Jordans, und »da wurde sein Leib gesund wie der Leib eines Kindes und er war rein« (2 Kön 5,14). Die Lehre daraus ist großartig! Die Demut, das eigene Menschsein zu entblößen, bringt Naaman nach dem Wort des Herrn Heilung.
Die Geschichte von Naaman erinnert uns daran, dass Weihnachten eine Zeit ist, in der jeder von uns den Mut haben muss, seine Rüstung abzulegen, die Kleider seiner Rolle, seiner gesellschaftlichen Anerkennung, des Glanzes dieser Welt abzulegen und die Haltung der Demut und Bescheidenheit einzunehmen. Wir können dabei von einem stärkeren, überzeugenderen und verbindlicheren Beispiel ausgehen: dem des Gottessohnes, der sich nicht der Demut entzieht, in die Geschichte „hinabzusteigen“, indem er Mensch wird, indem er ein Kind wird, zerbrechlich, in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt (vgl. Lk 2,16). Ohne unsere Kleider, unsere Vorrechte, ohne die Rollen und Titel sind wir alle Aussätzige, wir alle, die der Heilung bedürfen. Weihnachten ist die lebendige Erinnerung an dieses Bewusstsein. Es hilft uns, das tiefer zu verstehen.
Liebe Brüder und Schwestern, wenn wir unsere Menschlichkeit vergessen, leben wir nur von den Ehren unserer Rüstung, aber Jesus erinnert uns an eine unbequeme und verstörende Wahrheit: „Was nützt es, die ganze Welt zu gewinnen, wenn du dich dabei selber verlierst?“ (vgl. Mk 8,36).
Das ist die gefährliche Versuchung - ich habe sie bei anderen Gelegenheiten in Erinnerung gerufen - der spirituellen Weltlichkeit, die im Gegensatz zu allen anderen Versuchungen schwer zu entlarven ist, weil sie von allem verdeckt wird, was uns normalerweise beruhigt: unsere Rolle, die Liturgie, die Lehre, die Religiosität. In Evangelii gaudium habe ich geschrieben: »In diesem Kontext wird die Ruhmsucht derer gefördert, die sich damit zufrieden geben, eine gewisse Macht zu besitzen, und lieber Generäle von geschlagenen Heeren sein wollen, als einfache Soldaten einer Schwadron, die weiterkämpft. Wie oft erträumen wir peinlich genaue und gut entworfene apostolische Expansionsprojekte, typisch für besiegte Generäle! So verleugnen wir unsere Kirchengeschichte, die ruhmreich ist, insofern sie eine Geschichte der Opfer, der Hoffnung, des täglichen Ringens, des im Dienst aufgeriebenen Lebens, der Beständigkeit in mühevoller Arbeit ist, denn jede Arbeit geschieht „im Schweiß unseres Angesichts“. Stattdessen unterhalten wir uns eitel und sprechen über „das, was man tun müsste“ – die Sünde des „man müsste tun“ – wie spirituelle Lehrer und Experten der Seelsorge, die einen Weg weisen, ihn selber aber nicht gehen. Wir pflegen unsere grenzenlose Fantasie und verlieren den Kontakt zu der durchlittenen Wirklichkeit unseres gläubigen Volkes« (Nr. 96).
Demut ist die Fähigkeit, unser Menschsein ohne Verzweiflung, mit Realismus, Freude und Hoffnung auszufüllen; dieses Menschsein, das vom Herrn geliebt und gesegnet wird. Demut bedeutet zu verstehen, dass wir uns unserer Schwäche nicht schämen müssen. Jesus lehrt uns, unser Elend mit der gleichen Liebe und Zärtlichkeit zu betrachten, mit der man ein kleines, zerbrechliches Kind ansieht, das alles braucht. Ohne Demut werden wir nach Bestätigungen suchen und sie vielleicht auch finden, aber wir werden gewiss nicht das finden, was uns rettet, was uns heilen kann. Die Bestätigungen sind die verdorbenste Frucht der spirituellen Weltlichkeit, die einen Mangel an Glauben, Hoffnung und Liebe offenbaren und zu einer Unfähigkeit werden, die Wahrheit der Dinge richtig zu erkennen und einzuordnen. Hätte Naaman nur weiter Medaillen für seine Rüstung gesammelt, wäre er schließlich von der Lepra verzehrt worden: scheinbar lebendig, ja, aber verschlossen und isoliert in seiner Krankheit. Er sucht mutig nach dem, was ihn retten kann, und nicht nach dem, was ihn unmittelbar zufriedenstellt.
Wir alle wissen, dass das Gegenteil der Demut der Stolz ist. Ein Vers des Propheten Maleachi, der mich sehr berührt; dieser Vers hilft uns, den Unterschied zwischen dem Weg der Demut und dem Weg des Stolzes zu verstehen: »Da werden alle Überheblichen und alle Frevler zu Spreu und der Tag, der kommt, wird sie verbrennen, spricht der Herr der Heerscharen. Weder Wurzel noch Zweig wird ihnen dann bleiben« (3,19).
Der Prophet verwendet ein anschauliches Bild, das den Stolz gut beschreibt: Stolz, sagt er, ist wie Stroh. Wenn dann das Feuer kommt, wird das Stroh zu Asche, es verbrennt, es verschwindet. Und er sagt uns auch, dass diejenigen, die sich auf ihren Stolz verlassen, des Wichtigsten beraubt werden, was wir haben: die Wurzeln und die Sprosse. Die Wurzeln erzählen von unserer lebendigen Verbindung mit der Vergangenheit, aus der wir schöpfen, um in der Gegenwart zu leben. Die Sprosse sind die Gegenwart, die nicht stirbt, sondern zum Morgen, zur Zukunft wird. In einer Gegenwart zu sein, die keine Wurzeln und keine Sprosse mehr hat, bedeutet, das Ende zu erleben. So hat der Stolze, eingeschlossen in seiner eigenen kleinen Welt, keine Vergangenheit und keine Zukunft, keine Wurzeln und keine Sprosse mehr und lebt mit dem bitteren Geschmack der unfruchtbaren Traurigkeit, die sich des Herzens bemächtigt als »der köstlichste von des Teufels Tränken«. [1] Im Gegenteil dazu lässt sich der demütige Mensch in seinem Leben beständig von zwei Worten leiten: sich erinnern – die Wurzeln – und Neues hervorbringen, Frucht aus den Wurzeln und aus den Sprossen, und so erlebt er die freudige Öffnung für die Fruchtbarkeit.
Erinnern bedeutet etymologisch „ins Innere zurückholen“, „er – innern“. Die lebendige Erinnerung an die Tradition, an unsere Wurzeln, ist kein Kult der Vergangenheit, sondern eine innere Geste, durch die wir uns beständig das zu Herzen nehmen, was uns vorausgegangen ist, was unsere Geschichte durchschritten hat, was uns bis hierher gebracht hat. Erinnern heißt nicht wiederholen, sondern etwas beherzigen, aufleben lassen und in Dankbarkeit der Kraft des Heiligen Geistes erlauben, dass unsere Herzen entbrennen, wie bei den ersten Jüngern (vgl. Lk 24,32).
Damit das Erinnern aber nicht zu einem Gefängnis der Vergangenheit wird, brauchen wir ein weiteres Wort: Neues hervorbringen. Der demütige Mensch – der demütige Mann, die demütige Frau – sorgt sich auch um die Zukunft, nicht nur um die Vergangenheit, denn er weiß, wie man in die Zukunft blickt, wie man auf die Sprossen schaut, mit einem Gedächtnis voller Dankbarkeit. Der bescheidene Mensch bringt hervor, lädt ein und drängt auf das Unbekannte zu. Der Stolze hingegen wiederholt, verhärtet sich – die Verhärtung ist eine Perversion, eine Perversion dieser Zeit – und verschließt sich in seiner Wiederholung, er fühlt sich sicher in dem, was er kennt, und fürchtet das Neue, weil er es nicht kontrollieren kann, er fühlt sich dadurch aus dem Gleichgewicht gebracht ... denn er hat sein Gedächtnis verloren.
Der demütige Mensch lässt sich in Frage stellen, öffnet sich dem Neuen und tut dies, weil er sich stark fühlt durch das, was ihm vorausgeht, durch seine Wurzeln, durch seine Zugehörigkeit. Seine Gegenwart ist von einer Vergangenheit durchdrungen, die ihn hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. Im Gegensatz zu den Stolzen weiß er, dass weder seine Verdienste noch seine „guten Gewohnheiten“ der Anfang und die Grundlage seiner Existenz sind; deshalb ist er fähig zu vertrauen. Der Stolze kann das nicht.
Wir alle sind zur Demut aufgerufen, denn wir sind aufgerufen, uns zu erinnern und Neues hervorzubringen, wir sind aufgerufen, die richtige Beziehung zu den Wurzeln und den Sprossen wiederzuentdecken. Ohne sie sind wir krank und dem Untergang geweiht.
Jesus, der auf dem Weg der Demut in die Welt kommt, eröffnet uns eine Spur, zeigt uns einen Stil, zeigt uns ein Ziel.
Liebe Brüder und Schwestern, wenn es wahr ist, dass man ohne Demut Gott nicht begegnen und das Heil nicht erfahren kann, dann ist es ebenso wahr, dass man ohne Demut seinem Nächsten, dem Bruder und der Schwester, die an unserer Seite leben, nicht begegnen kann.
Am vergangenen 17. Oktober haben wir den synodalen Prozess eröffnet, der uns für die nächsten zwei Jahre beschäftigen wird. Auch hier kann uns nur die Demut in die Lage versetzen, uns zu begegnen und zuzuhören, Dialog zu führen und zu unterscheiden. Um gemeinsam zu beten, wie der Kardinaldekan aufgezeigt hat. Wenn jeder in seinen eigenen Überzeugungen, in seinen eigenen Erfahrungen, in der Schale seiner eigenen Gefühle und Gedanken verschlossen bleibt, ist es schwierig, jener Erfahrung des Geistes Raum zu geben, die, wie der Apostel sagt, mit der Überzeugung verbunden ist, dass wir alle Kinder sind von demeinen »Gott und Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist« (Eph 4,6).
„Alle“ ist kein missverständliches Wort! Der Klerikalismus, der sich als – perverse – Versuchung täglich unter uns schleicht, lässt uns immer an einen Gott denken, der nur zu einigen wenigen spricht, während die anderen nur zuhören und ausführen müssen. Die Synode sucht die Erfahrung zu machen, dass wir uns alle als Glieder eines größeren Volkes empfinden: das heilige, gläubige Volk Gottes und somit Jünger, die zuhören und gerade durch dieses Zuhören auch den Willen Gottes verstehen können, der sich immer auf unvorhersehbare Weise zeigt. Es wäre jedoch falsch zu denken, dass die Synode ein Ereignis ist, das der Kirche als abstrakter Größe vorbehalten ist, die weit von uns entfernt ist. Synodalität ist ein Stil, zu dem vor allem wir, die wir hier sind und durch unsere Arbeit in der Römischen Kurie einen Dienst an der Weltkirche leben, uns bekehren müssen.
Und die Kurie – vergessen wir es nicht – ist nicht nur ein logistisches und bürokratisches Werkzeug für die Bedürfnisse der Weltkirche, sondern sie ist der erste Organismus, der zum Zeugnis berufen ist, und gerade deshalb gewinnt sie immer mehr an Maßgeblichkeit und Wirksamkeit, wenn sie die Herausforderungen der synodalen Umkehr, zu der auch sie berufen ist, selbst annimmt. Die Organisation, die wir umsetzen müssen, ist nicht betrieblicher Art, sondern folgt einer dem Evangelium gemäßen Art. Wenn also das Wort Gottes die ganze Welt an den Wert der Armut erinnert, müssen wir, die Mitglieder der Kurie, die Ersten sein, die sich zu einer Umkehr zur Nüchternheit verpflichten. Wenn das Evangelium Gerechtigkeit verkündet, müssen wir als Erste versuchen, transparent zu leben, ohne Begünstigungen und Seilschaften. Wenn die Kirche den Weg der Synodalität einschlägt, müssen wir die Ersten sein, die sich auf einen anderen Arbeitsstil, auf Zusammenarbeit, auf Gemeinschaft umstellen. Und dies ist nur über den Weg der Demut möglich. Ohne Demut können wir das nicht tun.
Bei der Eröffnung der Synodenversammlung habe ich drei Schlüsselbegriffe verwendet: Teilhabe, Gemeinschaft und Sendung. Sie entspringen aus einem demütigen Herzen. Ohne Demut kann man weder Teilhabe, noch Gemeinschaft oder Sendung erreichen. Diese Begriffe geben die drei Anforderungen wieder, die ich als einen Stil der Demut bezeichnen möchte, den wir hier in der Kurie anstreben sollten. Drei Weisen, den Weg der Demut konkret in die Praxis umzusetzen.
Zunächst einmal die Teilhabe. Diese sollte durch einen Stil der Mitverantwortung zum Ausdruck gebracht werden. Natürlich sind die Zuständigkeiten bei der Vielfalt der Rollen und Ämter unterschiedlich, aber es wäre wichtig, dass jeder spüren kann, an der Arbeit teilzuhaben und dafür mitverantwortlich zu sein, und nicht nur die entpersönlichende Erfahrung zu machen, ein von jemand anderem aufgestelltes Programm auszuführen. Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich in der Kurie auf Kreativität stoße – ich finde sie, und das gefällt mir –, und nicht selten zeigt sie sich vor allem dort, wo Raum für alle gelassen und gefunden wird, auch für diejenigen, die hierarchisch einen Platz am Rand einzunehmen scheinen. Ich danke für diese Vorbilder und ermutige euch, daran zu arbeiten, dass wir eine konkrete Dynamik entwickeln können, bei der jeder wahrnimmt, dass er aktiv an der Sendung beteiligt ist, die er zu erfüllen hat. Die Autorität wird zum Dienst, wenn sie teilt, einbezieht und hilft zu wachsen.
Das zweite Wort ist Gemeinschaft. Sie drückt sich nicht durch Mehrheiten oder Minderheiten aus, sondern entsteht im Wesentlichen aus einer Beziehung zu Christus. Wir werden nie einen dem Evangelium gemäßen Stil in unserem Umfeld erreichen, wenn wir nicht Christus wieder in den Mittelpunkt stellen, und nicht diese Gruppierung oder jene andere, nicht diese Meinung und nicht jene andere: Christus im Mittelpunkt. Viele von uns arbeiten zusammen, aber was die Gemeinschaft stärkt, ist auch die Möglichkeit, gemeinsam zu beten, dem Wort Gottes zuzuhören, Beziehungen aufzubauen, die über die bloße Arbeit hinausgehen, und die Bande des Guten zu stärken – Bande des Guten unter uns –, indem man sich gegenseitig hilft. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir nur Fremde sind, die zusammenarbeiten, Konkurrenten, die versuchen, eine bessere Stellung für sich zu erlangen, oder, schlimmer noch, dass dort, wo Beziehungen entstehen, diese eher in Richtung Komplizenschaft zugunsten persönlicher Interessen gehen, wobei die gemeinsame Sache, die uns zusammenhält, in Vergessenheit gerät. Komplizenschaft schafft Spaltungen, schafft Parteiungen und schafft Feinde; Zusammenarbeit erfordert die Größe, die eigene Unvollständigkeit zu akzeptieren und offen zu sein für Teamarbeit, auch mit denen, die nicht so denken wie wir. In der Komplizenschaft steht man zusammen, um ein äußeres Ergebnis zu erzielen. In der Zusammenarbeit steht man zusammen, weil einem das Wohl des anderen am Herzen liegt und damit das Wohl des ganzen Volkes Gottes, dem zu dienen wir berufen sind: Vergessen wir nicht das konkrete Gesicht der Menschen, vergessen wir nicht unsere Wurzeln, das konkrete Gesicht derer, die unsere ersten Lehrer im Glauben waren. Paulus sagte zu Timotheus: „Erinnere dich an deine Mutter, erinnere dich an deine Großmutter“.
Die Perspektive der Gemeinschaft bringt gleichzeitig die Anerkennung der Vielfalt mit sich, die uns als Gabe des Heiligen Geistes innewohnt. Wann immer wir von diesem Weg abkommen und Gemeinschaft und Gleichförmigkeit als Synonyme leben, schwächen wir die lebensspendende Kraft des Heiligen Geistes unter uns und bringen sie zum Schweigen. Die Haltung des Dienens verlangt und, ich würde sagen, sie fordert von uns den Großmut und die Großzügigkeit, den vielgestaltigen Reichtum des Volkes Gottes anzuerkennen und freudig zu leben; und ohne Demut ist dies nicht möglich. Mir tut es gut, den Anfang von Lumen gentium zu lesen, jene Nummern 8, 12 …: das heilige Volk, das Gott treu ist. Diese Wahrheiten durchzulesen ist Sauerstoff für die Seele.
Das dritte Wort ist Sendung. Sie bewahrt uns davor, uns in uns selbst zurückzuziehen. Wer sich in sich selbst zurückzieht, »schaut von oben herab und aus der Ferne, weist die Prophetie der Brüder ab, bringt den, der ihn in Frage stellt, in Misskredit, hebt ständig die Fehler der anderen hervor und ist besessen vom Anschein. Er hat den Bezugspunkt des Herzens verkrümmt auf den geschlossenen Horizont seiner Immanenz und seiner Interessen, mit der Konsequenz, dass er nicht aus seinen Sünden lernt, noch wirklich offen ist für Vergebung. Das sind die Zeichen einer verschlossenen Persönlichkeit: sie lernt nichts aus ihren Sünden und ist nicht offen für die Vergebung. Es ist eine schreckliche Korruption mit dem Anschein des Guten. Man muss sie vermeiden, indem man die Kirche in Bewegung setzt, dass sie aus sich herausgeht, in eine auf Jesus Christus ausgerichtete Mission, in den Einsatz für die Armen» (Evangelii Gaudium, 97). Nur ein für die Mission offenes Herz gewährleistet, dass alles, was wir ad intra und ad extra tun, immer von der regenerierenden Kraft des Rufes des Herrn geprägt ist. Und die Mission bringt immer eine Leidenschaft für die Armen mit sich, d.h. für die, die bedürftig sind: diejenigen, die nicht nur in materieller Hinsicht bedürftig sind, sondern auch in geistlicher, emotionaler und moralischer Hinsicht. Diejenigen, die nach Brot hungern, und diejenigen, die nach Sinn hungern, sind gleichermaßen arm. Die Kirche ist aufgefordert, allen Armen entgegenzugehen und allen das Evangelium zu verkünden, weil wir alle auf die eine oder andere Weise arm sind, weil wir bedürftig sind. Aber auch die Kirche geht ihnen entgegen, weil wir ihrer bedürfen: Uns fehlt ihre Stimme, ihre Anwesenheit, ihre Fragen und Diskussionen. Derjenige, der ein missionarisches Herz hat, spürt, dass sein Bruder ihm fehlt, und macht sich in der Haltung eines Bettlers auf den Weg, um ihm zu begegnen. Die Sendung macht uns verwundbar – das ist schön, die Sendung macht uns verwundbar –, sie hilft uns, uns daran zu erinnern, dass wir Jünger sind und ermöglicht uns, die Freude des Evangeliums immer wieder neu zu entdecken.
Teilhabe, Mission und Gemeinschaft sind die Merkmale einer demütigen Kirche, die auf den Geist hört und ihren Mittelpunkt außerhalb ihrer selbst setzt. Henri de Lubac sagte: »Wie ihr Herr erscheint die Kirche der Welt als Sklavin. Hienieden lebt sie „in Sklavengestalt“. […] So wenig wie eine Gelehrtenakademie ist sie ein Kreis von durchaus Vergeistigten oder eine Versammlung von Übermenschen. Sie ist sogar ganz das Gegenteil. Hinkende, Krüppel und allerlei Armselige wimmeln da umher, dazu die Menge der Mittelmäßigen […] Dagegen ist es schwierig – für den naturgemäßen Menschen vor der Umkehr seines innersten Denkens sogar unmöglich –, in einem solchen Umstand die Vollendung der Heilskenose und die anbetungswürdige Spur der „Demut Gottes“ zu entdecken«. [2]
Abschließend möchte ich euch und allen voran mir wünschen, dass wir uns von der Demut der Weihnacht, von der Demut der Krippe, der Armut und der Besinnung auf das Wesentliche, mit der der Sohn Gottes in die Welt gekommen ist, evangelisieren lassen. Selbst die Sterndeuter, von denen wir mit Gewissheit annehmen können, dass sie aus wohlhabenderen Verhältnissen stammten als Maria und Josef oder die Hirten von Betlehem, werfen sich angesichts des Kindes nieder (vgl. Mt 2,11). Sie werfen sich nieder. Es ist nicht nur eine Geste der Anbetung, es ist eine Geste der Demut. Die Sterndeuter stellen sich auf eine Stufe mit Gott, indem sie sich auf die bloße Erde niederwerfen. Und diese Kenosis, dieser Abstieg, diese synkatabasis ist dieselbe, die Jesus am letzten Abend seines irdischen Lebens vollziehen wird: »Er stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war« (vgl. Joh 13,4-5). Die Bestürzung, die diese Geste auslöst, ruft die Reaktion des Petrus hervor, aber schließlich gibt Jesus selbst seinen Jüngern den richtigen Verständnisschlüssel: »Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe« (Joh 13,13-15).
Liebe Brüder und Schwestern, erinnern wir uns an unseren Aussatz, meiden wir die Logik der Weltlichkeit, die uns die Wurzeln und Sprosse raubt, und lassen wir uns von der Demut des Jesuskindes evangelisieren. Nur wenn wir dienen und unsere Arbeit als Dienst verstehen, können wir wirklich für alle nützlich sein. Wir sind hier - ich als Erster - um zu lernen, niederzuknien und den Herrn in seiner Demut anzubeten und nicht andere Herren in ihrem leeren Prunk. Wir sind wie die Hirten, wir sind wie die Heiligen Drei Könige, wir sind wie Jesus. Das ist die Lehre von Weihnachten: Die Demut ist die große Voraussetzung für den Glauben, für das geistliche Leben, für die Heiligkeit. Möge der Herr uns diese Gabe geben, ausgehend vom anfänglichen Zeichen des Geistes in uns: dem Verlangen. Was wir nicht haben, können wir zumindest anfangen zu verlangen. Und den Herrn um die Gnade bitten, verlangen zu können, Männer und Frauen zu werden mit großem Verlangen. Und das Verlangen ist bereits der Geist, der in jedem von uns wirkt.
Frohe Weihnachten an alle! Und bitte, betet für mich. Danke!
Als Erinnerung an dieses Weihnachtsfest möchte ich euch ein paar Bücher zurücklassen … Um sie zu lesen, nicht um sie in die Bibliothek zu stellen für unsere Angehörigen, die einmal unser Erbe erhalten! Als Erstes ist da ein Buch eines großen Theologen, der unbekannt ist, weil er viel zu demütig ist, ein Untersekretär der Glaubenskongregation, Monsignore Armando Matteo, der ein wenig über ein soziales Phänomen nachdenkt und wie man die Seelsorgetätigkeit anstoßen kann. Das Buch heißt Convertire Peter Pan. Sul destino della fede in questa società dell’eterna giovinezza („Peter Pan bekehren. Über das Schicksal des Glaubens in dieser Gesellschaft der ewigen Jugend“). Es ist provokativ, aber das tut gut. Das zweite Buch handelt von biblischen Personen, die als zweitrangig oder vergessen gelten. Es ist von Pater Luigi Maria Epicoco geschrieben und trägt den Titel La pietra scartata („Der verworfene Stein“) mit dem Untertitel Quando i dimenticati si salvano („Wann die Vergessenen erlöst werden“). Ein schönes Buch. Es eignet sich zum Meditieren und zum Beten. Als ich es las, kam mir die Geschichte von Naaman, dem Syrer, in den Sinn, die ich vorhin erwähnt habe. Und das dritte Buch ist von einem Apostolischen Nuntius, Erzbischof Fortunatus Nwachukwu, den ihr gut kennt. Er hat eine Reflexion über den „Klatsch und Tratsch“ geschrieben. Es gefällt mir das Bild, das er dabei zeichnet: dass das Gerede dazu führt, dass sich die Identität der Person „auflöst“. Ich lasse euch diese drei Bücher und hoffe, dass sie allen hilfreich sind, den Horizont zu erweitern. Danke! Danke für euren Einsatz und eure Mitarbeit. Danke.
Und bitten wir die Mutter der Demut, uns zu lehren, wie man demütig ist: „Gegrüßet seist Du Maria …“
[Segen]
[1] G. Bernanos, Tagebuch eines Landpfarrers, Einsiedeln 2007, S. 131.
[2] Betrachtung über die Kirche, Graz 1954, 211.
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