ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
BEIM NEUJAHRSEMPFANG FÜR DAS DIPLOMATISCHE KORPS
Sala Regia
Donnerstag, 9. Januar 2020
Exzellenzen, meine Damen und Herren,
ein neues Jahr liegt offen vor uns, und wie die ersten Laute eines neugeborenen Kindes lädt es uns zur Freude und zu einer Haltung der Hoffnung ein. Ich möchte, dass dieses Wort – Hoffnung –, das für die Christen eine Grundtugend ist, den Blick belebt, mit dem wir in die Zeit, die uns erwartet, eintreten.
Gewiss, das Hoffen erfordert Realismus. Es erfordert ein Bewusstsein für die vielen Fragen, die unsere Zeit bewegen, und die Herausforderungen, die sich am Horizont abzeichnen. Es verlangt, dass wir Probleme beim Namen nennen und den Mut haben, uns ihnen zu stellen. Es verlangt, dass wir nicht vergessen, dass die menschliche Gemeinschaft die Zeichen und die Wunden der Kriege, die im Laufe der Zeit mit wachsender Zerstörungskraft aufeinander gefolgt sind, trägt und dass sie nicht aufhören, besonders die Ärmsten und Schwächsten zu treffen[1]. Leider scheint das neue Jahr nicht gerade voll von ermutigenden Zeichen zu sein, sondern die Spannungen und die Gewalt scheinen sich zu verschärfen.
Doch gerade angesichts dieser Umstände dürfen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Und Hoffen erfordert Mut. Es verlangt das Bewusstsein, dass das Böse, das Leid und der Tod nicht siegen werden und dass selbst die komplexesten Fragen angegangen und gelöst werden können und müssen. Die Hoffnung ist »die Tugend, die uns aufbrechen lässt, die uns die Flügel verleiht, um weiterzugehen, selbst dann, wenn die Hindernisse unüberwindlich scheinen«[2].
In diesem Sinne begrüße ich Sie heute, liebe Botschafterinnen und Botschafter, um Ihnen meine besten Wünsche für das neue Jahr zu übermitteln. Ich danke in besonderer Weise dem Doyen des Diplomatischen Korps, S.E. Herrn George Poulides, dem Botschafter von Zypern, für die herzlichen Worte, die er in Ihrer aller Namen an mich gerichtet hat, und ich bin Ihnen dankbar für Ihre so zahlreiche und bedeutende Anwesenheit sowie für den Einsatz, den Sie jeden Tag für die Festigung der Beziehungen leisten, die den Heiligen Stuhl mit Ihren Ländern sowie mit Ihren internationalen Organisationen zugunsten eines friedlichen Zusammenlebens der Völker verbinden.
Der Frieden und die ganzheitliche menschliche Entwicklung sind in der Tat das Hauptziel des diplomatischen Engagements des Heiligen Stuhls. Die Bemühungen des Staatssekretariats und der Dikasterien der Römischen Kurie wie auch der Päpstlichen Repräsentanten sind darauf ausgerichtet, und ich danke ihnen allen für die Hingabe, mit der sie die ihnen anvertraute doppelte Aufgabe erfüllen, den Papst sowohl den Ortskirchen als auch Ihren Regierungen gegenüber zu vertreten.
In diesem Zusammenhang sind auch die im vergangenen Jahr unterzeichneten oder ratifizierten Abkommen allgemeiner Art mit der Republik Kongo, mit der geschätzten Zentralafrikanischen Republik, mit Burkina Faso und Angola zu sehen, wie auch die Übereinkunft zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik Italien zur Umsetzung des Übereinkommens von Lissabon über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich der europäischen Region.
Auch die apostolischen Reisen sind für den Nachfolger des Apostels Petrus nicht nur eine besondere Gelegenheit, seine Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken, sie bieten auch Gelegenheit zur Weiterführung des Dialogs auf politischer und religiöser Ebene. Im Jahr 2019 hatte ich die Gelegenheit zu verschiedenen wichtigen Besuchen. Ich möchte mit Ihnen diese Stationen nochmals durchgehen und die Gelegenheit nutzen, einen weiteren Blick auf einige Probleme unserer Zeit zu werfen.
Anfang letzten Jahres, anlässlich des 34. Weltjugendtages, traf ich in Panama junge Menschen aus den fünf Kontinenten, die voller Träume und Hoffnungen waren und sich dort versammelt hatten, um zu beten und den Wunsch und die Verpflichtung, eine menschlichere Welt zu schaffen, neu zu beleben[3]. Es ist immer eine Freude und eine große Chance, junge Menschen zu treffen. Sie sind die Zukunft und die Hoffnung unserer Gesellschaften, aber auch ihre Gegenwart.
Doch wie schmerzlich bekannt ist, haben nicht wenige Erwachsene, darunter auch etliche Mitglieder des Klerus, sich schwerster Verbrechen gegen die Würde von Jugendlichen, Kindern und Heranwachsenden schuldig gemacht, indem sie deren Unschuld und ihr Innerstes verletzt haben. Das sind Verbrechen, die Gott beleidigen, den Opfern physischen, psychischen und spirituellen Schaden zufügen und das Leben ganzer Gemeinschaften schädigen[4]. Im Anschluss an die Begegnung mit den Bischöfen der ganzen Welt, die ich im Februar letzten Jahres im Vatikan einberufen habe, erneuert der Heilige Stuhl seine Verpflichtung, die begangenen Missbrauchsfälle aufzuklären und den Schutz der Minderjährigen zu gewährleisten, und zwar durch eine breite Palette von Normen, die es ermöglichen, diese Fälle kirchenrechtlich wie auch durch die Zusammenarbeit mit den staatlichen Behörden auf nationaler und internationaler Ebene zu behandeln.
Angesichts solch schwerwiegender Verletzungen ist es jedoch umso dringlicher, dass die Erwachsenen sich nicht dem ihnen zukommenden Erziehungsauftrag entziehen, sondern sich mit größerem Eifer dieser Aufgabe stellen, um die Jugendlichen zu geistlicher, menschlicher und sozialer Reife zu führen.
Aus diesem Grund möchte ich für eine internationale Veranstaltung am 14. Mai diesen Jahres werben, die eine Wiederherstellung des globalen Bildungspakts zum Thema hat. Es handelt sich dabei um »ein Treffen zur Wiederbelebung des Engagements für und mit den jungen Menschen, bei dem die Begeisterung für eine offenere und integrativere Bildung, die fähig ist, geduldig zuzuhören, einen konstruktiven Dialog und gegenseitiges Verständnis zu fördern, erneuert wird. Noch nie zuvor war es so notwendig, die Bemühungen in einem breiten Bildungsbündnis zu vereinen, um reife Menschen zu formen, die in der Lage sind, Spaltungen und Gegensätze zu überwinden und das Gefüge der Beziehungen für eine geschwisterlichere Menschheit wiederherzustellen.«[5]
Jede Veränderung, wie auch dieser epochaler Wandel, in dem wir uns befinden, erfordert einen Bildungsprozess, die Errichtung eines Dorfes der Bildung[6], das ein Netzwerk menschlicher und offener Beziehungen schafft. Ein solches Dorf muss den Menschen in den Mittelpunkt stellen, Kreativität und Verantwortung für eine langfristige Entwicklung fördern und Menschen heranbilden, die bereit sind, sich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen.
Es bedarf daher eines Bildungskonzepts, das die vielfältigen Lebenserfahrungen und Lernprozesse umfasst und die jungen Menschen als Einzelne und als Gemeinschaft in die Lage versetzt, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Bildung geschieht nicht nur in den Klassenzimmern der Schulen oder in den Hörsälen der Universitäten, sondern wird in erster Linie durch die Achtung und Stärkung des primären Rechts der Familie, ihre Kinder zu erziehen und des Rechts der Kirchen und sozialen Gruppen, die Familien bei der Erziehung ihrer Kinder zu unterstützen, gewährleistet.
Erziehung erfordert einen aufrichtigen und ehrlichen Dialog mit den Jugendlichen. Sie sind es vor allem, die uns auf die Dringlichkeit jener Solidarität zwischen den Generationen aufmerksam machen, die in den letzten Jahren leider abhandengekommen ist. Tatsächlich besteht in vielen Teilen der Welt die Tendenz, sich in sich selbst zu verschließen und erworbene Rechte und Privilegien zu schützen; eine Tendenz, die Welt nur innerhalb eines begrenzten Horizonts zu begreifen, der die alten Menschen mit Gleichgültigkeit behandelt und vor allem keinen Raum mehr für das entstehende Leben bietet. Die allgemeine Überalterung eines Teils der Weltbevölkerung, insbesondere im Westen, macht dies auf traurige und sinnbildliche Weise sichtbar.
Einerseits dürfen wir nicht vergessen, dass die Jugendlichen auf das Wort und das Beispiel der Erwachsenen warten, andererseits aber müssen wir uns gleichzeitig bewusst sein, dass sie mit ihrem Enthusiasmus, ihrem Engagement und ihrem Durst nach Wahrheit viel zu bieten haben, denn dadurch erinnern sie uns beständig daran, dass die Hoffnung keine Utopie ist und Frieden immer möglich ist.
Wir haben dies an der Art und Weise gesehen, mit der sich viele junge Menschen dafür engagieren, das Bewusstsein für den Klimawandel bei den politisch Verantwortlichen zu erhöhen. Die Sorge um unser gemeinsames Haus muss allen ein Anliegen sein und darf nicht zum Gegenstand ideologischer Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Wirklichkeitsauffassungen sein, und noch weniger zwischen den Generationen, denn »im Kontakt mit der Natur« – daran erinnerte Benedikt XVI. – »findet der Mensch seine rechte Dimension wieder; er entdeckt sich von neuem als kleines aber zugleich einzigartiges Geschöpf, das „gottfähig“ ist, weil es in seinem Inneren für den Unendlichen offen ist«[7]. Die Bewahrung des Lebensraumes, der uns vom Schöpfer geschenkt wurde, kann daher weder vernachlässigt noch als ein elitäres Problem heruntergespielt werden. Die Jugendlichen sagen uns, dass dies nicht so sein kann, denn es gibt eine dringende Herausforderung auf allen Ebenen, unser gemeinsames Haus zu schützen und »die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen«[8]. Sie erinnern uns an die dringenden Notwendigkeit einer ökologischen Umkehr, die »ganzheitlich zu verstehen [ist], als eine Veränderung unserer Beziehungen zu unseren Schwestern und Brüdern, zu den anderen Lebewesen, zur Schöpfung in ihrer so reichen Vielfalt und zum Schöpfer, dem Urgrund allen Lebens«[9].
Leider scheint die Dringlichkeit dieser ökologischen Umkehr von der internationalen Politik nicht erfasst worden zu sein, denn ihre Antwort auf die Probleme, die durch globale Fragen wie den Klimawandel entstehen, ist noch sehr schwach und sehr besorgniserregend. Die 25. UN-Klimakonferenz (COP25), die im Dezember letzten Jahres in Madrid stattfand, ist ein ernstes Alarmzeichen hinsichtlich der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft, das Phänomen der globalen Erwärmung weise und wirksam anzugehen. Dies erfordert eine kollektive Antwort, die in der Lage ist, das Gemeinwohl über Einzelinteressen zu stellen.
Diese Überlegungen lenken unsere Aufmerksamkeit wieder auf Lateinamerika, insbesondere auf die Sonderversammlung der Bischofssynode für die Amazonas-Region, die im vergangenen Oktober im Vatikan stattfand. Die Synode war ein im Wesentlichen kirchliches Ereignis, bewegt von dem Wunsch, auf die Hoffnungen und Herausforderungen der Kirche im Amazonasgebiet zu hören und neue Wege zur Verkündigung des Evangeliums an das Volk Gottes, besonders an die indigenen Völker, zu eröffnen. Dennoch kam die Synodenversammlung nicht umhin, ausgehend von einer ganzheitlichen Ökologie auch andere Themen anzusprechen, die das Leben in dieser Region betreffen, die so groß und wichtig für die ganze Welt ist, denn »der Urwald Amazoniens ist das „biologische Herz“ der Erde, das mehr und mehr bedroht wird«[10].
Besorgniserregend ist neben der Situation im Amazonasgebiet auch die Zunahme politischer Krisen in einer wachsenden Zahl von Ländern des amerikanischen Kontinents mit Spannungen und ungewöhnlichen Formen der Gewalt, die soziale Konflikte verschärfen und schwerwiegende sozioökonomische und humanitäre Folgen nach sich ziehen. Die immer stärkeren Polarisierungen tragen nicht dazu bei, die realen und dringenden Probleme der Bürger, insbesondere der ärmsten und schwächsten, zu lösen. Ebenso wenig vermag das die Gewalt, die aus keinem Grund als Mittel zum Umgang mit politischen und sozialen Problemen eingesetzt werden darf. An dieser Stelle möchte ich besonders an Venezuela erinnern, auf dass die Bemühungen um Lösungen nicht nachlassen.
Auch wenn den Konflikten in Südamerika unterschiedliche Ursachen zugrunde liegen, haben sie generell doch die starke Ungleichheit, die Ungerechtigkeit und eine endemische Korruption, sowie verschiedene Formen der Armut, die die Würde der Menschen verletzen, gemeinsam. Die politisch Verantwortlichen müssen sich daher dringend um die Wiederherstellung einer Kultur des Dialogs zum Wohle der Allgemeinheit und um die Stärkung der demokratischen Institutionen wie auch um die Förderung der Achtung der Rechtsstaatlichkeit bemühen, um antidemokratische, populistische und extremistische Tendenzen zu verhindern.
Meine zweite Reise im Jahr 2019 führte mich in die Vereinigten Arabischen Emirate, was der erste Besuch eines Nachfolgers Petri auf der Arabischen Halbinsel war. In Abu Dhabi unterzeichnete ich mit dem Großimam von Al-Azhar Ahmad Al-Tayyib das Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. Es handelt sich dabei um einen wichtigen Text, der darauf abzielt, das gegenseitige Verständnis zwischen Christen und Muslimen und das Zusammenleben in zunehmend multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften zu fördern. Indem dieses Dokument es scharf verurteilt »den Namen Gottes zu benutzen, um Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen«[11], erinnert es nämlich an die Bedeutung einer Auffassung von Bürgerrecht, die »auf der Gleichheit der Rechte und Pflichten [beruht], unter deren Schutz alle die gleiche Gerechtigkeit genießen«[12]. Dies erfordert eine Achtung der Religionsfreiheit und ein Bemühen, auf die diskriminierende Verwendung des Begriffs „Minderheiten“ zu verzichten, der den Keim des Gefühls der Isolation und Minderwertigkeit in sich trägt und den Boden für Feindseligkeit und Zwietracht bereitet, da er Bürger aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit diskriminiert[13]. Zu diesem Zweck ist es besonders wichtig, die künftigen Generationen im interreligiösen Dialog zu schulen, der den besten Zugang zum Kennenlernen und Verstehen und zur gegenseitigen Unterstützung zwischen Angehörigen verschiedener Religionen darstellt.
Frieden und Hoffnung standen auch im Mittelpunkt meines Besuchs in Marokko, wo ich mit Seiner Majestät König Mohammed VI. einen gemeinsamen Appell zu Jerusalem unterzeichnete, »in Anerkennung der Einzigartigkeit und Sakralität Jerusalems / Al Qods Acharifs und im Anliegen seiner geistlichen Bedeutung und seiner besonderen Berufung als Stadt des Friedens«[14]. Und wenn von Jerusalem die Rede ist, einer Stadt, die den Gläubigen der drei monotheistischen Religionen am Herzen liegt und die dazu berufen ist, ein symbolischer Ort der Begegnung und des friedlichen Zusammenlebens zu sein, wo gegenseitiger Respekt und Dialog gepflegt werden[15], denke ich zwangsläufig an das ganze Heilige Land, um an die Dringlichkeit zu erinnern, dass die gesamte internationale Gemeinschaft mit Mut und Aufrichtigkeit und unter Achtung des Völkerrechts ihre Verpflichtung zur Unterstützung des israelisch-palästinensischen Friedensprozesses erneut bekräftigt.
Ein beständigeres und wirksameres Engagement der internationalen Gemeinschaft ist auch in anderen Teilen des Mittelmeerraums und des Nahen Ostens dringender denn je. Ich beziehe mich in erster Linie auf den Mantel des Schweigens, der den Krieg zu verdecken droht, der Syrien im Laufe des letzten Jahrzehnts verwüstet hat. Es ist von besonderer Dringlichkeit, angemessene und weitsichtige Lösungen zu finden, die es dem vom Krieg erschöpften geliebten syrischen Volk ermöglichen, zum Frieden zurückzufinden und mit dem Wiederaufbau des Landes zu beginnen. Der Heilige Stuhl begrüßt jede Initiative, die darauf abzielt, die Grundlagen für die Lösung des Konflikts zu schaffen, und spricht Jordanien und dem Libanon erneut seinen Dank dafür aus, dass dort – unter nicht geringen Opfern – tausende syrischer Flüchtlinge aufgenommen und versorgt wurden. Leider führen neben den Anstrengungen zur Aufnahme der Flüchtlinge auch andere Faktoren wirtschaftlicher und politischer Unsicherheit im Libanon und in anderen Staaten zu Spannungen in der Bevölkerung und gefährden die fragile Stabilität des Nahen Ostens zusätzlich.
Besorgniserregend sind vor allem die Signale, die infolge der wachsenden Spannung zwischen dem Iran und den Vereinigten Staaten aus der ganzen Region kommen und vor allem den langsamen Prozess des Wiederaufbaus des Irak gefährden, wenn daraus nicht sogar die Basis eines umfangreichen Konflikts entsteht, den wir alle verhindern möchten. Ich erneuere daher meinen Appell an alle Beteiligten, man möge eine weitere Eskalation vermeiden und unter voller Achtung der internationalen Rechtsordnung »die Flamme des Dialogs und der Selbstbeherrschung«[16] am Brennen halten.
Meine Gedanken richten sich auch auf den Jemen, der in einem Klima allgemeiner Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft eine der schwersten humanitären Krisen der jüngeren Geschichte durchlebt, und sie gehen nach Libyen, das sich seit vielen Jahren in einer konfliktträchtigen Situation befindet, die sich durch das Eindringen extremistischer Gruppen und einer weiteren Verschärfung der Gewalt in den letzten Tagen verstärkt hat. Ein solches Umfeld ist ein fruchtbarer Boden für die Geißel der Ausbeutung und den Menschenhandel, der von skrupellosen Menschen genährt wird, die die Armut und das Leiden derer ausnutzen, die vor Konflikten oder extremer Armut fliehen. Viele von ihnen enden als Beute echter organisierter Kriminalität, die sie unter unmenschlichen und erniedrigenden Bedingungen wie auch unter Folter, sexueller Gewalt und Erpressung gefangen halten.
Generell ist festzustellen, dass es weltweit mehrere Tausend Menschen mit berechtigtem Asylbegehren gibt, die nachweislich humanitärer Hilfe und des Schutzes bedürfen, die aber nicht ausreichend identifiziert werden. Viele riskieren ihr Leben auf gefährlichen Reisen zu Land und vor allem zu Wasser. Mit Schmerz sehen wir weiterhin, dass das Mittelmeer ein großer Friedhof bleibt[17]. Es wird daher immer dringlicher, dass alle Staaten Verantwortung für dauerhafte Lösungen übernehmen.
Der Heilige Stuhl blickt seinerseits mit großer Hoffnung auf die Bemühungen vieler Länder, die Last der Wiedereingliederung von Migranten mitzutragen und ihnen, insbesondere den aus humanitären Notlagen geflüchteten, einen sicheren Ort zum Leben, zur Ausbildung, zur Arbeit sowie zur Familienzusammenführung zu bieten.
Liebe Botschafterinnen und Botschafter,
auf meinen Reisen im vergangenen Jahr konnte ich auch drei Länder Osteuropas besuchen, zunächst Bulgarien und Nordmazedonien und dann Rumänien. Es handelt sich um drei unterschiedliche Länder, denen jedoch gemeinsam ist, dass sie im Laufe der Jahrhunderte Brücken zwischen Ost und West und Kreuzungspunkte von verschiedenen Kulturen, Ethnien und Zivilisationen waren. Bei diesen Besuchen konnte ich einmal mehr erleben, wie wichtig der Dialog und die Kultur der Begegnung sind, um friedliche Gesellschaften aufzubauen, in denen jeder seine ethnische und religiöse Zugehörigkeit frei zum Ausdruck bringen kann.
Stets im Zusammenhang mit Europa möchte ich darauf hinweisen, wie wichtig es ist, den Dialog und die Beachtung der internationalen Rechtsordnung zu unterstützen, um die festgefahrenen Konflikte auf dem Kontinent zu lösen, von denen manche schon Jahrzehnte fortdauern. Sie erfordern eine Lösung, angefangen bei der Lage auf dem Westbalkan und im Südkaukasus, darunter Georgien. An dieser Stelle möchte ich ferner die Unterstützung des Heiligen Stuhls für die Verhandlungen zur Wiedervereinigung Zyperns zum Ausdruck bringen. Sie würde die Zusammenarbeit in der Region verstärken und die Stabilität des ganzen Mittelmeerraumes begünstigen. Desgleichen ist es mir ein Anliegen, die Versuche zur Lösung des Konflikts in der Ostukraine und zur Beendigung des Leids der dortigen Bevölkerung zu würdigen.
Der Dialog – und nicht die Waffen – ist das wesentliche Mittel, um die Auseinandersetzungen zu lösen. Diesbezüglich möchte ich hier den Beitrag erwähnen, den zum Beispiel die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Ukraine geleistet hat. Eben in diesem Jahr wird der 45. Jahrestag der Schlussakte von Helsinki begangen, mit der die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) abgeschlossen wurde, die 1973 zur Förderung der Entspannung und Zusammenarbeit zwischen den Ländern West- und Osteuropas im damals noch durch den Eisernen Vorhang geteilten Kontinent eröffnet wurde. Es handelte sich um eine wichtige Etappe eines Prozesses, der auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs begonnen wurde und der im Konsens und Dialog ein wesentliches Mittel für die Lösung von Auseinandersetzungen erblickte.
Bereits 1949 wurde in Westeuropa mit der Gründung des Europarates und der späteren Annahme der Europäischen Menschenrechtskonvention der Grundstein für den europäischen Integrationsprozess gelegt. Die Erklärung des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman vom 9. Mai 1950 stellte hierfür einen Grundpfeiler dar. Schuman sagte: »Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.« Die Gründerväter des modernen Europa waren sich bewusst, dass sich der Kontinent nur dann von den Wunden des Krieges und von den neuen fortdauernden Spaltungen erholen konnte, wenn Ideale und Ressourcen in einem schrittweisen Prozess gemeinsam geteilt wurden.
Der Heilige Stuhl hat das europäische Projekt von seinen ersten Jahren an mit Interesse verfolgt. Dieses Jahr sind es fünfzig Jahre, dass der Heilige Stuhl als Beobachter beim Europarat vertreten ist und auch diplomatische Beziehungen mit den damaligen Europäischen Gemeinschaften aufgenommen wurden. Es handelt sich um ein Interesse, das die Idee eines inklusiven Aufbaus unterstreichen will, der von einem partizipativen und solidarischen Geist beseelt ist und der aus Europa im Zeichen seiner zugrundeliegenden gemeinsamen Werte ein Beispiel an Aufnahme und sozialer Gerechtigkeit machen kann. Das europäische Projekt ist weiterhin eine wesentliche Garantie der Entwicklung für alle, die seit längerem daran teilnehmen, und stellt für jene Länder, die eine Teilnahme anstreben, nach turbulenten Konflikten und Verwundungen eine Gelegenheit zum Frieden dar.
Europa möge also seinen Sinn für Solidarität, der es über Jahrhunderte, auch in seinen ganz schwierigen Momenten, ausgezeichnet hat, nicht verlieren. Es möge nicht den Geist verlieren, der unter anderem in der römischen pietas und in der christlichen caritas wurzelt, welche die Seele der europäischen Völker gut beschreiben. Der Brand der Kathedrale von Notre Dame in Paris hat gezeigt, wie brüchig und leicht zerstörbar auch das ist, was solide scheint. Die Schäden an einem Gebäude, das nicht nur den Katholiken teuer ist, sondern für ganz Frankreich und die gesamte Menschheit von Bedeutung ist, haben die Frage nach den geschichtlichen und kulturellen Werten Europas und seiner Wurzeln neu geweckt. In einem Kontext, wo Richtwerte fehlen, ist es einfacher, Elemente der Spaltung als des Zusammenhalts zu finden.
Der dreißigste Jahrestag des Falls der Berliner Mauer hat uns wieder eines der erschütterndsten Symbole der jüngeren Geschichte des Kontinents vor Augen geführt und zugleich daran erinnert, wie leicht es ist, Barrieren zu errichten. Die Berliner Mauer bleibt ein Sinnbild für eine Kultur der Teilung, die Menschen voneinander entfernt und dem Extremismus und der Gewalt die Türen öffnet. Wir sehen dies immer mehr an der Sprache des Hasses, die im Internet und in den sozialen Kommunikationsmitteln weite Verbreitung findet. Den Barrieren das Hasses ziehen wir die Brücken der Versöhnung und der Solidarität vor, gegenüber dem, was Entfernung schafft, bevorzugen wir das, was Annäherung bringt. Denn wir sind uns bewusst, dass, wie vor hundert Jahren mein Vorgänger Benedikt XV. schrieb, »sich kein Friede festigen kann […] wenn nicht gleichzeitig Hass und Groll durch eine auf gegenseitiger Nächstenliebe gegründete Versöhnung besänftigt werden«[18].
Liebe Botschafterinnen und Botschafter,
Zeichen des Friedens und der Versöhnung konnte ich während meiner Reise nach Afrika erblicken, wo die Freude derer ersichtlich scheint, die sich gemeinsam als Volk fühlen und die täglichen Strapazen in einem Geist des Miteinanders anpacken. Ich habe die konkrete Hoffnung in zahlreichen ermutigenden Handlungen erlebt, angefangen bei den weiteren Fortschritten, die in Mozambik mit der Unterzeichnung des Abkommens vom vergangenen 1. August zur endgültigen Einstellung der Feindseligkeiten erzielt wurden.
In Madagaskar konnte ich feststellen, dass es möglich ist, Sicherheit zu schaffen, wo Unsicherheit herrschte, Hoffnung zu sehen, wo man nur Schicksalsergebenheit vorfand, Leben zu erkennen, wo viele Tod und Zerstörung ankündigten.[19] Hierzu sind die Familie und der Gemeinschaftssinn notwendig, der es erlaubt, das Grundvertrauen herzustellen, das die Basis jeder menschlichen Beziehung bildet. Auf Mauritius habe ich bemerkt, »wie die verschiedenen Religionsgemeinschaften […] entsprechend ihren jeweiligen Identitäten zusammenarbeiten, um zum sozialen Frieden beizutragen und den transzendenten Wert des Lebens gegen jede Art von Relativismus in Erinnerung zu halten«[20]. Ich vertraue darauf, dass die Begeisterung, die ich während meiner Reise mit Händen greifen konnte, in der Gastfreundschaft sowie in Projekten zur Förderung der sozialen Gerechtigkeit weiter konkret Gestalt annimmt und Mechanismen der der Abschottung vermeidet.
Wenn wir den Blick auf andere Teile des Kontinents lenken, schmerzt es hingegen festzustellen, wie Vorfälle der Gewalt gegen Unschuldige – darunter viele Christen, die wegen ihrer Treue zum Evangelium verfolgt und getötet werden – weitergehen, insbesondere in Burkina Faso, Mali, Niger und Nigeria. Ich fordere die internationale Gemeinschaft auf, die Anstrengungen dieser Länder im Kampf zur Überwindung der Plage des Terrorismus, der immer mehr in ganzen Teilen Afrikas wie auch in anderen Regionen der Welt Blut fließen lässt, zu unterstützen. Im Licht dieser Ereignisse ist es notwendig, dass Strategien umgesetzt werden, die nicht nur Maßnahmen im Sicherheitsbereich beinhalten, sondern auch im Hinblick auf die Armutsreduzierung, auf die Verbesserung des Gesundheitswesens, auf die humanitäre Entwicklung und Fürsorge, auf die Förderung der good governance und der Bürgerrechte. Dies sind die Pfeiler einer echten sozialen Entwicklung.
Gleichfalls müssen die Initiativen gestärkt werden, welche die Brüderlichkeit zwischen allen Formen kultureller, ethnischer und religiöser Art auf dem Kontinent fördern, vor allem am Horn von Afrika, in Kamerun sowie in der Demokratischen Republik Kongo, wo besonders in den östlichen Regionen des Landes die Gewalt anhält. Die Konfliktsituationen und die humanitären Notlagen, verschärft durch klimatisch bedingte Verwüstungen, erhöhen die Zahl der Vertriebenen und wirken sich auf die Menschen aus, die bereits in schwerer Armut leben. Viele der von diesen Situationen betroffenen Länder haben keine angemessenen Strukturen, die es ihnen erlauben würden, den Bedürfnissen der Vertriebenen entgegenzukommen.
Diesbezüglich möchte ich hervorheben, dass es leider noch keine konsequente internationale Antwort gibt, um dem Phänomen der Binnenvertreibung entgegenzutreten. Zum Großteil harrt sie nämlich einer gemeinsamen internationalen Definition, da sie innerhalb nationaler Grenzen erfolgt. Das Ergebnis ist, dass die Binnenvertriebenen nicht immer den Schutz erhalten, den sie verdienen, und von der Politik des Staates, in dem sie sich befinden, wie auch von seiner Fähigkeit, darauf zu reagieren, abhängen.
Vor kurzem wurde die Arbeit des United Nations High-Level Panel on Internal Displacement aufgenommen, die, wie ich hoffe, die globale Aufmerksamkeit und Unterstützung für die Vertriebenen fördern und zugleich konkrete Empfehlungen entwickeln kann.
Unter diesem Blickwinkel schaue ich auch auf den Sudan in der Hoffnung, dass seine Bürger in Frieden und Wohlergehen leben können und am demokratischen Aufbau und wirtschaftlichen Wachstum mitwirken können; ferner auf die Zentralafrikanische Republik, wo letzten Februar ein globales Abkommen zur Beendigung des seit über fünf Jahren andauernden Bürgerkrieges unterzeichnet wurde; wie auch auf den Südsudan, den ich, so hoffe ich, im Laufe dieses Jahres besuchen kann. Ihm habe ich im vergangenen April einen Einkehrtag gewidmet, an dem die führenden Personen des Landes teilnahmen und an dem der Erzbischof von Canterbury Justin Welby und der frühere Moderator der Presbyterianischen Kirche von Schottland John Chalmers bedeutend mitgewirkt haben. Ich vertraue darauf, dass mit der Hilfe der internationalen Gemeinschaft die politischen Verantwortungsträger den Dialog fortführen werden, um die erzielten Vereinbarungen umzusetzen.
Die letzte Reise des gerade zu Ende gegangenen Jahres führte nach Ostasien. In Thailand konnte ich das harmonische Zusammenleben feststellen, zu dem die zahlreichen ethnischen Gruppen des Landes mit ihrer philosophischen, kulturellen und religiösen Vielfalt beitragen. Es handelt sich um eine wichtige Mahnung im gegenwärtigen Kontext der Globalisierung mit ihrer Tendenz, die Unterschiede zu verflachen und sie in erster Linie in wirtschaftlich-finanzieller Hinsicht zu betrachten, was die Gefahr mit sich bringt, die wesentlichen Merkmale zu beseitigen, welche die verschiedenen Völker auszeichnen.
In Japan schließlich konnte ich gleichsam selbst erfahren, welchen Schmerz und Schrecken wir Menschen einander zuzufügen fähig sind.[21] Als ich die Zeugnisse einiger Hibakusha, der Überlebenden der Atombombenangriffe von Hiroshima und Nagasaki, hörte, schien es mir offensichtlich, dass ein echter Frieden nicht auf der Bedrohung einer möglichen totalen Vernichtung der Menschheit durch Nuklearwaffen aufgebaut werden kann. Die Hibakusha erhalten »das kollektive Bewusstsein lebendig […] Sie bezeugen nämlich den nachfolgenden Generationen das schreckliche Geschehen vom August 1945 und die unsäglichen Leiden, die bis heute daraus erwachsen sind. Auf diese Weise ruft ihr Zeugnis das Gedächtnis an die Opfer wach und bewahrt es, damit das menschliche Gewissen immer stärker werde gegenüber jedem Willen zur Vorherrschaft und zur Zerstörung«[22], besonders der Zerstörung, die von Sprengkörpern mit so hohem Vernichtungspotenzial verursacht wird wie Nuklearwaffen. Diese begünstigen nicht nur ein Klima der Angst, der Misstrauens und der Feindseligkeit, sondern vernichten auch die Hoffnung. Ihr Einsatz ist unmoralisch, »ein Verbrechen […] nicht nur gegen den Menschen und seine Würde, sondern auch gegen jede Zukunftsmöglichkeit in unserem gemeinsamen Haus«[23].
»Eine Welt ohne Atomwaffen [ist] möglich und vonnöten«[24], und es ist an der Zeit, dass alle politischen Verantwortungsträger sich dessen voll bewusst werden. Denn nicht der Besitz leistungsfähiger Massenvernichtungsmittel zur Abschreckung macht die Welt sicherer, sondern die geduldige Arbeit aller Menschen guten Willens, die sich konkret, jeder in seinem Bereich, dafür einsetzen, eine Welt des Friedens, der Solidarität und der gegenseitigen Achtung aufzubauen.
Das Jahr 2020 bietet eine bedeutsame Möglichkeit in dieser Richtung, da vom 27. April bis zum 22. Mai in New York die 10. Überprüfungskonferenz des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Atomwaffensperrvertrag) stattfinden wird. Ich hoffe sehr, dass es der internationalen Gemeinschaft bei dieser Gelegenheit gelingen möge, einen endgültigen proaktiven Konsens über die Ausführungsmodalitäten dieses internationalen Rechtsmittels zu finden, das sich in einem Augenblick wie dem gegenwärtigen als noch wichtiger erweist.
Am Ende dieses Überblicks der Orte, die ich im Laufe des letzten Jahres aufgesucht habe, gehen meine Gedanken besonders zu einem Land, das ich nicht besucht habe, nämlich Australien. In den vergangenen Monaten wurde es von anhaltenden Bränden hart getroffen, deren Auswirkungen auch andere Regionen Ozeaniens erreicht haben. Dem australischen Volk, insbesondere den Opfern und allen Menschen in den von den Bränden betroffenen Gegenden, möchte ich meine Nähe und mein Gebet versichern.
Exzellenzen, Damen und Herren,
dieses Jahr gedenkt die internationale Gemeinschaft des 75. Jahrestages der Gründung der Vereinten Nationen. Nach den Tragödien der zwei Weltkriege haben sechsundvierzig Staaten mit der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen am 26. Juni 1945 eine neue Form der multilateralen Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Die im Artikel 1 der Charta umrissenen vier Ziele der Organisation sind auch heute noch gültig, und wir können sagen, dass der Einsatz der Vereinten Nationen in diesen 75 Jahren großenteils ein Erfolg war, besonders bei der Vermeidung eines weiteren Weltkrieges. Die Gründungsprinzipien der Organisation – der Wunsch nach Frieden, die Suche nach Gerechtigkeit, die Achtung der Menschenwürde, die humanitäre Zusammenarbeit und Unterstützung – sind Ausdruck des rechten Strebens des menschlichen Geistes und stellen die Ideale dar, die den internationalen Beziehungen zugrunde liegen sollten.
Anlässlich dieses Jahrestages wollen wir die Absicht der ganzen Menschheitsfamilie, für das Gemeinwohl zu arbeiten, bekräftigen. Denn das Gemeinwohl ist der Orientierungsmaßstab für das sittliche Handeln und die Perspektive, die jedes Land zur Zusammenarbeit verpflichtet, um die Existenz und Sicherheit in Frieden aller anderen Staaten zu gewährleisten. Dies geschieht in einem Geist der Gleichheit der Würde und aktiver Solidarität sowie im Rahmen einer Rechtsordnung auf der Grundlage der Gerechtigkeit und der Suche nach gerechten Kompromissen.[25]
Ein solches Handeln wird umso wirksamer, je mehr man jenen transversalen Ansatz zu überwinden sucht, der im Sprachgebrauch und den Dokumenten internationaler Institutionen verwendet wird. Dieser ist nämlich bestrebt, die Grundrechte an kontingente Situationen zu binden, und vergisst dabei, dass diese zutiefst in der Natur des Menschen selbst gründen. Wenn der Terminologie der internationalen Organisationen eine klare objektive Verankerung fehlt, läuft man Gefahr, anstatt einer Annäherung eine Entfremdung der Mitglieder der internationalen Gemeinschaft zu begünstigen. Das führt zu einer Krise des multilateralen Systems, wie wir heute leider augenscheinlich feststellen können. In diesem Zusammenhang scheint es dringlich, den Weg zu einer umfassenden Reform des multilateralen Systems wiederaufzunehmen, beginnend beim System der Vereinten Nationen. Dadurch möge es unter gebührender Beachtung des gegenwärtigen geopolitischen Kontexts effektiver werden.
Liebe Botschafterinnen und Botschafter,
zum Abschluss dieser Überlegungen möchte ich noch zwei Jubiläen erwähnen, die wir dieses Jahr begehen. Auf den ersten Blick haben sie nichts mit unserem heutigen Treffen zu tun. Das erste ist der 500. Todestag von Raffaello Sanzio, dem großen Künstler aus Urbino, der am 6. April 1520 in Rom verstorben ist. Raffael haben wir ein beachtliches Erbe von unermesslicher Schönheit zu verdanken. Wie das Genie des Künstlers unterschiedliche Rohmaterialien, Farben und Töne harmonisch zu verbinden vermag und daraus ein einziges Gesamtkunstwerk entstehen lässt, so ist die Diplomatie aufgerufen, die Besonderheiten der verschiedenen Völker und Staaten untereinander in Einklang zu bringen, um eine gerechte und friedvolle Welt aufzubauen, die das schöne Bild darstellt, das wir bewundern wollen.
Raffael war ein bedeutender Vertreter einer Epoche, der Renaissance, welche die gesamte Menschheit bereichert hat. Es war eine Zeit, die nicht frei von Schwierigkeiten und doch von Zuversicht und Hoffnung beseelt war. Über diesen berühmten Künstler möchte ich dem italienischen Volk meine herzlichsten Glückwünsche zukommen lassen. Möge es diesen Geist der Offenheit auf die Zukunft hin wieder neu entdecken, der die Renaissance ausgezeichnet hat und der diese Halbinsel so schön und reich an Kunst, Geschichte und Kultur gemacht hat.
Eines der Lieblingsobjekte der Malerei Raffaels war Maria. Ihr hat er zahlreiche Gemälde gewidmet, die heute in verschiedenen Museen auf der Welt bewundert werden können. Die katholische Kirche feiert dieses Jahr den 70. Jahrestag der Verkündigung des Dogmas der Aufnahme der Jungfrau Maria in den Himmel. Mit dem Blick auf Maria möchte ich 25 Jahre nach der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking allen Frauen einen besonderen Gedanken widmen. Auf der ganzen Welt möge die wertvolle Rolle der Frau für die Gesellschaft immer mehr anerkannt werden. Jede Form von Ungerechtigkeit, Benachteiligung und Gewalt ihnen gegenüber möge enden. »Jede Gewalt an der Frau ist eine Schändung Gottes.«[26] Gewalt gegen eine Frau zu verüben oder sie auszunützen ist nicht einfach eine Straftat, sondern ein Verbrechen, das die Harmonie, die Poesie und die Schönheit zerstört, die Gott der Welt schenken wollte[27].
Die Aufnahme Mariens in den Himmel lädt uns auch dazu ein, weiter auszuschauen, auf das Ende unseres irdischen Weges, auf den Tag, an dem die Gerechtigkeit und der Frieden voll wiederhergestellt werden. Wir fühlen uns so – durch die Diplomatie, unsere unvollkommenes, aber immer wertvolles menschliche Bemühen – ermutigt, mit Eifer zu arbeiten, damit die Früchte dieser Sehnsucht nach Frieden schon vorweg reifen, weil wir wissen, dass das Ziel erreicht werden kann. Mit dieser Verpflichtung drücke ich Ihnen allen, liebe hier anwesende Botschafterinnen, Botschafter und werte Gäste, wie auch Ihren Ländern erneut meine herzlichen Wünsche für ein neues Jahr reich an Hoffnung und Segen aus.
Danke!
[1] Vgl. Botschaft zum 53. Weltfriedenstag, 8. Dezember 2019, 1.
[3] Vgl. Begegnung mit den Vertretern des öffentlichen Lebens und der Zivilgesellschaft sowie mit dem Diplomatischen Korps, Panama, 24. Januar 2019.
[4] Vgl. Motu proprio Vos estis lux mundi, 7. Mai 2019.
[5] Botschaft zum Start des Bildungspakts, 12. September 2019.
[7] Angelus, Les Combes, 17. Juli 2005.
[8] Vgl. Enzyklika Laudato si’, 24. Mai 2015, 13.
[9] Botschaft zum 53. Weltfriedenstag, 8. Dezember 2019, 4.
[10] Schlussdokument der Sonderversammlung der Bischofssynode für Amazonien: Amazonien. Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie, 2.
[11] Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt, Abu Dhabi, 4. Februar 2019.
[14] Appell Seiner Majestät König Mohameds VI. und Seiner Heiligkeit Papst Franziskus zu Jerusalem / Al Qods als Heiliger Stadt und Ort der Begegnung, Rabat, 30. März 2019.
[17] Vgl. Ansprache an den Europarat, Straßburg, 25. November 2014.
[18] Enzyklika Pacem, Dei munus pulcherrimum, 23. Mai 1920.
[19] Vgl. Grußwort beim Besuch der Stadt der Freundschaft – Akamasoa, Antananarivo, 8. September 2019.
[20] Ansprache an die Vertreter der Regierung, der Zivilgesellschaft und an das Diplomatische Korps, Port Louis, 9. September 2019.
[21] Vgl. Ansprache über Atomwaffen, Nagasaki, 24. November 2019.
[22] Botschaft zum 53. Weltfriedenstag, 8. Dezember 2019, 2.
[23] Ansprache beim Friedenstreffen, Hiroshima, 24. November 2019.
[24] Ansprache über Atomwaffen, Nagasaki, 24. November 2019.
[25] Vgl. Johannes XXIII., Enzyklika Pacem in terris, 11. April 1963, 54.
[26] Homilie am Hochfest der Gottesmutter Maria, 1. Januar 2020.
[27] Vgl. Die Frau ist die Harmonie der Welt. Tagesmeditation in der Kapelle des Gästehauses Domus Sanctae Marthae, 9. Februar 2017.
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