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BEGEGNUNG MIT DEN APOSTOLISCHEN NUNTIEN

ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS

Clementina-Saal
Donnerstag, 13. Juni 2019

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Liebe Mitbrüder!

Ich freue mich, euch erneut zu begegnen, um zusammen mit euch das Leben der Kirche durch die Augen von Hirten zu betrachten und über eure schwierige und wichtige Sendung nachzudenken. Ich danke einem jeden von euch für seine Anwesenheit und für seinen Dienst. Dies ist unsere dritte Zusammenkunft dieser Art, und ich mache mir auch die Überlegungen zunutze,  die in den Begegnungen mit euch allen – hier im Vatikan ebenso wie in einigen Nuntiaturen im Rahmen der letzten Reisen – aufgekommen sind.

Ich denke, dass in Zukunft versucht werden wird, mit einer gewissen Regelmäßigkeit auch die Mitarbeiter einzuladen, damit diese Augenblicke auch einen bildenden Charakter haben. Ich habe daran gedacht, heute mit euch über einige einfache und elementare Regeln zu sprechen, die ihr natürlich gut kennt. Sie in Erinnerung zu rufen, wird jedoch allen guttun und euch helfen, eure Sendung besser zu leben, mit derselben Begeisterung wie auf eurem ersten Posten und mit derselben eifrigen Bereitschaft, mit der ihr euren Dienst aufgenommen habt. Es handelt sich um eine Art »Dekalog«, der sich in Wirklichkeit durch euch auch an eure Mitarbeiter richtet, ja an alle Bischöfe, Priester und geweihten Personen, denen ihr in allen Teilen der Welt begegnet.

1 – Der Nuntius ist ein Mann Gottes

Ein »Mann Gottes« zu sein bedeutet, Gott in allem zu folgen; seinen Geboten mit Freude zu gehorchen; für die Dinge Gottes und nicht für die Dinge der Welt zu leben; ihm aus freiem Willen alle eigenen Ressourcen zu widmen und großherzig die Leiden anzunehmen, die uns infolge des Glaubens an ihn ereilen. Der Mann Gottes hintergeht und betrügt seinen Nächsten nicht; er lässt sich nicht zu Klatsch und übler Nachrede herab; er hält den Geist und das Herz rein, indem er Augen und Ohren vor dem Schmutz der Welt bewahrt. Er lässt sich nicht täuschen von den weltlichen Werten, sondern blickt auf das Wort Gottes, um zu urteilen, was weise und gut ist. Der Mann Gottes strebt ernsthaft danach, »heilig und untadelig zu leben vor ihm« (vgl. Eph 1,4). Der Mann Gottes versteht es, demütig mit seinem Herrn zu wandeln, im Wissen, dass er nur auf ihn sein Vertrauen setzen darf, um in Fülle leben zu können und bis ans Ende auszuharren, wobei er ein offenes Herz für die Benachteiligten und von der Gesellschaft Ausgestoßenen hat sowie die Probleme der Menschen anzuhören weiß, ohne sie zu verurteilen. Der Mann Gottes ist jemand, der Gerechtigkeit, Liebe, Milde, Mitleid und Barmherzigkeit übt. Der Nuntius, der vergisst, ein Mann Gottes zu sein, schadet sich selbst und den anderen; er gerät aus dem Gleis und schadet auch der Kirche, der er sein Leben gewidmet hat.

2 – Der Nuntius ist ein Mann der Kirche

Da der Nuntius Päpstlicher Vertreter ist, vertritt er nicht sich selbst, sondern die Kirche und insbesondere den Nachfolger Petri. Christus warnt uns vor der Versuchung des bösen Knechts: »Wenn aber der Knecht böse ist und in seinem Herzen sagt: Mein Herr verspätet sich! und anfängt, seine Mitknechte zu schlagen, und mit Zechern isst und trinkt, dann wird der Herr jenes Knechtes an einem Tag kommen, an dem er es nicht erwartet und zu einer Stunde, die er nicht kennt; und der Herr wird ihn in Stücke hauen und ihm seinen Platz unter den Heuchlern zuweisen « (Mt 24,48-51).

Der Nuntius hört auf, ein »Mann der Kirche« zu sein, wenn er beginnt, seine Mitarbeiter, die Angestellten, die Ordensfrauen und die Gemeinschaft der Nuntiatur schlecht zu behandeln, wie ein böser Herr und nicht wie ein Vater und Hirte. Es ist traurig, einige Nuntien zu sehen, die ihren Mitarbeitern dasselbe Leid zufügen, das sie selbst als Mitarbeiter von Seiten anderer Nuntien erfahren haben. Die Sekretäre und Berater sind jedoch der Erfahrung des Nuntius anvertraut worden, um ausgebildet zu werden und als Diplomaten und, so Gott will, als zukünftige Nuntien Früchte zu tragen. Es ist schlimm, einen Nuntius zu sehen, der inmitten von Menschen, denen es am Notwendigsten fehlt, nach Luxus, Kleidung und »Markenartikeln « strebt. Das ist ein Gegenzeugnis. Die größte Ehre für einen Mann der Kirche ist es, »Diener aller« zu sein.

Ein Mann der Kirche zu sein erfordert auch die Demut, das Antlitz, die Lehren und die Positionen der Kirche zu vertreten, also die persönlichen Überzeugungen beiseite zu lassen. Ein Mann der Kirche zu sein bedeutet, die Kirche mutig zu verteidigen gegen die Mächte des Bösen, die immer versuchen, sie zu diskreditieren, zu verunglimpfen oder zu verleumden. Ein Mann der Kirche zu sein bedeutet auch, Freund der Bischöfe, der Priester, der Ordensleute und der Gläubigen zu sein, mit Vertrauen und menschlicher Wärme, an ihrer Seite die eigene Sendung durchzuführen und immer einen kirchlichen Blick zu haben: also ein Mann, der sich für das Heil der anderen verantwortlich fühlt. Wir müssen immer daran denken, dass die »salus animarum« das höchste Gesetz der Kirche und die Grundlage für alles kirchliche Handeln ist.[1] Diese Identität des Nuntius unterscheidet ihn auch von den anderen Botschaftern an den großen Festen, Weihnachten und Ostern: Während jene weggehen, um zu ihren Familien zu reisen, bleibt der Nuntius vor Ort, um das Fest mit dem Gottesvolk des Landes zu feiern. Denn da er ein Mann der Kirche ist, ist dies seine Familie.

3 – Der Nuntius ist ein Mann mit apostolischem Eifer

Der Nuntius ist Verkünder der Frohen Botschaft, und als Apostel des Evangeliums hat er die Aufgabe, die Welt mit dem Licht des Auferstandenen zu erleuchten und Christus bis an die Grenzen der Erde zu bringen. Er ist ein Mann, der unterwegs ist und den guten Samen des Glaubens in die Herzen derer sät, denen er begegnet. Und wer dem Nuntius begegnet, sollte sich irgendwie hinterfragt fühlen.

Denken wir an die große Gestalt des heiligen Maximilian Kolbe, der, vom glühenden Feuer für die Herrlichkeit Gottes verzehrt, in einem seiner Briefe schrieb: »In unserer Zeit sehen wir nicht ohne Traurigkeit, wie die Gleichgültigkeit sich breitmacht. Eine gleichsam seuchenhafte Krankheit, die sich in verschiedenen Formen verbreitet, nicht nur unter den Gläubigen insgesamt, sondern auch unter den Angehörigen der Ordensinstitute. Gott gebührt unendliche Herrlichkeit. Unsere erste und wichtigste Sorge muss es sein, ihn in dem Maße zu loben, wie unsere schwachen Kräfte es zulassen, im Bewusstsein, ihn nicht so verherrlichen zu können, wie er es verdient. Die Herrlichkeit Gottes erglänzt vor allem im Heil der Seelen, die Christus mit seinem Blut erlöst hat. Daraus folgt, dass das erste Bemühen unserer apostolischen Sendung darin besteht, so vielen Seelen wie möglich Heil und Heiligung zu bringen.«[2]

Denken wir an die Worte des heiligen Paulus: »Wenn ich nämlich das Evangelium verkünde, gebührt mir deswegen kein Ruhm; denn ein Zwang liegt auf mir. Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!« (1 Kor 9,16). Es ist gefährlich, der Zaghaftigkeit, der Lauheit des politischen oder diplomatischen Kalküls oder sogar der »politischen Korrektheit« zum Opfer zu fallen und auf die Verkündigung zu verzichten. Der apostolische Eifer ist die Kraft, die uns auf den Beinen hält und uns vor dem Krebsgeschwür der Enttäuschung schützt.

4 – Der Nuntius ist ein Mann der Versöhnung

Ein wichtiger Teil der Arbeit eines jeden Nuntius ist es, ein Mann der Vermittlung, der Gemeinschaft, des Dialogs und der Versöhnung zu sein. Der Nuntius muss immer versuchen, unparteiisch und objektiv zu bleiben, damit alle Teile in ihm den gerechten Schiedsrichter finden, der aufrichtig danach strebt, allein Gerechtigkeit und Frieden zu verteidigen und zu schützen, ohne sich jemals negativ involvieren zu lassen.[3] Da er ein Mann der Kommunikation ist, »leistet die Tätigkeit des Päpstlichen Vertreters vor allem einen wertvollen Dienst für Bischöfe, Priester, Ordensleute sowie für alle Katholiken vor Ort, die in ihm Unterstützung und Schutz finden, da er eine höhere Autorität vertritt, die allen zum Vorteil gereicht. Seine Sendung überlagert nicht die Machtausübung der Bischöfe, sie ersetzt oder behindert sie nicht, sondern achtet und fördert sie sogar, unterstützt sie mit brüderlichem und diskretem Rat.«[4]

Wenn ein Nuntius sich in die Nuntiatur zurückzöge und die Begegnung mit den Menschen miede, verriete er seine Sendung, und statt ein Faktor der Gemeinschaft und der Versöhnung zu sein, würde er zum Hemmnis und zum Hindernis. Ihr dürft nie vergessen, dass ihr das Gesicht der Katholizität vertretet und die Universalität der Kirche bei den Ortskirchen und den Regierungen in aller Welt.

5 – Der Nuntius ist ein Mann des Papstes

Als Päpstlicher Vertreter vertritt der Nuntius nicht sich selbst, sondern den Nachfolger Petri und handelt in der Kirche und bei den Regierungen in seinem Namen. Das heißt, er macht die Gegenwart des Papstes bei den Gläubigen und der Bevölkerung konkret sichtbar, setzt sie um und symbolisiert sie. Es ist schön, dass die Nuntiatur in einigen Ländern als »Haus des Papstes« bezeichnet wird.

Natürlich kann jeder Mensch Vorbehalte, Sympathien und Antipathien haben, aber ein guter Nuntius darf kein Heuchler sein, denn der Vertreter ist ein Mittler oder besser gesagt eine Verbindungsbrücke zwischen dem Stellvertreter Christi und den Menschen, zu denen er gesandt ist, in einem bestimmten Gebiet, für das er vom Papst selbst ernannt und ausgesandt wurde. Eure Sendung ist also sehr anspruchsvoll, weil sie Bereitschaft und Flexibilität, Demut, tadellose Professionalität, Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit verlangt; sie erfordert häufige Ortswechsel im Auto und lange Reisen, also ein Leben auf stets gepackten Koffern (in unserer ersten Begegnung habe ich zu euch gesagt: Euer Leben ist ein Nomadenleben).

Da er vom Papst und von der Kirche gesandt ist, muss der Nuntius gerüstet sein für menschliche Beziehungen, eine natürliche Neigung zu zwischenmenschlichen Beziehungen besitzen, also den Gläubigen, den Priestern, den Ortsbischöfen und auch den anderen Diplomaten und den Regierungsvertretern nahe sein. Der Dienst des Päpstlichen Vertreters besteht ebenso darin, die Gemeinschaften zu besuchen, zu denen der Papst nicht gelangen kann und ihnen die Nähe Christi und der Kirche zuzusichern.

So schrieb der heilige Paul VI.: »Denn selbstverständlich muss der Bewegung zum Zentrum und Herzen der Kirche hin eine andere Bewegung entsprechen, die sich vom Zentrum her zu den Randgebieten ausgebreitet und die gewissermaßen allen einzelnen Ortskirchen, allen einzelnen Hirten und Gläubigen die Gegenwart und das Zeugnis jenes Schatzes der Wahrheit und der Gnade bringt, zu dessen Teilhabern, Verwahrern und Verteilern Christus, der Herr und Erlöser, uns gemacht hat. Durch unsere Vertreter, die oft in den verschiedenen Nationen residieren, nehmen wir Anteil am Leben unserer Kinder. Und indem wir uns gleichsam darin eingliedern, lernen wir ihre Nöte und gleichzeitig ihre Bestrebungen schneller und besser kennen.«[5]

Als »Vertreter« muss der Nuntius immer auf dem neuesten Stand sein und lernen, um das Denken und die Weisungen dessen, den er vertritt, gut zu kennen. Er hat auch die Pflicht, den Papst beständig auf den neuesten Stand zu bringen und über die verschiedenen Situationen und die kirchlichen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungen des Landes, in das er gesandt ist, zu informieren. Dafür ist es unverzichtbar, eine gute Kenntnis der Gebräuche und möglichst auch der Sprache des Landes zu haben und die Tür der Nuntiatur sowie die Tür seinen Herzens immer für alle offen zu halten. Päpstlicher Vertreter zu sein ist daher unvereinbar damit, den Papst hinter seinem Rücken zu kritisieren, Blogs zu betreiben oder sich sogar Gruppierungen anzuschließen, die ihm, der Kurie und der Kirche von Rom feindlich gesonnen sind.

6 – Der Nuntius ist ein Mann der Initiative

Es ist notwendig, die Fähigkeit und die Gewandtheit zu haben und zu entwickeln, ein den Erfordernissen des Augenblicks angemessenes Verhalten zu fördern oder anzunehmen, ohne jemals in geistige, spirituelle oder menschliche Starrheit und auch nicht in heuchlerische und chamäleonartige Flexibilität zu verfallen. Es geht nicht darum, Opportunisten zu sein, sondern man muss verstehen, von der Planung zur Umsetzung überzugehen und dabei das Gemeinwohl und die Treue zum Amt im Hinterkopf zu haben. Erzbischof Giancarlo Maria Bregantini sagt, dass »ohne geistliche Beweggründe und ohne die Grundlage des Evangeliums alle Initiativen nach und nach zusammenbrechen, auch auf der Ebene der Zusammenarbeit, der Wirtschaft und der Organisation.«[6]

Der Mann der Initiative ist ein auf positive Weise neugieriger Mensch, voll Dynamik und Unternehmungsgeist; ein kreativer und mit Mut ausgestatteter Mensch, der sich in unvorhersehbaren Situationen nicht von Panik ergreifen lässt, sondern mit Ruhe, Intuition und Phantasie versucht, sie umzukehren und positiv mit ihnen umzugehen. Der Mann der Initiative ist ein Lehrmeister, der es versteht, andere zu lehren, wie man sich der Wirklichkeit annähert, ohne sich von den kleinen und großen Überraschungen, die sie uns vorbehält, überwältigen zu lassen. Er ist ein Mensch, der diejenigen, die durch die Stürme des Lebens hindurchgehen, mit seiner positiven Einstellung beruhigt. Da er vor allem ein Bischof, ein Hirte ist, der zwar mitten in der Welt lebt, aber täglich beweisen muss, dass er »in der Welt, aber nicht von der Welt« (vgl. Joh 17,4) sein kann und will, muss der Nuntius intuitiv die gesamte Information neu organisieren und die richtigen Worte finden können, um den Menschen zu helfen, die sich um Rat an ihn wenden, und das arglos wie die Tauben und klug wie die Schlangen (vgl. Mt 10,16). Es muss betont werden, dass man diese Fähigkeiten erwirbt, indem man sich in die Nachfolge Jesu stellt, nach dem Vorbild der Apostel und der ersten Jünger, die den Ruf mit besonderer Aufmerksamkeit und Treue gegenüber der Handlungsweise Jesu Christi angenommen haben.

7 – Der Nuntius ist ein Mann des Gehorsams

Die Tugend des Gehorsams ist untrennbar verbunden mit der Freiheit, denn nur in Freiheit können wir wirklich gehorchen, und nur wenn man dem Evangelium gehorcht, gelangt man zur Fülle der Freiheit.7 Der Ruf des Christen und in diesem Zusammenhang des Nuntius zum Gehorsam bleibt auch weiterhin der Ruf, dem Lebensstil Jesu von Nazaret nachzufolgen. Dem Leben Jesu, das von Offenheit und Gehorsam gegenüber Gott geprägt ist, den er Vater nennt.[8]Hier können wir das große Gebot des befreienden Gehorsams verstehen und leben: »Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen« (Apg 5,29). Der Gehorsam gegenüber Gott ist nicht zu trennen vom Gehorsam gegenüber der Kirche und den Oberen.

Hier hilft uns noch einmal der heilige Maximilian Maria Kolbe, der im selben Brief schrieb: »Der Gehorsam, und er allein, offenbart den göttlichen Willen mit Gewissheit. Es stimmt, dass der Obere irren kann, aber wer gehorcht, macht keinen Fehler. […] Durch den Weg des Gehorsams überwinden wir die Grenzen unserer Kleinheit und passen uns dem göttlichen Willen an, der uns mit seiner unendlichen Weisheit und Klugheit dahin führt, aufrichtig zu handeln. Wenn wir diesem göttlichen Willen, dem kein Geschöpf widerstehen kann, zustimmen, werden wir stärker als alle. Das ist der Weg der Weisheit und der Klugheit, der einzige Weg, auf dem wir Gott die höchste Ehre erweisen können. […] Brüder, lasst uns also mit allen Kräften den himmlischen Vater lieben, der von Liebe zu uns erfüllt ist; und der Beweis unserer vollkommenen Liebe sei der Gehorsam, der vor allem dann geübt werden muss, wenn er uns bittet, unseren Willen zu opfern. Denn wir kennen kein erhabeneres Buch als den gekreuzigten Jesus Christus, um in der Liebe Gottes voranzuschreiten.«[9] Der heilige Augustinus erkennt dem Gehorsam große Bedeutung zu, nicht weniger als der Liebe, der Demut, der Weisheit, die grundlegend sind – ja es kann keine wahre Liebe, keine aufrichtige Demut, keine echte Weisheit geben außer im Gehorsam.[10]

Ein Nuntius, der nicht die Tugend des Gehorsams lebt – auch wenn sich dies als schwierig erweist und der eigenen Sichtweise entgegensteht –, ist gleichsam ein Wanderer, der den Kompass verliert und so Gefahr läuft, das Ziel zu verfehlen. Denken wir immer an das Sprichwort: »Medice, cura te ipsum [Arzt, heile dich selbst]«. Es ist ein Gegenzeugnis, andere zum Gehorsam zu ermahnen und selbst ungehorsam zu sein.

8 – Der Nuntius ist ein Mann des Gebets

An dieser Stelle scheint es mir wichtig zu sein, euch noch einmal die unübertrefflichen Worte in Erinnerung zu rufen, mit denen der heilige Giovanni Battista Montini als Substitut im Staatssekretariat die Gestalt des Päpstlichen Vertreters beschrieben hat, als »die eines Mannes, der sich wirklich bewusst ist, Christus mit sich zu bringen « (25. April 1951), als das kostbare Gut, das es zu vermitteln, zu verkündigen, zu vertreten gilt. Die Güter, die Perspektiven dieser Welt enttäuschen letztendlich, sie drängen dazu, sich nie zufrieden zu geben. Der Herr ist das Gut, das nicht enttäuscht, der einzige, der nicht zugrunde gehen lässt. Und das erfordert eine Loslösung von sich selbst, die man nur durch eine beständige Beziehung zum Herrn und die Einheit des Lebens in Christus erlangen kann. Und das heißt Vertrautheit mit Jesus. Der vertraute Umgang mit Jesus Christus muss die tägliche Nahrung des Päpstlichen Vertreters sein, weil er die Nahrung ist, die aus der Erinnerung an die erste Begegnung mit ihm entsteht, und weil sie auch den täglichen Ausdruck der Treue gegenüber seinem Ruf darstellt. Vertrauter Umgang mit Jesus Christus im Gebet, in der Feier der Eucharistie – die nie vernachlässigt werden darf –, im Dienst der Nächstenliebe.[11]

Denken wir an die Apostel und an Petrus, der gesagt hat: » Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und uns dem Dienst an den Tischen widmen. Brüder, wählt aus eurer Mitte sieben Männer von gutem Ruf und voll Geist und Weisheit; ihnen werden wir diese Aufgabe übertragen. Wir aber wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben« (Apg 6,2-4). Die erste Aufgabe eines jeden Bischofs ist es also, sich dem Gebet und dem Dienst am Wort zu widmen. Ohne ein Gebetsleben läuft der Nuntius – und jeder von uns – Gefahr, alle oben genannten Eigenschaften zu verlieren. Ohne das Gebet werden wir zu einfachen Funktionären, immer unzufrieden und enttäuscht. Das Gebetsleben ist jenes Licht, das alle Übrige und die gesamte Tätigkeit des Nuntius und seiner Sendung erleuchtet.

9 – Der Nuntius ist ein Mann der tätigen Nächstenliebe

An dieser Stelle muss noch einmal bekräftigt werden: »Das Gebet, der Weg der Jüngerschaft und die Bekehrung finden in der Nächstenliebe, die bereit ist zu teilen, eine Bestätigung ihrer evangelischen Glaubwürdigkeit. Aus dieser Lebensweise kommen Freude und Seelenfrieden, denn sie erlaubt uns, mit den eigenen Händen das Fleisch Christi zu berühren. Wenn wir wirklich Christus begegnen wollen, dann müssen wir seinen Leib auch im gemarterten Leib der Armen berühren – gleichsam als Antwort auf die sakramentale Kommunion in der Eucharistie. Der Leib Christi, der in der Eucharistie gebrochen wird, lässt sich, wenn wir die Liebe weiterschenken, im Angesicht und in den Personen der schwächsten Brüder und Schwestern wiederfinden.«[12]Denn der Glaube wirkt durch die Liebe (vgl. Gal 5,6). Der Nuntius hat die Aufgabe, »die Sorge des Papstes für das Wohl des Landes, in dem er seine Sendung ausübt«, zu verkörpern. Daher »muss er eifriges Interesse zeigen an den Problemen des Friedens, des Fortschritts und der Zusammenarbeit der Völker, im Hinblick auf das geistliche, sittliche und materielle Gut der gesamten Menschheitsfamilie «[13].

Die Tätigkeit des Nuntius darf sich nie auf die Ausübung seiner Amtspflichten beschränken. Diese können, obwohl sie wichtig sind, seine Sendung nie fruchtbar machen und Früchte tragen lassen. Daher muss der Nuntius sich in karitative Werke einbringen, besonders gegenüber den Armen und den Ausgegrenzten: Nur so kann er seine Sendung in ganzem Umfang erfüllen und Vater und Hirte sein. Die Nächstenliebe ist euch Unentgeltlichkeit, und darum möchte ich hier zu euch über eine ständige Gefahr sprechen: die Gefahr der Bestechung. Die Bibel bezeichnet als Frevler einen Mann, der »Bestechung aus dem Gewandbausch « annimmt, »um die Pfade des Rechts zu verkehren« (Spr 17,23), und auch der Psalm fragt: »Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt?«, und antwortet: wer »gegen den Schuldlosen keine Bestechung annimmt« (15,1.5). Die tätige Nächstenliebe muss uns dahin bringen, klug zu handeln, wenn es darum geht, Geschenke anzunehmen, die angeboten werden, um unsere Objektivität zu vernebeln und in einigen Fällen leider unsere Freiheit zu kaufen. Kein Geschenk, von welchem Wert auch immer, darf uns jemals zu Sklaven machen! Lehnt zu kostbare und oft unbrauchbare Geschenke ab oder führt sie karitativen Werken zu, und denkt daran, dass der Empfang eines kostbaren Geschenks nie dessen Gebrauch rechtfertigt.

10 – Der Nuntius ist ein Mann der Demut

Ich möchte diesen Dekalog abschließen mit der Tugend der Demut und in diesem Zusammenhang die »Litanei der Demut« eines ehemaligen Kollegen von euch, des Dieners Gottes Kardinal Rafael Merry del Val (1865-1930), Staatssekretär und Mitarbeiter des heiligen Pius X., zitieren:

O Jesus, gütig und von Herzen demütig, erhöre mich!
Vom Wunsch, geachtet zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, geliebt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, gerühmt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, geehrt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, gelobt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, den anderen vorgezogen zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, um Rat gefragt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Vom Wunsch, bestätigt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, gedemütigt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, verachtet zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, Ablehnung zu erfahren – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, verleumdet zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, vergessen zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, lächerlich gemacht zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, verspottet zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Von der Furcht, verdächtigt zu werden – Befreie mich, o Jesus.
Dass die anderen mehr geliebt werden als ich – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen mehr geschätzt werden als ich – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen im Ansehen der Welt wachsen und mein Ansehen geringer werde – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen einen Posten erhalten und ich nicht berücksichtigt werde – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen gelobt und ich übersehen werde – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen mir in allem vorgezogen werden – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
Dass die anderen heiliger werden als ich, wenn ich nur so heilig werde, wie ich kann – Jesus, gewähre mir die Gnade, das zu wünschen!
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[1] »Gegenüber den Bischöfen, denen durch göttliche Weisung die Seelsorge in den einzelnen Diözesen anvertraut ist, hat der Päpstliche Vertreter die Pflicht zu helfen, zu beraten und seinen bereitwilligen und großherzigen Dienst zu leisten, im Geist brüderlicher Zusammenarbeit, stets unter Achtung der den Hirten eigenen Jurisdiktionsgewalt« (Hl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Sollicitudo omnium ecclesiarum: AAS 61 [1969], 476).

[2] Vgl. Scritti di Massimiliano M. Kolbe, Bd. I, Florenz 1975, 44-46; 113-114.

[3] Der Nuntius hat auch »die Pflicht, in Zusammenarbeit mit den Bischöfen bei den zivilen Autoritäten des Gebiets, in dem er sein Amt ausübt, die Sendung der Kirche und des Heiligen Stuhls zu schützen. […] In seiner Eigenschaft als Gesandter des höchsten Seelenhirten soll der Päpstliche Vertreter […] angemessene Kontakte zwischen der katholischen Kirche und den anderen christlichen Gemeinschaften fördern, und er soll auch herzliche Beziehungen zu den nichtchristlichen Religionen unterstützen« (Hl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Sollicitudo omnium ecclesiarum: AAS 61 [1969], 476).

[4]Ebd.

[5] Hl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Sollicitudo omnium ecclesiarum: AAS 61 [1969], 476.

[6] Non possiamo tacere. Le parole e la bellezza per vincere la mafia, Piemme 2011, 136.

[7] Vgl. Enzo Bianchi, Le parole della spiritualità, Rizzoli 1999, 149-152.

[8] Vgl. F. J. Moloney, Discepoli e profeti, 186.

[9] Vgl. Scritti di Massimiliano M. Kolbe, Bd. I, Florenz 1975, 44-46; 113-114.

[10]Vgl. Patrologia, III, Marietti 2000, 432-434; B. Borghini, L’obbedienza secondo S. Agostino, in »Vita crist.«, 23 (1954), 460-478.

[11] Vgl. Ansprache an die Päpstlichen Vertreter, 21. Juni 2013.

[12] Botschaft zum ersten Welttag der Armen, 19. November 2017.

[13] Hl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Sollicitudo omnium ecclesiarum: AAS 61 [1969], 476. 14 Vgl. im Internet: https://www.corrispondenzaromana. it/lumilta-insegnata-dal-cardinalmerry-del-val/

 



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