APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH RUMÄNIEN
(31. MAI - 2. JUNI 2019)
PRESSEKONFERENZ MIT DEM HEILIGEN VATER AUF DEM RÜCKFLUG NACH ROM
Sonntag, 2. Juni 2019
Alessandro Gisotti:
Guten Abend! Willkommen, Heiliger Vater, willkommen Ihnen allen. Rückflug … Heiliger Vater, das Motto dieser Reise war „Lasst uns gemeinsam gehen“, aber auch „Fliegen wir gemeinsam“, weil ich denke, dass wir wirklich viel geflogen sind und auch der Einsatz und die Anstrengung dazu kamen … Die Ansprache an die ausländische Presse vor einigen Tagen haben Sie mit den Worten beschlossen: „Ich erblicke in den Apostolischen Reisen insbesondere Ihre Mühen.“ Hier sind die Mühen, die Leidenschaft, der Einsatz der Kollegen, die von dieser Reise berichtet haben … Heute ist der Tag der sozialen Kommunikationsmittel zum Thema „Denn wir sind als Glieder miteinander verbunden“, der, wie ihr wisst, uns Journalisten, Kommunikationsschaffenden gewidmet ist. Nun, Heiliger Vater, ich weiß, dass Sie vor den Fragen uns eine kurze Überlegung über diesen uns gewidmeten Tag mitteilen möchten.
Papst Franziskus:
Guten Abend. Vielen Dank für Ihre Begleitung! Wie Gisotti gesagt hat, weist dieser Tag heute auf Sie hin, er lenkt unsere Gedanken auf Sie. Sie arbeiten in der Kommunikation, Sie sind, wie Alessandro gesagt hat, Kommunikationsschaffende, aber vor allem sind Sie, sollten Sie Zeugen der Kommunikation sein. Heute wird die Kommunikation normalerweise hintangestellt; voraus geht der Kontakt: Kontakte knüpfen und nicht zur Kommunikation gelangen. Und Sie sind aus Berufung Zeugen des Kommunizierens. Es ist wahr, Sie müssen Kontakte knüpfen, aber man soll nicht dabei stehenbleiben, man muss weitergehen. Ich wünsche Ihnen, in dieser Berufung weiterzugehen, in diesem Zeugnis des Kommunizierens, weil diese Zeit etwas weniger Kontakte und mehr Kommunikation benötigt. Danke. Glückwunsch zu Ihrem Tag. Und jetzt weiter mit den Fragen.
Alessandro Gisotti:
Also, Heiliger Vater, wie üblich werden die ersten beiden Fragen von den Medien des Landes gestellt, in das wir uns begeben haben. Es beginnt Diana Dumitrascu von der Rumänischen Fernsehgesellschaft TVR. Bitte:
Diana Dumitrascu:
Heiliger Vater, wir danken für Ihren Besuch in Rumänien. Heiligkeit, Sie wissen, dass Millionen unserer Landsleute in den letzten Jahren ausgewandert sind. Welches ist Ihre Botschaft für eine Familie, die ihre Kinder gehen lässt, dass sie im Ausland arbeiten, um ihnen ein besseres Leben zu gewährleisten? Danke.
Papst Franziskus:
Vor allem lässt mich das an die Liebe zur Familie denken, weil es nicht schön ist, sich in zwei, drei aufzuteilen. Es gibt immer die Sehnsucht, sich wieder zu treffen. Aber sich zu trennen, damit der Familie nichts fehlt, ist ein Akt der Liebe. In der Messe gestern haben wir die letzte Fürbitte jener Frau gehört, die im Ausland arbeitete, um der Familie zu helfen. Eine solche Trennung ist immer schmerzhaft. Aber warum gehen sie weg? Nicht um Tourismus zu betreiben, sondern aus Not. Not. Und oftmals liegt dies nicht daran, dass es dem Land nicht gelingt … Oftmals sind es Ergebnisse einer Weltpolitik, die sich darauf auswirkt. Ich weiß, dass es die Geschichte Ihres Landes ist, nach dem Fall des Kommunismus … Da haben viele, viele ausländische Unternehmen geschlossen, um anderswo zu eröffnen und mehr zu verdienen. Heute ein Unternehmen zu schließen bedeutet, Menschen auf die Straße zu setzen. Und auch dies ist eine weltweite, allgemeine Ungerechtigkeit, ein Mangel an Solidarität. Es ist ein Leiden. Wie es bekämpfen? Indem man versucht, Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen. Es ist nicht einfach; es ist nicht einfach in der gegenwärtigen weltweiten Finanz- und Wirtschaftssituation. Aber denken Sie daran, dass Sie eine beeindruckende Geburtenrate haben: Hier sieht man nichts vom demografischen Winter, den wir in Europa erblicken. Es ist eine Ungerechtigkeit, keine Beschäftigungsmöglichkeiten für so viele junge Leute haben zu können. Und deswegen hoffe ich, dass diese Situation bald gelöst wird, die nicht nur von Rumänien abhängt, sondern von der weltweiten Finanzordnung, von dieser Konsumgesellschaft, vom Drang, immer mehr haben und verdienen zu wollen … Und viele Menschen bleiben dort, allein. Ich weiß nicht, dies ist meine Antwort: ein Appell an die weltweite Solidarität in diesem Augenblick, in dem Rumänien die EU-Ratspräsidentschaft innehat, etwas darauf schauen … Danke.
Alessandro Gisotti:
Es richtet nun Cristian Micaci von Radio Maria Rumänien die Frage an Sie.
Cristian Micaci:
Heiliger Vater, wie auch der Direktor vorher gesagt hat, war in diesen Tagen viel vom „Gemeinsam-Gehen“ die Rede. Jetzt bei ihrer Abreise möchte ich Sie fragen: Was raten Sie uns Rumänen? Welche sollten die Beziehungen unter den Konfessionen sein, insbesondere zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen – der katholischen Minderheit und der orthodoxen Mehrheit –, die Beziehung zwischen den verschiedenen Ethnien und die Beziehung zwischen der Welt der Politik und der Zivilgesellschaft?
Papst Franziskus:
Im Allgemeinen würde ich sagen, die Beziehung der ausgestreckten Hand, wenn es Konflikte gibt. Ein sich entwickelndes Land mit einer hohen Geburtenrate wie bei Ihnen, mit dieser Zukunft, kann sich heute nicht den Luxus erlauben, Feinde im Inneren zu haben. Man muss einen Annährungsprozess durchführen, immer: unter den verschiedenen Ethnien, den verschiedenen religiösen Bekenntnissen, vor allem den zwei christlichen … Dies ist das Erste: immer die ausgestreckte Hand, das Hören auf den anderen. Mit der Orthodoxie: Sie haben einen großen Patriarchen, einen weitherzigen Mann und einen großen Gelehrten. Er kennt die Mystik der Wüstenväter, die spirituelle Mystik, er hat in Deutschland studiert … Er ist auch ein Mann des Gebets. Es ist einfach, sich Daniel zu nähern, es ist einfach, weil ich ihn als Bruder sehe und wir wie Brüder gesprochen haben. Ich werde nicht sagen: „Aber ihr …“, und er wird nicht sagen: „Aber ihr …“ Gehen wir gemeinsam! Haben wir immer diese Idee: Die Ökumene bedeutet nicht, zum Ende des Spiels, der Diskussion zu gelangen; die Ökumene betreibt man, indem man gemeinsam geht. Gemeinsam gehen. Gemeinsam beten. Die Ökumene des Gebets. In der Geschichte haben wir die Ökumene des Blutes: Als man die Christen umbrachte, fragte man nicht: „Bist du Orthodoxer? Bist du Katholik? Bist du Lutheraner? Bist du Anglikaner?” Nein. „Du bist Christ“, und das Blut vermischte sich. Eine Ökumene des Zeugnisses ist eine andere Ökumene. Ökumene des Gebets, des Blutes, des Zeugnisses. Dann die Ökumene des Armen, wie ich sie nenne, die darin besteht, soweit wir können, gemeinsam zu arbeiten, zusammenzuarbeiten, um den Kranken, den Menschen zu helfen, die ein wenig am Rand des Existenzminimums stehen: helfen. Matthäus 25: dies ist ein schönes ökumenisches Programm, nicht? Gemeinsam gehen und dies ist schon die Einheit der Christen. Aber nicht darauf warten, dass die Theologen sich einig werden, um zur Eucharistie zu gelangen. Die Eucharistie begeht man jeden Tag im Gebet, im Gedächtnis des Blutes unserer Märtyrer, mit den Werken der Nächstenliebe und auch indem man sich gernhat. In einer Stadt Europas bestand und besteht eine gute Beziehung zwischen dem katholischen Erzbischof und dem lutherischen Erzbischof. Der katholische Erzbischof musste am Sonntagabend in den Vatikan kommen und hat angerufen, dass er am Montagmorgen kommen würde. Als er ankam, sagte er mir: „Entschuldige, aber gestern musste der lutherische Erzbischof zu einem Treffen gehen und er hat mich gebeten: »Bitte, komm in meine Kathedrale und halte du den Gottesdienst.«“ Es gibt Brüderlichkeit! Soweit zu kommen ist viel. Und die Predigt hat der Katholik gehalten. Er hat nicht die Eucharistie gefeiert, aber er hat die Predigt gehalten. Dies ist Brüderlichkeit. Als ich in Buenos Aires war, wurde ich von der schottischen Kirche eingeladen, etliche Predigten zu halten, und ich ging dorthin, ich hielt die Predigt … Das geht! Man kann gemeinsam gehen. Einheit, Brüderlichkeit, ausgestreckte Hand, sich mit Güte anschauen, nicht schlecht über die anderen reden … Fehler haben wir alle, alle. Aber wenn wir gemeinsam gehen, lassen wir die Fehler beiseite: das Kritisieren überlassen wir den alten verbohrten Junggesellen … Danke.
Alessandro Gisotti:
Xavier Lenormand von der französischen Agentur „i.media“.
Xavier Lenormand:
Heiligkeit, meine Frage bezieht sich etwas auf die von vorher. Am ersten Tag dieser Reise haben Sie sich in die orthodoxe Kathedrale für einen schönen, aber auch etwas schwierigen Moment zum Gebet des Vaterunsers begeben. Etwas schwierig, denn wenn die Katholiken und Orthodoxen zusammen waren, haben sie nicht zusammen gebetet. Sie haben soeben von der Ökumene des Gebets gesprochen. Daher lautet meine Frage: Heiligkeit, woran haben Sie gedacht, als Sie während des Vaterunsers auf Rumänisch in Stille verharrten? Und welches sind die nächsten konkreten Schritte auf diesem gemeinsamen Weg? Danke, Heiligkeit.
Papst Franziskus:
Ich vertraue Ihnen etwas an: Ich bin nicht in Stille verharrt, ich habe das Vaterunser auf Italienisch gebetet. Du auch? Das ist gut. Und ich habe während des Vaterunsers gesehen, dass die Mehrheit der Leute sowohl auf Rumänisch als auch auf Latein betete. Die Leute gehen über uns Oberhäupter hinaus. Wir müssen diplomatische Gleichgewichte schaffen, um sicherzustellen, dass wir gemeinsam gehen. Es gibt Gewohnheiten, diplomatische Regeln – es ist gut, sie zu bewahren, damit die Dinge nicht verderben; aber das Volk betet gemeinsam. Auch wir beten, wenn wir unter uns sind, gemeinsam. Dies ist ein Zeugnis. In meinem Leben habe ich mit vielen, vielen lutherischen, evangelischen und auch orthodoxen Hirten gebetet. Die Patriarchen sind offen. Ja, auch wir Katholiken haben verschlossene Leute, die nicht wollen und sagen: „Nein, die Orthodoxen sind Schismatiker.“ Das sind alte Sachen. Die Orthodoxen sind Christen. Aber es gibt Gruppen von Katholiken, die etwas integralistisch sind: Wir müssen mit ihnen leben, für sie beten, damit der Herr und der Heilige Geist ihr Herz etwas erweiche. Aber ich habe gebetet. Wir beide. Ich habe Daniel nicht angeschaut, aber ich denke, dass er dasselbe getan hat.
Alessandro Gisotti:
Danke, Heiliger Vater. Es richtet nun Manuela Tulli von der ANSA die Frage an Sie.
Manuela Tulli:
Guten Abend, Heiliger Vater. Wir waren in Rumänien, einem Land, das sich als proeuropäisch erwiesen hat. Bei den letzten Wahlen haben einige Politiker wie unser Vizepremier Matteo Salvini eine Wahlkampagne veranstaltet, bei der religiöse Symbole gezeigt wurden: Bei den Versammlungen haben wir Rosenkränze gesehen, Kreuze, Weiheakte an das Unbefleckte Herz Mariens. Ich wollte wissen, welchen Eindruck das auf Sie gemacht hat und ob es stimmt, wie es manche Indiskretionen sagen, dass Sie unseren Vizepremier nicht treffen wollen.
Papst Franziskus:
Erstens – ich beginne bei der zweiten Frage – hat meines Wissens mit Ausnahme des Ministerpräsidenten niemand der [italienischen] Regierung um eine Audienz gebeten. Niemand. Für eine Anfrage um eine Audienz muss man mit dem Staatssekretariat sprechen, man bittet um Audienz. Ministerpräsident Conte hat um eine gebeten und sie wurde gewährt, wie vom Protokoll vorgesehen. Es war eine schöne Audienz mit dem Ministerpräsidenten, eine Stunde lang oder etwas mehr vielleicht. Er ist intelligent, ein Professor, der weiß, wovon er spricht. Hinsichtlich der stellvertretenden Ministerpräsidenten habe ich keine Anfragen erhalten und auch nicht von anderen Ministern. Ja, den Staatspräsidenten habe ich empfangen.
Zweitens, zu diesen Bildern. Ich habe mehrmals bekannt, dass ich zwei Zeitungen lese: die „Parteizeitung“, d.h. den „L’Osservatore Romano“ lese ich, und es wäre schön, wenn Sie ihn lesen würden, denn dort finden sich sehr interessante Interpretationsschlüssel. Und auch Dinge, die ich sage, finden sich dort. Und dann „Il Messaggero“, der mir gefällt; der „Messaggero“ hat nämlich große Titel: ich blättere ihn so durch, manchmal verweile ich [bei einem Artikel] … Und ich habe mich nicht in diese Nachrichten über die Wahlpropaganda vertieft, wie die eine Partei oder die andere die Wahlpropaganda gemacht hat … wirklich.
Es gibt noch eine dritte Sache, ich muss bekennen, dass ich davon keine Ahnung habe: Ich begreife die italienische Politik nicht. Es stimmt, ich muss sie studieren, ich verstehe sie jedoch nicht. Eine Meinung über die Einstellungen bei einer Wahlkampagne oder seitens einer der Parteien so abzugeben, ohne Informationen zu haben, das wäre sehr unklug meinerseits. Ich bete für alle, dass Italien vorangehen möge, dass die Italiener sich in ihrem Einsatz vereinen und aufrichtig sind. Auch ich bin Italiener, weil ich der Sohn italienischer Emigranten bin: blutsmäßig bin ich Italiener. Meine Geschwister haben alle die [italienische] Staatsbürgerschaft. Ich wollte sie nicht annehmen, denn zu der Zeit, als sie diese erworben haben, war ich Bischof und sagte mir: „Nein, der Bischof muss aus der Heimat stammen“, und so wollte ich sie nicht annehmen. Und deswegen besitze ich sie nicht. In der Politik vieler Länder – so vieler – gibt es die Krankheit der Korruption, überall. Sagen Sie morgen nicht: „Der Papst hat gesagt, dass die italienische Politik korrupt ist“, nein. Ich habe gesagt, dass überall eine der Krankheiten der Politik eben die ist, in der Korruption zu scheitern. Es ist eine allgemeine Tatsache. Bitte, geben Sie von mir nicht Aussagen wieder, die ich gar nicht gesagt habe. Und einmal wurde mir gesagt, wie die politischen Abmachungen sind: Stellen wir uns eine Zusammenkunft von neun Unternehmern am Verhandlungstisch vor; sie diskutieren, um sich über die die Entwicklung ihrer Unternehmen zu einigen, und am Ende, nach Stunden über Stunden und vielem Kaffee erzielen sie eine Einigung. Sie haben das Protokoll aufgesetzt, machen die Zusammenfassung, lesen sie … Einverstanden? Einverstanden. Während sie diese ausdrucken lassen, nehmen sie zur Feier einen Whisky und beginnen dann die Papiere herumzureichen, um die Vereinbarung zu unterschreiben. Als nun die Papiere herumgehen, da machen unterm Tisch ich und der da … mache ich eine andere Vereinbarung unterm Tisch. Das ist politische Korruption, die man überall ein wenig macht. Wir müssen den Politikern helfen, ehrlich zu sein, keine Kampagnen unter unehrlichen Fahnen zu führen – die üble Nachrede, die Verleumdung, die Skandale … Und sehr oft werden Hass und Angst gesät – das ist schrecklich. Die Politik, ein Politiker darf nie, nie Hass und Angst säen. Nur die Hoffnung. Eine gerechte Politik, mit hohem Anspruch, doch voll Hoffnung. Er muss nämlich das Land dorthin führen und darf ihm nicht Angst einjagen. Ich weiß nicht, ob ich [die Frage] beantwortet habe. Aber über die Einzelheiten des Verhaltens der Politiker weiß ich nicht so recht.
Alessandro Gisotti:
Heiliger Vater, jetzt richtet Eva Fernández, eine Journalistin von COPE, ein Frage an Sie.
Eva Fernández:
Heiliger Vater, gestern beim Treffen mit den jungen Menschen und den Familien haben Sie erneut darauf gedrungen, wie wichtig die Beziehung zwischen Großeltern und Jugendlichen ist, damit die Jugendlichen Wurzeln haben, um voranzugehen, und die Großeltern träumen können. Sie haben keine Familie in Ihrer Nähe, aber Sie haben gesagt, dass Benedikt XVI. wie ein Großvater ist, dass es gleichsam so ist, wie einen Großvater zu Hause zu haben …
Papst Franziskus:
Das stimmt!
Eva Fernández:
Sehen Sie ihn weiter so wie einen Großvater?
Papst Franziskus:
Noch mehr! Jedes Mal, wenn ich ihn besuche, spüre ich es so. Und ich nehme seine Hand und lasse ihn reden. Er spricht wenig, er spricht langsam, aber mit der gleichen Tiefe wie immer. Denn Benedikt bereiten die Knie Schwierigkeiten, nicht der Kopf: Er hat einen ganz klaren Verstand, und wenn ich ihn reden höre, werde ich stark, spüre ich den „Saft“ der Wurzeln, der zu mir kommt und mir hilft, weiterzugehen. Ich spüre diese Tradition der Kirche, die nicht eine museale Sache ist, die Tradition ist nicht so. Die Tradition ist wie die Wurzeln, die dir den Saft zum Wachsen geben. Und du wirst nicht wie die Wurzeln, nein: du wirst blühen, der Baum wird wachsen, du wirst Früchte tragen und die Samen werden die Wurzeln für andere. Die Tradition der Kirche ist immer in Bewegung. In einem Interview, das Andrea Monda vor einigen Tagen im „Osservatore“ – Sie lesen doch den Osservatore, nicht? – gemacht hat, gab es etwas, das mir sehr gefallen hat, über den Musiker Gustav Mahler. Und bezüglich der Tradition sagte er: „Tradition ist die Gewähr für die Zukunft und nicht die Hüterin der Asche.“ [Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.] Sie ist kein Museum. Die Tradition hütet nicht die Asche, die Nostalgie der Integralisten, zur Asche zurückzukehren, nein. Die Tradition sind die Wurzeln, die sicherstellen, dass der Baum wäschst, blüht und Frucht trägt. Und ich wiederhole diese Stelle des argentinischen Dichters [Francisco Luis Bernárdez], den ich sehr gerne zitiere: „Alles, was der Baum an Blüten trägt, lebt von dem, was er unter der Erde hat.“ Ich bin froh, denn in Iaşi habe ich auf jene Großmutter [mit dem neugeborenen Enkel im Arm] Bezug genommen: Es war eine „verschwörerische“ Geste, und mit diesen Augen … In diesem Moment war ich sehr berührt und habe nicht reagiert, und das Papamobil ist weitergefahren; nun, ich hätte ihr, dieser Großmutter, sagen können, nach vorne zu kommen, um diese Geste zu zeigen … Und ich habe dem Herrn Jesus gesagt: „Es ist schade, aber du kannst es lösen.“ Und unser tüchtiger [Fotograf] Francesco, als er gesehen hat, wie ich mit den Augen mit dieser Großmutter kommunizierte, hat ein Foto geschossen, und jetzt ist es öffentlich – ich habe es heute Nachmittag auf Vatican Insider gesehen. Das sind die Wurzeln, und das wird wachsen. Es wird nicht so sein wie ich, aber ich gebe das Meine. Diese Begegnung [zwischen Alten und Jungen] ist wichtig. Dann gibt es die Worte. Wenn die Großeltern spüren, dass sie Enkel haben, die die Geschichte weiterführen, beginnen sie zu träumen – wenn die Großeltern nicht träumen, dann werden sie niedergedrückt –: Ah! Es gibt Zukunft! Und die jungen Menschen, die dadurch ermutigt werden, beginnen, Verheißungen zu machen und Geschichte zu schreiben. Ganz wichtig.
Eva Fernández:
Danke, Heiliger Vater.
Alessandro Gisotti:
Wir haben noch Platz für eine Frage: Lucas Wiegelmann von der Herder Korrespondenz.
Papst Franziskus:
Diese Zeitschrift habe ich in Buenos Aires gelesen …
Lucas Wiegelmann:
Heiliger Vater, in diesen Tagen haben Sie viel von Brüderlichkeit unter den Völkern gesprochen und davon, gemeinsam voranzugehen – etwas, das wir schon gehört haben. Wir sehen aber, dass in Europa die Zahl derer zunimmt, die keine Brüderlichkeit wünschen, sondern Egoismus und Abschottung, die lieber allein gehen. Warum ist das so, Ihrer Meinung nach, und was muss Europa tun, um dies zu ändern? Danke.
Papst Franziskus:
Entschuldigen Sie, wenn ich mich selbst zitiere; ich tue das ohne Eitelkeit, der Nützlichkeit halber. Ich habe über dieses Problem in zwei [drei] Reden gesprochen: bei der Rede in Straßburg, bei der zum Empfang des Karlspreises und dann bei der Ansprache an die Staatsoberhäupter und Regierungschefs in der Sala Regia [im Vatikan], als sie alle da waren anlässlich des Jubiläums der [Römischen] Verträge zur Gründung der Europäischen Union. Bei diesen Ansprachen habe ich all das gesagt, was ich denke. Und es gibt da noch eine andere Ansprache, die nicht ich gehalten habe, sondern der Bürgermeister von Aachen: diese ist ein Juwel, eines Ihrer Juwelen, ein deutsches Juwel. Ein Juwel. Lesen Sie die Ansprache und Sie werden manches darin finden. Europa muss miteinander sprechen. Europa darf nicht sagen: „Wir sind vereint, jetzt sagen wir in Brüssel: Arrangiert ihr euch, geht ihr weiter.“ Nein. Alle sind wir verantwortlich für die Europäische Union, alle. Und dieser Turnus des Vorsitzes reihum ist nicht eine Geste der Höflichkeit wie beim Menuett-Tanzen: du bist an der Reihe, ich bin an der Reihe. Nein. Es ist ein Zeichen für die Verantwortung, die jedes Land gegenüber Europa hat. Wenn Europa nicht gut auf die zukünftigen Herausforderungen achtet, wird es verkümmern. Ich habe mir in Straßburg erlaubt zu sagen, dass ich spüre, wie Europa aufhört, die „Mutter Europa“ zu sein, und im Begriff ist, die „Großmutter Europa“ zu werden. Europa ist alt geworden. Es hat den Wunsch zur Zusammenarbeit verloren. Vielleicht stellt sich jemand heimlich die Frage: „Aber wird das nicht das Ende eines siebzigjährigen Abenteuers sein?“ Man muss den Geist der Gründerväter wiederaufnehmen – diesen muss man wiedererlangen. Europa braucht sich selbst, Europa muss es selbst sein, es braucht seine eigene Identität, seine eigene Einheit; und damit, mit vielem, was die gute Politik bietet, muss es die Spaltungen und die Grenzen überwinden. Wir sehen gerade Grenzen in Europa – das tut ihm nicht gut. Nicht einmal kulturelle Grenzen tun gut. Es stimmt, das jedes Land eine eigene Kultur hat und sie bewahren muss, aber im Geist des Polyeders: Es gibt eine Globalisierung, wo die Kulturen aller respektiert werden, aber alle vereint. Bitte aber, Europa darf sich nicht vom Pessimismus oder von den Ideologien überwältigen lassen, denn Europa wird zurzeit nicht von Kanonen oder Bomben angegriffen, sondern von Ideologien: von Ideologien, die nicht europäisch sind, die von außerhalb kommen oder in kleinen Gruppen in Europa entstehen, die nicht groß sind. Denken Sie an das geteilte und Krieg führende Europa 1914 und 1932/33 bis 1939, als der Krieg ausbrach: Kehren wir nicht dahin zurück, bitte! Lernen wir aus der Geschichte. Fallen wir nicht ins gleiche Loch. Ein anderes Mal habe ich Ihnen erzählt, dass man sagt, das einzige Tier, das zweimal in das gleiche Loch fällt, ist der Mensch. Der Esel tut es nicht!
Ich weiß nicht, was ich Ihnen weiter sagen soll … Aber lesen Sie diese Ansprache des Bürgermeisters von Aachen – sie ist ein Juwel.
Alessandro Gisotti:
Danke, Heiliger Vater. Danke für Ihre Verfügbarkeit am Ende dreier sehr anstrengender Tage; danke auch für diese fünf Reisen, eine nach der anderen, in dieser ersten Jahreshälfte, die so reich an Ereignissen, so verschieden waren hinsichtlich der Begegnungen, die Sie hatten. Danke.
Papst Franziskus:
Nun, zwei Dinge. Wegen des Klimas [wegen der Wetterbedingungen] musste ich gestern im Auto fahren – zwei Stunden vierzig. Es war ein Geschenk Gottes: Ich habe eine wunderschöne Landschaft gesehen, wie ich sie nie gesehen habe. Ich bin durch ganz Siebenbürgen gefahren: wie schön! Nie habe ich so etwas gesehen. Und heute, um nach Blaj [Blasendorf] zu fahren, war es das gleiche: schön, schön, so schön! Die Landschaft dieses Landes. Ich danke auch dem Regen, aufgrund dessen ich so reisen musste, nicht mit dem Hubschrauber, und mehr mit der Wirklichkeit in Berührung kam.
Und das zweite – ich weiß, dass einige von Ihnen Glaubende sind, andere nicht so sehr, aber ich werde es zu den Glaubenden sagen: Beten Sie für Europa, beten Sie für Europa, für die Einheit. Dass der Herr uns seine Gnade schenke. Zu den Nichtglaubenden: Wünscht, dass der gute Wille herrscht, der Wunsch des Herzens, das Verlangen, dass Europa dahin zurückkehrt, der Traum der Gründerväter zu sein. Danke. Vielen Dank. Und einen guten Abschluss Ihres „Festes“ [Welttag der sozialen Kommunikationsmittel].
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