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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM INTERNATIONALEN SYMPOSIUM
ZUM THEMA ABRÜSTUNG

Clementina-Saal
Freitag, 10- November 2017

[Multimedia]


Liebe Freunde!

Einem jeden von Ihnen gelten meine herzliche Begrüßung und meine tiefe Dankbarkeit für Ihre Anwesenheit und Ihre Tätigkeit im Dienst des Gemeinwohls. Kardinal Turkson danke ich für seine Worte der Begrüßung und Einführung. Sie sind zu diesem Symposium zusammengekommen, um Themen zu behandeln, die sowohl in sich selbst als auch in Anbetracht der Komplexität der aktuellen politischen Herausforderungen des von einer konfliktbeladenen instabilen Atmosphäre geprägten internationalen Szenariums von entscheidender Bedeutung sind. Ein düsterer Pessimismus könnte uns dazu verleiten zu meinen, dass »die Perspektiven für eine atomwaffenfreie Welt und für eine vollständige Abrüstung« – wie der Titel Ihrer Begegnung lautet – in immer weitere Ferne zu rücken scheinen. Tatsache ist, dass die Spirale der Aufrüstung kein Innehalten kennt und dass die Kosten der Modernisierung und Entwicklung der nicht nur atomaren Waffen einen beachtlichen Ausgabenanteil bei den Nationen darstellen. Das geht so weit, dass die wirklichen Prioritäten der leidenden Menschheit in den Hintergrund treten: der Kampf gegen die Armut, die Förderung des Friedens, die Umsetzung von Projekten im Bereich von Bildung, Umwelt und Gesundheitswesen sowie der Fortschritt in Bezug auf die Menschenrechte.[1]

Denken wir an die katastrophalen humanitären Folgen und die Konsequenzen für die Umwelt, die jeder Einsatz von Kernwaffen mit sich bringt, dann können wir nicht anders als große Sorge zu empfinden. Daher ist auch unter Berücksichtigung der Gefahr einer unbeabsichtigten Explosion solcher Waffen – aus welchem Irrtum auch immer dies geschehen mag – die Androhung ihres Einsatzes sowie ihr Besitz entschieden zu verurteilen, gerade weil deren Vorhandensein in Funktion einer Logik der Angst steht, die nicht nur die Konfliktparteien betrifft, sondern das gesamte Menschengeschlecht.

Die internationalen Beziehungen dürfen nicht von militärischer Macht, von gegenseitigen Einschüchterungen, von der Zurschaustellung des Waffenarsenals beherrscht werden. Vor allem atomare Massenvernichtungswaffen vermitteln lediglich ein trügerisches Gefühl von Sicherheit und können nicht die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben der Glieder der Menschheitsfamilie sein, das dagegen inspiriert sein muss von einer Ethik der Solidarität.[2] Unersetzlich ist unter diesem Gesichtspunkt das Zeugnis der »Hibakusha«, das heißt der von den Atombombenexplosionen von Hiroshima und Nagasaki Betroffenen, wie auch anderer Opfer von Atomwaffentests: Möge ihre prophetische Stimme vor allem den jungen Generationen eine Mahnung sein!

Darüber hinaus sind Waffen, deren Einsatz die Vernichtung des Menschengeschlechts zur Folge hat, auch unter militärischem Gesichtspunkt unlogisch. Im Übrigen steht wahre Wissenschaft stets im Dienst des Menschen, während die zeitgenössische Gesellschaft wie betäubt scheint von den Entgleisungen der in ihr vielleicht sogar zu einem ursprünglich guten Zweck entwickelten Projekte. Es mag ausreichen, daran zu denken, dass Nukleartechnik sich mittlerweile auch über die telematischen Kommunikationssysteme verbreitet und dass die Mittel des Völkerrechts nicht verhindert haben, dass neue Staaten zum Kreis der Atommächte hinzugekommen sind. Es handelt sich um beängstigende Szenarien, wenn man an die zeitgenössischen geopolitischen Herausforderungen wie Terrorismus und asymmetrische Konflikte denkt.

Und doch kann ein gesunder Realismus auf unserer chaotischen Welt weiterhin Lichter der Hoffnung entzünden. Zum Beispiel hat kürzlich der größte Teil der Mitglieder der Internationalen Gemeinschaft durch eine historische Abstimmung am Sitz der UNO festgelegt, dass Atomwaffen nicht nur als unmoralisch, sondern auch als illegitimes Mittel der Kriegführung zu betrachten sind. Auf diese Weise wurde eine wichtige juristische Lücke geschlossen, da Chemiewaffen, biologische Waffen, Antipersonenminen und Streubomben ausdrücklich durch internationale Konventionen geächtet worden sind. Noch bedeutsamer ist die Tatsache, dass diese Resultate in erster Linie einer »humanitären Initiative« zu verdanken sind, gefördert von einer wertvollen Allianz zwischen Zivilgesellschaft, Staat, internationalen Organisationen, Kirchen, Akademien und Expertengruppen. In diesem Kontext steht auch das Dokument, das Sie als Friedensnobelpreisträger mir überreicht haben und für das ich meine dankbare Wertschätzung zum Ausdruck bringe.

Gerade in diesem Jahr 2017 begehen wir den 50. Jahrestag der Enzyklika Populorum progressio von Paul VI. Sie hat die christliche Sicht der menschlichen Person weiterentwickelt und den Begriff der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung als neuen Namen für den Frieden in den Vordergrund gestellt. In diesem denkwürdigen und äußerst aktuellen Dokument hat der Papst die synthetische, treffende Formulierung geprägt: »Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muss umfassend sein, sie muss jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben« (Nr. 14).

Daher muss man vor allem die Wegwerfkultur ablehnen und Sorge tragen für Menschen und Völker, die am meisten unter schmerzlichen Ungleichheiten leiden, und zwar durch ein Handeln, das geduldig solidarische Prozesse dem Egoismus kontingenter Interessen vorzuziehen weiß. Zugleich geht es darum, die individuelle und die soziale Dimension durch die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips zu integrieren, indem man den Beitrag aller, als Einzelpersonen und als Gruppen, fördert. Schließlich muss das Menschliche in seiner unauflösbaren Einheit von Seele und Leib, von Kontemplation und Aktion gefördert werden. So kann ein effektiver und inklusiver Fortschritt die Utopie einer Welt ohne verheerende Angriffswaffen realisierbar machen, unbeschadet der Kritik derer, die Abrüstungsprozesse für idealistisch halten. Das Lehramt von Papst Johannes XXIII. behält hier weiterhin seine Gültigkeit, der klar das Ziel einer völligen Abrüstung vorgab, als er sagte: »Das Ablassen von der Rüstungssteigerung, die wirksame Abrüstung oder – erst recht – die völlige Beseitigung der Waffen sind so gut wie unmöglich, wenn Abschied von den Waffen nicht allseitig ist und auch die Gesinnung erfasst, das heißt, wenn sich nicht alle einmütig und aufrichtig Mühe geben, dass die Furcht und die angstvolle Erwartung eines Krieges aus den Herzen gebannt werden« (Enzyklika Pacem in terris, 11. April 1963, 61).

Die Kirche wird nicht müde, der Welt diese Weisheit und die von ihr inspirierten Werke anzubieten in dem Bewusstsein, dass die ganzheitliche Entwicklung der gute Weg ist, den zu gehen die Menschheitsfamilie aufgerufen ist. Ich ermutige Sie, diesen Einsatz geduldig und beharrlich weiterzuführen im Vertrauen, dass der Herr uns begleitet. Er segne einen jeden von Ihnen und auch die Arbeit, die Sie im Dienst an Gerechtigkeit und Frieden leisten. Danke.


Fußnoten

[1] Vgl. Botschaft an die III. Konferenz über die humanitären Auswirkungen von Atomwaffen, 7. Dezember 2014.

[2] Vgl. Botschaft an die UNO-Konferenz zu Verhandlungen über ein rechtlich bindendes Instrument, um mit dem Ziel der vollständigen Abschaffung ein Verbot der Atomwaffen zu erreichen, 27. März 2017.

 



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