PASTORALBESUCH VON PAPST FRANZISKUS IN MAILAND
BEGEGNUNG MIT PRIESTERN UND ORDENSLEUTEN
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Hochfest Verkündigung des Herrn
Mailänder Dom
Samstag, 25. März 2017
Gabriele Gioia, Priester:
Viel Kraft und Zeit der Priester wird davon beansprucht, die traditionellen Formen des Dienstes weiterzuführen, aber wir spüren die Herausforderungen der Säkularisierung und die Bedeutungslosigkeit des Glaubens in der Entwicklung einer Mailänder Gesellschaft, die immer pluralistischer, multiethnischer, multireligiöser und multikultureller wird. Manchmal fühlen auch wir uns wie Petrus und die Apostel, denen trotz aller Mühe keine Fische ins Netz gegangen sind. Wir fragen Sie: Welche Läuterungen müssen wir durchführen und welche vorrangigen Entscheidungen müssen wir treffen, um nicht die Freude zu verlieren, zu evangelisieren und Volk Gottes zu sein, das seine Liebe zu jedem Menschen bezeugt? Heiligkeit, wir lieben Sie und beten für Sie.
Papst Franziskus:
Danke. Danke. Die drei Fragen, die ihr stellen werdet, wurden mir zugeschickt. Das wird immer so gemacht. Gewöhnlich antworte ich aus dem Stegreif, aber diesmal habe ich gedacht, dass es an einem Tag mit einem so dichten Programm besser wäre, etwas zu schreiben, um zu antworten. Ich habe deine Frage gehört, Don Gabriele. Ich hatte sie vorher gelesen, aber während du gesprochen hast, sind mir zwei Dinge in den Sinn gekommen. Erstens: »Fische fangen«. Du weißt, dass die Evangelisierung nicht immer gleichbedeutend ist mit »Fische fangen«: Es bedeutet hinzugehen, hinauszufahren, Zeugnis zu geben… Und dann ist er es, der Herr, der »die Fische fängt«. Wann, wie und wo, das wissen wir nicht. Und das ist sehr wichtig. Und auch von jener Wirklichkeit auszugehen, dass wir Werkzeuge, nutzlose Werkzeuge sind. Etwas anderes, das du gesagt hast, jene Sorge, die du zum Ausdruck gebracht hast und die die Sorge ist, die ihr alle habt: nicht die Freude verlieren zu evangelisieren. Denn Evangelisieren ist eine Freude.
Der große Paul VI. sprach im Apostolischen Schreiben Evangelii nuntiandi – dem größten pastoralen Dokument der nachkonziliaren Zeit, das heute immer noch zeitgemäß ist – von dieser Freude: Die Freude der Kirche besteht darin zu evangelisieren. Und wir müssen um die Gnade bitten, sie nicht zu verlieren. Er [Paul VI.] sagt zu uns fast am Ende [jenes Dokuments]: Bewahren wir diese Freude am Evangelisieren; nicht als traurige, gelangweilte Verkünder – das geht nicht. Ein trauriger Verkünder ist jemand, der nicht überzeugt ist, dass Jesus Freude ist, dass Jesus dir die Freude bringt, wenn er dich ruft, dein Leben verändert und dir die Freude schenkt und dich in der Freude aussendet, auch am Kreuz, aber in der Freude, um zu evangelisieren. Danke, dass du diese Dinge hervorgehoben ist, die du gesagt hast, Gabriele. Und jetzt die Dinge, die ich über diese Frage gedacht habe, zu Hause, um Dinge zu sagen, die besser durchdacht sind.
a. Eines der ersten Dinge, die mir in den Sinn kommen, ist das Wort »Herausforderung«, das du gebraucht hast: »viele Herausforderungen«, hast du gesagt. Jede geschichtliche Epoche, von den Anfängen des Christentums an, war ständig zahlreichen Herausforderungen unterworfen: Herausforderungen innerhalb der kirchlichen Gemeinschaft und gleichzeitig in der Beziehung zur Gesellschaft, in der der Glaube Gestalt annahm. Erinnern wir uns an die Geschichte von Petrus im Haus des Kornelius in Cäsarea (vgl. Apg 10,24- 35) oder an die Auseinandersetzung in Antiochia und dann in Jerusalem, ob es notwendig sei oder nicht, die Heiden zu beschneiden (vgl. Apg 15,1-6), und so weiter. Wir dürfen daher Herausforderungen nicht fürchten, das muss klar sein. Wir dürfen Herausforderungen nicht fürchten. Wie oft hört man Klagen: »Ach, in unserer Zeit gibt es so viele Herausforderungen, und wir sind traurig… « Nein. Keine Furcht haben. Die Herausforderungen muss man wie einen Stier packen: bei den Hörnern. Die Herausforderungen nicht fürchten. Und es ist gut, dass es sie gibt, die Herausforderungen. Es ist gut, denn sie lassen uns wachsen. Sie sind Zeichen eines lebendigen Glaubens, einer lebendigen Gemeinschaft, die ihren Herrn sucht und die Augen und das Herz offenhält. Wir müssen vielmehr einen Glauben ohne Herausforderungen fürchten, einen Glauben, der sich für vollkommen hält, ganz vollkommen: Ich brauche nichts weiter, alles fertig. Dieser Glaube ist so verwässert, dass er zu nichts dient. Das müssen wir fürchten. Und man hält ihn für vollkommen, so als wäre alles gesagt und umgesetzt. Die Herausforderungen helfen uns, dafür zu sorgen, dass unser Glaube nicht ideologisch wird. Es gibt die Gefahren der Ideologien, immer. Die Ideologien wachsen, sie wachsen und gedeihen, wenn man meint, den vollkommenen Glauben zu haben, und er ideologisch wird. Die Herausforderungen retten uns vor einem geschlossenen und endgültigen Glauben und öffnen uns für ein umfassenderes Verständnis der Offenbarung. In der dogmatischen Konstitution Dei Verbum heißt es: »Die Kirche strebt im Gang der Jahrhunderte ständig der Fülle der göttlichen Wahrheit entgegen, bis an ihr sich Gottes Worte erfüllen« (8). Und dabei helfen uns die Herausforderungen, uns dem offenbarten Geheimnis gegenüber zu öffnen. Das ist eine erste Sache, die ich dem entnehme, was du gesagt hast.
b. Die zweite Sache. Du hast von einer »Multi«-Gesellschaft gesprochen: multikulturell, multireligiös, multiethnisch. Ich glaube, dass die Kirche im Laufe ihrer ganzen Geschichte uns – oft ohne dass wir uns dessen bewusst sind – viel lehren und helfen kann in Bezug auf eine Kultur der Vielfalt. Wir müssen lernen. Der Heilige Geist ist der Meister der Vielfalt. Schauen wir auf unsere Diözesen, unsere Priester, unsere Gemeinschaften. Schauen wir auf unsere Kongregationen. Viele Charismen, viele Formen, die Glaubenserfahrung umzusetzen. Die Kirche ist eine in einer vielgestaltigen Erfahrung. Sie ist eine, ja. Aber in einer vielgestaltigen Erfahrung. Das ist der Reichtum der Kirche. Obwohl sie eine ist, ist sie vielgestaltig. Das Evangelium ist eins in seiner vierfachen Form. Das Evangelium ist eins, aber es sind vier, und sie sind verschieden, aber diese Vielfalt ist ein Reichtum. Das Evangelium ist eins in einer vierfachen Form. Das gibt unseren Gemeinschaften einen Reichtum, der das Wirken des Heiligen Geistes offenbart. Die kirchliche Überlieferung hat eine große Erfahrung, wie sie in ihrer Geschichte und in ihrem Leben mit dieser Vielfalt »umgehen« soll. Wir haben alles Mögliche gesehen und sehen es: Wir haben viel Reichtum und viele Schrecken und Irrtümer gesehen und sehen sie. Und hier haben wir einen guten Schlüssel, der uns hilft, die gegenwärtige Welt zu verstehen. Ohne sie zu verurteilen und ohne sie zu heiligen. Einfach indem wir die lichtvollen und die dunklen Aspekte erkennen. Auch indem wir einander helfen, ein Übermaß an Einförmigkeit oder an Relativismus zu erkennen: zwei Tendenzen, die die Einheit der Unterschiede, die gegenseitige Abhängigkeit beseitigen wollen. Aber wer macht die Unterschiede? Der Heilige Geist: Er ist der Meister der Unterschiede! Und wer schafft die Einheit? Der Heilige Geist: Er ist auch der Meister der Einheit!
Jener große Künstler, jener große Meister der Einheit in den Unterschieden ist der Heilige Geist. Und das müssen wir gut verstehen. Und ich werde später in Bezug auf die Unterscheidung darüber sprechen: unterscheiden, wann es der Geist ist, der die Unterschiede und die Einheit macht, und wann es nicht der Geist ist, der einen Unterschied und eine Spaltung macht. Wie oft haben wir Einheit mit Einförmigkeit verwechselt? Und es ist nicht dasselbe. Oder wie oft haben wir Vielfalt mit Pluralismus verwechselt? Und es ist nicht dasselbe. Einförmigkeit und Pluralismus sind nicht vom guten Geist: Sie kommen nicht vom Heiligen Geist. Pluralität und Einheit dagegen kommen vom Heiligen Geist. In beiden Fällen versucht man, die Spannung zu reduzieren und den Konflikt oder die Widersprüchlichkeit zu beseitigen, denen wir als Menschen unterworfen sind. Wenn man versucht, einen der Spannungspole zu beseitigen, dann versucht man, die Form zu beseitigen, in der Gott sich in der Menschennatur seines Sohnes offenbaren wollte. Alles, was das menschliche Drama nicht annimmt, kann eine sehr klare und deutliche Theorie sein, die jedoch nicht mit der Offenbarung übereinstimmt und daher ideologisch ist. Um christlich und nicht illusorisch zu sein, muss der Glaube innerhalb der Prozesse gestaltet werden: der menschlichen Prozesse, ohne auf sie reduziert zu werden. Auch das ist eine gute Spannung. Es ist die schöne und anspruchsvolle Aufgabe, die unser Herr uns hinterlassen hat, das »schon und noch nicht« des Heils. Und das ist sehr wichtig: Einheit in den Unterschieden. Das ist eine Spannung. Es ist jedoch eine Spannung, die uns in der Kirche immer wachsen lässt.
c. Eine dritte Sache. Es gibt eine Entscheidung, der wir als Hirten nicht ausweichen dürfen: zur Unterscheidung heranbilden. Unterscheidung von Dingen, die entgegengesetzt erscheinen oder entgegengesetzt sind, um zu verstehen, wann eine Spannung, ein Widerspruch vom Heiligen Geist kommt und wann er vom Bösen kommt. Und dafür zur Unterscheidung heranbilden. Wie ich der Frage entnehme, bietet die Vielfalt ein sehr verfängliches Szenarium. Die Kultur des Überflusses, der wir unterworfen sind, bietet einen Horizont mit vielen Möglichkeiten, die alle als wertvoll und gut dargestellt werden. Unsere jungen Menschen sind einem ständigen »Kanalwechsel « ausgesetzt. Sie können sich auf zwei oder drei geöffneten Bildschirmen gleichzeitig bewegen, können auf verschiedenen virtuellen Schauplätzen gleichzeitig interagieren. Ob es uns gefällt oder nicht: Das ist die Welt, in der sie sich befinden, und unsere Aufgabe als Hirten ist es, ihnen zu helfen, durch diese Welt zu gehen. Ich meine daher, dass es gut ist, ihnen beizubringen, die Dinge zu unterscheiden, damit sie die Werkzeuge und Elemente haben, die ihnen helfen, den Weg des Lebens zu gehen, ohne dass man den Heiligen Geist, der in ihnen ist, zum verlöschen bringt. In einer Welt ohne Auswahlmöglichkeiten, oder mit weniger Auswahl, würden die Dinge vielleicht klarer erscheinen, ich weiß nicht.
Heute sind unsere Gläubigen – und wir selbst – jedoch dieser Wirklichkeit ausgesetzt, und daher bin ich überzeugt, dass wir als kirchliche Gemeinschaft die Unterscheidung immer mehr zur Gewohnheit machen müssen: diese Gnade, von den Kleinen bis zu den Erwachsenen, alle. Als Kinder ist es einfach, dass Vater und Mutter uns sagen, was wir tun sollen – nun gut, heute ist es, glaube ich, nicht so einfach; zu meiner Zeit ja, aber heute weiß ich nicht, jedenfalls ist es einfacher. Wenn wir jedoch heranwachsen, inmitten einer Vielzahl von Stimmen, wo scheinbar alle recht haben, ist die Erkenntnis dessen, was uns zur Auferstehung, zum Leben und nicht zu einer Kultur des Todes führt, entscheidend. Daher betone ich so sehr die Notwendigkeit der Unterscheidung. Sie ist ein katechetisches Mittel, auch für das Leben. In der Katechese, in der geistlichen Begleitung, in den Predigten müssen wir unserem Volk, den jungen Menschen, den Kindern, den Erwachsenen die Unterscheidung lehren. Und wir müssen sie lehren, um die Gnade der Unterscheidung zu bitten.
Diesbezüglich verweise ich euch auf jenen Teil des Apostolischen Schreibens Evangelii gaudium, der überschrieben ist mit »Die Mission, die in den menschlichen Begrenzungen Gestalt annimmt «: die Abschnitte 40 bis 45 von Evangelii gaudium. Und das ist der dritte Punkt, mit dem ich dir geantwortet habe. Es sind kleine Dinge, die vielleicht helfen werden bei eurer Reflexion über die Fragen und dann im Gespräch unter euch. Ich danke dir vielmals.
Roberto Crespi, ständiger Diakon:
Heiligkeit, guten Tag. Ich bin Roberto, ständiger Diakon. Der Diakonat ist im Jahr 1990 in unseren Klerus hineingekommen, und gegenwärtig sind wir 143. Das ist keine große, aber eine bedeutende Zahl. Wir sind Männer, die ihre – eheliche oder zölibatäre – Berufung in vollem Umfang leben, die jedoch auch in vollem Umfang die Arbeits- und Berufswelt leben. Wir bringen also etwas von der Welt der Familie und von der Arbeitswelt in den Klerus. Wir bringen all die Dimensionen der Schönheit und der Erfahrung mit, aber auch die Mühen und manchmal auch Wunden. Wir fragen Sie daher: Was ist unser Teil als ständige Diakone, um dazu beizutragen, jenes Antlitz der Kirche aufzuzeigen, das demütig ist, das uneigennützig ist, das glückselig ist: das, von dem wir spüren, dass es in Ihrem Herzen ist und von dem Sie oft zu uns sprechen? Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und versichere Sie unseres Gebets und zusammen mit unserem auch des Gebets unserer Ehefrauen und unserer Familien.
Papst Franziskus:
Danke. Ihr Diakone habt viel zu tun, viel zu tun. Denken wir an den Wert der Unterscheidung. Innerhalb des Presbyteriums könnt ihr eine maßgebliche Stimme sein, um die Spannung zwischen dem Müssen und dem Wollen aufzuzeigen, die Spannungen, die in der Familie gelebt werden – ihr habt eine Schwiegermutter, um ein Beispiel zu nennen! Ebenso wie den Segen innerhalb des Familienlebens. Wir müssen jedoch achtgeben, die Diakone nicht als halbe Priester und halbe Laien zu betrachten. Das ist eine Gefahr. Am Ende stehen sie weder hier noch dort. Nein, das darf nicht sein, es ist eine Gefahr. Sie so zu betrachten tut uns nicht gut und tut ihnen nicht gut. Diese Sichtweise von ihnen nimmt dem Charisma, das dem Diakonat innewohnt, die Kraft. Dahin wollen wir zurückkehren: das Charisma, das dem Diakonat innewohnt.
Und dieses Charisma liegt im Leben der Kirche. Und auch das Bild vom Diakon als eine Art »Mittler« zwischen den Gläubigen und den Hirten ist nicht in Ordnung. Weder auf halbem Wege zwischen den Priestern und den Laien, noch auf halbem Wege zwischen den Hirten und den Gläubigen. Und es gibt zwei Versuchungen. Es gibt die Gefahr des Klerikalismus: der Diakon, der zu klerikal ist. Nein, nein, das geht nicht. Manchmal sehe ich jemanden, der in der Liturgie dient und fast den Platz des Priesters einnehmen will. Der Klerikalismus, hütet euch vor dem Klerikalismus. Und die andere Versuchung ist der Funktionalismus: Er ist eine Hilfe, die der Priester für dieses oder jenes hat…; er ist ein Laufbursche für bestimmte Aufgaben und nicht für andere Dinge… Nein. Ihr habt ein klares Charisma in der Kirche und müsst es aufbauen.
Der Diakonat ist eine besondere Berufung, eine familiäre Berufung, die auf das Dienen verweist. Ich mag es sehr, als [in der Apostelgeschichte] die ersten hellenistischen Christen zu den Aposteln gegangen sind, um sich zu beklagen, weil ihre Witwen und ihre Waisen nicht gut versorgt wurden und sie jene Zusammenkunft hatten, jene »Synode« zwischen den Aposteln und den Jüngern, und sie die Diakone »erfunden« haben, um zu dienen. Und das ist sehr interessant auch für uns Bischöfe, denn das waren alles Bischöfe, die die Diakone »gemacht« haben. Und was sagt uns das? Dass die Diakone Diener sein müssen. Dann haben sie verstanden, dass es in diesem Fall dafür war, den Witwen und Waisen beizustehen: aber dienen. Und uns Bischöfen: das Gebet und die Verkündigung des Wortes. Und das zeigt uns, welches das wichtigste Charisma eines Bischofs ist: beten. Was ist die Aufgabe eines Bischofs, die vorrangige Aufgabe? Das Gebet.
Die zweite Aufgabe: das Wort verkündigen. Man sieht jedoch deutlich den Unterschied. Und euch [Diakonen]: der Dienst. Dieses Wort ist der Schlüssel, um euer Charisma zu verstehen. Das Dienen als eine der Gaben, die das Gottesvolk kennzeichnen. Der Diakon ist – sozusagen – der Hüter des Dienstes in der Kirche. Jedes Wort muss gut bemessen sein. Ihr seid die Hüter des Dienstes in der Kirche: der Dienst am Wort, der Dienst am Altar, der Dienst an den Armen. Und eure Sendung, die Sendung des Diakons, und sein Beitrag bestehen darin: uns allen in Erinnerung zu rufen, dass der Glaube in seinen verschiedenen Ausdrucksformen – der gemeinsame Gottesdienst, das persönliche Gebet, die verschiedenen Formen der Nächstenliebe – und in seinen verschiedenen Lebensständen – der laikale, der klerikale und der familiäre – eine wesentliche Dimension des Dienens besitzt. Der Dienst an Gott und an den Brüdern. Und in diesem Sinne gibt es einen langen Weg zu beschreiten! Ihr seid die Hüter des Dienstes in der Kirche.
Darin besteht der Wert der Charismen in der Kirche: Sie sind eine Erinnerung und ein Geschenk, um dem ganzen Gottesvolk zu helfen, die Perspektive und den Reichtum des Wirkens Gottes nicht zu verlieren. Ihr seid nicht halbe Priester und halbe Laien – das würde bedeuten, den Diakonat zu »funktionalisieren« –, sondern ihr seid das Sakrament des Dienstes an Gott und an den Brüdern. Und aus diesem Wort »Dienst« kommt die ganze Entwicklung eurer Arbeit, eurer Berufung, eures Daseins in der Kirche: eine Berufung, die wie alle Berufungen nicht nur individuell ist, sondern in der Familie und mit der Familie gelebt wird – im Volk Gottes und mit dem Volk Gottes.
Zusammenfassend: – es gibt keinen Dienst am Altar, es gibt keine Liturgie, die sich nicht dem Dienst an den Armen öffnet, und es gibt keinen Dienst an den Armen, der nicht zur Liturgie führt; – es gibt keine kirchliche Berufung, die keine familiäre Berufung ist. Das hilft uns, den Diakonat als kirchliche Berufung wiederaufzuwerten. Letztlich muss heutzutage scheinbar alles »uns dienen«, so als sei alles auf das Individuum ausgerichtet: das Gebet »dient mir«, die Gemeinschaft »dient mir«, die Nächstenliebe »dient mir«. Das ist ein Merkmal unserer Kultur. Ihr seid das Geschenk, das der Geist uns macht, um zu erkennen, dass der richtige Weg in die entgegengesetzte Richtung führt: Im Gebet diene ich, in der Gemeinschaft diene ich, durch die Solidarität diene ich Gott und dem Nächsten. Und Gott möge euch die Gnade schenken, in diesem Charisma zu wachsen, den Dienst in der Kirche zu bewahren. Danke für das, was ihr tut.
Mutter M. Paola Paganoni OSC:
Heiligkeit, ich bin Mutter Paola von den »Suore Orsoline di San Carlo«. Ich bin hier im Namen des gesamten geweihten Lebens in der Mailänder Kirche sowie in der ganzen Lombardei. Ich danke Ihnen für Ihre Anwesenheit, vor allem aber für das Lebenszeugnis, das Sie uns schenken. Von der heiligen Marcellina, der Schwester des Ambrosius, an ist das geweihte Leben bis heute in der Mailänder Kirche eine lebendige, bedeutende Gegenwart mit altehrwürdigen Formen – und Sie haben sie hier gesehen – und mit neuen Formen. Wir möchten Sie fragen, Vater, wie wir heute, für den Menschen von heute, Zeugen der Prophetie – »Hüter des Staunens«, wie Sie sagen – sein und mit unserem armen Leben ein Leben bezeugen können, das gehorsam, jungfräulich, arm und brüderlich ist? Und außerdem: Welche existentiellen Randgebiete, welche Bereiche sollen wir angesichts unserer wenigen – wir scheinen viele zu sein, haben aber ein hohes Alter – angesichts unserer wenigen Kräfte für die Zukunft wählen, vorziehen, im erneuerten Bewusstsein um unsere Minorität – Minorität in der Gesellschaft und Minorität auch in der Kirche? Danke – Wir versichern Sie unseres täglichen Gedenkens.
Papst Franziskus:
Danke. Mir gefällt das Wort »Minorität«. Es ist wahr, dass es das Charisma der Franziskaner ist, aber auch wir alle müssen »Mindere« sein: Die Minorität ist eine geistliche Haltung, die gleichsam das Siegel des Christen ist. Es gefällt mir, dass Sie dieses Wort benutzt haben. Und ich werde bei diesem letzten Wort beginnen: Minorität, die Minderheit. Gewöhnlich – ich sage jedoch nicht, dass das bei Ihnen der Fall ist – ist es ein Wort, das von einem Gefühl begleitet wird: »Wir scheinen viele zu sein, aber viele sind alt, wir sind wenige…« Und welches Gefühl liegt dem zugrunde? Die Resignation. Ein schlechtes Gefühl. Jedes Mal, wenn wir meinen oder feststellen, dass wir wenige – oder in vielen Fällen alt – sind, wenn wir die Last spüren, die Schwäche mehr als die Herrlichkeit, beginnt unser Geist, von der Resignation zersetzt zu werden. Und die Resignation führt dann zum Überdruss…
Ich empfehle euch: Wenn ihr Zeit habt, dann lest, was die Wüstenväter über den Überdruss sagen: Es ist eine Sache, die heute von großer Aktualität ist. Ich glaube, dass hier das erste Handeln entsteht, auf das wir achten müssen: wenige ja, in der Minderheit ja, alt ja, resigniert nein! Es sind sehr dünne Fäden, die man nur vor dem Herrn erkennt, wenn wir unser Inneres erforschen. Als der Kardinal gesprochen hat, hat er zwei Worte gesagt, die mich sehr berührt haben. Als er über die Barmherzigkeit sprach, sagte er, dass die Barmherzigkeit »erquickt und Frieden schenkt«.
Ein gutes Heilmittel gegen die Resignation ist die Barmherzigkeit, die erquickt und Frieden schenkt. Wenn wir der Resignation anheimfallen, uns von der Barmherzigkeit entfernen, sollten wir sofort zu jemandem – einem Mann oder einer Frau –, zum Herrn gehen und um Barmherzigkeit bitten, damit er uns erquickt und uns den Frieden schenkt. Wenn wir von der Resignation ergriffen werden, leben wir mit der Vorstellung einer herrlichen Vergangenheit, die – weit davon entfernt, das ursprüngliche Charisma neu zu erwecken – uns immer mehr in eine Spirale existenzieller Schwerfälligkeit einhüllt. Alles wird schwerer und schwer zu heben. Und hier – das ist etwas, das ich nicht geschrieben habe, aber ich werde es sagen – denn es ist nicht so schön, es zu sagen, aber verzeiht mir, das kommt vor, und ich werde es sagen. Die Gebäude beginnen zur Last zu werden.
Sie stehen leer, wir wissen nicht, was wir tun sollen, und wir denken daran, die Gebäude zu verkaufen, um Geld zu haben, Geld für das Alter… Das Geld, das war auf der Bank haben, beginnt, zur Last zu werden… Und die Armut, wo geht sie hin? Aber der Herr ist gut, und wenn eine Kongregation sich nicht auf dem Weg des Armutsgelübdes befindet, dann schickt er ihr gewöhnlich einen schlechten Ökonom – oder eine schlechte Ökonomin – der alles ruiniert! Und das ist eine Gnade! [Er lacht, Beifall]. Ich sagte, dass alles schwerer wird und schwer zu heben ist. Und die Versuchung liegt immer darin, nach menschlichen Sicherheiten zu suchen. Ich habe vom Geld gesprochen, das eine der menschlichsten Sicherheiten ist, die wir haben. Es tut daher allen gut, zu den Ursprüngen zurückzugehen, eine Wallfahrt zu den Ursprüngen zu machen, eine Erinnerung, die uns aus jeder herrlichen, aber unwirklichen Vorstellung von der Vergangenheit rettet.
Der Blick des Glaubens ist fähig, heißt es in Evangelii gaudium, »das Licht zu erkennen, das der Heilige Geist immer inmitten der Dunkelheit verbreitet. Er vergisst nicht, dass‚ wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß geworden ist« (Röm 5,20). Unser Glaube ist herausgefordert, den Wein zu erahnen, in den das Wasser verwandelt werden kann, und den Weizen zu entdecken, der inmitten des Unkrauts wächst« (Nr. 84).
Unsere Gründerväter und Gründermütter dachten nie daran, eine Menge oder eine große Mehrheit zu sein. Unsere Gründer fühlten sich in einem konkreten Augenblick der Geschichte vom Heiligen Geist dazu bewegt, freudige Gegenwart des Evangeliums für die Brüder zu sein, die Kirche als Sauerteig in der Masse, als Salz und Licht der Welt zu erneuern und aufzubauen. Ich denke an das Wort eines Gründers, es ist mir klar im Gedächtnis, aber viele haben dasselbe gesagt: »Habt Angst vor der Menge.« Es mögen nicht viele kommen, aus Angst, sie nicht gut auszubilden, aus Angst, das Charisma nicht zu vermitteln… Einer sprach von der »turba multa«. Nein. Sie haben einfach nur daran gedacht, das Evangelium, das Charisma weiterzutragen.
Ich glaube, dass einer der Gründe, die uns hemmen oder uns die Freude nehmen, in diesem Aspekt liegt. Unsere Kongregationen sind nicht entstanden, um die Masse zu sein, sondern etwas Salz und etwas Sauerteig, die dazu beitragen, dass die Masse wachsen kann, dass das Volk Gottes jene »Würze« bekommt, die ihm fehlte.
Viele Jahre lang waren wir versucht zu glauben – und viele von uns sind mit dieser Vorstellung aufgewachsen –, dass die Ordensfamilien mehr Räume besitzen als Prozesse in Gang setzen müssen, und das ist eine Versuchung. Wir müssen Prozesse in Gang setzen, nicht Räume besitzen. Ich habe Angst vor Statistiken, weil sie uns oft täuschen. Einerseits sagen sie uns die Wahrheit, aber dann schleicht sich die Illusion ein, und sie führen uns zur Täuschung. Räume besitzen anstatt Prozesse in Gang zu setzen: Wir waren davon versucht, weil wir dachten, dass – angesichts der Tatsache, dass wir viele waren – der Konflikt vielleicht mehr wiegen würde als die Einheit, dass die Ideen (oder unsere Unfähigkeit zur Veränderung) wichtiger sind als die Wirklichkeit, oder dass der Teil (unser kleiner Teil oder unsere Sicht der Welt) dem kirchlichen Ganzen übergeordnet ist (vgl. ebd., 222-237). Das ist eine Versuchung. Ich habe jedoch nie einen Pizzabäcker gesehen, der, um eine Pizza zu backen, ein halbes Kilo Sauerteig nimmt und 100 Gramm Mehl, nein. Im Gegenteil. Wenig Sauerteig, um das Mehl aufgehen zu lassen.
Heute hinterfragt uns die Wirklichkeit, heute lädt die Wirklichkeit uns ein, wieder ein wenig Sauerteig, ein wenig Salz zu sein. Gestern Abend hat der »Osservatore Romano«, der abends erscheint, aber mit dem heutigen Datum, über die Abreise der letzten beiden Kleinen Schwestern Jesu aus Afghanistan, unter den Muslimen, berichtet. Denn es gab keine [Schwestern] mehr, und sie waren alt und mussten zurückkehren. Sie sprachen Afghanisch. Alle hatten sie gern: Muslime, Katholiken, Christen… Warum? Weil sie Zeugen waren. Warum? Weil sie Gott, dem Vater aller Menschen, geweiht waren. Und ich habe gedacht, ich habe zum Herrn gesagt, als ich das las – sucht das heute im »Osservatore Romano «, es lässt uns über Ihre Frage nachdenken –: »Aber Jesus, warum lässt du jene Menschen so zurück?« Und mir kam das koreanische Volk in den Sinn, wo es zu Beginn drei oder vier chinesische Missionare gab – zu Beginn –, und dann die Botschaft zwei Jahrhunderte lang nur von Laien weitergegeben wurde. Die Wege des Herrn sind so, wie er sie will. Ein Akt des Vertrauens wird uns jedoch guttun: Er ist es, der die Geschichte führt. Das ist wahr. Wir tun alles, um zu wachsen, um stark zu sein… Aber nicht die Resignation. Prozesse in Gang setzen. Die heutige Wirklichkeit hinterfragt uns – ich wiederhole –, die Wirklichkeit lädt uns ein, wieder ein wenig Sauerteig, ein wenig Salz zu sein. Könntet ihr euch eine Mahlzeit mit viel Salz vorstellen? Niemand würde sie essen. Heute ruft die Wirklichkeit – durch viele Faktoren, mit deren Untersuchung wir uns jetzt nicht aufhalten können – uns auf, Prozesse in Gang zu setzen anstatt Räume zu besitzen, für die Einheit zu kämpfen statt uns an vergangene Konflikte zu hängen, die Wirklichkeit anzuhören, uns zu öffnen für die »Masse«, für das heilige Volk Gottes, für das kirchliche Ganze. Uns auf das kirchliche Ganze hin öffnen.
Eine gesegnete Minderheit, die erneut eingeladen ist, Sauerteig zu sein, Sauerteig zu sein in Übereinstimmung mit dem, was der Heilige Geist in das Herz eurer Gründer und in euer eigenes Herz eingegeben hat. Das ist es, was heute gebraucht wird. Ich komme zu einem letzten Punkt. Ich würde nicht wagen, euch zu sagen, auf welche existentiellen Randgebiete die Sendung ausgerichtet sein soll, denn gewöhnlich hat der Heilige Geist die Charismen für die Randgebiete eingegeben, um an die Orte, in die Winkel zu gehen, die gewöhnlich verlassen sind. Ich glaube nicht, dass der Papst euch sagen kann: Kümmert auch um dieses oder jenes. Was der Papst auch sagen kann, ist dies: Ihr seid wenige Frauen, ihr seid wenige Männer, ihr seid die, die ihr seid. Geht in die Randgebiete, geht an die Grenzen, um dem Herrn zu begegnen, um die Sendung der Ursprünge zu erneuern. In das Galiläa der ersten Begegnung, in das Galiläa der ersten Begegnung zurückkehren! Und das wird uns allen guttun, es wird uns wachsen lassen, es wird uns zu einer Menge machen.
Mir kommt jetzt die Verwirrung in den Sinn, die unser Vater Abraham sicher hatte. Man ließ ihn zum Himmel hinaufsehen: »Zähl die Sterne!« – er konnte es jedoch nicht – »so zahlreich werden deine Nachkommen sein«. Und dann: »deinen einzigen Sohn« – den einzigen, der andere war bereits gegangen, aber dieser hatte die Verheißung – »lass ihn auf den Berg steigen, und bring ihn mir zum Opfer dar«. Von den zahlreichen Sternen zum Opfer des eigenen Sohnes: Die Logik Gottes versteht man nicht. Man gehorcht nur. Und das ist der Weg, den ihn gehen müsst.
Sucht die Randgebiete aus, erweckt Prozesse, entflammt die Hoffnung, die verloschen und geschwächt ist von einer Gesellschaft, die dem Schmerz anderer gegenüber gefühllos geworden ist. In unserer Schwäche als Kongregationen können wir achtsamer werden gegenüber den vielen Schwächen, die uns umgeben, und sie in Räume des Segens verwandeln. Das wird der Augenblick sein, an dem der Herr zu euch sagen wird: »Bleib stehen, dort ist ein Zicklein. Opfere nicht deinen einzigen Sohn.« Geht hin und bringt die »Salbung « Christi, geht. Ich jage euch nicht weg! Ich sage nur: Geht und bringt die Sendung Christi, euer Charisma.
Und wir dürfen nicht vergessen: Wenn man »Jesus mitten in sein Volk stellt, erfährt dieses die Freude. Ja, nur das kann uns die Freude und die Hoffnung wiedergeben, nur das wird uns davor bewahren, in einer Haltung des Überlebens zu verharren. Nur das wird unser Leben fruchtbar machen und unser Herz lebendig erhalten. Jesus dorthin stellen, wo er stehen muss: mitten in seinem Volk« (Predigt am Fest der Darstellung des Herrn, 21. Welttag des geweihten Lebens, 2. Februar 2017). Das ist eure Aufgabe. Danke, Mutter. Danke.
Und jetzt beten wir gemeinsam. Ich werde euch den Segen erteilen, und ich bitte euch, für mich zu beten, denn ich muss vom Gebet des Volkes Gottes, der geweihten Personen und der Priester unterstützt werden. Vielen Dank. Lasset uns beten. […]
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