APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH KENIA, UGANDA UND IN DIE ZENTRALAFRIKANISCHE REPUBLIK
(25.-30. NOVEMBER 2015)
BEGEGNUNG MIT DEN JUGENDLICHEN
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Kasarani-Stadion, Nairobi (KenIa)
Freitag, 27. November 2015
Einleitende Worte des Dankes auf Englisch:
Vielen Dank für den Rosenkranz, den ihr für mich gebetet habt: danke, vielen Dank!
Danke für Eure Anwesenheit, für eure begeisterte Anwesenheit hier!
Danke, Lynette, und danke, Manuel, für eure Überlegungen.
[weiter auf Spanisch]
Es gibt eine Frage, die all den Fragen zugrunde liegt, die Lynette und Manuel gestellt haben: „Warum gibt es Spaltungen, Streit, Krieg, Tod, Fanatismus und Zerstörung unter den Jugendlichen? Warum gibt es diesen Wunsch, sich selbst zu zerstören?“ – Auf den ersten Seiten der Bibel, nach all jenen Wunderwerken, die Gott vollbracht hat, tötet ein Bruder den anderen. Der Geist des Bösen führt uns zur Zerstörung; der Geist des Bösen führt uns zur Uneinigkeit, führt uns zum Tribalismus, zur Korruption, zur Drogensucht… er führt uns zur Zerstörung durch Fanatismus.
Manuel fragte mich: „Was kann man tun, damit ein ideologischer Fanatismus uns nicht einen Bruder, einen Freund raubt?“ Es gibt ein Wort, das unbequem erscheinen kann, aber ich will es nicht vermeiden, denn ihr habt es vor mir gebraucht: Ihr habt es gebraucht, als ihr mir die Rosenkränze gebracht und aufgezählt habt, die ihr für mich gebetet habt. Auch der Bischof hat es gebraucht, als er sagte, dass ihr euch auf diesen Besuch vorbereitet habt mit dem Gebet. Das erste, was ich antworten möchte, ist, dass ein Mensch das Beste seines Menschseins verliert, wenn er vergisst zu beten, weil er sich allmächtig wähnt, weil er nicht das Bedürfnis empfindet, angesichts der vielen Tragödien den Herrn um Hilfe zu bitten.
Das Leben ist voller Schwierigkeiten, aber es gibt zwei verschiedene Arten, auf sie zu schauen: Entweder betrachtest du sie als etwas, das dich blockiert, das dich zerstört, das dich aufhält, oder du siehst sie als eine Chance an. Die Wahl liegt bei dir. Ist eine Schwierigkeit für mich ein Weg der Zerstörung, oder ist sie eine Gelegenheit, sie zu meinem Nutzen, zum Nutzen meiner Familie, meiner Gemeinschaft, meines Landes zu überwinden? Liebe junge Freunde, wir leben nicht im Himmel, wir leben auf der Erde, und die Erde ist voller Schwierigkeiten. Die Erde ist nicht nur voller Schwierigkeiten, sondern auch voller Einladungen, um dich zum Bösen zu verleiten. Aber es gibt etwas, das ihr Jugendlichen alle habt und das über eine mehr oder weniger lange Zeitspanne hin fortdauert: die Fähigkeit zu wählen. Welchen Weg will ich einschlagen? Für welche dieser beiden Möglichkeiten will ich mich entscheiden: mich von der Schwierigkeit besiegen zu lassen oder aber sie in eine Chance zu verwandeln, dass ich siege?
Einige Schwierigkeiten, die ihr erwähnt habt, sind Herausforderungen. Darum zuerst eine Frage: Wollt ihr die Herausforderungen bewältigen, oder wollt ihr euch von ihnen besiegen lassen? Seid ihr wie jene Sportler die, wenn sie zum Spiel ins Stadion kommen, gewinnen wollen, oder seid ihr wie jene, die den Sieg schon an die anderen verkauft und sich das Geld in die Tasche gesteckt haben? Die Wahl liegt bei euch!
Eine Herausforderung, die Lynette erwähnt hat, ist der Tribalismus. Der Tribalismus zerstört eine Nation. Tribalismus bedeutet, die Hände hinter dem Rücken zu verstecken und in jeder Hand einen Stein zu halten, um ihn gegen den anderen Menschen zu schleudern. Den Tribalismus überwindet man nur mit dem Gehör, mit dem Herzen und mit der Hand. Mit dem Gehör: Was ist deine Kultur? Warum bist du so? Warum hat dein Volksstamm diese Gewohnheit, diesen Brauch? Fühlt sich dein Volksstamm überlegen oder unterlegen? Mit dem Herzen: Wenn ich mit den Ohren die Antwort gehört habe, öffne ich mein Herz und strecke die Hand aus, um den Dialog fortzusetzen. Wenn ihr nicht miteinander redet und einander nicht zuhört, dann wird es immer Tribalismus geben, der wie eine Motte ist, die die Gesellschaft zerfrisst. Der heutige Tag – besser gesagt: gestern, aber für euch tun wir es heute – ist zum Tag des Gebetes und der Versöhnung erklärt worden. Ich möchte euch jetzt einladen, euch junge Freunde – Lynette und Manuel lade ich ein, hierher zu kommen –, dass wir alle aufstehen und uns an die Hand nehmen als ein Zeichen gegen den Tribalismus. Alle sind wir eine einzige Nation! [Er wiederholt auf Englisch]: Wir sind alle eine einzige Nation! So müssen unsere Herzen sein. Mit dem Tribalismus ist es nicht getan, indem wir einfach heute die Hände erheben – das ist der Wunsch, das ist die Entscheidung – sondern der Tribalismus verlangt eine tägliche Arbeit. Den Tribalismus zu überwinden, ist eine tägliche Arbeit; eine Arbeit des Gehörs – den anderen anzuhören –, eine Arbeit des Herzens – mein Herz dem anderen zu öffnen – und eine Arbeit der Hände – einander die Hände zu reichen…Und jetzt geben wir einander die Hand… Kein Tribalismus!
Eine andere Frage, die Lynette gestellt hat, handelt von der Korruption. Im Grund fragte sie mich: „Kann man die Korruption, die Sünde, rechtfertigen aufgrund der bloßen Tatsache, dass alle sündigen, dass alle korrupt sind? Wie können wir Christen sein und das Übel der Korruption bekämpfen?“ Ich erinnere mich, dass in meinem Land ein junger Mann von 20-22 Jahren sich der Politik widmen wollte. Er studierte mit Begeisterung, ging hierhin und dorthin… und fand Arbeit in einem Ministerium. Eines Tages musste er über einen Einkauf entscheiden, und so holte er drei Kostenvoranschläge ein, prüfte sie und wählte den kostengünstigsten, den angemessensten. Dann ging er zum Büro des Chefs für dessen Unterschrift. – „Warum hast du dies gewählt?“ – „Weil man das wählen muss, was für die Staatsfinanzen am günstigsten ist.“ – „Nein, man muss das wählen, was dir am meisten einbringt, um es in die eigene Tasche zu stecken.“ Und der junge Mann antwortete seinem Chef: „Ich bin gekommen, Politik zu machen, um meinem Vaterland zu Bedeutung zu verhelfen.“ Der Chef erwiderte: „Und ich mache Politik, um zu stehlen.“ Das ist nur ein Beispiel, aber nicht nur in der Politik, in allen Einrichtungen… sogar im Vatikan… gibt es Fälle von Korruption. Die Korruption ist etwas, das in uns eindringt. Sie ist wie der Zucker: Sie ist süß, gefällt uns, ist leicht… Und dann… geht es schlecht mit uns aus. Mit so viel leichtem Zucker werden wir schließlich Diabetiker, bzw. unser Land wird Diabetiker. Jedes Mal, wenn wir Bestechungsgeld annehmen und in die Tasche stecken, zerstören wir unser Herz, zerstören wir unsere Persönlichkeit und zerstören wir unser Land. Bitte, findet keinen Gefallen an diesem „Zucker“, der sich Korruption nennt! – „Pater, aber ich sehe, dass alle korrumpieren; ich sehe viele Menschen, die sich mit ein bisschen Geld bestechen lassen, ohne sich um das Leben der anderen zu kümmern.“ – Wie in allen Dingen muss man anfangen. Wenn du keine Korruption in deinem Herzen, in deinem Leben, in deinem Land haben willst, dann beginne du selbst! Wenn du nicht anfängst, wird auch dein Nachbar nicht anfangen. Außerdem nimmt uns die Korruption die Freude, sie nimmt uns den Frieden. Der korrupte Mensch lebt nicht in Frieden. Einmal – und was ich euch jetzt erzähle, ist ein historisches Faktum – starb in meiner Stadt ein Mann, von dem wir alle wussten, dass er äußerst bestechlich gewesen war. Einige Tage später fragte ich: „Wie war denn die Beerdigung?“ Und eine Frau mit viel Sinn für Humor antwortete mir: „Pater, sie konnten den Sarg nicht schließen, denn er wollte all das Geld mitnehmen, das er gestohlen hatte.“ Was du durch Korruption stiehlst, wird hier zurückbleiben, und ein anderer wird es gebrauchen. Aber – und prägen wir uns das ganz tief ein! – es wird auch im Herzen vieler Männer und Frauen zurückbleiben, die durch dein Beispiel der Korruption verletzt worden sind. Es wird zurückbleiben in dem Mangel an Gutem, das du tun konntest und nicht getan hast. Es wird zurückbleiben in den kranken, hungrigen Kindern, denn das Geld, das für sie bestimmt war, hast du durch deine Korruption für dich behalten. Liebe junge Freunde, die Korruption ist kein Weg zum Leben, sie ist ein Weg zum Tod.
Eine Frage war, wie man die Kommunikationsmittel gebrauchen könnte, um die Botschaft der Hoffnung Christi zu verbreiten und gerechte Initiativen zu fördern, damit der Unterschied sichtbar wird. Das erste Kommunikationsmittel ist das Wort, die Geste, das Lächeln. Die erste Geste der Kommunikation ist die Nähe. Die erste Geste der Kommunikation ist, Freundschaft zu suchen. Wenn ihr gut miteinander redet, wenn ihr einander anlächelt und wie Geschwister aufeinander zugeht; wenn ihr einander nahe seid, auch wenn ihr verschiedenen Volksstämmen angehört; und wenn ihr auf die Bedürftigen zugeht, auf den Armen, den Kranken, den Verlassenen, den Alten, den niemand besucht, dann sind diese Gesten der Kommunikation viel „ansteckender“ als jeder Fernsehkanal.
Ich glaube, dass ich zu den drei Fragen etwas gesagt habe, das euch helfen kann. Doch erbittet viel von Jesus, betet zum Herrn, dass er euch die Kraft gebe, den Tribalismus zu vernichten – ihr seid alle Geschwister –; dass er euch den Mut schenke, euch nicht korrumpieren zu lassen; dass er euch die Anmut verleihe, wie Geschwister miteinander in Kontakt zu treten, mit einem Lächeln, mit einem guten Wort, mit einer hilfreichen Geste, mit eurer Nähe.
Manuel hat ebenfalls wesentliche Fragen gestellt. Mir macht die erste Sorgen: „Was können wir tun, um die Rekrutierung unserer Lieben zu verhindern? Was können wir tun, um sie zur Rückkehr zu bewegen?“ Um darauf zu antworten, müssen wir wissen, warum ein junger Mensch voller Hoffnungen und Träume sich rekrutieren lässt oder danach trachtet, rekrutiert zu werden, und sich von seiner Familie, seinen Freunden, seinem Volksstamm, seiner Heimat abkehrt – sich vom Leben abkehrt, denn er lernt zu töten. Und das ist eine Frage, die ihr allen Verantwortungsträgern stellen müsst: Wenn ein junger Mann oder ein junges Mädchen keine Arbeit hat und nicht studieren kann – was können sie tun? Entweder straffällig werden oder in Formen von Sucht und Abhängigkeit geraten oder ihrem Leben selbst ein Ende bereiten – in Europa werden die Selbstmord-Statistiken nicht veröffentlicht – oder sich für eine Aktivität anwerben lassen, die ihnen in verführerischer Weise ein Lebensziel vorspiegelt. Das erste, was wir tun müssen, um zu vermeiden, dass ein junger Mensch rekrutiert wird oder werden möchte, ist, für Ausbildung und Arbeit zu sorgen. Wenn ein Jugendlicher keine Arbeit hat, welche Zukunft erwartet ihn? Und da kommt der Gedanke auf, sich rekrutieren zu lassen. Wenn ein Jugendlicher keine Möglichkeiten einer Ausbildung, nicht einmal einer Notausbildung für kleine Aufgaben hat – was kann er tun? Da liegt die Gefahr. Es ist eine soziale Gefahr, die uns überfordert, die sogar das Land überfordert, denn sie hängt von einem internationalen System ab, das ungerecht ist, das ins Zentrum der Wirtschaft nicht den Menschen stellt, sondern den Götzen Geld. Was kann ich tun, um ihm zu helfen oder ihn zur Rückkehr zu bewegen? Erstens: für ihn beten, aber intensiv – Gott ist stärker als alle Rekrutierung –; und dann mit ihm sprechen voller Wohlwollen, Einfühlungsvermögen, Liebe und Geduld. Ihn einladen, ein Fußballspiel anzusehen, ihn zu einem Spaziergang einladen, ihn einladen, mit in die Gruppe zu kommen, ihn nicht alleine lassen. Das ist es, was mir jetzt dazu einfällt.
Natürlich gibt es Verhaltensweisen – deine zweite Frage [an Manuel gewandt] –, die schädlich sind, Verhaltensweisen, die vorübergehendes Glück suchen und dir schließlich Schaden zufügen. Die Frage, die du mir gestellt hast, Manuel, ist eine Frage eines Theologie-Professors: „Wie können wir verstehen, dass Gott unser Vater ist? Wie können wir in den Tragödien des Lebens die Hand Gottes sehen? Wie können wir den Frieden Gottes finden?“ – Diese Frage stellen sich in der einen oder anderen Weise die Menschen in aller Welt… und finden keine Erklärung. Mehr noch, es gibt Fragen, sosehr du dir auch den Kopf zerbrichst und über sie nachdenkst, du findest keine Antwort. Wie kann ich die Hand Gottes in einem Lebensdrama erkennen? Es gibt eine einzige… ich wollte sagen: eine einzige Antwort. Nein. Es gibt keine Antwort, es gibt einen einzigen Weg: Schau auf den Sohn Gottes. Gott gab ihn preis, um uns alle zu retten. Gott selbst hat sich zur Tragödie gemacht. Gott selbst hat sich am Kreuz vernichten lassen. Und wenn du einmal nichts mehr verstehst, wenn du verzweifelt bist, wenn die Welt über dir zusammenbricht, dann schau auf das Kreuz! Da ist das Scheitern Gottes, da ist die Vernichtung Gottes, aber da ist auch eine Herausforderung für unseren Glauben: die Hoffnung. Denn die Geschichte endete nicht in diesem Scheitern, sondern in der Auferstehung, die uns alle erneuerte. Ich will euch etwas Vertrauliches erzählen – es ist schon zwölf Uhr, habt ihr Hunger? – [Antwort der Jugendlichen: „Nein!“] – Nein? Ich will euch etwas Vertrauliches erzählen. Ich habe in meiner Tasche immer zwei Dinge: einen Rosenkranz zum Beten und etwas, das sonderbar erscheint; es ist dies [Er zieht ein kleines Objekt aus der Tasche, das wie ein Buch aussieht, und öffnet es.]: Das ist die Geschichte des Scheiterns Gottes; es ist ein Kreuzweg, ein kleiner Kreuzweg. Er zeigt, wie Jesus gelitten hat von dem Moment an, da er zum Tode verurteilt wurde, bis zu seinem Begräbnis. Mit diesen beiden Dingen komme ich aus, so gut ich kann, doch dank dieser beiden Dinge verliere ich nicht die Hoffnung.
Und eine letzte Frage, ebenfalls vom „Theologen“ Manuel: „Was für Worte haben sie für die jungen Menschen, die keine Liebe von ihren Familien erfahren? Ist es möglich, aus dieser Erfahrung herauszukommen?“ – Überall gibt es verlassene Kinder, entweder weil sie nach der Geburt ausgesetzt wurden oder weil das Leben – die Familie oder die Eltern – sie verlassen hat, und sie spüren nicht die Liebe der Familie. Darum ist die Familie so wichtig. Schützt die Familie, schützt sie immer! Überall gibt es nicht nur verlassene Kinder, sondern auch verlassene alte Menschen, die da sind, und von niemandem besucht, von niemandem geliebt werden. Wie kann man aus dieser negativen Erfahrung der Verlassenheit, des Mangels an Liebe herauskommen? Es gibt nur ein einziges Mittel, um aus diesen Erfahrungen herauszukommen: das zu tun, was ich nicht empfangen habe. Wenn du kein Verständnis erfahren hast, dann sei verständnisvoll mit den anderen; wenn du keine Liebe empfangen hast, dann liebe die anderen; wenn ihr den Schmerz der Einsamkeit empfindet, dann geht zu denen, die einsam sind. Das Fleisch heilt man mit Fleisch: Gott nahm Fleisch an, um uns zu heilen. Tun wir dasselbe mit den anderen.
Gut, ich glaube, es ist Zeit zu schließen, bevor der Schiedsrichter abpfeift. Ich danke euch von Herzen, dass ihr gekommen seid und dass ihr mir erlaubt habt, in meiner Muttersprache zu sprechen. Ich danke euch, dass ihr so viele Rosenkränze für mich gebetet habt. Und ich bitte euch herzlich, für mich zu beten, denn auch ich brauche das, und zwar sehr. Ich zähle auf eure Gebete. Und bevor wir gehen, möchte ich euch bitten, dass wir alle aufstehen und gemeinsam zu unserem himmlischen Vater beten, der eine einzige Schwäche hat: Er kann es nicht lassen, Vater zu sein.
[Vaterunser auf Englisch]
[Segen auf Englisch]
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