ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DAS PERSONALE DES ITALIENISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSINSTITUTS (INPS)
Samstag, 7. November 2015
Liebe Brüder und Schwestern!
Ganz herzlich begrüße ich euch, die Angestellten und Führungskräfte des »Nationalinstituts für Soziale Fürsorge«, die ihr hier zum ersten Mal in der über hundertjährigen Geschichte des Instituts zur Audienz zusammengekommen seid. Vielen Dank! Danke für eure Anwesenheit – ihr seid wirklich sehr zahlreich! –, und ich danke eurem Präsidenten für seine freundlichen Worte.
Auf verschiedenen Ebenen erfüllt ihr die schwierige Aufgabe, einige mit der Ausübung von Arbeit verbundene Rechte zu gewährleisten; Rechte, die auf dem Wesen der menschlichen Person und auf ihrer transzendentalen Würde basieren. In ganz besonderer Weise ist eurer Sorge etwas anvertraut, was ich den Schutz des Rechtes auf Ruhe und Erholung nennen möchte. Ich beziehe mich dabei nicht nur auf jene Erholung, die von einer langen Reihe Sozialvereinbarungen unterstützt und legitimiert wird (vom regelmäßigen wöchentlichen Ruhetag bis hin zu den Ferien, auf die jeder Arbeitnehmer ein Recht hat: vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Laborem exercens, 19), sondern auch und vor allem auf eine Dimension des Menschen, die geistliche Wurzeln hat und für die auch ihr, was euren Beitrag angeht, verantwortlich seid.
Gott forderte den Menschen zum Ruhen auf (vgl. Ex 34,21; Dtn 5,12.15), und er selbst wollte am siebten Tag daran teilhaben (vgl. Ex 31,17; Gen 2,2). In der Sprache des Glaubens ist also das Ruhen eine sowohl menschliche als auch göttliche Dimension. Mit einer wichtigen Voraussetzung allerdings: Es soll sich nicht um das bloße Ruhenlassen der Mühen und täglichen Aufgaben handeln, sondern es soll eine Gelegenheit sein, die eigene und zur Würde der Kindschaft Gottes erhobene Geschöpflichkeit in Fülle zu leben. Die Notwendigkeit, das Ruhen »heilig zu halten« (vgl. Ex 20,8), verbindet sich dann mit der wöchentlich vom Sonntag vorgegebenen Notwendigkeit einer Zeit, die es erlaubt, das familiäre, kulturelle, gesellschaftliche und religiöse Leben zu pflegen (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 67).
Zu einer gerechten Ruhe und Erholung der Kinder Gottes leistet ihr in gewisser Weise euren Beitrag. Mit den vielfältigen Diensten für die Gesellschaft sowohl im Bereich der Sozialleistung als auch im Versicherungsschutz schafft ihr die Grundlagen, damit das Ruhen als echt menschliche Dimension gelebt werden kann und so offen ist für die Möglichkeit einer lebendigen Begegnung mit Gott und den anderen. Dies ist eine Ehre und wird zugleich eine Pflicht. Denn ihr seid gerufen, immer komplexere Herausforderungen zu bewältigen. Sie werden sowohl von der heutigen Gesellschaft mit ihren kritischen Gleichgewichten und der Brüchigkeit ihrer Beziehungen gestellt als auch von der Arbeitswelt, die in Mitleidenschaft gezogen wird von unzureichender Beschäftigungsmöglichkeit und von der Prekarität der Garantien, die sie geben kann. Und wenn man so lebt, wie kann man dann ruhen? Ruhe und Erholung sind ein Recht, das wir alle haben, wenn wir Arbeit haben.
Wenn aber die Situation der Arbeitslosigkeit, der sozialen Ungerechtigkeit, der Schwarzarbeit, der prekären Arbeit so schwerwiegend ist, wie kann ich dann ausruhen? Was sollen wir da sagen? Wir können sagen, dass es eine Schande ist: »Ah, du willst arbeiten?« – »Ja!« – »Sehr gut. Wie wäre es mit einer Abmachung: du fängst im September an zu arbeiten, aber nur bis Juli, und dann Juli, August und ein Teil vom September isst du nichts, ruhst dich nicht aus…« Das passiert heute! Und das geschieht heute in der ganzen Welt, auch hier. Es passiert heute auch in Rom! Ruhe und Erholung, weil es Arbeit gibt. Andernfalls gibt eskeine Möglichkeit auszuruhen. Bis vor einiger Zeit war es meist üblich, das Ziel der Pensionierung mit dem Erreichen des sogenannten Seniorenalters zu verbinden, wo man den verdienten Ruhestand genießen und den jungen Generationen mit Weisheit und Rat zur Seite stehen konnte. Die zeitgenössische Welt hat diese Rhythmen merklich verändert. Einerseits gibt es die Möglichkeit, das Renteneintrittsalter vorzuziehen, zuweilen auch schrittweise auf einen längeren Zeitraum verteilt, zuweilen wurde es neu verhandelt bis hin zu absurden Extremen, zum Beispiel wenn sogar die Vorstellung eines Ruhestandes selbst in Frage gestellt wird. Auf der anderen Seite hat der Versicherungsbedarf nicht abgenommen, sowohl für den, der seine Arbeit verloren hat oder der nie eine Arbeit hatte, als auch für den, der aus verschiedensten Gründen gezwungen ist, eine Auszeit zu nehmen. Du unterbrichst die Arbeit und die Gesundheitsfürsorge fällt weg…
Ihr habt die schwierige Aufgabe, dazu beizutragen, dass es nicht an den notwendigen Beihilfen für den Unterhalt der Arbeitslosen und ihrer Familien fehlt. Zu euren Prioritäten soll eine besondere Aufmerksamkeit für die Erwerbstätigkeit von Frauen ebenso zählen wie die Unterstützung der Mutterschaft, die das neue Leben wie auch diejenigen, die ihm täglich dienen, stets schützen muss. Fördert die Frauen, die Arbeit der Frauen! Der Versicherungsschutz für das Alter, bei Krankheit und mit der Arbeit verbundenen Unfällen soll niemals fehlen ebenso wenig wie das Recht auf eine Rente, und ich möchte unterstreichen: das Recht – die Rente ist ein Recht! –, denn darum handelt es sich. Seid euch der höchsten Würde jedes Arbeitnehmers bewusst, in dessen Dienst ihr tätig seid. Wenn ihr sein Einkommen während und nach der aktiven Arbeitsphase unterstützt, dann tragt ihr zur Qualität seines Engagements bei – als Investition für ein Leben nach menschlichem Maß. Arbeiten bedeutet im Übrigen, das Werk Gottes in der Geschichte weiterzuentwickeln, indem man auf persönliche, nützliche und kreative Weise dazu beiträgt (vgl. ebd., 34). Indem ihr die Arbeit unterstützt, unterstützt ihr dieses Werk.
Wenn ihr darüber hinaus denen einen würdevollen Unterhalt sichert, die aus dem Arbeitsleben ausscheiden müssen, bekräftigt ihr dessen tiefere Wirklichkeit: denn die Arbeit darf kein bloßes Rädchen im entarteten Mechanismus sein, der Ressourcen zermalmt, um immer größeren Profit zu erzielen; die Arbeit darf demnach nicht verlängert oder reduziert werden im Dienst des Gewinns einiger weniger und von Produktionsformen, denen Werte, Beziehungen und Prinzipien geopfert werden. Das gilt für die Wirtschaft allgemein, die »nicht mehr auf ›Heilmittel‹ zurückgreifen [darf], die ein neues Gift sind, wie wenn man sich einbildet, die Ertragsfähigkeit zu steigern, indem man den Arbeitsmarkt einschränkt und auf diese Weise neue Ausgeschlossene schafft« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 204). Und es gilt gleichermaßen für alle gesellschaftlichen Institutionen, deren Wurzelgrund, Träger und Ziel die menschliche Person sein muss (vgl. Zweites Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, 25). Die Würde des Menschen darf niemals beeinträchtigt werden, auch wenn er wirtschaftlich nicht mehr produktiv ist.
Jemand von euch könnte denken: »Wie seltsam, dieser Papst: Erst spricht er von Ruhe und Erholung und dann sagt er all diese Dinge über das Recht auf Arbeit!« Beides ist miteinander verbunden! Das wahre Ausruhen kommt gerade aus der Arbeit! Du kannst Ruhen, wenn du sicher bist, dass du eine sichere Arbeit hast, die dir Würde schenkt, dir und deiner Familie. Und du kannst ausruhen, wenn du im Alter sicher bist, dass du eine Rente hast, die ein Recht ist. Beide sind miteinander verbunden: wahres Ruhen und die Arbeit. Den Menschen nicht vergessen: das ist das Gebot. Den Menschen lieben und ihm gewissenhaft, verantwortungsvoll und bereitwillig dienen. Für den arbeiten, der arbeitet, und nicht zuletzt für den, der arbeiten möchte, aber keine Möglichkeit hat. Und dies nicht als Werk der Solidarität tun, sondern als Pflicht der Gerechtigkeit und Subsidiarität. Die Schwachen unterstützen, damit es niemandem an Würde und an Freiheit mangelt, ein wahrhaft menschliches Leben zu leben. Vielen Dank für diese Begegnung. Auf einen jeden von euch und auf eure Familien rufe ich den Segen des Herrn herab. Ich versichere euch meines Gebetsgedenkens und bitte euch, für mich zu beten.
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