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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE ITALIENISCHE BIBELGESELLSCHAFT

Clementina-Saal
Freitag, 12. September 2014

 

 

Liebe Freunde!

Ich begegne euch zum Abschluss der Nationalen Bibelwoche, die vom Italienischen Bibelwerk organisiert wird. Eure Zusammenkunft eröffnet die Feierlichkeiten zum 50. Jahrestag der Dogmatischen Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wir müssen dankbar sein für die Öffnungen, die das Konzil uns als Frucht langer Forschungsbemühungen geschenkt hat, ebenso wie für den Reichtum und den einfachen Zugang zur Heiligen Schrift. Unter dem Eindruck gegensätzlicher kultureller Herausforderungen braucht der Christ sie heute mehr denn je. Um eine Antwort zu geben, um nicht erstickt zu werden, muss der Glaube ständig vom Wort Gottes genährt werden.

Ich bringe euch meine Hochachtung und meine Anerkennung zum Ausdruck für die wertvolle Arbeit, die ihr in eurem Dienst als Dozenten und Bibelwissenschaftler leistet. Außerdem gibt mir diese Begegnung Gelegenheit, in Kontinuität zum Lehramt der Kirche die große Bedeutung der Bibelexegese für das Gottesvolk noch einmal zu bekräftigen. Wir können in Erinnerung rufen, was die Päpstliche Bibelkommission gesagt hat, nämlich – ich zitiere –, »dass die biblische Exegese in der Kirche und in der Welt eine unersetzliche Aufgabe erfüllt. Wollte man die Bibel ohne sie verstehen, würde man sich einer Illusion hingeben.

Es wäre auch ein Mangel an Ehrfurcht vor der inspirierten Schrift. … Seit der Epoche des Alten Testaments hat sich Gott, um zu Männern oder Frauen zu sprechen, aller Möglichkeiten der menschlichen Sprache bedient, aber gleichzeitig musste er auch sein Wort allen Bedingtheiten dieser Sprache unterwerfen. Wahre Ehrfurcht vor der inspirierten Schrift heißt, keine der notwendigen Anstrengungen zu unterlassen, die es ermöglichen, ihren Sinn richtig zu erfassen. Es ist bestimmt nicht möglich, dass jeder Christ selbst alle Gebiete der Forschung kennt, die für ein besseres Verständnis der biblischen Texte unerlässlich sind. Diese Aufgabe ist den Exegeten anvertraut. Sie sind auf diesem Gebiet zum Nutzen aller zuständig« (Die Interpretation der Bibel in der Kirche, 15. April 1993, Schlussfolgerungen).

Und im Rahmen der Begegnung mit den Mitgliedern der Päpstlichen Bibelkommission anlässlich der Vorstellung des eben zitierten Dokuments rief der heilige Johannes Paul II. in Erinnerung: »Um den Zusammenhang zwischen dem Glauben der Kirche und der Inspiration der Schrift zu wahren, muß die katholische Exegese darauf achten, bei den menschlichen Aspekten der biblischen Texte nicht stehenzubleiben. Sie soll und muß vor allem dem christlichen Volk helfen, in den Texten deutlicher das Wort Gottes zu erfassen, um es besser aufzunehmen und im Vollmaß in Gemeinschaft mit Gott zu leben« (Ansprache zur Hundertjahrfeier der Enzyklika Providentissimus Deus und zum 50. Jahrestag der Enzyklika Divino Afflante Spiritu, 23. April 1993; in O.R. dt., Nr. 19, 14.5.1993, S. 11). Zu diesem Zweck ist es natürlich notwendig, dass der Exeget selbst das göttliche Wort in den Texten wahrzunehmen weiß, und das ist nur dann möglich, wenn er ein tiefes geistliches Leben pflegt, das reich ist an Dialog mit dem Herrn; sonst bleibt die exegetische Forschung unvollständig, verliert sie ihr wichtigstes Ziel aus den Augen.

In den Schlussfolgerungen des Dokuments befindet sich ein sehr ausdrucksstarker Satz: »Die katholische Exegese darf nicht einem Wasserlauf gleichen, der in einer hyperkritischen Analyse versandet.« Außer der akademischen Fähigkeit wird daher vom katholischen Exegeten auch und vor allem der Glaube verlangt, den er mit dem ganzen gläubigen Volk, das in seiner Gesamtheit nicht irren kann, empfangen hat und mit ihm teilt. Ich nehme noch einmal Bezug auf die Worte des heiligen Johannes Paul II.: »Wollen wir zu einer vollgültigen Interpretation der vom Heiligen Geist inspirierten Worte gelangen, müssen wir uns selbst vom Heiligen Geist führen lassen und daher beten, ja viel beten und im Gebet um das innere Licht des Geistes bitten und es gelehrig annehmen; wir müssen um die Liebe bitten, die allein zum Verstehen der Sprache Gottes fähig macht, der ja ›Liebe ist‹ (1 Joh 4,8.16)« (Ansprache zur Hundertjahrfeier der Enzyklika Providentissimus Deus und zum 50. Jahrestag der Enzyklika Divino Afflante Spiritu, 23. April 1993; in O.R. dt., Nr. 19, 14.5.1993, S. 11).

Das Vorbild ist die Jungfrau Maria, von der der heilige Lukas berichtet, dass sie die Worte und die Geschehnisse, die ihren Sohn Jesus betrafen, in ihrem Herzen bewahrte und darüber nachdachte (vgl. Lk 2,19). Die Gottesmutter lehrt uns, das Wort Gottes in ganzer Fülle anzunehmen, nicht nur durch die intellektuelle Forschung, sondern in unserem ganzen Leben. Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch noch einmal, ich segne eure Arbeit, und ich bitte euch, für mich zu beten.

 



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