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ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AN DEM VON DER KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE
VERANSTALTETEN INTERNATIONALEN KOLLOQUIUM
ÜBER DIE KOMPLEMENTARITÄT VON MANN UND FRAU

Synodenhalle
Montag, 17. November 2014

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Liebe Brüder und Schwestern!

Ich begrüße euch herzlich und danke Kardinal Müller für seine Worte, mit denen er unsere Begegnung eingeleitet hat.

Zunächst möchte ich einige Überlegungen zum Titel eures Kolloquiums mit euch teilen. »Komplementarität«: das ist ein kostbares Wort mit einem reichen Bedeutungsgehalt. Es kann sich auf verschiedene Situationen beziehen, in denen ein Element das andere vervollständigt oder einen ihm anhaftenden Mangel ausgleicht. Doch ist Komplementarität sehr viel mehr als das. Die Christen finden die Bedeutung dieses Wortes im ersten Brief des heiligen Paulus an die Korinther, wo der Apostel sagt, dass der Heilige Geist jedem verschiedene Gnadengaben gegeben hat, damit die Gaben eines jeden zum Wohl aller beitragen können, so wie die Glieder eines menschlichen Leibes einander zum Wohl des ganzen Organismus ergänzen (vgl. 1 Kor 12).

Über die Komplementarität nachzudenken heißt nichts anderes, als die dynamischen Harmonien zu betrachten, die im Zentrum der ganzen Schöpfung stehen. Das ist das Schlüsselwort: Harmonie. Jede Komplementarität hat der Schöpfer geschaffen, damit der Heilige Geist, der der Urheber der Harmonie ist, diese Harmonie bewirken kann. Richtigerweise habt ihr euch zu diesem internationalen Kolloquium versammelt, um das Thema der Komplementarität von Mann und Frau zu vertiefen. In der Tat bildet diese Komplementarität die Grundlage von Ehe und Familie, die die erste Schule ist, in der wir, unsere Gaben und die der anderen schätzen lernen und wo wir beginnen, die Kunst des Zusammenlebens zu erlernen.

Für die meisten von uns ist die Familie der Hauptort, an dem wir beginnen, Werte und Ideale zu »atmen« wie auch unser Potential an Tugenden und Nächstenliebe zu verwirklichen. Zugleich sind die Familien, wie wir wissen, Orte der Spannung: zwischen Egoismus und Altruismus, zwischen Vernunft und Leidenschaft, zwischen unmittelbaren Wünschen und langfristigen Zielen, usw. Aber die Familien stellen auch das Umfeld bereit, in dem diese Spannungen gelöst werden: und das ist wichtig. Wenn wir in diesem Kontext von der Komplementarität von Mann und Frau sprechen, dürfen wir diesen Begriff nicht mit der simplifizierten Vorstellung verwechseln, dass alle Rollen und die Beziehungen beider Geschlechter in ein einziges und statisches Modell eingeschlossen sind. Die Komplementarität nimmt viele Formen an, weil jeder Mann und jede Frau einen ganz persönlichen Teil in die Ehe und die Erziehung der Kinder einbringt: den eigenen persönlichen Reichtum, das persönliche Charisma, und so wird die Komplementarität zu einem großen Reichtum. Und sie ist nicht nur ein Gut, sondern sie ist auch Schönheit.

In der heutigen Zeit befinden sich Ehe und Familie in einer Krise. Wir leben in einer Kultur des Provisorischen, in der immer mehr Menschen auf die Ehe als öffentliche Verpflichtung verzichten. Diese Revolution der Sitten und der Moral hat häufig das »Banner der Freiheit« geschwungen, aber in Wirklichkeit geistliche und materielle Zerstörung für unzählige Menschen gebracht, vor allem für die schwächsten. Es wird immer deutlicher, dass ein Verfall der Ehekultur verbunden ist mit einem Anstieg der Armut und einer Reihe zahlreicher weiterer gesellschaftlicher Probleme, die in unverhältnismäßiger Weise Frauen, Kinder und alte Menschen treffen. Und immer sind sie es, die in dieser Krise am meisten zu leiden haben. Die Krise der Familie hat eine Krise der Humanökologie hervorgebracht, weil das soziale Umfeld genau wie die natürliche Umwelt geschützt werden muss. Auch wenn die Menschheit jetzt die Notwendigkeit begriffen hat, das anzugehen, was eine Bedrohung für unsere natürliche Umwelt darstellt, sind wir nur langsam dabei – wir sind langsam in unserer Kultur, auch in unserer katholischen Kultur – wir sind langsam dabei zu erkennen, dass auch unser soziales Umfeld in Gefahr ist. Daher ist es unerlässlich, eine neue Humanökologie zu fördern und sie voranzutreiben.

Man muss immer wieder auf die Grundpfeiler hinweisen, die eine Nation tragen: ihre immateriellen Güter. Die Familie bleibt die Grundlage des Zusammenlebens und die Garantie gegen den sozialen Verfall. Kinder haben ein Recht, in einer Familie aufzuwachsen, mit einem Vater und einer Mutter, die in der Lage sind, ein für ihre Entwicklung und ihren affektiven Reifeprozess günstiges Umfeld zu schaffen. Aus diesem Grund habe ich im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium den »unverzichtbaren Beitrag der Ehe zur Gesellschaft« betont, einen Beitrag, der »über die Ebene der Emotivität und der zufälligen Bedürfnisse des Paares hinausgeht« (Nr. 66). Und deshalb danke ich euch für den Nachdruck, mit dem euer Kolloquium den wohltuenden und nützlichen Beitrag unterstreicht, den die Ehe für die Kinder, die Ehepartner selbst und die Gesellschaft leisten kann.

Während ihr in diesen Tagen über die Komplementarität von Mann und Frau nachdenkt, fordere ich euch auf, eine weitere Wahrheit in Bezug auf die Ehe herauszustellen: und zwar, dass die endgültige Bindung an Solidarität, Treue und fruchtbare Liebe der tiefsten Sehnsucht des menschlichen Herzens entspricht. Denken wir vor allem an die jungen Menschen, die die Zukunft sind: Es ist wichtig, dass sie sich nicht von der schädlichen Mentalität des Provisorischen einwickeln lassen und dass sie revolutionär sind mit ihrem Mut, eine starke und dauerhafte Liebe zu suchen, das heißt gegen den Strom zu schwimmen: das muss man tun. Dazu möchte ich etwas sagen: Wir dürfen nicht in die Falle tappen, mit ideologischen Begriffen beurteilt zu werden. Die Familie ist ein anthropologisches Faktum und folglich eine soziale, kulturelle etc. Gegebenheit. Wir können sie nicht mit ideologischen Begriffen beurteilen, die lediglich in einem Augenblick der Geschichte Geltung haben und dann hinfällig werden. Man kann heute nicht von einer konservativen oder progressiven Familie sprechen: Familie ist Familie! Lasst euch nicht danach oder nach anderen ideologischen Kriterien beurteilen. Die Familie besitzt in sich eine Kraft.

Möge dieses Kolloquium eine Quelle der Inspiration für all jene werden, die die Verbindung des Mannes und der Frau in der Ehe als ein für die Menschen, die Familien, die Gemeinschaften und die Gesellschaft einzigartiges, natürliches, grundlegendes und schönes Gut unterstützen und stärken wollen. In diesem Zusammenhang möchte ich bestätigen, dass ich mich, so Gott will, im September 2015 zum VIII. Weltfamilientreffen nach Philadelphia begeben werde. Ich danke euch für das Gebet, mit dem ihr meinen Dienst an der Kirche begleitet. Auch ich bete für euch und segne euch von Herzen. Vielen Dank.

 

 



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