BEGEGNUNG MIT DEN SEMINARISTEN, NOVIZEN UND NOVIZINNEN
ANSPRACHE VON PAPST FRANZISKUS
Aula Paolo VI
Samstag, 6. Juli 2013
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Guten Abend!
Ich habe Erzbischof Fisichella gefragt, ob ihr Italienisch versteht, und er hat mir gesagt, dass ihr alle eine Übersetzung habt … Jetzt bin ich etwas beruhigter.
Ich danke Erzbischof Fisichella für seine Worte, und ich danke ihm auch für die Arbeit, die er geleistet hat: er hat sehr viel gearbeitet, um nicht nur das hier zu organisieren, sondern auch alles, was er im Jahr des Glaubens getan hat und noch tun wird. Herzlichen Dank! Aber Erzbischof Fisichella hat etwas gesagt, und ich weiß nicht, ob es wahr ist, aber ich greife es auf: Er hat gesagt, dass ihr alle den Wunsch verspürt, euer Leben für immer Christus anzuvertrauen! Jetzt applaudiert ihr, ihr feiert ein Fest, weil das die Zeit der Hochzeit ist … Aber wenn die Flitterwochen enden, was geschieht dann? Ich habe einen Seminaristen gehört, einen guten Seminaristen, der gesagt hat, er wolle Christus dienen, aber nur zehn Jahre lang, und dann will er daran denken, ein neues Leben anzufangen … Das ist gefährlich! Aber hört gut zu: Wir alle, auch wir Älteren, wir auch, sind dem Druck dieser Kultur der Vorläufigkeit ausgesetzt; und das ist gefährlich, weil man das Leben nicht ein für allemal einsetzt. Ich verheirate mich für so lange, wie die Liebe anhält; ich werde Ordensschwester, aber nur für ein »Weilchen…«, »für einige Zeit«, und dann werde ich weitersehen; ich trete ins Seminar ein, um Priester zu werden, aber ich weiß noch nicht, wie die Geschichte enden wird. Das geht so nicht mit Jesus! Ich tadle nicht euch, ich tadle diese Kultur des Vorläufigen, die uns alle durchdringt, insofern sie uns keineswegs gut tut: denn es ist heutzutage sehr schwer, eine definitive Entscheidung zu treffen. Zu meiner Zeit war es einfacher, denn die Kultur begünstigte eine definitive Entscheidung, sei es zugunsten der Ehe, sei es zugunsten des geweihten Lebens oder des Priestertums. Aber in der heutigen Zeit ist es nicht leicht, eine definitive Entscheidung zu treffen. Wir sind die Opfer dieser Kultur des Vorläufigen.
Ich hätte gerne, dass ihr über das Folgende nachdenkt: Wie kann ich frei sein, wie kann ich frei sein von dieser Kultur des Vorläufigen? Wir müssen es lernen, die Tür unserer inneren Zelle zu schließen, von innen her. Einmal hat sich ein Priester, ein guter Priester, der sich selbst nicht für einen guten Priester hielt, weil er demütig war, als Sünder gefühlt, und hat ganz innig zur Muttergottes gebetet, und er hat das zur Muttergottes gesagt – ich werde es auf Spanisch zitieren, weil es so eine schöne Poesie war. Er sagte zur Muttergottes, dass er sich niemals, nie von Jesus entfernen würde, und sagte: »Esta tarde, Señora, la promesa es sincera. Por las dudas, no olvide dejar la llave afuera« (»Heute abend, Mutter, ist das ein aufrichtiges Versprechen. Aber auf alle Fälle: Vergiss nicht, den Schlüssel außen stecken zu lassen «). Aber das sagt man, wenn man immer an die Liebe der allerseligsten Jungfrau denkt, das sagt man zur Muttergottes. Aber wenn einer den Schlüssel immer außen stecken lässt, wer weiß, was dann geschehen kann … Das geht nicht. Wir müssen lernen, die Tür von innen zuzuschließen! Und wenn ich unsicher bin, wenn ich nicht sicher bin, dann denke ich nach, ich nehme mir die Zeit, und wenn ich mich dann sicher fühle – in Jesus, das versteht sich, denn ohne Jesus ist niemand sicher! –, wenn ich mich sicher fühle, dann schließe ich die Tür ab. Habt ihr das verstanden? Was ist die Kultur der Vorläufigkeit?
Als ich hier eingetreten bin, habe ich gesehen, was ich geschrieben hatte. Ich wollte euch ein Wort sagen, und dieses Wort lautet: Freude. Da, wo geweihte Menschen sind, die Seminaristen, die Ordensfrauen und -männer, die Jugend, da herrscht immer Freude, da herrscht immer Freude! Es ist die Freude der Frische, es ist die Freude, Jesus nachzufolgen; die Freude, die uns der Heilige Geist verleiht, nicht etwa die Freude der Welt. Da herrscht Freude! Aber: Wo entsteht die Freude? Sie kommt … Nun, gehe ich am Samstag Abend heim und gehe mit meinen alten Freunden tanzen? Kommt die Freude daher? Zum Beispiel die eines Seminaristen? Nein? Oder Ja?
Manch einer wird sagen: Die Freude kommt von den Dingen her, die man hat, und die Folge ist die Suche nach dem jüngsten Smartphone-Modell, nach dem schnellsten Scooter, nach einem aufsehenerregenden Auto … Aber wirklich, ich sage euch, es schmerzt mich, wenn ich einen Priester oder eine Nonne mit dem neuesten Automodell sehe: Das geht nicht! Das geht nicht! Ihr denkt wahrscheinlich: Aber Vater, sollen wir jetzt etwa Fahrrad fahren? Das Fahrrad ist eine gute Sache! Msgr. Alfred fährt Fahrrad, er fährt Fahrrad. Ich halt das Auto für notwendig, weil man viel Arbeit erledigen muss und um irgendwo hin zu kommen … Aber nehmt ein bescheideneres Modell! Und wenn dir dieses schöne Auto so gefällt: dann denkt daran, wie viele Kinder verhungern. Nur daran! Die Freude stammt nicht, sie kommt nicht von den Dingen, die man besitzt! Wieder andere sagen, dass sie bei ganz extremen Erfahrungen empfunden wird, die man macht, um den wohligen Schauder des Nervenkitzels zu verspüren: die Jugend geht gern auf Messers Schneide, das gefällt ihr sehr! Wieder andere denken an Kleider nach der letzten Mode, daran, sich in Lokalen zu vergnügen, die der letzte Schrei sind – aber ich will damit nicht sagen, dass die Schwestern dorthin gehen, ich sage das über die Jugendlichen ganz allgemein. Noch andere denken dabei daran, bei den Mädchen oder bei den Jungen gut anzukommen, wobei sie womöglich von einer zur anderen oder von einem zum anderen flattern. Diese Unsicherheit in der Liebe ist es, was unsicher ist: es ist Liebe »auf Probe«. Und wir könnten so fortfahren … Auch ihr seid dieser Realität ausgesetzt, die ihr nicht einfach ignorieren könnt. Wir wissen, dass all das durchaus das eine oder andere Verlangen befriedigen kann, dass es Gefühle zu erregen vermag, aber letztendlich ist das eine Art von Freude, die an der Oberfläche bleibt, die nicht bis ins Innerste vordringen kann, keine innere Freude ist: es ist die Trunkenheit des Augenblicks, die nicht wirklich glücklich macht. Die Freude ist nicht die Trunkenheit des Augenblicks: sie ist etwas völlig anderes!
Die wahre Freude kommt nicht von den Dingen her, vom Besitz, nein! Sie kommt aus der Begegnung, aus der Beziehung zu den anderen Menschen, sie entsteht, wenn man sich akzeptiert, verstanden, geliebt fühlt und selbst akzeptiert, versteht und liebt; und zwar nicht mit dem kurzlebigen Interesse eines Augenblicks, sondern weil das Gegenüber, der Andere, ein Mensch ist. Die Freude entsteht aus der Unentgeltlichkeit einer Begegnung! Sie besteht darin, sich sagen zu hören: ›Du bist wichtig für mich«, auch wenn es nicht notwendigerweise in Worten ausgedrückt wird. Das ist schön … Und Gott gibt uns gerade das zu verstehen. Gott sagt euch, indem er euch beruft: »Du bist mir wichtig, ich liebe dich, ich zähle auf dich.« Jesus sagt das zu einem jeden von uns! Das ist der Ursprung der Freude!
Die Freude jenes Augenblicks, in dem Jesus mich angeschaut hat. Das zu verstehen und zu spüren ist das Geheimnis unserer Freude. Sich von Gott geliebt fühlen. Spüren, dass wir keine bloßen Zahlen für ihn sind, sondern Menschen; und spüren, dass er es ist, der uns ruft. Priester, Ordensmann, Ordensfrau ist nicht in erster Linie eine Entscheidung, die wir treffen. Ich traue diesem Seminaristen, dieser Novizin nicht, die sagen: »Ich habe diesen Weg gewählt.« Das gefällt mir nicht! Das geht nicht! Es ist vielmehr die Antwort auf einen Ruf und auf einen Ruf der Liebe. Ich spüre etwas in meinem Inneren, das mich unruhig macht, und ich antworte: Ja! Der Herr lässt uns diese Liebe im Gebet verspüren, aber auch durch die vielen Zeichen, die wir in unserem Leben lesen können, durch viele Menschen, denen er uns begegnen lässt. Und die Freude über die Begegnung mit ihm und über seinen Ruf führt dazu, dass wir uns nicht verschließen, sondern öffnen; sie führt zum Dienst in der Kirche. Der hl. Thomas sagte »bonum est diffusivum sui« – das ist kein allzu schweres Latein! – das Gute breitet sich aus. Und auch die Freude breitet sich aus.
Habt keine Angst davor, eure Freude darüber zu zeigen, dass ihr auf den Ruf des Herrn geantwortet habt, auf seine Wahl der Liebe und des Zeugnisses für sein Evangelium im Dienste der Kirche. Und die Freude, die wahre Freude, ist ansteckend, sie steckt an … sie lässt einen weitermachen. Wenn du hingegen mit einem gar zu ernsten, gar zu traurigen Seminaristen zusammen bist, oder mit einer Novizin, die so ist, dann denkst du: aber hier stimmt doch etwas nicht! Es fehlt die Freude des Herrn, die Freude, die dich dazu bringt, diesen Dienst zu tun, die Freude über die Begegnung mit Jesus, die dich dazu bringt, andere Menschen zu treffen, um ihnen Jesus zu verkündigen. Das fehlt! In der Traurigkeit gibt es keine Heiligkeit, sie fehlt!
Die hl. Teresa – hier sind viele Spanier, die sie gut kennen! – hat gesagt: »Ein Heiliger, der traurig ist, ist ein trauriger Heiliger!« Das ist wenig wert … Wenn du einen Seminaristen, einen Priester, eine Nonne, eine Novizin mit einem langen, trübsinnigen Gesicht siehst, die den Eindruck erwecken, dass über ihrem Leben eine völlig durchgeweichte Decke ausgebreitet worden wäre, eine dieser schweren Decken … die dich nach unten zieht … dann stimmt irgend etwas nicht! Aber ich bitte euch: niemals Schwestern, niemals Priester mit einem Gesicht wie »in Essig eingelegte Chilischoten«, niemals! Die Freude, die von Jesus kommt. Denkt: wenn ein Priester – ich sage Priester, das gilt aber auch für Seminaristen – wenn ein Priester, eine Nonne, freudlos ist, dann sind sie traurig, dann könnt ihr denken: »Aber das ist ein Fall für den Psychiater«. Nein. Es ist wahr: sie können hingehen, sie können hingehen, das ja. Das kommt vor: Manche, arme Geschöpfe, werden krank … Sie können zum Psychiater gehen. Aber im Normalfall ist das kein Fall für den Psychiater.
Ist es ein Problem, das damit zu tun hat, dass sie unbefriedigt sind? Das ja! Aber was ist der Kern dieses Mangels an Freude? Es ist ein Problem, das mit dem Zölibat zusammenhängt. Ich erkläre das. Ihr, ihr Seminaristen, Ordensleute weiht eure Liebe Jesus, einer großen Liebe; das Herz gehört Jesus, und das bringt uns dazu, das Gelübde der Keuschheit, das Gelübde des Zölibats abzulegen. Aber das Gelübde der Keuschheit und das Gelübde des Zölibats endet nicht in dem Augenblick, in dem das Gelübde abgelegt wird, es geht weiter … Das ist ein Weg, der in Richtung auf die seelsorgerliche Vaterschaft hin reift, reift, reift, zur pastoralen Mutterschaft, und wenn ein Priester nicht der Vater seiner Gemeinschaft ist, wenn eine Ordensschwester nicht die Mutter all derer ist, mit denen sie arbeitet, dann werden sie traurig. Das ist das Problem.Deshalb sage ich zu euch: der Ursprung der Traurigkeit im Leben der Pastoral beruht gerade im Mangel der Vaterschaft und Mutterschaft, die eine Folge davon sind, dass man diese Weihe schlecht lebt, die uns doch fruchtbar werden lassen soll. Ein unfruchtbarer Priester oder eine unfruchtbare Ordensfrau sind undenkbar: das ist nicht katholisch! Das ist nicht katholisch! Das ist das schöne an der Konsekration: sie ist Freude, Freude …
Aber ich möchte nicht, dass sich diese heilige Schwester hier geniert [er wendet sich an eine betagte Ordensschwester in der ersten Reihe], die vor der Absperrung war, die Ärmste, sie wurde nahezu er drückt, aber sie sah glücklich aus. Es hat mir gut getan, Schwester, Ihr Gesicht anzusehen! Vielleicht sind Sie schon seit vielen Jahren Ordensfrau, aber Ihre Augen sind schön, Sie haben gelächelt, Sie haben sich nicht beklagt darüber, in der Masse eingequetscht zu sein … Wenn ihr Beispiele findet wie dieses hier, viele, viele Schwestern, viele Priester, die fröhlich sind, dann deshalb, weil sie fruchtbar sind, Leben schenken, Leben, Leben … Sie schenken dieses Leben, weil sie es in Jesus finden! In der Freude Jesu! Freude, keine Traurigkeit, sondern pastorale Fruchtbarkeit. Man muss authentisch, kohärent sein, um ein fröhlicher Zeuge des Evangeliums zu sein. Und das ist ein weiteres Wort, das ich euch zurufen will: Authentizität. Jesus prangerte oft die Heuchler an: die Heuchler, diejenigen, die hinten herum denken; diejenigen, die – um es ganz deutlich zu sagen – ein doppeltes Gesicht haben. Es ist nicht schwer, mit jungen Menschen über die Authentizität zu reden, denn die Jugendlichen – alle – verspüren diesen Wunsch nach Authentizität, danach, kohärent zu sein. Und es stößt euch alle ab, wenn ihr unter uns Priester seht, die nicht authentisch sind oder Schwestern, die nicht authentisch sind!
Dafür sind in erster Linie die Erwachsenen verantwortlich, die Erzieher. Ihr Erzieher, die ihr hier seid, habt die Aufgabe, für die Jüngeren ein kohärentes Vorbild zu sein. Wollen wir kohärente junge Menschen? Dann müssen auch wir kohärent sein! Der Herr hingegen wird uns dasselbe sagen, was er zum Volk Gottes über die Pharisäer sagte: »Macht, was sie sagen, nicht aber das, was sie tun!« Kohärenz und Authentizität! Versucht aber auch ihr eurerseits diesen Weg zu verfolgen. Ich sage immer das, was der hl. Franz von Assisi bekräftigte: Christus hat uns gesandt, um das Evangelium auch durch das Wort zu verkündigen. Der Satz lautet folgendermaßen: »Verkündet stets das Evangelium. Und wenn es nötig sein sollte, dann tut es in Worten«. Was heißt das? Das Evangelium verkündigen durch die Authentizität des Lebens, durch ein kohärentes Leben. Aber in dieser Welt, der der Reichtum so sehr schadet, ist es erforderlich, dass wir Priester, dass wir Schwestern, dass wir alle kohärent sind im Hinblick auf unsere Armut! Aber wenn du siehst, dass das primäre Interesse einer Lehranstalt oder einer Einrichtung der Pfarrgemeinde oder einer anderen das Geld ist, dann tut das nicht gut. Es tut nicht gut! Das ist ein Widerspruch!
Wir müssen kohärent sein, authentisch sein. Um diesen Weg zu gehen, müssen wir das tun, was der hl. Franz sagt: predigen wir das Evangelium durch unser Vorbild, und erst dann in Worten! Vor allem aber müssen die anderen Menschen das Evangelium anhand unseres Lebens ablesen können! Auch hierin ohne Furcht, mit all unseren Fehlern, die wir zu korrigieren suchen, mit den uns gesetzten Grenzen, die der Herr kennt – aber auch durch unsere Großherzigkeit dabei, zuzulassen, dass er in uns wirkt.
Die Mängel, die Grenzen und – ich füge dem noch mehr hinzu – mit den Sünden … Eines würde ich gerne wissen: Gibt es hier, in der Audienzhalle, jemanden, der kein Sünder ist, der keine Sünden hat? Er soll die Hand erheben! Erhebe die Hand! Niemand. Niemand. Von hier bis ganz hinten … alle! Aber wie gehe ich mit meiner Sünde, mit meinen Sünden um? Ich möchte euch Folgendes empfehlen: Seid offen eurem Beichtvater gegenüber. Immer. Sagt alles, habt keine Angst. »Vater, ich habe gesündigt! « Denkt an die Samariterin, die, um zu beweisen, um ihren Mitbürgern zu sagen, dass sie den Messias gefunden hatte, gesagt hat: »Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe«, und alle kannten ja das Leben dieser Frau. Immer dem Beichtvater die Wahrheit sagen.
Diese Offenheit tut wohl, weil sie uns demütig macht, uns alle. ›Aber Vater, ich habe weiterhin dies getan, ich habe jenes getan, ich habe gehasst« … was es auch immer sei. Die Wahrheit sagen, ohne etwas zu verheimlichen, ohne Halbwahrheiten, weil man in der Person des Beichtvaters mit Jesus spricht. Und Jesus kennt die Wahrheit. Er allein verzeiht dir immer! Aber der Herr will nur, dass du ihm das sagst, was er bereits weiß. Offenheit!
Es ist traurig, wenn man einen Seminaristen, eine Ordensschwester trifft, die heute bei diesem beichten, um den Fleck reinzuwaschen; morgen bei jenem, bei noch einem dritten, einem vierten: eine peregrinatio, ein Umherwandern von einem Beichtvater zum anderen, um seine Wahrheit vor sich zu verstecken. Offenheit! Es ist Jesus, der dich hört. Habt immer diese Offenheit vor Jesus, der im Beichtvater ist! Aber das ist eine Gnade. Vater, ich habe gesündigt, ich habe dieses, und jenes, und jenes getan … sprecht es voll aus. Und der Herr umarmt dich, er küsst dich! Geh, und sündige nicht mehr! Und wenn du zurückkommst? Noch einmal. Ich sage das aus Erfahrung. Ich bin vielen geweihten Menschen begegnet, die in diese heuchlerische Falle der mangelnden Offenheit fallen. »Ich habe dieses getan«, ganz demütig. Wie jener Zöllner, der im Tempel ganz hinten war: ›Ich habe dieses getan, ich habe jenes getan …‹ Und der Herr hält dir den Mund zu: Er ist es, der ihn dir zuhält! Aber du sollst das nicht selber machen! Habt ihr verstanden? Aus unseren eigenen Sünden quillt überreich die Gnade! Öffnet der Gnade die Tür, mit Hilfe dieser Offenheit! Die Heiligen und die Meister des spirituellen Lebens sagen uns, dass eine tägliche Gewissensprüfung als Hilfestellung dabei, die Authentizität in unserem Leben zu vermehren, äußerst nützlich, ja unentbehrlich ist. Was geht in meiner Seele vor? Auf diese Weise, offen, dem Herrn und dann dem Beichtvater gegenüber, dem geistlichen Vater gegenüber. Das ist äußerst wichtig!
Bis wann haben wir Zeit, Erzbischof Fisichella? [Erzischof Fisichella: Wenn Sie so zu uns sprechen, dann bleiben wir mit absoluter Sicherheit bis morgen hier.] Er sagt bis morgen … Er soll jedem mindestens ein Brötchen und eine Coca Cola bringen, wenn es bis morgen dauert … Die Kohärenz ist grundlegend dafür, damit unser Zeugnis glaubwürdig sei. Aber das genügt nicht, außerdem ist auch noch eine kulturelle Bildung erforderlich, ich betone: eine kulturelle Bildung, um Glaube und Hoffnung zu rechtfertigen.
Der Kontext, in dem wir leben, verlangt unentwegt dieses »rechtfertigen«, und das ist eine gute Sache, denn es verhilft uns dazu, nichts für selbstverständlich zu halten. Heutzutage können wir nichts für selbstverständlich halten! Diese Zivilisation, diese Kultur … das können wir nicht. Aber das ist mit Sicherheit auch anspruchsvoll, es erfordert eine gute, ausgewogene Ausbildung, die alle Bereiche des Lebens umfasst, den menschlichen, den geistlichen, die intellektuelle Dimension gemeinsam mit der pastoralen. Eure Ausbildung umfasst vier grundlegende Pfeiler: eine geistliche Ausbildung bzw. das geistliche Leben; das intellektuelle Leben, dieses Studium, um die »Rechtfertigung« leisten zu können; das apostolische Leben: damit anfangen, hinzugehen, um das Evangelium zu verkündigen; und viertens das Leben in einer Gemeinschaft. Vier. Und für das Letztgenannte ist es erforderlich, dass die Ausbildung im Noviziat, im Priorat, in den Seminaren in Gemeinschaft erfolge … Ich denke immer: das schlechteste Seminar ist besser als gar kein Seminar! Weshalb? Weil dieses Leben in Gemeinschaft notwendig ist. Erinnert euch an die vier Pfeiler: geistliches Leben, intellektuelles Leben, apostolisches Leben und Leben in der Gemeinschaft. Diese Vier. Auf diese Vier müsst ihr eure Berufung aufbauen. Und ich möchte betonen, wie wichtig in diesem Leben in der Gemeinschaft die Bande der Freundschaft und der Brüderlichkeit sind, die ein integraler Bestandteil dieser Ausbildung sind.
Hier stoßen wir auf ein weiteres Problem. Warum sage ich das: Bande der Freundschaft und der Brüderlichkeit. Ich bin oft auf Gemeinschaften, Seminaristen, Ordensleute oder diözesane Gemeinschaften gestoßen, in denen der Klatsch der beliebteste Zeitvertreib ist! Es ist schrecklich! Sie »häuten« sich gegenseitig … Und das ist unsere klerikale Welt, unsere Ordenswelt … Verzeiht, aber das ist weitverbreitet: Eifersüchteleien, Neid, schlecht übereinander reden. Nicht nur schlecht über die Oberen reden, das ist schon ein Klassiker! Aber ich möchte euch sagen, dass das weit verbreitet ist, ganz weit verbreitet. Und ich schäme mich! Ich schäme mich darüber! Es gehört sich nicht, das zu tun: hingehen und klatschen. »Hast du schon gehört … Hast du schon gehört …«? Aber so eine Gemeinschaft ist ein Inferno! Das tut nicht gut. Und deshalb sind Bande der Freundschaft und Brüderlichkeit wichtig.
Freunde hat man wenige. Die Bibel sagt so: ein, zwei Freunde … Aber Brüderlichkeit unter allen. Wenn ich einen Streit habe mit einer Schwester oder mit einem Bruder, dann sage ich es ihnen ins Gesicht, oder ich sage es zu diesem oder zu jener, die helfen können, aber ich sage es nicht anderen, um diese Person »mit Dreck zu bewerfen«. Und der Klatsch ist schrecklich! Hinter dem Klatsch, unter dem Klatsch verbergen sich Neid, Eifersüchteleien und Ambitionen. Denkt daran. Ich habe einmal über jemanden sagen hören, dass nach den Exerzitien – jemand, der einem Orden angehörte, eine Ordensfrau … Das ist gut! Diese Schwester hatte dem Herrn versprochen, sie würde nie schlecht über eine Mitschwester reden. Das ist ein schöner, ein schöner Weg zur Heiligkeit! Nicht schlecht über andere reden. »Aber, Vater, es gibt Probleme …«: sag es dem Ordensoberen, sag es der Ordensoberen, sag es dem Bischof, der das in Ordnung bringen kann. Aber sag es nicht zu jemandem, der nicht helfen kann. Das ist wichtig: Brüderlichkeit! Aber sag, würdest du je schlecht über deine Mama, deinen Papa, jemand von deinen Geschwistern reden? Nie. Und warum also tust du es im geweihten Leben, im Seminar, im priesterlichen Leben? Nur dieses: denkt, denkt … Brüderlichkeit! Diese brüderliche Liebe.
Es gibt aber zwei Extreme; bei diesem Aspekt der Freundschaft und der Brüderlichkeit gibt es zwei Extreme: sowohl die Isolation als auch die Zügellosigkeit. Eine Freundschaft und eine Brüderlichkeit, die mir dazu verhelfen, weder in Isolation noch in Zügellosigkeit zu verfallen. Die Freundschaften pflegen, sie sind ein kostbares Gut: sie müssen euch allerdings dazu erziehen, euch nicht abzuschotten, sondern aus euch herauszugehen. Ein Priester, ein Ordensmann, eine Ordensfrau können niemals eine Insel sein, sondern ein Mensch, der stets bereit ist zur Begegnung. Die Freundschaften reichern sich dann auch um die unterschiedlichen Charismen eurer religiösen Familien an. Das ist ein großer Reichtum. Denken wir nur an die schönen Freundschaften zahlreicher Heiliger.
Ich glaube, ich muss ein bisschen kürzen, denn ihr habt sehr viel Geduld! [Seminaristen: »Nein!«] Ich möchte euch sagen: geht aus euch heraus, um das Evangelium zu verkündigen, aber um das zu tun, müsst ihr aus euch herausgehen, um Jesus zu begegnen. Es gibt zwei Ausgänge: einen, der zur Begegnung mit Jesus führt, hin zur Transzendenz; den anderen hin zur Verkündigung Jesu. Beide gehen Hand in Hand. Wenn du nur einen nimmst, funktioniert es nicht! Ich denke an Mutter Teresa von Kalkutta. Sie war eine gute Schwester … Sie hatte vor gar nichts Angst, ging durch die Straßen … Aber diese Frau hatte auch keine Angst davor, zwei Stunden lang vor dem Herrn zu knien. Habt keine Angst davor, im Gebet und im pastoralen Tun aus euch herauszugehen. Seid mutig fürs Gebet und dafür, hinzugehen, um das Evangelium zu verkündigen.
Ich hätte gerne eine missionarischere Kirche, die nicht gar so ruhig ist. Jene schöne Kirche, die vorangeht. Dieser Tage sind viele Missionare und Missionarinnen zur Frühmesse gekommen, hier in Santa Marta, und als sie mich begrüßt haben, sagten sie zu mir: »Aber ich bin eine alte Schwester; es sind vierzig Jahre, dass ich im Tschad, dass ich hier und da bin …« Wie schön! Aber du hast begriffen, dass diese Ordensfrau diese Jahre auf diese Art verbracht hat, weil sie nie verabsäumt hat, Jesus im Gebet zu begegnen. Aus sich selbst herausgehen, im Gebet zur Transzendenz zu Jesus hin, zur Transzendenz zu den anderen Menschen im Apostolat, in der Arbeit. Leistet einen Beitrag für solch eine Kirche: dem Weg getreu, den Jesus will. Lernt nicht von uns, von uns, die nicht mehr jung sind; lernt von uns nicht jenen Sport, den wir, die Alten, so oft treiben: den Sport der Klage! Schaut uns nicht den Kult der »Göttin Klage« ab. Das ist vielleicht eine Göttin … immer am Lamentieren … Nein, seid positiv, hegt und pflegt das geistliche Leben, und geht gleichzeitig hin, seid dazu imstande, den Menschen zu begegnen, vor allem denen, die am meisten verachtet werden und die am stärksten benachteiligt sind. Habt keine Angst davor, aus euch herauszugehen und gegen den Strom zu schwimmen. Seid kontemplative Menschen und Missionare. Bitte habt stets die Muttergottes bei euch, betet den Rosenkranz … Vernachlässigt ihn nicht! Habt immer die Muttergottes bei euch zu Hause, so wie sie auch der Apostel Johannes bei sich hatte. Sie möge euch stets begleiten und beschützen. Und betet auch für mich, weil auch ich der Gebete bedarf, da ich ein armer Sünder bin, aber wir gehen voran.
Herzlichen Dank, und wir sehen uns morgen wieder. Und weiter, voller Freude, mit Kohärenz, immer mit diesem Mut, die Wahrheit zu sagen, diesem Mut, aus sich herauszugehen, um Jesus im Gebet zu begegnen und aus sich herausgehen, um den anderen Menschen zu begegnen und ihnen das Evangelium zu bringen. Mit pastoraler Fruchtbarkeit! Bitte, seid keine »alten Jungfern« und »vertrocknete Junggesellen«. Vorwärts! Nun, Erzbischof Fisichella hat gesagt, dass ihr gestern das Credo gebetet habt, jeder in seiner eigenen Sprache. Aber wir sind alle Brüder, wir haben denselben Vater. Jetzt bete jeder in seiner eigenen Sprache das Vaterunser. Beten wir das Vaterunser. [Gebet des Vaterunser] Und wir haben auch eine Mutter. Sagen wir, jeder in seiner Sprache, das Ave Maria. [Gebet des Ave Maria].
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