Index   Back Top Print

[ AR  - DE  - EL  - EN  - ES  - FR  - IT  - PL  - PT ]

BOTSCHAFT DES HEILIGEN VATERS
ZUM 39. WELTJUGENDTAG 

24 November 2024

 

 

 

Die auf den Herrn hoffen, gehen und werden nicht müde (vgl. Jes 40,31)

 

Liebe Jugendliche!

Letztes Jahr haben wir begonnen, auf das Heilige Jahr hin einen Weg der Hoffnung zu beschreiten, indem wir über den paulinischen Ausdruck »Freut euch in der Hoffnung« (Röm 12,12) nachgedacht haben. Um uns auf die Heilig-Jahr-Wallfahrt 2025 vorzubereiten, lassen wir uns in diesem Jahr vom Propheten Jesaja inspirieren, der sagt: »Die aber auf den Herrn hoffen, [...] gehen und werden nicht matt« (Jes 40,31). Dieser Ausdruck stammt aus dem sogenannten Buch des Trostes (Jes 40-55), das das Ende des babylonischen Exils Israels und den Beginn einer neuen Phase der Hoffnung und der Neugeburt für das Gottesvolk ankündigt, das dank eines neuen „Weges“, den der Herr seinen Kindern in der Geschichte eröffnet (vgl. Jes 40,3), in seine Heimat zurückkehren kann.

Auch wir leben heute in Zeiten, die von dramatischen Zuständen geprägt sind, die Verzweiflung hervorrufen und uns daran hindern, gelassen in die Zukunft zu blicken: die Tragödie des Krieges, die soziale Ungerechtigkeit, die Ungleichheit, der Hunger, die Ausbeutung des Menschen und der Schöpfung. Den höchsten Preis zahlt oft gerade ihr jungen Menschen, die ihr die Ungewissheit der Zukunft spürt und keine gesicherten Perspektiven für eure Träume erkennt. So lauft ihr Gefahr, ohne Hoffnung zu leben und euch, gefangen in Langeweile und Schwermut, bisweilen von der Illusion der Grenzüberschreitung und destruktiver Handlungen mitreißen zu lassen (vgl. Bulle Spes non confundit, 12). Deshalb, liebe Freunde, würde ich mir wünschen, dass auch euch, so wie es Israel in Babylon geschah, die Botschaft der Hoffnung erreicht: Auch heute noch eröffnet euch der Herr einen Weg und lädt euch ein, ihn mit Freude und Hoffnung zu beschreiten.

1. Die Pilgerschaft des Lebens und ihre Herausforderungen

Jesaja prophezeit ein „Gehen ohne zu ermüden“. Betrachten wir also diese beiden Aspekte: das Gehen und die Müdigkeit.

Unser Leben ist eine Pilgerschaft, eine Reise, die uns über uns selbst hinausführt, ein Unterwegssein auf der Suche nach dem Glück; und das christliche Leben ist insbesondere eine Pilgerschaft zu Gott, unserem Heil und der Fülle alles Guten. Die Ziele, Errungenschaften und Erfolge auf dem Weg lassen uns, wenn sie nur materiell bleiben, nach einem anfänglichen Moment der Befriedigung immer noch hungrig zurück und verlangen nach einem tieferen Sinn. Tatsächlich befriedigen sie unsere Seele nicht vollständig, denn wir wurden von demjenigen geschaffen, der unendlich ist, und deshalb wohnt in uns die Sehnsucht nach Transzendenz, die ständige Unruhe nach der Erfüllung höherer Ziele, nach einem „Mehr“. Deshalb, und das habe ich euch schon oft gesagt, kann es für euch junge Leute nicht genug sein, „das Leben vom Balkon aus zu betrachten“.

Es ist jedoch normal, dass wir, selbst wenn wir unsere Wege voller Enthusiasmus beginnen, früher oder später ein Gefühl der Müdigkeit empfinden. In manchen Fällen liegt die Ursache für Angst und innere Müdigkeit in dem gesellschaftlichen Druck, im Studium, im Beruf und im Privatleben bestimmte Erfolgsstandards erreichen zu müssen. Das erzeugt Traurigkeit, denn wir leben in der Hektik eines leeren Aktivismus, der dazu führt, dass wir unsere Tage mit tausend Dingen füllen und trotzdem das Gefühl haben, nie genug zu tun und nie mithalten können. Diese Müdigkeit wird oft von Langeweile begleitet. Dabei handelt es sich um einen Zustand der Apathie und Unzufriedenheit, den all jene empfinden, die sich nicht auf den Weg machen, sich nicht entscheiden, keine Wahl treffen, keine Risiken eingehen und es vorziehen, in ihrer Komfortzone zu bleiben und in sich selbst verschlossen die Welt am Bildschirm zu betrachten und zu beurteilen, ohne sich jemals die Hände mit Problemen, mit anderen, mit dem Leben „schmutzig“ zu machen. Diese Art von Müdigkeit ist wie Zement, in dem unsere Füße stecken, der irgendwann hart und schwer wird und uns lähmt und daran hindert, voranzukommen. Mir ist die Müdigkeit derer, die unterwegs sind, lieber als die Langeweile derer, die stillstehen und keine Lust zum Gehen haben!

Der Ausweg aus der Müdigkeit besteht paradoxerweise nicht darin, stehen zu bleiben und sich auszuruhen. Vielmehr muss man sich auf den Weg machen und zu einem Pilger der Hoffnung werden. Dies ist meine Einladung an euch: Macht euch voller Hoffnung auf den Weg! Die Hoffnung überwindet alle Müdigkeit, jede Krise und jede Angst und sie gibt uns eine starke Motivation, weiterzumachen, denn sie ist ein Geschenk, das wir von Gott selbst empfangen: Er erfüllt unsere Zeit mit Sinn, er gibt uns Licht auf unserem Weg, er zeigt uns die Richtung und das Ziel des Lebens. Der Apostel Paulus verwendete das Bild von den Athleten im Stadion, die laufen, um den Siegespreis zu erhalten (vgl. 1 Kor 9,24). Diejenigen von euch, die schon einmal an einem sportlichen Wettkampf teilgenommen haben – nicht als Zuschauer, sondern als Teilnehmer – kennen die innere Stärke, die nötig ist, um die Ziellinie zu erreichen. Die Hoffnung ist wahrhaft eine neue Kraft, die Gott uns verleiht und die uns befähigt, den Wettkampf durchzuhalten. Sie gibt uns eine „Weitsicht“, die über die Schwierigkeiten der Gegenwart hinausgeht und uns auf ein bestimmtes Ziel hin führt: die Gemeinschaft mit Gott und die Fülle des ewigen Lebens. Wenn es ein schönes Ziel gibt, wenn das Leben nicht ins Leere läuft, wenn nichts von dem, was ich träume, plane und verwirkliche, verloren geht, dann lohnt es sich, zu laufen und zu schwitzen, Schwierigkeiten auszuhalten und gegen die Müdigkeit anzukämpfen, denn die Belohnung am Ende ist wunderschön!

2. Pilger in der Wüste

Auf der Pilgerreise des Lebens gibt es unweigerlich Herausforderungen, denen man sich stellen muss. In früheren Zeiten musste man auf längeren Pilgerreisen mit den verschiedenen Jahreszeiten und dem wechselnden Klima zurechtkommen; man durchquerte schöne Wiesen und kühle Wälder, aber auch schneebedeckte Berge und drückend heiße Wüsten. Auch für gläubige Menschen ist die Pilgerreise ihres Lebens und die Reise zu einem weit entfernten Ziel immer noch anstrengend, so wie die Wüstenwanderung des Volkes Israel zum Gelobten Land.

So ergeht es euch allen. Auch für diejenigen, die das Geschenk des Glaubens empfangen haben, gab es glückliche Momente, in denen Gott gegenwärtig war und in denen ihr seine Nähe gespürt habt, und andere Momente, in denen ihr eine Wüstenerfahrung gemacht habt. Es kann vorkommen, dass auf den anfänglichen Enthusiasmus im Studium oder in der Arbeit oder auf den Elan in der Christusnachfolge –  sei es in der Ehe, im Priestertum oder im gottgeweihten Leben –, Momente der Krise folgen, die das Leben wie einen schwierigen Weg durch die Wüste erscheinen lassen. Diese Krisenzeiten sind jedoch keine verlorenen oder nutzlosen Zeiten, sondern sie können sich als wichtige Gelegenheiten zum Wachstum erweisen. Sie sind Zeiten der Läuterung der Hoffnung! In Krisen werden nämlich viele falsche „Hoffnungen“, die zu klein sind für unser Herz, zerschlagen; sie werden entlarvt und so bleiben wir ohne „Drumherum“ bei uns selbst und bei den grundlegenden Fragen des Lebens, jenseits aller Illusionen. Und in diesem Moment kann sich jeder von uns fragen: Auf welche Hoffnungen gründe ich mein Leben? Sind sie wahr oder sind es Illusionen?

In diesen Momenten lässt uns der Herr nicht im Stich. Er steht uns väterlich zur Seite und gibt uns immer das Brot, das uns wieder neue Kraft verleiht und uns wieder weitergehen lässt. Erinnern wir uns daran, dass er dem Volk in der Wüste Manna gab (vgl. Ex 16) und dem Propheten Elia, der müde und entmutigt war, zweimal einen Laib Brot und Wasser, so dass er »vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb« gehen konnte (1 Kön 19,3-8). In diesen biblischen Geschichten hat der Glaube der Kirche Vorbilder für das kostbare Geschenk der Eucharistie gesehen, jenes echte Manna und jenes wahre Viatikum, das Gott uns gibt, um uns auf unserem Weg zu stärken. Wie der selige Carlo Acutis sagte, ist die Eucharistie die Autobahn zum Himmel. Dieser junge Mann machte die Eucharistie zu seiner wichtigsten täglichen Verabredung! Auf diese Weise eng mit dem Herrn verbunden, gehen wir und werden nicht müde, denn er geht mit uns (vgl. Mt 28,20). Ich lade euch ein, das große Geschenk der Eucharistie wiederzuentdecken!

In den unvermeidlichen Momenten der Müdigkeit auf unserer Pilgerreise in dieser Welt sollten wir also lernen, wie Jesus und in Jesus zu ruhen. Er, der den Jüngern rät, sich nach der Rückkehr von ihrer Mission auszuruhen (vgl. Mk 6,31), weiß um euer Bedürfnis nach Ruhe für den Körper, nach Zeit für Ablenkungen, für das Beisammensein mit Freunden, für Sport und auch für den Schlaf. Aber es gibt eine tiefere Ruhe, die Ruhe der Seele, die viele suchen und nur wenige finden, und die nur in Christus zu finden ist. Macht euch bewusst, dass alle innere Müdigkeit im Herrn Linderung finden kann, der zu euch sagt: »Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch erquicken« (Mt 11,28). Wenn euch auf eurem Weg Müdigkeit befällt, kehrt zu Jesus zurück, lernt, in ihm zu ruhen und in ihm zu bleiben, denn die »auf den Herrn hoffen, [...] gehen und werden nicht matt« (Jes 40,31).

3. Vom Touristen zum Pilger

Liebe Jugendliche, ich lade euch ein, euch aufzumachen, um das Leben zu entdecken – auf den Spuren der Liebe, auf der Suche nach dem Antlitz Gottes. Aber ich empfehle euch Folgendes: Macht euch nicht als bloße Touristen auf den Weg, sondern als Pilger. Ihr solltet nicht einfach nur oberflächlich durch die Orte des Lebens ziehen – ohne die Schönheit dessen zu erfassen, was euch begegnet, ohne die Bedeutung der gegangenen Wege zu entdecken – bloß darauf aus, kurze Momente, flüchtige Erfahrungen zu erhaschen, die sich in einem Selfie festhalten lassen. Der Tourist tut dies. Der Pilger hingegen taucht ganz in die Orte ein, denen er begegnet, er bringt sie zum Sprechen und macht sie zum Teil seiner Suche nach dem Glück. Die Heilig-Jahr-Wallfahrt will also zum Zeichen für die innere Reise werden, zu der wir alle aufgerufen sind, um das endgültige Ziel zu erreichen.

Mit dieser Haltung bereiten wir uns alle auf das Heilige Jahr vor. Ich hoffe, dass es vielen von euch möglich sein wird, nach Rom zu pilgern, um die Heiligen Pforten zu durchschreiten. Jedenfalls werden alle auch in den Teilkirchen diese Wallfahrt machen können und dabei die vielen lokalen Gnadenorte wiederentdecken können, wo das heilige und gläubige Volk Gottes seinen Glauben und seine Frömmigkeit pflegt. Und ich hoffe, dass diese Pilgerreise anlässlich des Heiligen Jahres für uns alle zu einem »Moment der lebendigen und persönlichen Begegnung mit unserem Herrn Jesus Christus [wird, der die] „Tür“ zum Heil« ist (Bulle Spes non confundit, 1). Ich ermutige euch, dabei drei Grundhaltungen einzunehmen: Dankbarkeit, damit euer Herz sich öffnet zum Lobpreis für die empfangenen Gaben, allen voran die Gabe des Lebens; Suche, damit die Reise den beständigen Wunsch zum Ausdruck bringt, den Herrn zu suchen und den Durst des Herzens nicht auszulöschen; und schließlich Reue, die uns hilft, in uns zu gehen, die falschen Wege und Entscheidungen zu erkennen, die wir manchmal treffen, und uns so zum Herrn und zum Licht seines Evangeliums bekehren zu können.

4. Ausgesandt als Pilger der Hoffnung

Ich gebe euch noch ein weiteres beherzigenswertes Bild mit auf euren Weg. Wenn man zum Petersdom in Rom kommt, überquert man den Platz, der von den Kolonnaden des großen Architekten und Bildhauers Gian Lorenzo Bernini umgeben ist. Die Säulengänge sehen insgesamt wie eine große Umarmung aus: Sie stellen die beiden offenen Arme der Kirche dar, unserer Mutter, die alle ihre Kinder willkommen heißt! In diesem kommenden Heiligen Jahr der Hoffnung lade ich euch alle ein, die Umarmung des barmherzigen Gottes zu erleben, seine Vergebung zu erfahren, den Nachlass all unserer „inneren Schulden“, wie es anlässlich der biblischen Heiligen Jahre üblich war. Und solchermaßen von Gott angenommen und in ihm neu geboren, werdet auch ihr zu offenen Armen für viele eurer Freunde und Gleichaltrigen, die es nötig haben, durch eure herzliche Offenheit für sie die Liebe Gottes des Vaters zu spüren. Jeder von euch schenke »auch nur ein Lächeln, eine Geste der Freundschaft, einen geschwisterlichen Blick, ein aufrichtiges Zuhören, einen kostenlosen Dienst […], in dem Wissen, dass dies im Geist Jesu für diejenigen, die es empfangen, zu einem fruchtbaren Samen der Hoffnung werden kann“ (ebd., 18). So möget ihr zu unermüdlichen Missionaren der Freude werden.

Lasst uns auf unserem Weg mit den Augen des Glaubens aufblicken zu den Heiligen, die uns auf diesem Weg vorausgegangen sind, die das Ziel erreicht haben und uns ihr ermutigendes Zeugnis geben: »Ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, die Treue bewahrt. Schon jetzt liegt für mich der Kranz der Gerechtigkeit bereit, den mir der Herr, der gerechte Richter, an jenem Tag geben wird, aber nicht nur mir, sondern allen, die sein Erscheinen ersehnen« (2 Tim 4,7-8). Das Beispiel der heiligen Männer und Frauen spornt uns an und trägt uns.

Habt Mut! Ich trage euch alle in meinem Herzen und vertraue den Weg eines jeden von euch der Jungfrau Maria an, damit ihr es –  ihrem Beispiel folgend –  versteht, geduldig und voller Zuversicht auf das zu warten, was ihr erhofft, und weiter unterwegs zu bleiben als Pilger der Hoffnung und Liebe.

 

Rom, St. Johannes im Lateran, 29. August 2024, Gedenktag der Enthauptung Johannes’ des Täufers.

 

FRANZISKUS



Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana