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BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS 
AN DIE TEILNEHMER DER HOCHRANGIGEN VERANSTALTUNG
DER VERSAMMLUNG DES EUROPARATES ZUM THEMA UMWELT UND MENSCHENRECHTE 

[Straßburg, 29. September 2021]

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Zunächst möchte ich dem Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung, Herrn Abgeordneten Rik Daems, für die leidenschaftliche Einladung danken, über die Sorge für die Umwelt, unser gemeinsames Haus zu sprechen – jenes Geschenk, das wir empfangen haben und das wir schützen, bewahren und voranbringen müssen.

Zwar ist der Heilige Stuhl ein Beobachterstaat, verfolgt aber mit besonderer Aufmerksamkeit und Interesse alle diesbezüglichen Tätigkeiten des Europarates, in der Gewissheit, dass jede konkrete Initiative und Entscheidung dieser Organisation, die die dramatische Situation, in der sich die Gesundheit unseres Planeten befindet, verbessern kann, unterstützt und anerkannt werden muss.

In eben diesem Plenarsaal habe ich am 25. November 2014 die enge und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Europarat hervorgehoben und habe bekräftigt: »Schließlich ist unter den Themen, die unser Nachdenken und unsere Zusammenarbeit erfordern, der Umweltschutz, die Verteidigung dieser unserer geliebten Erde, die unser großer Reichtum ist, den Gott uns gegeben hat und der uns zur Verfügung steht, nicht damit er verdorben, ausgebeutet und erniedrigt wird, sondern damit wir in Freude über seine grenzenlose Schönheit mit Würde leben können.«1

Anschließend bin ich in der Enzyklika Laudato si‘ auf die große Bedeutung der Sorge um das gemeinsame Haus zurückgekommen: ein universales Prinzip, das nicht nur die gläubigen Christen betrifft, sondern jeden Menschen guten Willens, dem der Umweltschutz am Herzen liegt. Die gegenwärtige Veranstaltung, die am Vorabend der UN-Klimakonferenz, die im kommenden November in Glasgow geplant ist, stattfindet, kann durch eine größere Beachtung des Grundprinzips des Multilateralismus einen wertvollen Beitrag auch für die nächste Versammlung der Vereinten Nationen leisten. Der Heilige Stuhl ist ebenso überzeugt, dass jede Initiative des Europarates nicht nur auf den geografischen Raum dieses Kontinents beschränkt werden darf, sondern – ausgehend von unserem geliebten Europa – die ganze Welt erreichen muss. In diesem Sinne schaut man mit Interesse auf die Entscheidung, die der Europarat treffen wird, um ein neues Rechtsmittel zu schaffen, das die Sorge für die Umwelt mit der Achtung der Grundrechte des Menschen verbinden kann.

Es gibt keine Zeit mehr zum Warten, es muss gehandelt werden. Jedes Mittel, dass die Menschenrechte und die Prinzipien der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit – Grundwerte des Europarates – achtet, kann dazu dienen, sich dieser globalen Herausforderung zu stellen.

Niemand darf einem Menschen das Grundrecht verwehren, »in Würde zu leben und sich voll zu entwickeln«2; »denn wir Menschen kommen alle mit der gleichen Würde auf die Welt. […] Folglich sind wir als Gemeinschaft verpflichtet, dafür zu sorgen, dass jeder Mensch in Würde leben kann und angemessene Möglichkeiten für seine ganzheitliche Entwicklung hat«.3

Wenn der Mensch sich dagegen für den Herrn des Universums hält und nicht für seinen verantwortlichen Verwalter, wenn er seine rechte Position in Beziehung zur Welt nicht mehr anerkennt, dann rechtfertigt er jede Art von Verschwendung – sowohl im Bereich der Umwelt als auch im menschlichen Bereich – und behandelt die anderen Menschen und die Natur als reine Objekte.

Bereits in der Antike sagte man: »Esse oportet ut vivas, non vivere ut edas« – »Man muss essen, um zu leben, nicht leben, um zu essen.« Man muss konsumieren, um zu leben, nicht leben, um zu konsumieren. Und vor allem darf man nie ungezügelt konsumieren, wie es heute geschieht. Jeder muss von der Erde das gebrauchen, was seinem Unterhalt dient.

Alles ist miteinander verbunden, und als Familie der Nationen müssen wir eine gemeinsame Sorge haben: »zu schauen, dass die Umwelt sauberer, reiner ist und bewahrt wird. Und Sorge zu tragen für die Natur, damit sie für uns Sorge trägt«.4

Daher bedarf es eines echten Kurswechsels, eines neuen Bewusstseins von der Beziehung des Menschen zu sich selbst, zu den anderen, zur Gesellschaft, zur Schöpfung und zu Gott.

Gewiss lädt diese ökologische Krise, die »eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise«5 ist, uns zu einem interdisziplinären Dialog auf allen Ebenen ein, von der lokalen bis zur internationalen Ebene, aber auch zu einer individuellen und außerdem kollektiven Verantwortung. Man sollte daher auch über die Pflichten eines jeden Menschen sprechen, um in einer gesunden, gesundheitsfördernden und nachhaltigen Umwelt zu leben. Wenn wir dagegen nur von Rechten sprechen, dann denken wir einzig und allein an das, was uns zusteht. Wir müssen auch an die Verantwortung denken, die wir gegenüber den zukünftigen Generationen haben, und an die Welt, die wir unseren Kindern und unseren Jugendlichen hinterlassen wollen.

Ich hoffe, dass diese Parlamentarische Versammlung und der Europarat alle Initiativen, die für den Aufbau einer gesünderen, gerechteren und nachhaltigeren Welt notwendig sind, erkennen, fördern und umsetzen mögen: »Aus den Händen Gottes haben wir einen Garten empfangen, unseren Kindern dürfen wir keine Wüste hinterlassen!«6

Handeln wir mit Hoffnung, Mut und Willen, indem wir konkrete Entscheidungen treffen. Sie können nicht auf morgen aufgeschoben werden, wenn ihr Ziel darin besteht, das gemeinsame Haus und die Würde eines jeden Menschen zu schützen.

Aus dem Vatikan, am 23. September 2021

                                                                            Franziskus

 

FUSSNOTEN                                           

1 Ansprache an den Europarat, Straßburg, 25. November 2014.

2 Enzyklika Fratelli tutti (3. Oktober 2020), 107.

3 Ebd., 118.

4 Videobotschaft an die Teilnehmer am »Leaders summit on climate«, 22. April 2021.

5 Enzyklika Laudato si‘, 139.

6 Videobotschaft zum Start der Plattform Laudato si‘, 25. Mai 2021.



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