BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
ZUM 50. JAHRESTAG DER PROMULGATION
DES RITUS DER JUNGFRAUENWEIHE
Liebe Schwestern!
1. Vor fünfzig Jahren promulgierte die Heilige Kongregation für den Gottesdienst, im Auftrag des heiligen Paul VI., den neuen Ritus der Jungfrauenweihe. Die noch andauernde Pandemie hat die Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gesellschaften des apostolischen Lebens dazu gezwungen, das internationale Treffen zu verschieben, welches sie zur Feier dieses wichtigen Jahrestages einberufen hatte. Ich möchte mich dennoch Eurem Dank anschließen, wie der heilige Johannes Paul II. anlässlich des 25. Jahrestages der Promulgation des Ritus sagte, für diese »zweifache Gabe des Herrn an seine Kirche«: für den erneuerten Ritus und »für den der Gemeinschaft der Kirche zurückgegebenen « Ordo fidelium (Ansprache an die Teilnehmerinnen der Internationalen Tagung des Ordo Virginum, 2. Juni 1995).
Eure Lebensform findet ihre erste Quelle im Ritus, erhält ihre rechtliche Gestaltung in can. 604 des Kodex des kanonischen Rechts und ab 2018 in der Instruktion Ecclesiae Sponsae imago. Eure Berufung macht den unerschöpflichen und vielfältigen Reichtum des Geistes des Auferstandenen deutlich, der alles neu macht (vgl. Offb 21,5). Zugleich ist sie ein Zeichen der Hoffnung: Die Treue des Vaters legt auch heute noch einigen Frauen den Wunsch ins Herz, dem Herrn in Jungfräulichkeit geweiht zu sein und diese in ihrem gewöhnlichen sozialen und kulturellen Umfeld, in einer Teilkirche verwurzelt, in einer alten und gleichzeitig neuen und modernen Lebensform zu leben.
Von Euren Bischöfen begleitet, habt Ihr die Eigenart Eurer Form des gottgeweihten Lebens vertieft und dabei erfahren, dass die Jungfrauenweihe Euch in der Kirche zu einem besonderen Ordo fidelium macht. Setzt diesen Weg fort und bemüht Euch gemeinsam mit den Bischöfen um ernsthafte Wege der Berufungsfindung, der einführenden Ausbildung und der ständigen Weiterbildung. Das Geschenk Eurer Berufung drückt sich in der Tat in der Symphonie der Kirche aus, die entsteht, wenn sie in Euch Frauen erkennen kann, die das Geschenk der Schwesternschaft zu leben im Stande sind.
2. Fünfzig Jahre nach dem Inkrafttreten des erneuerten Ritus möchte ich Euch sagen: Löscht die Prophetie Eurer Berufung nicht aus! Ihr seid nicht durch eigenes Verdienst, sondern aufgrund der Barmherzigkeit Gottes dazu berufen, in Eurer Existenz das Antlitz der Kirche, der Braut Christi, aufleuchten zu lassen, die Jungfrau ist, weil sie, obwohl sie aus Sündern besteht, den Glauben unversehrt bewahrt sowie eine neue Menschheit empfängt und wachsen lässt.
Gemeinsam mit dem Geist, mit der ganzen Kirche und jedem Hörer des Wortes seid Ihr eingeladen, Euch Christus zu anzuvertrauen und ihm zu sagen: «Komm!» (Offb 22,17), um in der Kraft zu verbleiben, die seine Antwort spendet: «Ja, ich komme bald!» (Offb 22,20). Diese Ankunft des Bräutigams ist der Horizont Eures Weges in der Kirche, Euer Ziel und die jeden Tag neu zu ergreifende Verheißung. »Auf diese Weise könnt ihr mit eurer ehrenhaften Lebensweise Sterne sein, die Orientierung geben für den Lauf der Welt« (Benedikt XVI., Ansprache an die Teilnehmerinnen am Kongress des Ordo Virginum, 15. Mai 2008).
Ich lade Euch ein, die Texte des Ritus neu zu lesen und zu meditieren, in denen die Bedeutung Eurer Berufung widerhallt: Ihr seid berufen, zu erfahren und zu bezeugen, dass Gott uns in seinem Sohn zuerst geliebt hat, dass seine Liebe allen gilt und die Kraft hat, Sünder in Heilige zu verwandeln. In der Tat hat »Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben […], um sie zu heiligen, da er sie gereinigt hat durch das Wasserbad im Wort!« (Eph 5,25-26). Euer Leben wird die eschatologische Spannung durchscheinen lassen, die die gesamte Schöpfung belebt, die ganze Geschichte antreibt und aus der Einladung des auferstandenen Herrn entspringt: »Steh auf, meine Freundin, meine Schöne, so komm doch!« (vgl. Hld 2,10; Origenes, Predigten über das Hohelied II, 12).
3. Die Modellpredigt des Ritus der Jungfrauenweihe ermahnt Euch: „Liebt alle und bevorzugt die Armen“ (Nr. 29). Die Jungfrauenweihe behält Euch Gott vor, ohne Euch von Eurem Umfeld zu entfremden, in dem Ihr lebt und dazu berufen sind, Euer Zeugnis in dem evangeliumsgemäßen Stil der Nähe zu geben (vgl. Ecclesiae Sponsae imago, 37-38). Mit dieser besonderen Nähe zu den Menschen von heute möge Eure jungfräuliche Weihe der Kirche helfen, die Armen zu lieben, materielle und geistige Armut zu erkennen und den Gebrechlichsten und Wehrlosesten zu helfen, den körperlich und psychisch Leidenden, den Kleinen und den alten Menschen, denen, die in Gefahr sind, wie Abfall ausgesondert zu werden.
Seid Frauen der Barmherzigkeit, Experten der Menschlichkeit. Frauen, die »an das Revolutionäre der Zärtlichkeit und der Liebe« glauben (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 288). Die Pandemie lehrt uns: »Es ist an der Zeit, die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtigkeit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten Menschheit bedroht!« (Predigt in der Hl. Messe, Barmherzigkeitssonntag, 19. April 2020). Was in der Welt gerade geschieht, möge Euch aufrütteln: verschließt nicht die Augen und lauft nicht weg; durchschreitet mit Feingefühl den Schmerz und das Leiden ; haltet durch und verkündigt das Evangelium von der Fülle des Lebens für alle.
Das Gebet der Jungfrauenweihe ruft die vielfältigen Gaben des Geistes für Euch herab und bittet darum, dass Ihr in einer casta libertas zu leben vermögt. (Ritus der Jungfrauenweihe, 38). Möge das Eure Art sein, Beziehung zu leben, um Zeichen der bräutlichen Liebe zu sein, die Christus mit der Kirche, Jungfrau und Mutter, Schwester und Freundin der Menschheit, vereint. Mit Eurer Güte (vgl. Phil 4,5) knüpft Ihr echte Beziehungsgeflechte, die unsere Stadtviertel aus der Einsamkeit und Anonymität befreien mögen. Seid zur Parrhesia fähig, von der Versuchung zu Geschwätz und Klatsch aber haltet Euch fern. Tretet der Überheblichkeit mit Weisheit, Unternehmungsgeist und der Maßgeblichkeit der Nächstenliebe entgegen und verhindert so Machtmissbrauch.
4. Am Pfingstfest möchte ich jede Einzelne von Euch segnen wie auch die Frauen, die sich auf diese Weihe vorbereiten und alle, die sie in der Zukunft empfangen werden. »Der Heilige Geist ist der Kirche mitgeteilt worden als unerschöpfliches Prinzip ihrer Freude als Braut des erhöhten Christus» (hl. Paul VI., Apostolisches Schreiben Gaudete in Domino, 41). Seid als Zeichen für die Kirche in ihrer bräutlichen Dimension Frauen der Freude nach dem Beispiel von Maria von Nazaret, der Frau des Magnificat, der Mutter des lebendigen Evangeliums.
Rom, bei St. Johannes im Lateran, am 31. Mai 2020, dem Hochfest von Pfingsten.
Franziskus
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