.BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
AN KARD. GIANFRANCO RAVASI, PRÄSIDENT DES PÄPSTLICHEN RATS
FÜR DIE KULTUR SOWIE DES KOORDINIERUNGSRATS
DER PÄPSTLICHEN AKADEMIEN
Aus Anlass der XXI. feierlichen öffentlichen Sitzung der Päpstlichen Akademien wende ich mich voller Dankbarkeit an Sie, Herr Kardinal, und schließe in meinen herzlichen Gruß auch die Kardinäle und Bischöfe, die Botschafter, die Mitglieder der Akademien und die Freunde ein, die an diesem Ereignis teilnehmen. Ich wünsche, dass diese Sitzung für die Preisträger eine Ermutigung zur Forschung und zur Vertiefung der für die Sicht eines christlichen Humanismus grundlegenden Themen darstellen und dass sie für alle Teilnehmer ein Moment der Freundschaft und der kulturellen und inneren Bereicherung sein möge.
Ich freue mich darüber und möchte die Mitglieder der »Pontificia Insigne Accademia di Belle Arti e Letteratura dei Virtuosi al Pantheon« [Päpstliche Akademie der schönen Künste und der Literatur], der 1542 gegründeten und damit ältesten akademischen Einrichtung, ebenso beglückwünschen wie Prof. Vitaliano Tiberia, dem ich für seine lange und verdienstvolle Zeit als Präsident danke, und Prof. Pio Baldi, den neuen Präsidenten, dem mein Dank für die Organisation der Sitzung in diesem Jahr gilt, die ein wirklich faszinierendes und interessantes Thema hat: »Funken der Schönheit für ein menschliches Antlitz der Städte«. Die im Titel enthaltenen Bilder und Symbole verweisen auf zwei mögliche Bezugspunkte.
Erstens auf die Ansprache meines Vorgängers Benedikt XVI. an die in der Sixtinischen Kapelle versammelten Künstler im November 2009. Ich greife einen bedeutungsvollen Abschnitt heraus: »Bedauerlicherweise ist unsere gegenwärtige Zeit nicht nur durch negative Phänomene auf sozialem und wirtschaftlichem Gebiet geprägt, sondern auch durch den Schwund der Hoffnung und durch ein Fehlen von Vertrauen in menschliche Beziehungen, wodurch die Zeichen von Resignation, Aggression und Verzweiflung zunehmen. […] Was kann uns wieder mit Begeisterung und Zuversicht erfüllen, was kann den menschlichen Geist ermutigen, seinen Weg zu finden, seine Augen zum Horizont zu erheben, von einem Leben, das seiner Berufung würdig ist, zu träumen – wenn nicht die Schönheit?« (in O.R. dt., Nr. 48, 27.11.2009, S. 5). Weiter forderte er die Künstler auf, sich dafür einzusetzen, die Orte des sozialen Zusammenlebens immer menschlicher zu machen: »Als Künstler wisst ihr nur allzu gut, dass die Erfahrung der Schönheit, einer Schönheit, die authentisch ist, nicht nur vergänglich und künstlich ist, nicht nur etwas Zusätzliches oder Zweitrangiges für unsere Suche nach Sinn und Glück. Die Erfahrung der Schönheit entfernt uns nicht von der Wirklichkeit, im Gegenteil, sie führt zu einer direkten Begegnung mit den täglichen Wirklichkeiten unseres Lebens. Sie befreit die Wirklichkeit von der Dunkelheit, verklärt sie und macht sie strahlend und schön« (ebd., S. 5f).
Ein zweiter Bezug verweist auf aktuelle Fragen, auf Projekte der Sanierung und Wiederbelebung für die Peripherien der Metropolen, der Großstädte, die von zahlreichen qualifizierten Architekten ausgearbeitet werden: Sie schlagen gerade diese »Funken« der Schönheit vor, das heißt kleine urbanistische, architektonische und künstlerische Eingriffe, durch die auch in den verfallensten und hässlichsten Umfeldern ein neues Bewusstsein für Schönheit, für Würde, eher für menschliche Anständigkeit als für einen anständigen Zustand der Stadt geschaffen werden soll. So bricht sich die Überzeugung Bahn, dass es auch in den Peripherien Spuren von Schönheit und wahrer Menschlichkeit gibt, die man zu sehen und aufs Beste zu nutzen wissen muss, die unterstützt und ermutigt, entwickelt und verbreitet werden müssen.
Der italienische Schriftsteller Italo Calvino schrieb in Die unsichtbaren Städte: »Städte wie Träume sind aus Wünschen und Ängsten gebaut.« Vielleicht haben viele Städte unserer Zeit mit ihren trostlosen Vorstädten den Ängsten sehr viel mehr Raum gegeben als den Wünschen und schönsten Träumen der Menschen, vor allem der jungen Menschen. In der Enzyklika Laudato si’ habe ich gerade diese Beziehung betont, »die zwischen einer angemessenen ästhetischen Erziehung und der Erhaltung einer gesunden Umwelt besteht« und gesagt: »Auf die Schönheit zu achten und sie zu lieben hilft uns, aus dem utilitaristischen Pragmatismus herauszukommen. Wenn jemand nicht lernt innezuhalten, um das Schöne wahrzunehmen und zu würdigen, ist es nicht verwunderlich, dass sich für ihn alles in einen Gegenstand verwandelt, den er gebrauchen oder skrupellos missbrauchen kann« (Nr. 215).
Aus diesem Grund ist es zum Beispiel notwendig, dass Sakralbauten, angefangen bei den neuen Pfarrkirchen vor allem in den heruntergekommenen Stadtrandgebieten, sich auch in ihrer Einfachheit und Wesentlichkeit als Oasen der Schönheit, des Friedens, der Annahme präsentieren und wirklich die Begegnung mit Gott sowie die Gemeinschaft mit den Brüdern und Schwestern fördern. So werden sie auch Bezugspunkt für das ganzheitliche Wachstum aller Bewohner, für die harmonische und solidarische Entwicklung der Gemeinschaften sein.
Sich der Menschen, angefangen bei den Schwachen und Wehrlosen, und ihrer täglichen Bindungen anzunehmen, das bedeutet notwendigerweise auch, sich der Umwelt anzunehmen, in der sie leben. Kleine Gesten, einfache Maßnahmen, kleine Funken der Schönheit und der Liebe können über das urbanistische Gefüge und das Umweltgefüge hinaus das oft zerrissene und geteilte menschliche Gefüge sanieren, »flicken«, und eine konkrete Alternative zu Gleichgültigkeit und Zynismus darstellen.
Daraus ergibt sich der wichtige und notwendige Auftrag an die Künstler, besonders wenn sie gläubig sind und sich von der Schönheit des Evangeliums Christi erleuchten lassen, nämlich Kunstwerke zu schaffen, die gerade durch die Sprache der Schönheit ein Zeichen, einen Funken der Hoffnung und des Vertrauens dorthin bringen, wo die Menschen sich mit Gleichgültigkeit und Hässlichkeit abzufinden scheinen. Architekten und Maler, Bildhauer und Musiker, Filmemacher und Schriftsteller, Fotografen und Dichter, Künstler aller Disziplinen sind aufgerufen, die Schönheit vor allem dort erstrahlen zu lassen, wo Dunkel oder graue Eintönigkeit den Alltag beherrschen.
Sie sind Hüter der Schönheit, Verkünder und Zeugen der Hoffnung für die Menschheit, wie meine Vorgänger mehrfach betont haben. Ich lade sie daher ein, für Schönheit Sorge zu tragen, und die Schönheit wird für die Heilung vieler Wunden sorgen, die Herz und Geist der Männer und Frauen unserer Tage zeichnen.
Mit der Absicht, besonders die jungen Menschen, die sich in den verschiedenen künstlerischen Bereichen einsetzen, zu unterstützen und zu ermutigen, einen wichtigen und wertvollen Beitrag zum christlichen Humanismus zu leisten, freue ich mich nun, den Preis der Päpstlichen Akademien ex aequo Frau Dr. Chiara Bertoglio für ihre Forschung im Bereich der Musik- und Literaturwissenschaft wie auch für ihre Konzertaktivität zu verleihen und Dr. Claudio Cianfaglioni für seine Forschungen im Bereich der Poesie und für die Studien über einige hervorragende Dichter und Schriftsteller unserer Zeit, unter ihnen P. David Maria Turoldo, dessen 100. Geburtstag wir begehen.
Darüber hinaus freue ich mich, als Zeichen der Ermutigung für die künstlerische Entwicklung in zwei unterschiedlichen, sich ergänzenden musikalischen Bereichen Dr. Michele Vannelli, Chorleiter an der Basilika San Petronio in Bologna, und Herrn Francesco Lorenzi, Komponist und Musiker, Gründer der Musikgruppe »The Sun«, die Pontifikatsmedaille zu überreichen.
Abschließend wünsche ich Ihnen, Herr Kardinal, den Mitgliedern der Akademien und allen Anwesenden einen erfolgreichen Einsatz in den jeweiligen Forschungs- und Arbeitsfeldern. Jeden von Ihnen vertraue ich der Jungfrau Maria, der »Tota pulchra« an, wahrer Funke der Schönheit Gottes, die mit ihrem mütterlichen Schutz unseren Weg durch den Alltag erleuchtet. Zugleich bitte ich um ein Gedenken im Gebet und erteile von Herzen den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, am 6. Dezember 2016
FRANZISKUS
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