BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER DER GENERALVERSAMMLUNG
DER PÄPSTLICHEN AKADEMIE FÜR DAS LEBEN
An den verehrten Bruder
Bischof Carrasco de Paula
Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben
Ich übermittle Ihnen, den Herren Kardinälen und allen Teilnehmern an der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie für das Leben im 20. Jahr ihres Bestehens meinen herzlichen Gruß. Bei diesem Anlass gedenken wir voller Dankbarkeit des seligen Johannes Paul II., der diese Akademie eingerichtet hat, wie auch der Präsidenten, die ihre Aktivität gefördert haben, und aller, die in jedem Teil der Welt einen Beitrag zu ihrer Sendung leisten. Die besondere Aufgabe der Akademie, die im Motu proprio Vitae mysterium zum Ausdruck kommt, ist, »die Hauptprobleme der Biomedizin und des Rechtes hinsichtlich der Förderung und des Schutzes des Lebens zu studieren, darüber zu informieren und für entsprechende Schulung zu sorgen, vor allem in der direkten Beziehung, die diese Probleme zur christlichen Moral und den Weisungen des Lehramtes haben« (Nr. 4). So setzt ihr euch das Ziel, den Menschen guten Willens zu vermitteln, dass Wissenschaft und Technik, wenn sie im Dienst der menschlichen Person und ihrer Grundrechte stehen, zum ganzheitlichen Wohl des Menschen beitragen.
Eure Arbeiten in diesen Tagen haben zum Thema: »Altern und Behinderung«. Das ist ein sehr aktuelles Thema, das der Kirche sehr am Herzen liegt. Denn in unserer Gesellschaft ist die tyrannische Herrschaft einer wirtschaftlichen Logik festzustellen, die ausschließt und zuweilen tötet, und der heute sehr viele zum Opfer fallen, angefangen bei unseren alten Menschen. »Wir haben die ›Wegwerfkultur‹ eingeführt, die sogar gefördert wird. Es geht nicht mehr einfach um das Phänomen der Ausbeutung und der Unterdrückung, sondern um etwas Neues: Mit der Ausschließung ist die Zugehörigkeit zu der Gesellschaft, in der man lebt, an ihrer Wurzel getroffen, denn durch sie befindet man sich nicht in der Unterschicht, am Rande oder gehört zu den Machtlosen, sondern man steht draußen. Die Ausgeschlossenen sind nicht ›Ausgebeutete‹, sondern Müll, ›Abfall‹« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 53). Die soziodemographische Situation des Alterns zeigt uns klar diese Ausschließung des alten Menschen, insbesondere wenn er krank, behindert oder aus irgendeinem anderen Grund verletzlich ist. Denn man vergisst nur allzu häufig, dass die Beziehungen zwischen den Menschen immer Beziehungen der gegenseitigen Abhängigkeit sind, die im Leben eines Menschen in unterschiedlichem Grad zum Ausdruck kommt und in Situationen des Alters, der Krankheit, der Behinderung, des Leids allgemein stärker hervortritt. Und das erfordert, dass in den zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso wie in den gemeinschaftlichen Beziehungen die notwendige Hilfe angeboten wird, um zu versuchen, auf die Bedürfnisse zu antworten, die der Mensch in jenem Moment aufweist. Diesen Diskriminierungen und Ausschließungen liegt allerdings eine anthropologische Frage zugrunde: Wie viel ist ein Mensch wert und worauf gründet sich dieser Wert? Gesundheit ist sicherlich ein wichtiger Wert, aber erist nicht entscheidend für den Wert eines Menschen.
Gesundheit an sich ist außerdem keine Garantie für das Glück: dieses kann es auch geben bei einer prekären Gesundheit. Die Fülle, nach der jedes menschliche Leben strebt, steht nicht im Widerspruch zu einer Situation der Krankheit und des Leids. Deshalb sind fehlende Gesundheit und Behinderung niemals ein Grund, um einen Menschen auszuschließen oder, schlimmer noch, ihn zu eliminieren. Und die schwerwiegendste Entbehrung, die alte Menschen erleiden, ist nicht die Schwächung des Organismus oder die damit möglicherweise einhergehende Behinderung, sondern es ist das im Stich gelassen Werden, die Ausschließung, die fehlende Liebe. Lehrmeisterin der Annahme und der Solidarität ist dagegen die Familie: im Schoß der Familie schöpft die Erziehung wesentlich aus den solidarischen Beziehungen. In der Familie kann man lernen, dass der Verlust der Gesundheit kein Grund ist, irgendein menschliches Leben zu diskriminieren.
Die Familie lehrt, nicht dem Individualismus zu verfallen und das Ich mit dem Wir ins Gleichgewicht zu bringen. Dort wird die »Sorge für den anderen« zu einer Grundlage der menschlichen Existenz und zu einer sittlichen Haltung, die gefördert werden muss durch die Werte des Engagements und der Solidarität. Das Zeugnis der Familie wird entscheidend vor der ganzen Gesellschaft, wenn es darum geht, den Wert des alten Menschen zu bekräftigen als Subjekt einer Gemeinschaft, als jemand, der eine Sendung zu erfüllen hat und nur scheinbar empfängt, ohne etwas zu geben. »Jedes Mal, wenn wir versuchen, in der jeweils gegenwärtigen Lage die Zeichen der Zeit zu erkennen, ist es angebracht, die Jugendlichen und die Alten anzuhören. Beide sind die Hoffnung der Völker. Die Alten bringen das Gedächtnis und die Weisheit der Erfahrung ein, die dazu einlädt, nicht unsinnigerweise dieselben Fehler der Vergangenheit zu wiederholen« (ebd., 108). Eine Gesellschaft nimmt das Leben wirklich an, wenn sie anerkennt, dass es auch im Alter, mit einer Behinderung, in schwerer Krankheit wertvoll ist und ebenso dann, wenn es verlöscht: wenn sie lehrt, dass die Berufung zur menschlichen Verwirklichung Leiden nicht ausschließt, ja wenn sie vielmehr lehrt, im kranken und leidenden Menschen ein Geschenk für die ganze Gemeinschaft zu sehen, eine Gegenwart, die zu Solidarität und Verantwortung aufruft. Das ist das Evangelium des Lebens, das ihr durch eure wissenschaftliche und professionelle Kompetenz und gestützt von der Gnade zu verbreiten berufen seid.
Liebe Freunde, ich segne die Arbeit der Akademie für das Leben, die häufig mühsam ist, weil sie ein Schwimmen gegen den Strom erfordert, und die immer kostbar ist, weil sie ihre Aufmerksamkeit darauf richtet, wissenschaftliche Strenge und Achtung der menschlichen Person zu verbinden. Das habe ich aus euren Tätigkeiten und Veröffentlichungen erkennen können, und ich wünsche, dass ihr denselben Geist auch in eurem zukünftigen Dienst an der Kirche und der ganzen Menschheitsfamilie bewahren mögt. Der Herr segne euch und die Muttergottes behüte euch immer.
Aus dem Vatikan, am 19. Februar 2014
FRANZISKUS
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