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GEMEINSAMER APPELL VON PAPST FRANZISKUS, PATRIARCH
BARTHOLOMAIOS I. UND ERZBISCHOF JUSTIN WELBY
FÜR DIE ZUKUNFT DES PLANETEN UND DER MENSCHHEIT

 

Eine gemeinsame Botschaft für die Bewahrung der Schöpfung

Über ein Jahr lang haben wir alle die verheerenden Folgen einer globalen Pandemie erlebt: alle, ob arm oder reich, ob schwach oder stark. Einige waren besser geschützt oder aber stärker verwundbar als die anderen, doch die sich schnell ausbreitende Ansteckung brachte es mit sich, dass wir in unserem Bemühen für die eigene Sicherheit voneinander abhängig waren. Wir haben verstanden, dass bei der Bekämpfung dieser weltweiten Katastrophe niemand in Sicherheit ist, solange dies nicht alle sind; dass unser Handeln wirklich einen Einfluss auf die anderen hat und dass das, was wir heute tun, einen Einfluss darauf hat, was morgen geschehen wird.

Das sind keine neuen Lehren, aber wir mussten sie erneut beherzigen. Lassen wir diesen Augenblick nicht ungenutzt vergehen. Wir müssen uns entscheiden, was für eine Welt wir den zukünftigen Generationen hinterlassen wollen. Gott fordert uns auf: »Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen« (Dtn 30,19). Wir müssen eine andere Lebensweise wählen; wir müssen das Leben wählen.

Der September wird von vielen Christen als »Zeit der Schöpfung« begangen, eine Gelegenheit zum Gebet und zur Sorge für die Schöpfung Gottes. Während Regierungschefs führender Länder sich auf ihr Treffen im November in Glasgow vorbereiten, um über die Zukunft unseres Planeten zu beratschlagen, wollen wir für sie beten und darüber nachdenken, welche Entscheidungen wir alle zu treffen haben. Daher fordern wir als Oberhäupter unserer Kirchen alle Menschen – welchen Glauben und welche Weltanschauung sie auch immer haben mögen – auf, sich zu bemühen, den Schrei der Erde und der Armen zu hören, das eigene Verhalten zu prüfen, sich zu engagieren und zum Wohl der uns von Gott geschenkten Erde spürbare Opfer zu bringen.

Die Bedeutung der Nachhaltigkeit

In der uns gemeinsamen christlichen Tradition bieten uns die Heilige Schrift und die Heiligen erhellende Perspektiven, um sowohl die gegenwärtige Realität als auch die Verheißung von etwas Größerem zu verstehen als das, was wir im Augenblick erleben. Der Begriff der »Bewahrung« – der individuellen und kollektiven Verantwortung für die uns von Gott geschenkte Gabe – bildet einen grundlegenden Ausgangspunkt für die soziale, wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit. Im Neuen Testament lesen wir vom reichen, törichten Mann, der einen übergroßen Getreidevorrat anhäuft und dabei vergisst, dass sein Leben begrenzt ist (Lk 12,13-21). Wir hören vom verlorenen Sohn, der sein Erbe sofort einfordert, nur um es dann zu vergeuden und letztendlich Hunger zu leiden (Lk 15,11-32). Wir werden davor gewarnt, kurzfristige Entscheidungen zu treffen, die scheinbar wenig kosten; auf Sand zu bauen anstatt auf Fels, damit unser gemeinsames Haus den Stürmen standhalten kann (Mt 7,24-27). Diese Gleichnisse fordern uns auf, eine umfassendere Perspektive einzunehmen und unseren Platz in der langen Geschichte der Menschheit zu erkennen.

Wir aber haben die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Wir haben unseren Eigennutz zum Nachteil der zukünftigen Generationen maximiert. Wenn wir uns auf unseren Reichtum konzentrieren, stellen wir fest, dass langfristige Güter, einschließlich der Fülle der Natur, für kurzfristige Vorteile ausgebeutet werden. Die Technologie hat neue Möglichkeiten des Fortschritts erschlossen, aber auch Möglichkeiten der unbegrenzten Anhäufung von Reichtum, und viele von uns verhalten sich auf eine Art und Weise, die wenig Sorge für andere Menschen oder für die Grenzen des Planeten zeigt. Die Natur ist widerstandsfähig, aber auch anfällig. Wir erleben bereits die Folgen unserer Weigerung, sie zu schützen und zu bewahren (Gen 2,15). Jetzt, in diesem Moment, bietet sich uns die Gelegenheit umzukehren, uns entschlossen umzuwenden und die entgegengesetzte Richtung einzuschlagen. Wir müssen Großzügigkeit und Fairness in der Art und Weise anstreben, wie wir leben, wie wir arbeiten und das Geld verwenden, statt egoistischen Gewinn erzielen zu wollen.

Auswirkungen auf die Menschen, die in Armut leben

Die aktuelle Klimakrise sagt viel darüber aus, wer wir sind und wie wir die Schöpfung Gottes sehen und behandeln. Wir stehen vor einer unerbittlichen Gerechtigkeit: Der Verlust der biologischen Vielfalt, die Umweltzerstörung und der Klimawandel sind die unvermeidlichen Folgen unseres Handelns, da wir gierig mehr Ressourcen der Erde verbraucht haben, als der Planet verkraften kann. Aber wir stehen auch vor einer tiefen Ungerechtigkeit: Die Menschen, die die katastrophalsten Folgen dieses Missbrauchs zu erleiden haben, sind die ärmsten Menschen des Planeten, die am wenigsten für deren Ursachen verantwortlich sind. Wir dienen einem gerechten Gott, der sich an der Schöpfung erfreut und jeden Menschen nach seinem Bild erschaffen hat, der aber auch den Schrei der Armen hört. Dementsprechend tragen wir einen in unser Wesen eingeschriebenen Ruf in uns, so dass wir mit Entsetzen reagieren, wenn wir solch eine verheerende Ungerechtigkeit sehen.

Heute zahlen wir den Preis dafür. Die extremen Wetterereignisse und Naturkatastrophen der letzten Monate haben uns erneut mit großer Deutlichkeit und unter hohen menschlichen Op- fern vor Augen geführt, dass der Klimawandel nicht nur eine zukünftige Herausforderung, sondern eine unmittelbare, dringende Frage des Überlebens ist. Weitverbreitete Überschwemmungen, Brände und Dürren bedrohen ganze Kontinente. Der Meeresspiegel steigt und zwingt die Bewohner ganzer Ortschaften zur Umsiedlung; Wirbelstürme verwüsten ganze Regionen und zerstören Leben und Existenzgrundlagen. Wasser ist knapp geworden und die Nahrungsmittelversorgung ist unsicher,
was zu Konflikten und Vertreibung von Millionen Menschen führt. Wir haben dies bereits an Orten gesehen, wo die Menschen von kleinen landwirtschaftlichen Betrieben abhängig sind. Heute sehen wir es in den Industrieländern, wo selbst eine hochentwickelte Infrastruktur außergewöhnliche Zerstörungen nicht vollständig verhindern kann.

Morgen könnte es noch schlimmer werden. Kinder und Jugendliche von heute werden katastrophalen Folgen gegenüberstehen, wenn wir nicht jetzt als »Mitarbeiter Gottes« (Gen 2,4-7) die Verantwortung für die Bewahrung unserer Welt übernehmen. Wir hören häufig, dass junge Menschen um die Bedrohung ihrer Zukunft wissen. Um ihretwillen müssen wir uns entscheiden, anders zu essen, zu reisen, Geld auszugeben, zu investieren und anders zu leben, indem wir nicht nur an unmittelbare Interessen und Gewinne denken, sondern auch an die zukünftigen Vorteile. Wir bereuen die Sünden unserer Generation. Wir stehen an der Seite unserer jüngeren Schwestern und Brüder in der ganzen Welt und setzen uns im Gebet und im engagierten Handeln für eine Zukunft ein, die immer mehr den Verheißungen Gottes entsprechen soll.

Das Gebot der Zusammenarbeit

Durch die Pandemie haben wir neu verstanden, wie verletzlich wir sind. Unsere Sozialsysteme sind ausgedünnt, und wir haben festgestellt, dass wir nicht alles kontrollieren können. Wir müssen anerkennen, dass die Art und Weise, wie wir mit Geld umgehen und unsere Gesellschaft organisieren, nicht allen zugute gekommen ist. Wir fühlen uns schwach und ängstlich angesichts einer Reihe von Krisen: den Krisen in Bezug auf Gesundheit, Umwelt, Ernährung, Wirtschaft und im sozialen Bereich, die alle eng miteinander verknüpft sind.

Diese Krisen stellen uns vor eine Entscheidung. Wir sind in der einzigartigen Lage, entscheiden zu können, ob wir ihnen mit Kurzsichtigkeit und Profitgier begegnen oder sie als Chance für Umkehr und Wandel nutzen. Wenn wir die Menschheit als eine Familie betrachten und gemeinsam auf eine Zukunft hinarbeiten würden, die auf dem Gemeinwohl basiert, könnten wir in einer ganz anderen Welt leben. Gemeinsam können wir eine Vision für ein Leben haben, in dem jeder sich gut entwickeln kann. Gemeinsam können wir uns dafür entscheiden, mit Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu handeln. Gemeinsam können wir uns auf den Weg zu einer gerechteren und erfüllenderen Gesellschaft machen, in der die Schwächsten im Mittelpunkt stehen.

Aber dazu sind Veränderungen notwendig. Jeder Einzelne von uns muss Verantwortung für die Art und Weise übernehmen, wie wir unsere Ressourcen nutzen. Dieser Weg erfordert eine immer engere Zusammenarbeit aller Kirchen in ihrem Engagement für die Bewahrung der Schöpfung. Gemeinsam, als Gemeinschaften, Kirchen, Städte und Nationen, müssen wir einen anderen Weg einschlagen und neue Wege der Zusammenarbeit entdecken, um die traditionellen Barrieren zwischen den Völkern zu überwinden, damit wir die Konkurrenz um Ressourcen beenden und mit der Zusammenarbeit beginnen.

Denjenigen, die größere Verantwortung tragen – an der Spitze von Behörden, in Unternehmen, als Arbeitgeber oder bei der Anlage von Geldern – sagen wir: Entscheiden Sie sich für Gewinne, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht. Bringen Sie kurzfristige Opfer, um unser aller Zukunft zu sichern. Seien Sie führend beim Übergang zu einer gerechten und nachhaltigen Wirtschaft. »Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden« (Lk 12,48).

Dies ist das erste Mal, dass wir drei uns veranlasst sehen, gemeinsam die Dringlichkeit der ökologischen Nachhaltigkeit, ihre Auswirkungen auf die anhaltende Armut und die Bedeutung der globalen Zusammenarbeit anzusprechen. Gemeinsam appellieren wir im Namen unserer Gemeinschaften an das Herz und den Verstand eines jeden Christen, eines jeden Gläubigen und eines jeden Menschen guten Willens. Wir beten für unsere Staats- und Regierungschefs, die in Glasgow zusammenkommen werden, um über die Zukunft unseres Planeten und seiner Bewohner zu entscheiden. Wir verweisen nochmals auf die Heilige Schrift: »Wähle also das Leben, damit du lebst, du und deine Nachkommen« (Dtn 30,19). Das Leben zu wählen bedeutet, Opfer zu bringen und Selbstbeschränkung zu üben.

Wir alle – wer und wo auch immer wir sind – können dazu beitragen, unsere kollektive Antwort auf die beispiellose Bedrohung durch Klimawandel und Umweltzerstörung zu ändern. Die Sorge um Gottes Schöpfung ist ein geistlicher Auftrag, der eine engagierte Antwort erfordert. Dies ist ein entscheidender Moment. Die Zukunft unserer Kinder und die Zukunft unseres gemeinsamen Hauses hängen davon ab.

1. September 2021

 



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