SCHREIBEN VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE KATHOLIKEN IM NAHEN OSTEN
Liebe Brüder und Schwestern!
Ich denke an euch und bete für euch. Ich möchte mich an diesem traurigen Tag an euch wenden. Vor einem Jahr entzündete sich die Lunte des Hasses und sie ist nicht erloschen, sondern zu einer Spirale der Gewalt geworden, unter der beschämenden Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft und der mächtigsten Länder, die Waffen zum Schweigen zu bringen und der Tragödie des Krieges ein Ende zu setzen. Es fließt Blut und es fließen Tränen, Wut und Rachedurst nehmen zu, während sich anscheinend nur wenige für das interessieren, was am dringendsten nötig wäre und was die Menschen wollen: Dialog und Frieden. Ich werde nicht müde zu wiederholen, dass der Krieg eine Niederlage ist, dass Waffen keine Zukunft aufbauen, sondern sie zerstören, dass Gewalt niemals Frieden bringt. Die Geschichte beweist dies, und doch scheinen uns die schon viele Jahre anhaltenden Auseinandersetzungen nichts gelehrt zu haben.
Und ihr, Brüder und Schwestern in Christus, die ihr an Orten wohnt, von denen die Heilige Schrift so viel erzählt, ihr seid eine kleine, wehrlose Herde, die nach Frieden dürstet. Danke dafür, wer ihr seid, danke, dass ihr in eurem Land bleiben wollt, danke, dass ihr trotz allem zu beten und zu lieben versteht. Ihr seid ein von Gott geliebtes Samenkorn. Und wie ein Samenkorn, das von der Erde, die es bedeckt, scheinbar erstickt wird, und doch immer wieder den Weg nach oben findet, zum Licht, um Frucht zu tragen und Leben zu schenken, so lasst auch ihr euch nicht von der Finsternis um euch herum überwältigen, sondern werdet, eingepflanzt in eure heiligen Länder, zu Keimen der Hoffnung: Das Licht des Glaubens führt euch dazu, Zeugnis zu geben von der Liebe, während von Hass gesprochen wird, für Begegnung, während die Konfrontation überhandnimmt, für Einheit, während alles sich auf Konfrontation richtet.
Mit dem Herzen eines Vaters wende ich mich an euch, Gottes heiliges Volk; an euch, Kinder eurer altehrwürdigen Kirchen, die heute »Märtyrerkirchen« sind; an euch, Samen des Friedens im Winter des Krieges; an euch, die ihr an Jesus glaubt, »gütig und von Herzen demütig« (Mt 11,29), und in ihm zu Zeugen der Stärke eines unbewaffneten Friedens werdet.
Die Menschen von heute wissen nicht, wie sie den Frieden finden können, und wir Christen dürfen nicht müde werden, ihn von Gott zu erbitten. Deshalb habe ich heute alle eingeladen, einen Tag des Gebets und des Fastens zu begehen. Gebet und Fasten sind die Waffen der Liebe, die die Geschichte verändern, die Waffen, die unseren einzigen wahren Feind besiegen: den Geist des Bösen, der Krieg schürt, weil er »Mörder von Anfang an« ist, »ein Lügner und der Vater der Lüge« (Joh 8,44). Bitte, finden wir Zeit für das Gebet und entdecken wir die rettende Kraft des Fastens wieder neu!
Ich trage etwas in meinem Herzen, das ich euch, Brüder und Schwestern, aber auch allen Männern und Frauen aller Konfessionen und Religionen, die im Nahen Osten unter dem Wahnsinn des Krieges leiden, sagen möchte: Ich bin euch nahe, ich bin bei euch.
Ich bin bei euch, ihr Bewohner des Gaza-Streifens, geschunden und erschöpft, die ihr jeden Tag in meinen Gedanken und Gebeten seid.
Ich bin bei euch, die ihr gezwungen seid, eure Häuser zu verlassen, die Schule und die Arbeit aufzugeben, auf der Suche nach einem Ort, um den Bomben zu entkommen.
Ich bin bei euch, Mütter, die beim Anblick ihrer toten oder verletzten Kinder Tränen vergießen, so wie Maria beim Anblick Jesu; ich bin bei euch, ihr Kleinen, die ihr in den weiten Ländern des Nahen Ostens lebt, wo die Intrigen der Mächtigen euch das Recht auf das Spielen nehmen.
Ich bin bei euch, die ihr Angst habt, nach oben zu schauen, weil es Feuer vom Himmel regnet.
Ich bin bei euch, die ihr keine Stimme habt, weil so viel über Pläne und Strategien geredet wird, aber wenig über die konkrete Situation derer, die unter dem Krieg leiden, den die Mächtigen anderen aufzwingen; doch ihnen droht das strenge Gericht Gottes (vgl. Weish 6,8).
Ich bin mit euch, die ihr nach Frieden und Gerechtigkeit dürstet, die ihr euch nicht der Logik des Bösen unterwerft und im Namen Jesu »eure Feinde liebt und für die betet, die euch verfolgen« (vgl. Mt 5,44).
Danke, Kinder des Friedens, dass ihr das Herz Gottes tröstet, das durch das Böse der Menschen verwundet ist. Und ich danke all jenen in der ganzen Welt, die euch helfen. Diejenigen, die sich um den hungrigen, kranken, fremden, verlassenen, armen und bedürftigen Christus in euch kümmern, bitte ich, dies auch weiterhin mit Großherzigkeit zu tun. Und ich danke euch, liebe Bischöfe und Priester, die ihr den Trost Gottes in die Einsamkeit der Menschen tragt. Bitte schaut auf das heilige Volk, dem zu dienen ihr berufen seid, und lasst eure Herzen berühren, indem ihr um eurer Gläubigen willen alle Spaltungen und Ambitionen hinter euch lasst.
Brüder und Schwestern in Jesus, von Herzen segne ich euch und umarme euch mit Zuneigung. Möge die Gottesmutter, Königin des Friedens, euch behüten. Der heilige Josef, Schutzpatron der Kirche, möge euch beschützen.
In geschwisterlicher Verbundenheit,
FRANZISKUS
Rom, Sankt Johannes im Lateran,
7. Oktober 2024.
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