SCHREIBEN VON PAPST FRANZISKUS
AN KARD. RAVASI ZUR ÖFFENTLICHEN SITZUNG DER PÄPSTLICHEN AKADEMIEN
Die 25. Öffentliche Sitzung der Päpstlichen Akademien steht nun unmittelbar bevor, deren Höhepunkt die jährliche Verleihung des Preises an herausragende Wissenschaftler sein wird. Die Begegnung, die im vergangenen Jahr aufgrund der Pandemie aufgeschoben werden musste, kann trotz bleibender Schwierigkeiten heute erneut stattfinden. Denn sie ist von grundlegender Bedeutung für den Dialog zwischen den Akademien und für die Anerkennung der jungen Talente, die sich in den jeweiligen kulturellen und thematischen Bereichen auszeichnen.
Diese 25. Sitzung wurde von der Päpstlichen Römischen Akademie für Archäologie und der Päpstlichen Akademie »Cultorum Martyrum« organisiert, die sie aus Anlass des 200. Geburtstags zurecht dem großen Archäologen Giovanni Battista de Rossi widmen wollten.
Giovanni Battista de Rossi wird als der Begründer der modernen christlichen Archäologie betrachtet. In der Tat bekräftigte sein Zeitgenosse Theodor Mommsen, dass dieser das Fachgebiet »von einem bloßen Zeitvertreib für Liebhaber zu einer echten historischen Wissenschaft« erhoben habe.
Die Tätigkeit von de Rossi erfuhr entscheidende Unterstützung durch den seligen Pius IX., der am 6. Januar 1852 die Kommission für Sakrale Archäologie errichtete, »für den wirksameren Schutz und die Beaufsichtigung der Friedhöfe und der antiken christlichen Gebäude in Rom und im Umland, für die wissenschaftliche Ausgrabung und Erforschung dieser Friedhöfe, für die Erhaltung und Bewahrung dessen, was bei den Ausgrabungen wiederentdeckt oder ans Licht gebracht werden sollte«. Der römische Archäologe stand auch Papst Leo XIII. nahe, der ihn in dessen letztem Lebensabschnitt als Gast im Apostolischen Palast von Castel Gandolfo aufnahm.
Die Unterstützung des Papstes zeigte sich ebenso im Ankauf einiger Grundstücke über den wichtigsten Katakomben durch den Heiligen Stuhl, um so die grundlegenden Zeugnisse des Christentums der ersten Stunde, denen de Rossi seine Forschungen und Ausgrabungen gewidmet hatte, vor Bautätigkeiten zu bewahren.
So geschah es, dass Mitte des 19. Jahrhunderts der älteste Kern der Calixtus-Katakombe ans Licht kam, wo man die Krypta der Päpste aus dem 3. Jahrhundert und die Krypta der heiligen Cäcilia fand. So wurden den Experten und den Gläubigen die archäologischen Zeugnisse nähergebracht und durch sie der feste, tiefe Glaube jener antiken christlichen Gemeinschaften.
Durch das vergleichende Studium der Quellen und der archäologischen Stätten entdeckte Giovanni Battista de Rossi zahlreiche Gräber römischer Märtyrer und veranlasste gemeinsam mit Mitarbeitern und jungen Wissenschaftlern eine Wiederbelebung ihrer Verehrung. Die Gräber der Märtyrer und ihre Gedenkstätten standen im Mittelpunkt des bevorzugten Interesses des großen römischen Archäologen, der die Grundlagen für eine lebendige wissenschaftliche Disziplin legte, die auch bereit war, die Botschaft der christlichen Katakomben aufzunehmen, verstanden als vorläufige Ruhestätten in Erwartung der Auferstehung. Er erkannte und verdeutlichte die tiefe Bedeutung jener unterirdischen Friedhöfe aus Tausenden von gleichförmigen Loculi, als hätte man damit die Geschwisterlichkeit und Gleichheit unter allen Gliedern der Kirche anschaulich zum Ausdruck bringen wollen.
Die Pilgerwege, die auch in unseren Tagen durch zahlreiche jener Katakombengänge führen, die de Rossi entdeckt und erforscht hat, folgen dem Weg der Gläubigen der ersten Jahrhunderte, die innerlich bewegt zu den Grabstätten der Märtyrer kamen, um jene einfachen Gräber zu berühren und um durch heute noch lesbare Graffiti eine Anrufung, eine Bitte, ein Zeichen der Verehrung zu hinterlassen.
Bei Giovanni Battista de Rossi bewundern wir den außerordentlichen Einsatz als unermüdlicher Wissenschaftler, der die Grundlagen schuf für eine wissenschaftliche Disziplin – die christliche Archäologie –, die es auch heute noch an vielen Universitäten gibt. Und gleicherweise erinnern wir an die Leidenschaft, mit der er seine Berufung lebte: das Leben der ersten christlichen Gemeinschaften Roms zu entdecken und immer besser bekannt zu machen, und zwar durch alle verfügbaren Quellen, angefangen bei den archäologischen und epigraphischen.
Sein Vorbild verdient, erneut vor Augen gestellt zu werden, um die Studien der christlichen Archäologie zu fördern und weiterzuentwickeln, und das über Fachkreise hinaus auch an Universitäten und Instituten, wo Theologie und Geschichte des Christentums gelehrt werden.
Mit dem Wunsch, diejenigen zu ermutigen, die sich auf den Spuren von Giovanni Battista de Rossi mit großem Engagement und Enthusiasmus den archäologischen sowie den historischen und hagiographischen Forschungen widmen, freue ich mich, die Goldene Pontifikatsmedaille an das Forschungsprojekt Die archäologischen Ausgrabungen von Machaerus unter der Leitung von Professor Gyözö Vörös, Mitglied der Ungarischen Akademie der Künste, zu verleihen, deren Ergebnisse in drei monumentalen Bänden über die jordanische Festung am Toten Meer zusammengefasst sind.
Als Zeichen der Ermutigung für archäologische Studien über frühchristliche Denkmäler verleihe ich dann ex aequo die Silberne Pontifikatsmedaille an Dr. Domenico Benoci für seine Dissertation über Die christlichen Inschriften des Areals I der Calixtus-Katakombe und an Dr. Gabriele Castiglia für seine Monographie Christliche Topographie der südlichen und mittleren Toskana .
Ich wünsche allen Mitgliedern der Akademien und den Teilnehmern der 25. Öffentlichen Sitzung einen immer fruchtbareren Einsatz für die Förderung des christlichen Humanismus und rufe den mütterlichen Schutz Marias, Königin der Märtyrer, auf euch herab, damit sie euch stets begleite auf eurem menschlichen und akademischen Weg, und erteile euch und euren Angehörigen von Herzen den Apostolischen Segen.
Aus dem Vatikan, 1. Februar 2022
FRANZISKUS
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