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Welttag der Großeltern und älteren Menschen

HEILIGE MESSE

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Petersdom
Sonntag, 23. Juli 2023

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Um zu uns vom Reich Gottes zu sprechen, verwendet Jesus Gleichnisse. Er erzählt einfache Geschichten, die das Herz der Zuhörer erreichen; und diese bildreiche Sprache ähnelt der Sprache, die Großeltern oft im Umgang mit ihren Enkelkindern verwenden, etwa wenn sie diese gerade auf dem Schoß haben. So vermitteln sie eine wichtige Lebensweisheit. Während ich an die Großeltern und älteren Menschen denke, welche die Wurzeln sind, die die Jüngsten brauchen, um erwachsen zu werden, möchte ich die drei im heutigen Evangelium enthaltenen Geschichten noch einmal durchgehen und dabei von einem Aspekt ausgehen, der ihnen gemeinsam ist: das gemeinsame Wachsen.

Im ersten Gleichnis sind es der Weizen und das Unkraut, die gemeinsam auf demselben Feld wachsen (vgl. Mt 13,24-30). Dieses Bild hilft uns, eine realistische Lesart zu finden: In der Geschichte der Menschheit, wie im Leben eines jeden Menschen, gibt es ein Nebeneinander von Licht und Schatten, von Liebe und Egoismus. Gut und Böse sind in der Tat so eng miteinander verwoben, dass sie untrennbar erscheinen. Dieser realistische Ansatz hilft uns, die Geschichte ohne Ideologie, ohne sterilen Optimismus und schädlichen Pessimismus zu betrachten. Der Christ, der von der Hoffnung auf Gott beseelt ist, ist kein Pessimist, aber er ist auch kein naiver Mensch, der in einer Märchenwelt lebt und so tut, als ob er das Böse nicht sieht und sagt, dass „alles in Ordnung ist“. Nein, der Christ ist Realist: Er weiß, dass es in der Welt Weizen und Unkraut gibt, und er schaut in sich hinein und erkennt, dass das Böse nicht nur „von außen“ kommt, dass es nicht immer die Schuld der anderen ist, dass es nicht nötig ist, Feinde zu „erfinden“, die es zu bekämpfen gilt, nur um nicht ins eigene Leben Licht bringen zu müssen. Er ist sich bewusst, dass das Böse von innen kommt, im inneren Kampf, den wir alle führen.

Aber das Gleichnis stellt uns eine Frage: Wenn wir sehen, dass in der Welt Weizen und Unkraut nebeneinander existieren, was sollen wir dann tun? Wie sollten wir uns verhalten? In dem Gleichnis würden die Knechte das Unkraut gerne sofort ausreißen (vgl. V. 28). Diese Haltung ist gut gemeint, aber impulsiv, ja sogar aggressiv. Man meint, das Böse mit eigenen Kräften ausreißen zu können, um so die Reinheit herzustellen. Das ist eine immer wiederkehrende Versuchung: eine „reine Gesellschaft“, eine „reine Kirche“, aber um diese Reinheit zu erreichen, riskiert man, ungeduldig, unnachgiebig und sogar gewalttätig gegenüber denjenigen zu sein, die einem Irrtum verfallen sind. Und so reißt man zusammen mit dem Unkraut auch den guten Weizen aus und hindert die Menschen daran, einen Weg zu beschreiten, zu wachsen, sich zu ändern. Hören wir stattdessen auf das, was Jesus sagt: „Lasst den guten Weizen und das Unkraut gemeinsam wachsen bis zur Zeit der Ernte“ (vgl. Mt 13,30). Wie schön ist dieser Blick Gottes, diese seine barmherzige Pädagogik, die uns einlädt, Geduld mit den anderen zu haben, Schwächen, Verzögerungen und Begrenzungen anzunehmen – in der Familie, in der Kirche und in der Gesellschaft: nicht, um uns resigniert an diese zu gewöhnen oder sie zu rechtfertigen, sondern um zu lernen, respektvoll einzugreifen und die Pflege des guten Weizens mit Sanftmut und Geduld fortzuführen. Dabei erinnern wir uns stets daran, dass die Reinigung des Herzens und der endgültige Sieg über das Böse im Wesentlichen das Werk Gottes sind. Und wir sind aufgerufen, die Versuchung zu überwinden, Weizen und Unkraut zu trennen, und zu verstehen, auf welche Weise und zu welchem Zeitpunkt wir am besten handeln sollten.

Ich denke an die älteren Menschen und an die Großeltern, die schon einen langen Lebensweg hinter sich haben, und die, wenn sie zurückblicken, so viele schöne Dinge sehen, die sie erreicht haben, aber auch Niederlagen, Fehler, etwas, das – wie man sagt –„Wenn ich zurückkehren würde, ich  nicht wieder machen würde“. Heute jedoch wendet sich der Herr mit einem liebevollen Wort an uns und lädt uns ein, das Geheimnis des Lebens mit Gelassenheit und Geduld anzunehmen, ihm das Urteil zu überlassen und nicht mit Bedauern und Gewissensbissen zu leben. Es ist, als wollte er uns sagen: „Seht auf das gute Korn, das auf eurem Lebensweg gekeimt ist, lasst es weiter wachsen, indem ihr alles mir anvertraut, der ich immer vergebe: Am Ende wird das Gute stärker sein als das Böse“. Auch deshalb ist das Alter eine gesegnete Zeit: Es ist die Zeit der Versöhnung, des liebevollen Blicks auf das Licht, das trotz der Schatten vorangeschritten ist, in der zuversichtlichen Hoffnung, dass der gute Weizen, den Gott gesät hat, über das Unkraut siegen wird, mit dem der Teufel unsere Herzen überwuchern wollte.

Sehen wir uns nun das zweite Gleichnis an. Das Himmelreich, so sagt Jesus, ist das Werk Gottes, das still im Geflecht der Geschichte wirkt, ja, es scheint ein kleines und unsichtbares Werk zu sein, wie das eines winzigen Senfkorns. Aber wenn dieses Korn wächst, »ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, sodass die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten« (Mt 13,32). So ist auch unser Leben, Brüder und Schwestern: Wir kommen klein auf die Welt, wir werden erwachsen, dann alt; am Anfang sind wir ein kleines Samenkorn, dann nähren wir uns von Hoffnungen, wir verwirklichen Projekte und Träume, von denen der schönste darin besteht, wie jener Baum zu werden, der nicht für sich selbst lebt, sondern um denen Schatten zu spenden, die sich danach sehnen, und um denen Platz zu bieten, die ihre Nester in ihm bauen wollen. So dass am Ende der alte Baum und die kleinen Vögel in diesem Gleichnis gemeinsam wachsen.

Ich denke an die Großeltern: wie schön sind diese üppigen Bäume, unter denen die Kinder und die Enkelkinder ihre „Nester“ bauen, die Atmosphäre von Heimat erfahren und die Zärtlichkeit einer Umarmung erleben. Es geht um das gemeinsame Wachsen: der grüne Baum und die Kleinen, die das Nest brauchen, die Großeltern mit ihren Kindern und Enkelkindern, die Älteren mit den Jungen. Brüder und Schwestern, wir brauchen ein neues Bündnis zwischen den Jungen und den Älteren, damit der Lebenssaft derer, die eine lange Lebenserfahrung haben, die Triebe der Hoffnung derer nährt, die noch im Wachstum begriffen sind. In diesem fruchtbaren Austausch lernen wir die Schönheit des Lebens kennen, schaffen wir eine geschwisterliche Gesellschaft, und ermöglichen wir in der Kirche die Begegnung und den Dialog zwischen der Tradition und dem beständig Neuen des Heiligen Geistes.

Schließlich das dritte Gleichnis, in dem der Sauerteig und das Mehl gemeinsam wachsen (vgl. Mt 13,33). Diese Vermischung lässt den ganzen Teig wachsen. Jesus verwendet gerade das Verb „mischen“, das an jene Kunst erinnert, »die „Mystik“ […], die darin liegt, zusammen zu leben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten« und »aus sich selbst heraus[zu]gehen, um sich mit den anderen zusammenzuschließen« (Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 87). Damit überwinden wir Individualismus und Egoismus und es hilft uns, eine menschlichere und geschwisterlichere Welt zu schaffen. So ist das Wort Gottes heute ein Aufruf zur Wachsamkeit, damit wir in unserem Leben und in unseren Familien die älteren Menschen nicht ausgrenzen. Achten wir darauf, dass unsere dicht bevölkerten Städte nicht zu „Ballungszentren der Einsamkeit“ werden; dass die Politik, deren Aufgabe es ist, für die Bedürfnisse der Schwächsten Sorge zu tragen, die alten Menschen nicht vergisst und nicht zulässt, dass der Markt sie als „unproduktiven Abfall“ abstempelt. Es darf nicht passieren, dass wir im eiligen Verfolgen der Effizienz- und Leistungsmythen nicht mehr in der Lage sind, das Tempo zu drosseln, um diejenigen zu begleiten, die Mühe haben, mitzuhalten. Bitte, vermischen wir uns, wachsen wir gemeinsam.

Brüder und Schwestern, das Wort Gottes lädt uns ein, uns nicht abzusondern, uns nicht zu verschließen, nicht zu glauben, wir könnten es allein schaffen, sondern gemeinsam zu wachsen. Hören wir einander zu, reden wir miteinander, unterstützen wir uns gegenseitig. Vergessen wir nicht die Großeltern und die älteren Menschen: Durch ihre liebevolle Zuwendung sind wir viele Male aufgerichtet worden, haben wir uns wieder auf den Weg gemacht, wir haben uns geliebt gefühlt, und sind innerlich geheilt worden. Sie haben sich für uns aufgeopfert, und wir können sie nicht von unserer Prioritätenliste streichen. Lasst uns gemeinsam wachsen, lasst uns gemeinsam voranschreiten: Der Herr möge unseren Weg segnen.



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