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ERÖFFNUNGSMESSE DES TREFFENS VON FLÜCHTLINGSHELFERN
UNTER DEM MOTTO "FREI VON ANGST"

PREDIGT VON PAPST FRANZISKUS

Fraterna Domus - Sacrofano
Freitag, 15. Februar 2019

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Der Reichtum der für diese Eucharistiefeier ausgewählten Lesungen lässt sich in einem einzigen Satz zusammenfassen: »Fürchtet euch nicht!«

Der Abschnitt aus dem Buch Exodus hat uns von den Israeliten am Roten Meer berichtet, die starr vor Angst waren, weil die Streitmacht des Pharao sie verfolgte und fast eingeholt hatte. Viele denken: Besser wären wir in Ägypten geblieben und hätten weiter als Sklaven gelebt, statt in der Wüste zu sterben. Aber Mose ruft das Volk auf, keine Angst zu haben, weil der Herr mit ihnen ist: »Bleibt stehen und schaut zu, wie der Herr euch heute rettet!« (Ex 14,13). Der weite Weg durch die Wüste, der notwendig ist, um das Gelobte Land zu erreichen, beginnt mit dieser großen Prüfung. Israel ist aufgerufen, den Blick über die Widrigkeiten des Augenblicks hinauszuheben, die Furcht zu überwinden sowie voll und ganz auf das rettende und geheimnisvolle Handeln des Herrn zu vertrauen.

Im Abschnitt aus dem Matthäusevangelium (14,22-33) erschrecken die Jünger und schreien vor Angst, als sie den Meister auf dem Wasser gehen sehen, weil sie meinen, es sei ein Gespenst. Auf dem vom Sturm hin und her geworfenen Boot sind sie nicht in der Lage, Jesus zu erkennen. Aber er beruhigt sie mit den Worten: »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« (V. 27). Petrus bittet Jesus mit einer Mischung aus Misstrauen und Begeisterung um einen Beweis: »Befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme!« (V. 28). Jesus ruft ihn. Petrus geht einige Schritte, aber dann macht ihm der starke Wind erneut Angst und er beginnt unterzugehen. Während der Meister ihn ergreift, um ihn zu retten, tadelt er ihn: »Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?« (V. 31).

Durch diese biblischen Begebenheiten spricht der Herr heute zu uns und fordert uns auf, dass wir uns durch ihn von unseren Ängsten befreien lassen. »Frei von Angst« ist auch das Thema, das ihr für euer Treffen gewählt habt. »Frei von Angst«. Angst ist der Ursprung der Sklaverei: Aus Angst zogen es die Israeliten vor, Sklaven zu werden. Sie ist auch der Ursprung jeder Diktatur, denn auf der Angst des Volkes wächst die Gewalt der Diktatoren. Angesichts der Bosheiten und Schandtaten unserer Zeit sind auch wir – wie das Volk Israel – versucht, unseren Traum von der Freiheit aufzugeben. Wir fühlen berechtigte Angst angesichts von Situationen, die uns ausweglos erscheinen.

Menschliche Worte eines Anführers oder Propheten reichen nicht aus, um uns zu beruhigen, wenn wir die Gegenwart Gottes nicht spüren können und nicht in der Lage sind, uns seiner Vorsehung zu überlassen. So kapseln wir uns ab, ziehen uns auf unsere schwachen menschlichen Sicherheiten zurück, unseren Kreis geliebter Menschen, unsere beruhigende Routine. Und schließlich geben wir unsere Reise in das Gelobte Land auf, um zur Sklaverei in Ägypten zurückzukehren. Dieser Rückzug auf sich selbst, Zeichen der Niederlage, lässt unsere Angst vor den »anderen« wachsen, den Unbekannten, den Ausgegrenzten, den Fremden – die im Übrigen die Bevorzugten des Herrn sind, wie wir in Matthäus 25 lesen.

Und das zeigt sich in der heutigen Zeit besonders deutlich angesichts der Ankunft von Migranten und Flüchtlingen, die auf der Suche nach Schutz, Sicherheit und einer besseren Zukunft an unsere Tür klopfen. Es ist wahr, dass Furcht berechtigt ist, auch weil die Vorbereitung auf diese Begegnung fehlt. Das habe ich im letzten Jahr aus Anlass des Welttags des Migranten und Flüchtlings unterstrichen: »In die Kultur anderer einzutreten, sich in die Lage von Menschen zu versetzen, die so verschieden von uns sind, und ihre Gedanken und Erfahrungen zu verstehen, ist nicht leicht. Und so verzichten wir oft auf die Begegnung mit dem anderen und errichten stattdessen Barrieren zu unserer Verteidigung.« Auf eine Begegnung zu verzichten ist nicht menschlich.

Wir sind vielmehr aufgerufen, die Angst zu überwinden, um uns der Begegnung zu öffnen. Und um dies zu tun, reichen rationale Rechtfertigungen oder statistische Kalkulationen nicht aus. Angesichts des Roten Meeres und mit einem bedrohlichen Feind im Rücken sagt Mose zum Volk: »Fürchtet euch nicht«, weil der Herr sein Volk nicht im Stich lässt, sondern auf geheimnisvolle Weise in der Geschichte handelt, um seinen Heilsplan zu verwirklichen. Mose spricht so, weil er ganz einfach auf Gott vertraut.

Die Begegnung mit dem anderen ist zudem Begegnung mit Christus. Das hat er selbst uns gesagt. Er ist es, der hungrig, durstig, als Fremder, nackt, krank und als Gefangener an unsere Tür klopft und um Begegnung und Hilfe bittet. Und sollten wir noch etwas Zweifel haben, hier sein klares Wort: »Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« (Mt 25,40).

In diesem Sinn kann man auch die Ermutigung des Meisters an seine Jünger verstehen: »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« (V. 27). Er ist es wirklich, auch wenn unsere Augen Mühe haben, ihn zu erkennen: mit zerrissenen Kleidern, schmutzigen Füßen, entstelltem Gesicht, verwundetem Leib, nicht in der Lage, unsere Sprache zu sprechen… Auch wir können wie Petrus versucht sein, Jesus auf die Probe zu stellen, und ihn um ein Zeichen bitten. Und vielleicht fallen wir nach einigen zögernden Schritten auf ihn zu wieder unseren Ängsten zum Opfer.

Aber der Herr lässt uns nicht im Stich! Auch wenn wir »kleingläubige« Männer und Frauen sind, streckt Christus weiterhin seine Hand aus, um uns zu retten und die Begegnung mit ihm zu ermöglichen: eine Begegnung, die uns rettet und uns neu die Freude schenkt, seine Jünger zu sein. Wenn dies eine gültige Deutung unserer heutigen geschichtlichen Situation ist, dann sollten wir beginnen, ihm zu danken, dass er uns die Gelegenheit zu dieser Begegnung gibt, das heißt, dass die »anderen« an unsere Türen klopfen und uns so die Möglichkeit geben, unsere Ängste zu überwinden, um Jesus selbst zu begegnen, ihn aufzunehmen und ihm beizustehen. Und wer die Kraft hatte, sich von der Angst befreien zu lassen, wer die Freude dieser Begegnung gespürt hat, ist heute aufgerufen, es offen von den Dächern zu verkünden, um anderen zu helfen, dasselbe zu tun und sich so auf die Begegnung mit Christus und mit seinem Heil vorzubereiten.

Brüder und Schwestern, dies ist eine Gnade, die eine Mission mit sich bringt, Frucht des vollkommenen Sich-Anvertrauens an den Herrn, der für uns die einzige wahre Sicherheit ist. So sind wir als Einzelne und als Gemeinschaft aufgerufen, uns das Gebet des befreiten Volkes zu Eigen zu machen: »Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist mir zur Rettung geworden« (Ex 15,2).

Bevor ich mich verabschiede, möchte ich jedem von euch danken für das, was ihr tut: den kleinen Schritt… Aber der kleine Schritt macht den weiten Weg der Geschichte aus. Voran! Fürchtet euch nicht, habt Mut! Der Herr segne euch. Danke.

 


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