APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS NACH CHILE UND PERU
(15.-22. JANUAR 2018)
EUCHARISTIEFEIER
PREDIGT DES HEILIGEN VATERS
Küstenpromenade von Huanchaco (Trujillo)
Samstag, 20. Januar 2018
Dieses Land lässt uns etwas von der Atmosphäre des Evangeliums erahnen. Die ganze Umgebung mit dem weiten Meer im Hintergrund hilft uns besser zu verstehen, was die Apostel damals mit Jesus erlebten. Auch wir sind heute eingeladen, eben diese Erfahrungen zu machen. Ich freue mich, dass ihr aus den verschiedenen Orten Nordperus hierhergekommen seid, um diese Freude des Evangeliums zu feiern.
Die Jünger damals verdienten, wie viele von euch heute, ihren Lebensunterhalt mit dem Fischfang. Sie fuhren hinaus mit ihren Booten, wie es auch einige von euch in ihren „caballitos de totora“ [wörtl. „Totora-Pferdchen“, ortstypische, kleine Einsitzer-Boote aus Totora-Schilf] tun und sie verfolgten damit den gleichen Zweck wie ihr: sich das tägliche Brot zu verdienen. Und auch sie hatten dabei wohl die gleichen alltäglichen Sorgen, wie wir sie haben: nämlich unsere Familien voranbringen und ihnen zu einer besseren Zukunft verhelfen zu können.
Diese „Lagune mit goldenen Fischen“, wie man sie gerne genannt hat, ist für viele Generationen eine segensreiche Quelle des Lebens gewesen. Lange Zeit nährte sie Träume und Hoffnungen.
Ihr kennt, wie die Apostel, die Kräfte der Natur und habt auch ihre Schrecken erfahren. So wie jene mit dem Seesturm zu kämpfen hatten, so hat euch der „Küsten-El-Niño“ hart getroffen, dessen leidvolle Konsequenzen immer noch in vielen Familien gegenwärtig sind, besonders in jenen, die ihre Häuser bis heute noch nicht wiederaufbauen konnten. Auch deswegen wollte ich hier sein und mit euch beten.
Wir nehmen diesen so schwierigen Moment, der unseren Glauben anfragt und uns oft zweifeln lässt, in diese Eucharistiefeier mit hinein. Wir wollen uns mit Jesus vereinen. Er kennt den Schmerz und die Prüfungen. Er erlitt all das Leid, um uns in unseren Nöten begleiten zu können. Jesus will am Kreuz jeder schmerzvollen Situation nahe sein, um uns seine Hand zu reichen und uns wieder aufzuhelfen. Denn er ist in unsere Geschichte eingetreten, er wollte unseren Weg mitgehen und unsere Wunden berühren. Wir haben keinen Gott, dem unsere Gefühle und Leiden fremd sind, im Gegenteil, mitten im Leid reicht er uns seine Hand.
Diese erschütternden Ereignisse stellen unseren Geist und unsere Grundeinstellung auf die Probe. Dann wird uns nämlich bewusst, wie wichtig es ist, nicht allein, sondern vereint und erfüllt zu sein in dieser Gemeinschaft, die eine Frucht des Heiligen Geistes ist.
Was passierte den Jungfrauen im Evangelium, das wir gerade gehört haben? Auf einmal hören sie einen Ruf, der sie aufweckt und in Bewegung versetzt. Einigen wurde bewusst, dass sie nicht das notwendige Öl hatten, um den Weg in der Dunkelheit zu erleuchten, die anderen hingegen füllten ihre Lampen und konnten so den Weg erkennen, der sie zum Bräutigam führte. In dem beschriebenen Moment wurde offenbar, wovon das Leben jeder einzelnen erfüllt war.
Dasselbe gilt auch für uns. Unter bestimmten Umständen wird uns bewusst, womit wir unser Leben gefüllt haben. Wie wichtig ist es, unser Leben mit jenem Öl zu füllen, das es uns ermöglicht, unsere Lampen in den vielfältigen Situationen der Dunkelheit anzuzünden und den Weg zu erkennen, damit wir vorankommen!
Ich weiß, dass in jenem dunklen Moment, als euch der Niño traf, diese Gegend sich in Bewegung setzte und diese Gegend das nötige Öl hatte, so dass ihr einander wahrhaft brüderlich beistehen konntet. Das war das Öl der Solidarität, der Großzügigkeit, das euch in Gang gebracht hat, so dass ihr dem Herrn in unzähligen konkreten Gesten der Hilfeleistung entgegengegangen seid. Inmitten der Dunkelheit wart ihr zusammen mit vielen anderen lebendige Leuchten und habt den Weg erhellt mit euren offenen Händen und mit eurer Bereitschaft, Schmerzen zu lindern und das zu teilen, was ihr in eurer Armut hattet.
Im Evangelium sehen wir dann, wie die Frauen, die kein Öl hatten, ins Dorf gingen, um welches zu kaufen. Im entscheidenden Moment ihres Lebens wurde ihnen bewusst, dass ihre Lampen leer waren und dass ihnen das Entscheidende fehlte, um den Weg zur wahren Freude finden zu können. Sie waren allein und blieben so, allein, ausgeschlossen vom Fest. Es gibt Dinge, wie ihr gut wisst, die man nicht improvisieren und schon gar nicht kaufen kann. Die Seele einer Gemeinschaft wird daran gemessen, inwieweit sie in der Lage ist, in schwierigen und widrigen Momenten zusammenzustehen, um die Hoffnung lebendig zu halten. Mit dieser Haltung gebt ihr das größte Zeugnis für das Evangelium: Der Herr sagt uns: »Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt« (Joh 13,35). Denn der Glaube öffnet uns für eine konkrete, – nicht ideelle, sondern konkrete – Liebe, eine tätige Liebe der ausgestreckten Hände und des Mitleids, welche in der Lage ist, die Hoffnung zu nähren und wiederherzustellen, wenn alles verloren scheint. So nehmen wir teil am göttlichen Wirken, das uns der Apostel Johannes beschreibt, wenn er uns Gott als den offenbart, der die Tränen seiner Kinder trocknet. Und dieses göttliche Werk vollbringt er mit der gleichen Zärtlichkeit, mit der eine Mutter versucht, die Tränen ihrer Kinder zu trocknen. Welch schöne Frage, die der Herr einem jeden von uns am Ende des Tages stellen kann: Wie viele Tränen hast du heute getrocknet?
Auch andere Unwetter können diese Küste heimsuchen und für die Söhne und Töchter dieses Landes verheerende Folgen haben. Unwetter, die uns ebenso als Gemeinschaft angehen und unseren Geist auf die Probe stellen. Zu nennen wäre hier das organisierte Verbrechen mit seinen Auftragsmorden und der Unsicherheit, die es hervorruft. Dann ist da der Mangel an Bildungs- und Arbeitsplätzen, der besonders die jungen Menschen betrifft, denen so eine menschenwürdige Zukunft verwehrt bleibt. Und das Fehlen sicherer Unterkünfte zwingt viele Familien dazu, in Zonen großer Instabilität ohne sichere Zugangswege zu leben. Und so gibt es noch viele andere Situationen, die ihr kennt und unter denen ihr leidet, die wie die schlimmsten Erdrutsche das gegenseitige Vertrauen zerstören, das so wichtig ist, um Netzwerke der Hilfe und der Hoffnung zu errichten; Erdrutsche, die die Seele erschüttern und von uns all das Öl verlangen, das wir haben, um dem entgegenzutreten. Wie viel Öl hast du?
Oft machen wir uns Gedanken darüber, wie wir diesen Widrigkeiten begegnen können oder wie wir unseren Kindern aus solchen Situationen heraushelfen können. Dazu möchte ich euch sagen, dass es keinen besseren Ausweg gibt als den des Evangeliums, und der heißt: Jesus Christus. Schöpft aus dem Evangelium Kraft für euer Leben. Ich möchte euch einladen eine Gemeinschaft zu sein, die sich vom Herrn mit dem Öl des Heiligen Geistes salben lässt. Er verwandelt alles, er erneuert alles, er macht alles leichter. In Jesus haben wir die Kraft des Heiligen Geistes, damit wir das nicht einfach als normal akzeptieren, was uns schadet, es nicht als etwas Natürliches erachten, nicht „normalisieren“, was uns den Geist austrocknet und was uns, schlimmer noch, die Hoffnung raubt. Die Peruaner dürfen sich in diesem Augenblick ihrer Geschichte nicht die Hoffnung rauben lassen. In Jesus haben wir den Geist, der uns in der Einheit bewahrt, damit wir einander beistehen und all dem widerstehen können, was uns das beste unserer Familien nehmen möchte. In Jesus schenkt Gott uns eine gläubige Gemeinschaft, die fähig ist sich zu behaupten, eine Gemeinschaft, die hofft und deshalb dafür kämpft, die vielfältigen Widrigkeiten abzuwehren und zu verwandeln. Es ist eine liebende Gemeinschaft, die es nicht erlaubt, dass wir die Arme verschränken. Mit Jesus kann sich die Seele dieses Volkes von Trujillo auch weiterhin „Stadt des ewigen Frühlings“ nennen, weil mit ihm alles Anlass zur Hoffnung wird.
Ich kenne die Liebe, die dieses Land der Jungfrau Maria entgegenbringt, und ich weiß, wie sehr die Marienverehrung euch dabei hilft, Jesus nahezukommen. Und sie gibt uns den einzigen Rat, den sie immer wiederholt: „Tut das, was er euch sagt“ (vgl. Joh 2,5). Bitten wir sie, dass sie uns unter ihrem Mantel birgt und dass sie uns immer zu ihrem Sohn führt; aber lasst es uns sagen, indem wir dieses schöne Volkslied anstimmen: »„Kleine Jungfrau“ von der Pforte, gib mir deinen Segen. „Kleine Jungfrau“ von der Pforte, schenke uns Frieden und viel Liebe.« Könnt ihr es singen? Singen wir es gemeinsam? Wer fängt zu singen an? »„Kleine Jungfrau“ von der Pforte…« Keiner singt? Nicht einmal der Chor? Dann sprechen wir es, wenn wir es nicht singen. Gemeinsam: »„Kleine Jungfrau“ von der Pforte, gib mir deinen Segen. „Kleine Jungfrau“ von der Pforte gib uns Frieden und viel Liebe.« Und noch einmal! »„Kleine Jungfrau“ von der Pforte, gib mir deinen Segen. „Kleine Jungfrau“ von der Pforte gib uns Frieden und viel Liebe.«
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