HEILIGE MESSE UND EUCHARISTISCHE PROZESSION
AM HOCHFEST DES LEIBES UND BLUTES CHRISTI
HOMILIE VON PAPST FRANZISKUS
Piazza San Giovanni in Laterano
Sonntag, 18. Juni 2017
Am Hochfest Fronleichnam kommt mehrfach das Thema des Gedächtnisses zur Sprache: »Du sollst an den ganzen Weg denken, den der Herr, dein Gott, dich […] geführt hat […]. Dann nimm dich in Acht, dass […] du den Herrn, deinen Gott nicht vergisst, […] der dich in der Wüste mit dem Manna speiste« (vgl. Dtn 8,2.14.16), sagte Moses zum Volk. »Tut dies zu meinem Gedächtnis« (1 Kor 11,24) – wird Jesus zu uns sagen. »Denke an Jesus Christus« (2 Tim 2,8) wird Paulus zu seinem Schüler sagen. »Das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist« (Joh 6,51), ist das Sakrament des Gedächtnisses, das uns auf reale und greifbare Weise an die Liebesgeschichte Gottes mit uns erinnert.
Denk daran, sagt heute das Wort Gottes zu jedem von uns. Aus dem Gedächtnis an die Großtaten des Herrn, hat das Volk auf seinem Weg in der Wüste Kraft geschöpft; in der Erinnerung an das, was der Herr für uns getan hat, gründet sich unsere persönliche Heilsgeschichte. Erinnern ist für den Glauben wesentlich, genauso wie das Wasser für eine Pflanze: Wie eine Pflanze ohne Wasser nicht am Leben bleiben kann und keine Frucht bringen kann, so geschieht es mit dem Glauben, wenn er seinen Durst nicht durch das Gedächtnis dessen, was der Herr für uns getan hat, stillt. »Denke an Jesus Christus«.
Denk daran. Das Gedächtnis ist wichtig, weil es uns erlaubt, in der Liebe zu bleiben, zu er-innern, also ins Herz zu rufen, nicht zu vergessen, wer uns liebt und dass wir gerufen sind zu lieben. Und doch ist diese einzigartige Fähigkeit, die der Herr uns gegeben hat, heute eher geschwächt. In der Hektik, der wir ausgeliefert sind, scheinen viele Personen und Tatsachen an uns vorbeizugleiten. Man blättert hastig um, unersättlich in der Suche nach Neuheit, aber arm an Erinnerungen. Indem man so die Erinnerungen verbrennt und nur im Augenblick lebt, läuft man Gefahr, an der Oberfläche zu bleiben, im Fluss der Dinge, die geschehen, ohne in die Tiefe zu gehen, ohne jenen Weitblick, der uns an das erinnert, was wir sind und wohin wir gehen. Dann zersplittert sich das äußere Leben und das innere Leben erstarrt.
Aber das heutige Hochfest erinnert uns daran, dass in der Zersplitterung des Lebens der Herr uns mit einer liebevollen Zerbrechlichkeit entgegenkommt, die die Eucharistie ist. Im Brot des Lebens kommt der Herr, um uns aufzusuchen. Er macht sich zu einer bescheidenen Speise, die in Liebe unsere an Ruhelosigkeit erkrankte Erinnerung heilt. Denn die Eucharistie ist die Gedächtnisfeier der Liebe Gottes. Da wird das »Gedächtnis seines Leidens« (Hochfest des Leibes und Blutes Christi, Magnificat-Antiphon zur II. Vesper), der Liebe Gottes zu uns begangen, die unsere Stärke, die Stütze auf unserem Weg ist. Deshalb tut uns das eucharistische Gedächtnis so gut: Es ist kein abstraktes Gedächtnis, kalt und begrifflich, sondern das lebendige und tröstliche Gedächtnis der Liebe Gottes. Es ist ein Gedächtnis, das wieder erinnert und nachahmt. In der Eucharistie ist der ganze Genuss der Worte und der Handlungen Jesu, der Geschmack seines Paschamysteriums, der Duft seines Geistes. Wenn wir sie empfangen, prägt sich unserem Herzen die Gewissheit ein, von ihm geliebt zu sein. Und während ich dies sage, denke ich auf besondere Weise an euch, Jungen und Mädchen, die ihr vor kurzem die Erstkommunion empfangen habt und hier in großer Zahl zugegen seid.
So bildet die Eucharistie in uns ein dankbares Gedächtnis heran, weil wir uns als vom Vater geliebte Kinder erkennen, deren Hunger er stillt; ein freies Gedächtnis, weil die Liebe Jesu, seine Vergebung, die Wunden der Vergangenheit heilt und die Erinnerung an erlittenes und auferlegtes Unrecht heilt; ein geduldiges Gedächtnis, weil wir in den Widrigkeiten wissen, dass der Geist Jesu in uns bleibt. Die Eucharistie ermutigt uns: Auch auf dem holprigsten Weg sind wir nicht alleine, der Herr vergisst uns nicht, und jedes Mal, wenn wir zu ihm gehen, erquickt er uns mit Liebe.
Die Eucharistie erinnert uns auch daran, dass wir keine Individuen sind, sondern ein Leib. Wie das Volk in der Wüste das vom Himmel gefallene Manna aufsammelte und es in der Familie teilte (vgl. Ex 16), so ruft uns Jesus, das Brot vom Himmel, zusammen, um ihn zu empfangen, ihn gemeinsam zu empfangen und unter uns zu teilen. Die Eucharistie ist nicht ein Sakrament „für mich“, sie ist das Sakrament vieler, die einen einzigen Leib, das heilige gottgläubige Volk, bilden. Der heilige Paulus hat es uns in Erinnerung gerufen: »Ein Brot ist es. Darum sind wir viele ein Leib; denn wir alle haben teil an dem einen Brot« (1 Kor 10,17). Die Eucharistie ist das Sakrament der Einheit. Wer sie empfängt, kann nicht anders als ein Erbauer der Einheit sein, da in ihm, in seiner „geistlichen DNA“ der Aufbau der Einheit entsteht. Dieses Brot der Einheit heile uns von dem Drang, die anderen zu beherrschen, von der Gier, alles für sich zu sichern, vom Schüren von Uneinigkeit und von der Verbreitung von Kritik; es möge in uns die Freude erwecken, uns ohne Rivalität, Neid und gehässiges Gerede zu lieben.
Indem wir nun die Eucharistie leben, beten wir den Herrn an und danken wir ihm für diese höchste Gabe: lebendiges Gedächtnis seiner Liebe, das einen einzigen Leib aus uns macht und uns zur Einheit führt.
Copyright © Dicastero per la Comunicazione - Libreria Editrice Vaticana