APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
NACH KUBA, IN DIE VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA
UND BESUCH DER VEREINTEN NATIONEN
(19.-28. SEPTEMBER 2015)
EUCHARISTIEFEIER ZUM ABSCHLUSSE
DES 8. WELTFAMILIENTREFFENS
PREDIGT DES HEILIGEN VATERS
B. Franklin Parkway, Philadelphia
Sonntag, 27. September 2015
Heute überrascht uns das Wort Gottes mit einer starken allegorischen Sprache, die uns zum Nachdenken bringt. Einer allegorischen Sprache, die uns herausfordert, aber auch unsere Begeisterung beflügelt.
In der ersten Lesung berichtet Josua dem Mose, dass zwei Männer aus dem Volk in prophetischer Verzückung das Wort Gottes verkünden, ohne beauftragt zu sein. Im Evangelium sagt Johannes zu Jesus, dass die Jünger einem Mann verboten haben, im Namen Jesu unreine Geister auszutreiben. Und hier kommt die Überraschung: Mose und Jesus tadeln diese Mitarbeiter, weil sie so engstirnig sind. Wären nur alle Propheten des Wortes Gottes! Könnte nur jeder im Namen des Herrn Wunder wirken!
Jesus stößt dagegen auf Feindseligkeit bei den Leuten, die nicht akzeptiert hatten, was er sagte und tat. Für sie erschien die Offenheit Jesu für den ehrlichen und aufrichtigen Glauben vieler, die nicht zum auserwählten Volk Gottes gehörten, unerträglich. Die Jünger ihrerseits handelten im guten Glauben, doch die Versuchung, die Freiheit Gottes, der regnen lässt über »Gerechte und Ungerechte« (Mt 5,45), der die Bürokratie, den Verwaltungsapparat und die Kreise der „Insider“ übergeht, als Ärgernis zu empfinden, bedroht die Authentizität des Glaubens und muss daher energisch zurückgewiesen werden.
Wenn wir das berücksichtigen, können wir verstehen, warum die Worte Jesu über das »Ärgernis« (vgl. Mt 18,6 ff) so hart sind. Für Jesus ist das unerträgliche Ärgernis alles, was unser Vertrauen in diese Vorgehensweise des Heiligen Geistes zerstört und verdirbt.
Unser himmlischer Vater ist in seiner Großzügigkeit und Aussaat unübertrefflich. Er sät seine Gegenwart in unsere Welt aus, denn »nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott [zuerst] geliebt haben, sondern dass er uns [zuerst] geliebt hat« (1 Joh 4,10). Eine Liebe, die uns die tiefe Gewissheit vermittelt: Er sucht uns, wir werden von ihm erwartet. Dieses Vertrauen ist es, das den Jünger dazu bringt, alle guten Initiativen, die es in seiner Umgebung gibt, anzuspornen, zu begleiten und wachsen zu lassen. Gott möchte, dass alle seine Kinder am Fest des Evangeliums teilnehmen. Behindert nicht das Gute, sagt Jesus, im Gegenteil, helft ihm zu wachsen. Das Werk des Heiligen Geistes zu bezweifeln, den Eindruck zu erwecken, dass es nichts mit denen gemein hat, die „nicht zu unserer Gruppe gehören“, die nicht sind „wie wir“, ist eine gefährliche Versuchung. Es blockiert nicht nur die Zuwendung zum Glauben, sondern ist eine Pervertierung des Glaubens.
Der Glaube öffnet der wirkenden Gegenwart des Geistes „das Fenster“ und zeigt uns, dass das Glück, die Heiligkeit immer an die kleinen Gesten gebunden ist. »Wer euch auch nur einen Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört«, sagt Jesus über diese kleine Geste, »wird nicht um seinen Lohn kommen« (Mk 9,41). Das sind ganz kleine Gesten, die man zu Hause lernt; familiäre Gesten, die sich in der Anonymität des Alltags verlieren, die aber jedem Tag seine Besonderheit verleihen. Es sind Gesten einer Mutter, einer Großmutter, eines Vaters, eines Großvaters, eines Kindes, unter Geschwistern… Es sind Gesten der Zärtlichkeit, der Liebe, des Mitleids. Gesten wie die warme Mahlzeit für den, der auf das Abendessen wartet; wie das sehr zeitige Frühstück dessen, der dem Frühaufsteher Gesellschaft zu leisten versteht. Es sind häusliche Gesten. Es ist der Segen vor dem Schlafengehen und die Umarmung bei der Heimkehr von einem langen Arbeitstag. Die Liebe äußert sich in kleinen Dingen, in der geringsten Geste der Aufmerksamkeit gegenüber dem Alltäglichen, die dafür sorgt, dass das Leben immer eine heimische Atmosphäre hat. Der Glaube wächst mit seiner praktischen Anwendung und wird durch die Liebe geformt. Darum sind unsere Familien, unser Daheim wahre Hauskirchen. Sie sind der geeignete Ort, wo der Glaube Leben wird und das Leben im Glauben wächst.
Jesus fordert uns auf, diese wunderbaren kleinen Gesten nicht zu verhindern; im Gegenteil, er möchte, dass wir sie auslösen, dass wir sie wachsen lassen; dass wir das Leben begleiten, wie es sich uns darstellt, und dabei helfen, all die kleinen Gesten der Liebe, die Zeichen seiner lebendigen und wirkenden Gegenwart in unserer Welt sind, wachzurufen.
Diese Haltung, zu der wir aufgefordert sind, wirft in uns heute, hier, beim Abschluss dieses Festes die Frage auf: Was tun wir, um diese Logik in unseren Häusern, in unseren Gesellschaften zu leben? Welche Art von Welt wollen wir unseren Kindern hinterlassen? (vgl. Laudato si’, 160). Das ist eine Frage, die wir nicht allein beantworten können. Der Heilige Geist lädt uns ein und fordert uns heraus, sie zusammen mit der großen Menschheitsfamilie zu beantworten. Unser gemeinsames Haus duldet keine unfruchtbaren Spaltungen mehr. »Die dringende Herausforderung, unser […] Haus zu schützen, schließt die Sorge ein, die gesamte Menschheitsfamilie in der Suche nach einer nachhaltigen und ganzheitlichen Entwicklung zu vereinen, denn wir wissen, dass sich die Dinge ändern können« (ebd., 13). Mögen unsere Kinder in uns Vorbilder eines gemeinschaftlichen Miteinanders finden und nicht der Entzweiung! Mögen unsere Kinder in uns Männer und Frauen finden, die fähig sind, sich mit den anderen zusammenzutun, um all das Gute aufkeimen zu lassen, das der himmlische Vater gesät hat!
Ganz unverblümt, aber mit Liebe sagt Jesus: »Wenn nun schon ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gebt, was gut ist, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten« (Lk 11,13). Wieviel Weisheit liegt in diesen Worten! Es ist wahr, dass wir Menschen in Bezug auf Güte und Lauterkeit des Herzens nicht viel besitzen, dessen wir uns rühmen können. Doch Jesus weiß, dass wir, wenn es um unsere Kinder geht, zu grenzenloser Großzügigkeit fähig sind. Darum ermutigt er uns: Wenn wir dem Vater vertrauen, wird er uns den Heiligen Geist geben.
Wir Christen, Jünger des Herrn, bitten die Familien der Welt, uns zu helfen. Viele sind wir, die wir an dieser Feier teilnehmen, und das ist schon in sich etwas Prophetisches, eine Art Wunder in der Welt von heute, die es leid ist, neue Teilungen, neue Zusammenbrüche, neue Katastrophen zu erfinden. Wären wir nur alle Propheten! Würde sich nur jeder von uns den Wundern der Liebe zum Wohl seiner eigenen Familie und aller Familien der Welt öffnen – und ich spreche von Wundern der Liebe –, um so das Ärgernis einer kleinlichen und argwöhnischen Liebe zu überwinden, die in sich selbst verschlossen und mit den anderen ungeduldig ist! „Ungeduldig“ habe ich gesagt, und dazu lege euch eine Frage vor, die jeder für sich beantworten mag: Schreit man sich bei mir zu Hause gegenseitig an oder wird mit Liebe und Zärtlichkeit gesprochen? Das ist eine gute Art, unsere Liebe zu messen.
Wie schön wäre es, wenn wir überall und auch über unsere Grenzen hinaus diese Prophetie und dieses Wunder fördern und zur Geltung bringen könnten! Lasst uns unseren Glauben an das Wort des Herrn erneuern, der unsere Familien zu dieser Öffnung einlädt; der alle einlädt, sich an der Prophetie des Bundes zwischen einem Mann und einer Frau zu beteiligen, der Leben zeugt und Gott offenbart! Möge Gott uns helfen, uns an der Prophetie des Friedens, der Zärtlichkeit und der familiären Liebe zu beteiligen! Möge er uns helfen, uns an der prophetischen Geste zu beteiligen, mit Zärtlichkeit und Geduld für unsere Kinder und unsere Großeltern zu sorgen!
Jeder Mensch, der in diese Welt eine Familie einbringen möchte, welche die Kinder dazu erzieht, sich über jede Tat zu freuen, deren Absicht ist, das Böse zu überwinden – eine Familie, die zeigt, dass der Heilige Geist in ihr lebt und wirkt –, wird Dankbarkeit und Wertschätzung finden, gleich welchem Volk, welcher Religion oder welchem Land auch immer er angehört.
Möge Gott uns allen gewähren, Propheten der Freude des Evangeliums, des Evangeliums der Familie, der Liebe in der Familie zu sein; Propheten als Jünger des Herrn zu sein. Und möge er uns die Gnade gewähren, dieser Lauterkeit des Herzens würdig zu sein, die das Evangelium nicht als Ärgernis empfindet! So sei es.
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