VESPERFEIER AM FEST
DER BEKEHRUNG DES APOSTELS PAULUS
HOMILIE VON PAPST FRANZISKUS
Basilika St. Paul vor den Mauern
Sonntag, 25. Januar 2015
Auf dem Weg von Judäa nach Galiläa kommt Jesus durch Samarien. Er hat keine Schwierigkeiten, den Samaritanern zu begegnen, die als Häretiker, Schismatiker abgestempelt und von den Juden getrennt waren. Seine Haltung gibt uns zu verstehen, dass die Gegenüberstellung mit dem, der anders ist als wir, uns wachsen lassen kann.
Jesus ist müde von der Reise und zögert nicht, die samaritische Frau zu bitten, ihm zu trinken zu geben. Sein Durst reicht – das wissen wir – weit über den physischen Durst hinaus: Es ist auch ein Durst nach Begegnung, der Wunsch, einen Dialog mit jener Frau zu beginnen und ihr so die Möglichkeit eines Weges der inneren Umkehr zu bieten. Jesus ist geduldig, er respektiert die Person, die ihm gegenübersteht, und offenbart sich ihr schrittweise. Sein Beispiel gibt Mut, eine gelassene, unbeschwerte Gegenüberstellung mit dem anderen zu suchen. Um einander zu verstehen und in der Liebe und der Wahrheit zu wachsen, muss man innehalten, einander annehmen und einander zuhören. Auf diese Weise beginnt man bereits, Einheit zu erleben. Die Einheit wächst auf dem Weg. Sie ist nie Stillstand. Die Einheit wächst im Gehen.
Die Frau aus Sychar befragt Jesus über den wahren Ort der Anbetung Gottes. Jesus ergreift nicht Partei für den Berg oder den Tempel, sondern geht darüber hinaus. Er wendet sich dem Wesentlichen zu und reißt so jede trennende Wand nieder. Er verweist auf die wahre Anbetung: » Gott ist Geist und alle, die ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten « (Joh 4,24). So viele von der Vergangenheit geerbte Streitigkeiten unter den Christen können überwunden werden, wenn man alles polemische oder apologetische Verhalten ablegt und gemeinsam sucht, in der Tiefe das zu erfassen, was uns eint, nämlich die Berufung, am Geheimnis der Liebe des Vaters teilzuhaben, die uns vom Sohn im Heiligen Geist offenbart worden ist. Die Einheit der Christen – davon sind wir überzeugt – wird nicht das Ergebnis raffinierter theoretischer Diskussionen sein, in denen jeder versucht, den anderen von der Stichhaltigkeit der eigenen Ansichten zu überzeugen. Der Menschensohn wird wiederkommen und uns noch beim Diskutieren finden. Wir müssen erkennen, dass wir, um zur Tiefe des Geheimnisses Gottes zu gelangen, uns gegenseitig brauchen; dass wir unter der Führung des Heiligen Geistes, der die Unterschiede miteinander in Einklang bringt und die Konflikte überwindet, der die Verschiedenheiten versöhnt, einander begegnen und uns austauschen müssen.
Schrittweise versteht die samaritische Frau, dass der, welcher sie um Wasser gebeten hatte, imstande ist, ihren Durst zu stillen. Jesus zeigt sich ihr als die Quelle, aus der das lebendige Wasser hervorsprudelt, das ihren Durst für immer stillt (vgl. Joh 4,13-14). Das menschliche Leben offenbart Bestrebungen, die ins Unendliche gehen: die Suche nach der Wahrheit, der Durst nach Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit. Das sind Wünsche, die nur zum Teil befriedigt werden, denn von seinem innersten Wesen her bewegt der Mensch sich auf ein „Mehr“ zu, auf ein Absolutes, das fähig ist, seinen Durst endgültig zu stillen. Die Antwort auf diese Bestrebungen gibt Gott in Jesus Christus in dessen Pascha-Geheimnis. Aus der durchbohrten Seite Jesu flossen Blut und Wasser heraus (vgl. Joh 19,34): Er ist die Quelle, aus der das Wasser des Heiligen Geistes entspringt, nämlich die Liebe Gottes, die am Tag unserer Taufe in unsere Herzen ausgegossen wurde (vgl. Röm 5,5). Durch den Heiligen Geist sind wir mit Christus eins geworden, Söhne im Sohn, wahre Anbeter des Vaters. Dieses Geheimnis der Liebe ist der tiefste Grund für die Einheit, die alle Christen verbindet und die viel größer ist, als die im Laufe der Geschichte geschehenen Spaltungen. Darum kommen wir in dem Maß, in dem wir uns demütig unserem Herrn Jesus Christus nähern, auch einander näher.
Die Begegnung mit Jesus verwandelt die Samariterin in eine Missionarin. Da sie ein Geschenk erhalten hat, das größer und wichtiger ist, als das Wasser aus dem Brunnen, lässt die Frau ihren Wasserkrug stehen (vgl. Joh 4,28) und eilt, um den anderen Dorfbewohnern zu erzählen, dass sie dem Messias begegnet ist (vgl. Joh 4,29). Die Begegnung mit ihm hat ihr den Sinn des Lebens und die Lebensfreude zurückgegeben, und sie verspürt den Wunsch, das mitzuteilen. Heute gibt es eine Unzahl müder und durstiger Männer und Frauen, die uns Christen bitten, ihnen zu trinken zu geben. Es ist eine Bitte, der man sich nicht entziehen darf. In der Berufung, Verkünder des Evangeliums zu sein, finden alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften einen wesentlichen Bereich für eine engere Zusammenarbeit. Um diese Aufgabe wirksam erfüllen zu können, muss man vermeiden, sich in die eigenen Partikularismen und Ausschließlichkeiten zurückzuziehen, und auch, eine Uniformität nach rein menschlichen Plänen aufzuerlegen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 131). Das gemeinsame Engagement, das Evangelium zu verkünden, erlaubt, jede Form von Proselytenmacherei und die Versuchung zum Konkurrenzkampf zu überwinden. Wir sind alle im Dienst ein und desselben Evangeliums!
Und in diesem Moment des Gebets für die Einheit möchte ich an unsere heutigen Märtyrer erinnern. Sie geben Zeugnis für Jesus Christus und werden verfolgt und getötet, weil sie Christen sind. Ihre Verfolger machen keine Unterschiede zwischen den Konfessionen, zu denen sie gehören. Sie sind Christen und deshalb werden sie verfolgt. Das ist, Brüder und Schwestern, die Ökumene des Blutes.
An dieses Zeugnis unserer heutigen Märtyrer erinnernd und in dieser frohen Gewissheit richte ich meine herzlichen und brüderlichen Grüße an Seine Eminenz, den Metropoliten Gennadios, den Vertreter des Ökumenischen Patriarchen, an Seine Gnaden David Moxon, den persönlichen Vertreter des Erzbischofs von Canterbury in Rom, und an alle Vertreter der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die hier am Fest der Bekehrung des heiligen Paulus zusammengekommen sind. Außerdem begrüße ich gerne die Mitglieder der gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und den orthodoxen Ostkirchen, denen ich für die Vollversammlung, die in den nächsten Tagen in Rom stattfindet, eine fruchtbare Arbeit wünsche. Ich begrüße auch die Studenten des Ecumenical Institute of Bossey und die Jugendlichen, die ein Stipendium vom Komitee für kulturelle Zusammenarbeit mit den orthodoxen Kirchen erhalten haben, das beim Rat zur Förderung der Einheit der Christen wirkt.
Es sind heute auch Ordensmänner und -frauen anwesend, die verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften angehören, welche in diesen Tagen an einem ökumenischen Kongress teilgenommen haben, den die Kongregation für die Institute geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens in Zusammenarbeit mit dem Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen anlässlich des Jahres des geweihten Lebens organisiert hat. Das Ordensleben als Prophetie der zukünftigen Welt ist berufen, in unserer Zeit ein Zeugnis zu geben für jene Gemeinschaft in Christus, die über jede Verschiedenheit hinausgeht und die aus konkreten Entscheidungen für Annahme und Dialog besteht. Folglich kann das Streben nach der Einheit der Christen nicht ein Vorrecht nur von Einzelnen oder von Ordensgemeinschaften sein, die für diese Problematik besonders sensibel sind. Die gegenseitige Kenntnis der verschiedenen Traditionen geweihten Lebens und ein fruchtbarer Erfahrungsaustausch kann für die Lebendigkeit jeder Form von Ordensleben in den verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nützlich sein.
Liebe Brüder und Schwestern, wir alle dürsten nach Frieden und Brüderlichkeit. Mit Zuversicht im Herzen wollen wir daher heute von unserem himmlischen Vater durch Jesus Christus, den einzigen Priester und Mittler, und auf die Fürbitte der Jungfrau Maria, des Apostels Paulus und aller Heiligen das Geschenk der vollen Einheit aller Christen erbitten. Auf diese Weise leuchte » das heilige Geheimnis der Einheit der Kirche « (Zweites Vatikanisches Konzil, Dekret Unitatis redintegratio über den Ökumenismus, 2) auf – als Zeichen und Werkzeug der Versöhnung für die ganze Welt. Amen.
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