PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Kultur der Hoffnung
Montag, 30. September 2019
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 44, 1. November 2019)
Wie stark ist doch Gottes Liebe zu seinem Volk, obwohl es ihn verlassen, betrogen und vergessen hat! In Gott gibt es stets einen glühenden Eifer, dem die Verheißung der Erlösung für jeden von uns entspringt. Papst Franziskus verlas in der Predigt nochmals den Anfang des achten Kapitels aus dem Buch des Propheten Sacharja, in dem es heißt: »So spricht der Herr der Heerscharen: Mit großem Eifer trete ich ein für Zion und mit großer Zornglut setze ich mich eifersüchtig für es ein. So spricht der Herr: Ich bin nach Zion zurückgekehrt und werde wieder in der Mitte Jerusalems wohnen.«
In den anschließenden Worten der ersten Lesung gebe es auch klare »Zeichen der Gegenwart des Herrn« bei seinem Volk, einer »Gegenwart, die uns menschlicher macht, die uns reif macht«. Es seien die Zeichen der Fülle des Lebens, der Fülle von Kindern und alten Menschen, die unsere Plätze, die Gesellschaften, die Familien belebten. »Das Zeichen des Lebens, das Zeichen der Achtung vor dem Leben, der Liebe zum Leben, das Zeichen, das Leben wachsen zu lassen«, hob der Papst hervor, »ist das Zeichen der Gegenwart Gottes in unseren Gemeinschaften und auch das Zeichen der Gegenwart Gottes, die ein Volk reifen lässt, wenn alte Menschen da sind.«
»Das ist wunderschön«, stellte er fest und zitierte erneut Sacharja: »›Greise und Greisinnen werden wieder auf den Plätzen Jerusalems sitzen; jeder hält wegen des hohen Alters seinen Stock in der Hand.‹ Das ist ein Signal. Und auch viele Kinder, er verwendet einen schönen Ausdruck: ›Die Plätze der Stadt werden voller Knaben und Mädchen sein, die auf ihren Plätzen spielen.‹ So viele! Die Fülle von Alter und Kindheit. Das ist das Signal, wenn ein Volk sich um die Alten und die Kinder kümmert, sie als Schatz hat, dies ist das Zeichen der Gegenwart Gottes, es ist die Verheißung einer Zukunft.«
Der Papst griff die Prophezeiung Joëls auf: »Eure Alten werden Träume haben, eure Jungen haben Visionen.« So gebe es einen gegenseitigen Austausch untereinander, der nicht stattfinde, wenn die Wegwerfkultur, die Kultur des »Aussonderns «, in unserer Zivilisation vorherrsche. Das sei ein »Niedergang«, der uns veranlasse, »die ankommenden Kinder an den Absender zurückzusenden « oder als »Kriterium« zu übernehmen, ältere Menschen in Altersheime einzusperren, weil sie »nicht produktiv sind«, »weil sie das normale Leben behindern«.
Hier erinnerte sich der Papst an eine Erzählung seiner Großmutter, die er bereits mehrfach erwähnt hatte, um verständlich zu machen, was es bedeute, ältere Menschen und Kinder zu vernachlässigen. Es handelte sich um die Geschichte einer Familie, in der der Vater beschlossen habe, den Großvater allein in der Küche essen zu lassen, weil er mit zunehmendem Alter begonnen habe, mit der Suppe zu kleckern und sich schmutzig zu machen. Doch eines Tages komme dieser Vater nach Hause und habe gesehen, dass sein Sohn dabei war, einen Holztisch zu bauen, da diese Isolation ja früher oder später auch ihn treffen würde.
»Wenn wir Kinder und ältere Menschen vernachlässigen «, dann ende das mit den Auswirkungen, wie wir sie in den modernen Gesellschaften haben und die Franziskus hervorhebt, wenn er von unverstandenen Traditionen und vom demografischen Winter spricht. Der Papst merkte an: »Wenn ein Land alt wird und es keine Kinder gibt, siehst du keine Kinderwägen auf der Straße, siehst du keine schwangeren Frauen. ›Ein Kind – besser nicht…‹ Wenn du liest, dass in jenem Land die Zahl der Rentner größer ist als die der Arbeitnehmer. Das ist tragisch! Und wie viele Länder beginnen heute, diesen demografischen Winter zu erleben. Und wenn dann die Alten vernachlässigt werden, verliert man – wir wollen es ohne falsche Scham sagen – die Tradition, die Tradition, die kein Museum für alte Dinge ist. Sie ist die Garantie für die Zukunft, sie ist der Saft der Wurzeln, der den Baum wachsen und Blumen und Früchte hervorbringen lässt. Es ist eine für beide Seiten sterile Gesellschaft und das nimmt ein schlimmes Ende.« »Ja, es ist wahr«, fügte der Papst hinzu, »Jugendlichkeit kann man kaufen«: Heutzutage gebe es viele Unternehmen, die sie in Form von Schminke, Schönheitsoperationen und Lifting anbieten würden, doch all das, so Franziskus, ende immer im »Lächerlichen«.
Was ist also das Herzstück von Gottes Botschaft? Es ist das, was Franziskus als die »Kultur der Hoffnung« bezeichnet und die von »Alt und Jung« repräsentiert wird. Sie sind die Gewissheit für das Überleben eines »Landes, einer Heimat, der Kirche«. Und der Abschluss der Predigt bezog sich auf die vielen Reisen des Papstes in der Welt, wenn die Eltern die Kinder zum Segen in die Höhe heben und es tun, wie um ihre »Juwelen« zu zeigen, ein Bild, das zum Nachdenken anregen sollte: »Ich werde nie diese alte Frau auf dem Hauptplatz von Iasi in Rumänien vergessen, als sie mich ansah – sie war wie die rumänischen Großmütter, mit einem Kopftuch –, sie sah mich an. Sie hatte ihren Enkel auf dem Arm und sie zeigte ihn mir, als wollte sie sagen: ›Das ist mein Sieg, das ist mein Triumph.‹ Jenes Bild, das um die ganze Welt gegangen ist, erzählt uns mehr als diese Predigt.« Franziskus schloss mit den folgenden Worten: »Deshalb ist die Liebe Gottes immer ein Aussäen von Liebe und ein die Menschen Wachsenlassen. Keine Wegwerfkultur. Entschuldigt, aber ich kann nicht umhin, euch Pfarrern zu sagen: Wenn ihr am Abend die Gewissenserforschung haltet, solltet ihr euch fragen: Wie habe ich mich heute den Kindern und den alten Menschen gegenüber verhalten? Das wird uns helfen.«
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