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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Nein zur Kultur der Gleichgültigkeit

Dienstag, 8. Januar 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 3, 18. Januar 2019)

 

Vor der »Kultur der Gleichgültigkeit« warnte Papst Franziskus bei der Messe in Santa Marta am Dienstag, 8. Januar, und lud dazu ein, »dem ersten Schritt, den Gott immer auf uns zugeht«, zu entsprechen und auf die Bedürfnisse der Menschen zu blicken, insbesondere der Ärmsten, »ohne je wegzuschauen«.

Zu Beginn der Eucharistiefeier sagte der Papst, dass er »dieses Messopfer für die ewige Ruhe von Seiner Exzellenz Georg Zur darbringen« wolle, »des ehemaligen Apostolischen Nuntius in Österreich, Titularerzbischof von Sesta, der früher in diesem Haus gelebt hatte und der gestern um Mitternacht verstorben ist«.

»Der erste Brief des heiligen Apostels Johannes ist auf die Liebe konzentriert: es handelt sich um eine Aufforderung zur Liebe«, erklärte der Papst in Bezug auf die Lesung vom Tag (1 Joh 4,7- 10): »Geliebte, wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott.« Die Liebe also, unterstrich Franziskus, »ist aus Gott«. Aber »dieses Wort ›Liebe‹ wird oft, sehr oft oberflächlich verwendet: sogar eine venezolanische Telenovela spricht von der Liebe und sagt: ›Ach, wie schön ist die Liebe! Alles ist Liebe.‹«

Der Papst fuhr fort: Seinerseits »geht Johannes ein wenig weiter, um zu erklären, was die Liebe ist: ›Darin offenbarte sich die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, damit wir durch ihn leben.‹« Dann fahre der Apostel fort: »Darin besteht die Liebe: Nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.« Gerade das, sagte der Papst, »ist das Geheimnis der Liebe: Gott hat uns zuerst geliebt. Er hat uns zuerst geliebt, er hat den ersten Schritt getan und von dort kommt die Liebe.« Er habe »diesen ersten Schritt in Richtung jedes einzelnen von uns« getan, »auf die Menschheit zu, die nicht zu lieben weiß und die die Liebkosungen Gottes braucht, um zu lieben, Gottes Lehre, um zu lieben, das Zeugnis Gottes.« Und »dieser erste Schritt, den Gott getan hat, ist sein Sohn: Er hat ihn gesandt, um uns zu retten und dem Leben einen Sinn zu geben, um uns zu erneuern, um uns neu schaffen.« Genau »das ist die Liebe: sie ist der erste Schritt« und »Gott tut immer den ersten Schritt: Gott liebt uns zuerst«.

»Um dies gut zu verstehen«, schlug Franziskus vor, »können wir zum Abschnitt aus dem Evangelium gehen, den wir gelesen haben [Matthäus 6,34-44]. Dort finden wir ein Wort, das dies erklärt.« Also, »warum hat Gott das getan? Aus ›Mitleid‹«. Im Evangelium sei zu lesen: »Als er [vom Boot] ausstieg, sah er die vielen Menschen und hatte Mitleid mit ihnen«, denn, so fügte der Papst hinzu, »sie waren allein« und wie Matthäus schreibe: »Sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.«

Der Papst erklärte: »Das Herz Gottes, das Herz Jesu wurde gerührt und sah. Es sah diese Menschen und konnte nicht gleichgültig bleiben: die Liebe ist unruhig, die Liebe toleriert keine Gleichgültigkeit, die Liebe hat Mitleid.« Doch Mitleid »bedeutet, das Herz ins Spiel zu bringen, es bedeutet Barmherzigkeit« und so »sein Herz für andere einzusetzen: das ist die Liebe«. Also: »Liebe bedeutet, das Herz für die anderen einzusetzen. Und das Evangelium sagt: ›Jesus lehrte sie lange.‹«

»Da waren die Jünger«, so der Papst weiter, »die dort begonnen haben, Jesus zu hören, und dann wurde ihnen langweilig, weil Jesus immer dieselben Dinge sagte: ›Ach, das wissen wir doch schon.‹ Und ich denke, sie haben vielleicht angefangen, untereinander zu reden, ich weiß nicht, über Fußball, über dies und das, über die Dinge des Augenblicks.« Während also »Jesus voller Liebe und Mitleid ›lehrte‹, schauten die Jünger auf die Uhr und sagten: ›Aber es ist spät…‹«

In der Tat, so Franziskus, fahre das Evangelium mit den folgenden Worten fort: »Gegen Abend kamen seine Jünger zu ihm und sagten: Der Ort ist abgelegen und es ist schon spät. Schick sie weg, damit sie in die umliegenden Gehöfte und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können!« Tatsächlich »war es spät, die Dunkelheit brach an, der Ort war verlassen, sie hatten Hunger«, und es wäre nicht leicht gewesen, »in die umliegenden Gehöfte und Dörfer zu gehen: zu jener Zeit gab es keine Straßenbeleuchtung, es war alles dunkel«. Als sagte man: »Mögen sie selber sehen, wie sie zurechtkommen, und Brot kaufen. Uns kann nichts passieren «, denn »sie wussten, dass sie Brot für sich selber hatten, und das wollten sie behalten: das ist Gleichgültigkeit«.

»Die Jünger interessierten sich nicht für die Leute: sie interessierte Jesus, weil sie ihn liebten«, erklärte der Papst, »und sie waren nicht schlecht: Sie waren gleichgültig. Sie wussten nicht, was lieben heißt. Sie wussten nicht, was Mitleid war. Sie wussten nicht, was Gleichgültigkeit war.« Sie »mussten sündigen, den Meister verraten, den Meister im Stich lassen, um zu verstehen, worum es bei Mitleid und Barmherzigkeit geht«. Doch »die Antwort Jesu ist schneidend: ›Gebt ihr ihnen zu essen!‹« Was soviel heiße wie: »Übernimm die Verantwortung für sie.« Gerade »das ist der Kampf zwischen dem Mitleid Jesu und der Gleichgültigkeit, der Gleichgültigkeit, die sich in der Geschichte immer und immer wiederholt: viele Menschen, die gut sind, die aber die Bedürfnisse der anderen nicht verstehen, die nicht zum Mitleid fähig sind.« Und dennoch »sind sie gute Menschen«, aber, so fügte Franziskus hinzu, »vielleicht ist Gottes Liebe nicht in ihr Herz eingedrungen, oder aber sie haben sie nicht eintreten lassen«.

In diesem Zusammenhang erzählte der Papst: »Mir kommt da eine Fotografie aus dem Almosenamt in den Sinn: ein Schnappschuss, den ein junger Römer gemacht und dem Almosenamt geschenkt hat. Bei Nacht, einer Winternacht. Man konnte es daran erkennen, wie die Leute sich kleideten, an den Pelzen. Die Leute kamen aus einem Restaurant, gut in die Pelze gehüllt. Zufrieden. Sie hatten gegessen, sie waren unter Freunden: das ist gut. Und da war ein Obdachloser auf dem Boden. Der Fotograf hat genau in dem Augenblick abgedrückt, als die Leute in die andere Richtung blickten, um zu vermeiden, dass sich ihre Blicke kreuzten.« Auf diesem Foto, so Franziskus, sei »die Kultur der Gleichgültigkeit« zu sehen, und »das ist das, was die Apostel taten«. Indem sie Jesus den Rat gegeben hätten: »Schick sie weg, damit sie in die umliegenden Gehöfte und Dörfer gehen und sich etwas zu essen kaufen können: es ist ihr Problem.« Denn »wir haben etwas: fünf Brote und zwei Fische für uns zusammen«.

»Die Liebe Gottes tut immer den ersten Schritt«, wiederholte der Papst. Denn »es ist eine Liebe aus Mitleid, aus Barmherzigkeit: er tut immer den ersten Schritt«. Und »es ist wahr, dass das Gegenteil von Liebe der Hass ist, aber bei so vielen Menschen gibt es keinen bewussten Hass«. Stattdessen ist »das alltäglichste Gegenteil zur Liebe Gottes, zum Mitleid Gottes, die Gleichgültigkeit «, jene Gleichgültigkeit, die dazu führt zu sagen: »Ich bin zufrieden, ich vermisse nichts.

Ich habe alles, ich habe dieses Leben in Sicherheit, und auch das ewige Leben, weil ich jeden Sonntag zur Messe gehe, denn ich bin ein guter Christ. Aber wenn ich das Restaurant verlasse, schaue ich auf die andere Seite.« Zum Abschluss seiner Predigt forderte der Papst auf, an »diesen Gott« zu denken, »der den ersten Schritt tut, der Mitleid hat, der Erbarmen hat«. Dagegen »ist unsere Haltung so oft jene der Gleichgültigkeit«. Also: »Beten wir zum Herrn, dass er die Menschheit heile, angefangen bei uns selbst: Lass mein Herz von dieser Krankheit genesen, die die Kultur der Gleichgültigkeit ist.«

Am Ende der heiligen Messe richtete Papst Franziskus »einen herzlichen Gruß an Kiko Argüello, anlässlich seines 80. Geburtstages«, und dankte ihm »für den apostolischen Eifer, mit dem er in der Kirche arbeitet«.

 



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