PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Krise einer Kultur
Donnerstag, 29. November 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 50, 15. Dezember 2018)
»Paganisierung«, »Weltlichkeit«, »Verdorbenheit und Korruption« führen zur Zerstörung der Person. Doch der Christ, der aufgefordert ist, sich mit den »Prüfungen der Welt« auseinanderzusetzen, hat in den Schwierigkeiten des Lebens einen Horizont der Hoffnung, weil er zur »Hochzeit des Lammes« eingeladen ist. Während der Messe in Santa Marta am Donnerstagmorgen, 29. November, folgte Papst Franziskus weiterhin den Anregungen der Liturgie, die in der letzten Woche des Kirchenjahres eine Reihe von Herausforderungen zum Thema des Endes, des »Endes der Welt«, des »Endes eines jeden von uns« bereithält.
Im Wortgottesdienst, erklärte der Papst zu Beginn der Predigt, seien die beiden Lesungen aus der Offenbarung des Johannes (18,1-2.21-23; 19,1-3.9) und dem Evangelium nach Lukas (21, 20-28) »durch zwei Teile gekennzeichnet: einen Teil der Zerstörung und dann einen Teil des Vertrauens; einen Teil der Niederlage, einen Teil des Sieges«. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stünden zwei Städte von großer sinnträchtiger Kraft: Babylon und Jerusalem, »zwei Städte, die besiegt werden«.
Vor allem Babylon, »Symbol der weltlichen Stadt, des Luxus, der Selbstgenügsamkeit, der Macht dieser Welt, reich«. Eine Realität, die »freudig zu sein scheint« und dennoch »zerstört wird«. Die Offenbarung des Johannes bekräftige dies mit der Beschreibung eines »Siegesritus: ›Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große!‹« Da er sie »für unfähig hält, treu zu sein«, verurteile der Herr sie: »Er hat die große Hure gerichtet, die mit ihrer Unzucht die Erde verdorben hat.«
Der Papst, der sich weiterhin auf den biblischen Text bezog, beschrieb die Realität von Babylon detailliert. »Jener Anschein von Luxus, Ruhm und Macht war eine große Verführung, die die Menschen zur Zerstörung führte. Und jene große, so schöne Stadt zeigt ihre Wahrheit: ›Zur Wohnung von Dämonen ist sie geworden, zur Behausung aller unreinen Geister und zum Schlupfwinkel aller unreinen und abscheulichen Vögel.‹« Hinter der »Pracht« also verberge sich die »Verdorbenheit: die Feste Babylons schienen Feste glücklicher Menschen zu sein«, aber »sie waren falsche Feste angeblichen Glücks, sie waren Feste der Korruption«. Und daher, so der Papst, besitze die von der Offenbarung beschriebene Geste des Engels eine symbolische Kraft: »Dann hob ein gewaltiger Engel einen Stein auf, so groß wie ein Mühlstein; er warf ihn ins Meer und rief: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht hinabgeworfen werden.«
Bedeutsam sei, so der Papst, die Aufzählung der Folgen, die ihr zuzuschreiben seien. Vor allem werde es keine Feste mehr geben: »Die Musik von Harfenspielern und Sängern, von Flötenspielern und Trompetern hört man nicht mehr in dir.« Dann: Weil sie »keine Stadt der Arbeit, sondern der Korruption« sei, gebe es »keinen kundigen Handwerker mehr« in ihr und »das Geräusch des Mühlsteins hört man nicht mehr« in ihr. Und weiter: »›Das Licht der Lampe scheint nicht mehr in dir‹; es wird vielleicht eine erleuchtete Stadt sein, aber ohne Licht, nicht hell; das ist die korrupte Zivilisation.«. Schließlich: »›Die Stimme von Braut und Bräutigam hört man nicht mehr in dir.‹ Es gab so viele Paare, so viele Menschen, aber es wird keine Liebe geben.«
Ein Schicksal der Zerstörung, unterstrich der Papst, das »Innen beginnt und endet, wenn der Herr sagt: ›Es reicht.‹ Und es wird einen Tag geben, an dem der Herr zum Schein dieser Welt sagen wird: ›Es reicht.‹« In der Tat, das »ist die Krise einer Zivilisation, die sich für stolz, selbstgenügsam, diktatorisch hält und auf diese Weise ihr Ende nimmt«.
Ein trauriges Schicksal sei aber auch der anderen symbolischen Stadt, Jerusalem, vorbehalten. Davon spreche der Abschnitt aus dem Evangelium, in dem Jesus – der »als guter Israelit« Jerusalem geliebt, es aber als »ehebrecherisch, nicht dem Gesetz treu« betrachtet habe – sage: »Wenn ihr aber seht, dass Jerusalem von Heeren eingeschlossen wird, dann erkennt ihr, dass seine Verwüstung bevorsteht.« Franziskus erklärte: Die Stadt »wird durch eine andere Art von Korruption zerstört: die Korruption der Untreue zur Liebe«. Durch diese Untreue »war sie außerstande, die Liebe Gottes in seinem Sohn zu erkennen«. Deshalb sei auch Jerusalem ein hartes Schicksal bestimmt: »Und es wird fallen, es werden Tage der Vergeltung sein. Jerusalem wird von den Heiden zertreten werden.«
Genau in diesem Abschnitt des Lukasevangeliums hatte der Papst »einen Satz« gefunden, »der hilft, die Bedeutung der Zerstörung beider Städte zu verstehen: die weltliche Stadt und die heilige Stadt, ›bis die Zeiten der Völker sich erfüllen‹«. Die heilige Stadt werde bestraft werden, weil sie den Heiden die Türen des Herzens geöffnet habe.
Der Papst erklärte, wie »die Paganisierung des – in unserem Fall – christlichen Lebens« zutage trete. Und er stellte eine provozierende Frage: »Leben wir als Christen? Es scheint so. Aber in Wahrheit ist unser Leben heidnisch.« Der Christ verfalle also derselben »Verführung wie Babylon, und Jerusalem lebt wie Babylon. Es will etwas zusammenbringen, das nicht zusammengebracht werden kann. Und beide werden verdammt werden.« Daher die Fragen: »Bist du ein Christ? Bist du eine Christin?« Dann, so die Mahnung, »lebe wie ein Christ«, denn »man kann Wasser nicht mit Öl mischen«. Heute dagegen sähen wir »das Ende einer in sich selbst widersprüchlichen Zivilisation, die behauptet, christlich zu sein«, die aber »heidnisch lebt«.
An diesem Punkt öffnete sich in den Überlegungen von Franziskus der Horizont der Hoffnung, den die Lesungen nahelegten. In der Tat »wird man nach dem Ende der weltlichen Stadt und der heidnisch gewordenen Stadt Gottes die Stimme des Herrn hören: ›Danach hörte ich etwas wie den lauten Ruf einer großen Schar im Himmel, sie sprachen: Halleluja!‹« Deshalb: »Nach der Zerstörung gibt es das Heil.« Wie im Kapitel 19 der Offenbarung zu lesen sei: »Das Heil und die Herrlichkeit und die Macht ist bei unserm Gott. Seine Urteile sind wahr und gerecht.«
Die Zerstörung der beiden Städte, erklärte der Papst, sei »ein Gericht Gottes: Er hat die große Hure gerichtet, die mit ihrer Unzucht die Erde verdorben hat. Er hat Rache genommen für das Blut seiner Knechte!« Jene weltliche Stadt nämlich »opferte die Diener Gottes, die Märtyrer. Und als Jerusalem heidnisch wurde, opferte es den großen Märtyrer: den Sohn Gottes.«
Die Vision der Offenbarung des Johannes sei großartig: »Noch einmal riefen sie: Halleluja! Und der Engel sagte: »Selig, wer zum Hochzeitsmahl des Lammes eingeladen ist!« Es sei das Bild des »großen Festes, des echten Festes. Nicht das heidnische Fest und nicht das weltliche Fest«. Ein Bild des Sieges und der Hoffnung, das auch Jesus im Evangelium im Erinnerung rufe: »Dann wird man den Menschensohn auf einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf – vor den Tragödien, der Zerstörung der Paganisierung, der Weltlichkeit –, erhebt eure Häupter; denn eure Erlösung ist nahe.«
Das also sei die Botschaft, die jeden Christen herausfordere: »Es gibt Tragödien, auch in unserem Leben, aber angesichts dieser sollen wir auf den Horizont blicken, denn wir wurden erlöst und der Herr wird kommen, um uns zu retten. Und dies lehrt uns, die Prüfungen der Welt nicht etwa in einem Pakt mit der Weltlichkeit oder dem Heidentum zu leben, der uns zur Zerstörung führt, sondern in der Hoffnung, indem wir uns von dieser weltlichen und heidnischen Verführung lösen, auf den Horizont blicken und auf Christus, den Herrn, hoffen.«
In dieser Perspektive der Hoffnung lud der Papst dazu ein, den Blick auf die auch jüngste Vergangenheit zu richten, um die Geschichte im Licht des Wortes Gottes zu lesen: »Denken wir daran, wie die ›Babylons‹ dieser Zeit endeten. Denken wir zum Beispiel an die Reiche des letzten Jahrhunderts: ›Es war die große, große Macht…‹ Alles zusammengebrochen. Nur die Demütigen bleiben, die ihre Hoffnung im Herrn haben. Und so werden auch die großen Städte von heute enden.«
In gleicher Weise »wird unser Leben enden, wenn wir es weiterhin auf diesen Weg der Paganisierung bringen. Das ist das genaue Gegenteil von Hoffnung: Es führt dich zur Zerstörung. Es ist die babylonische Verführung des Lebens, die uns vom Herrn entfernt.« Der Herr dagegen, so schloss der Papst, lade uns ein, »den gegenteiligen Weg zu beschreiten: voranzugehen, mit einem Blick, der vom Halleluja der Hoffnung geprägt ist«, denn »wir alle sind zur Hochzeitsfeier des Sohnes Gottes eingeladen«. »Wir wollen also unsere Herzen voller Hoffnung öffnen und uns von der Paganisierung des Lebens entfernen.«
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