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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

In einem Abschnitt das ganze Evangelium

Montag, 8. Oktober 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 44, 2. November 2018)

 

Mit der Aufforderung, keine »Funktionäre« zu sein – die immer vorübergehen und sagen: »Es geht mich nichts an« –, sondern »ernsthafte Christen, bereit, sich die Hände schmutzig zu machen, und offen für Überraschungen«, unterbreitete Papst Franziskus die Quintessenz des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter. Denn »darin ist das ganze Evangelium enthalten«, erklärte er bei der Feier der heiligen Messe in Santa Marta am 8. Oktober. Der Papst rief in Erinnerung, dass »ein jeder von uns der verletzte Mann ist«, während »der Samariter Jesus ist«, der »für uns gesorgt hat, der für uns bezahlte und zu seiner Kirche gesagt hat: ›Wenn es mehr braucht, dann zahle du. Ich werde zurückkommen und dann bezahlen.‹«

Unter Bezug auf den Abschnitt aus dem Lukasevangelium (10,25-37) machte Franziskus sogleich darauf aufmerksam, dass »der Gesetzeslehrer Jesus auf die Probe stellen und ihn in eine Falle tappen lassen wollte«. Doch »Jesus unterstrich das Gesetz: ›Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, mit deiner ganzen Kraft und deinem ganzen Denken, und deinen Nächsten wie dich selbst‹«. An diesem Punkt »erwiderte der Gesetzeslehrer, ein wenig um sich zu rechtfertigen, um aus der problematischen Situation herauszukommen: ›Und wer ist mein Nächster?‹« Und so komme es, dass »Jesus dieses Gleichnis erzählt«, in dem »sechs Personen vorkommen: die Räuber, der Verletzte, der Priester, der Levit, der Samariter und der Wirt«. Es seien »sechs, und alle kommen sie ins Spiel, alle kommen sie ins Spiel«. Denn »die Räuber setzen ihr Leben auf der Straße fort und warten auf ein anderes Opfer. Dann bleibt der arme Verletzte dort liegen, auf dem Boden, denn ›sie schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen‹«. Das Opfer »war nicht mehr bei Bewusstsein. Es lag dort.«

Jesus sage weiter: »Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab.« Man könnte sagen: »Ach, Gott sei Dank, ein Priester!« Doch als er den verletzen Mann gesehen habe, »›ging der Priester vorüber‹. Es kam ihm nicht in den Sinn, zu sagen: ›Ich bin ein Priester, ich muss für diesen Menschen beten, wenigstens muss ich ihn salben, ich muss ein wenig bei ihm bleiben.‹« Dagegen habe er gedacht, dass nun »die Stunde für die Messe« sei: »Ich muss gehen.« Und so »›ging er vorüber‹. Dieses Wort muss heute in unser Herz dringen: ›Er ging vorüber.‹« Wie Lukas in seinem Evangelium berichte, trete in dem Gleichnis »auch ein Levit auf, ein für den Gottesdienst Auserwählter, ein Mann der Kultur des Gesetzes«: »Ebenso kam auch ein Levit zu der Stelle; er sah ihn und ging vorüber.« Der Papst erläuterte: »Diese beiden waren Funktionäre und entsprachen in der Tat ihrer Rolle als Funktionär: ›Es geht mich nichts an. Unterwegs werde ich für ihn beten, aber es geht mich nichts an. Im Gegenteil, würde ich da hingehen und jenes Blut berühren, wäre ich unrein und könnte nicht zelebrieren. Nein, nein, das geht mich nichts an, das geht mich nichts an. Ich bin ein Funktionär.‹« De facto »sind die beiden kohärent in ihrem Funktionärsdasein«.

Wer hingegen an jenem verletzen Mann nicht vorübergehe, sei »ein Samariter, der auf Reisen war: ›Er kam zu ihm; er sah ihn und hatte Mitleid.‹ « Vielleicht, so der Papst, »hatte er gedacht: ›Dieser arme unglückliche Mann, möglicherweise wird er verbluten.‹« Doch ein Samariter »war ein Sünder, ein vom Volk Israel Exkommunizierter «. Und dennoch: »Gerade der größte Sünder war es, der ›Mitleid hatte.‹« Wer weiß, so fuhr er fort, »vielleicht war er ein Händler auf Reisen, um seinen Geschäften nachzugehen.

Aber er schaute nicht auf die Uhr, er dachte nicht an das Blut.« Doch wie im Evangelium zu lesen sei, »ging er zu ihm hin. Er stieg vom Esel herab. Er goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie.« Kurz, er »machte sich die Hände schmutzig, er machte sich das Gewand schmutzig«, und so sei weiter im Evangelium zu lesen: »Dann hob er ihn auf sein eigenes Reittier, brachte ihn zu einer Herberge…« Er sei »ganz mit Blut beschmutzt« gewesen, doch gerade unter diesen Umständen habe der Samariter für den Verletzen gesorgt. »Er sagte nicht: ›Nun, den lasse ich jetzt hier, ruft die Ärzte, sie sollen kommen. Ich gehe jetzt weg, ich habe das Meinige getan.‹ Nein, er ›sorgte für ihn‹, so als sagte er: ›Jetzt gehörst du mir, nicht aus Gründen des Besitzes, sondern um dir zu dienen.‹«

Der Samariter, erklärte der Papst, »war kein Funktionär. Er war ein Mann mit Herz, ein Mann mit einem offenen Herzen.« Und »gewiss dachte der Wirt: ›Nun, das wird wohl ein Verwandter sein.‹ – ›Ist das dein Vetter?‹ – ›Nein, nein nein.‹ – ›Aber du kanntest ihn?‹ – ›Nein, nein nein, ich habe ihn an der Straße gefunden, der Ärmste, und ihn zu dir gebracht.‹«

Es bestehe kein Zweifel daran, fuhr Franziskus fort, »dass jener Wirt völlig überrascht war: Er verstand nichts von diesem Fremden, von diesem Heiden – so nennen wir ihn, denn er gehörte nicht zum Volk Israel.« Er sei nicht nur von der Tatsache überrascht worden, »dass er angehalten hatte«, sondern auch davon, dass er dann »das getan hatte, dass er ihn gebracht hatte«. Er werde sogar gedacht haben: »Das ist ein Verrückter!«, als der Samariter »ein Zimmer nahm«, um ihm beizustehen. Im Evangelium nach Lukas sei nämlich zu lesen: »Am nächsten Tag holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: ›Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.‹«

Wahrscheinlich »ist dem Wirt« auch bei dieser Gelegenheit »ein Zweifel geblieben: ›Wenn diese zwei Denare verbraucht sein werden, was soll ich dann machen? Normalerweise traue ich keinem. Entweder du zahlst oder es wird nichts.‹« Doch der Samariter »zahlte zwei Denare«, und der Wirt werde auch gedacht haben, dass er, wenn die zwei Denare aufgebraucht seien, aus eigener Tasche werde zahlen müssen, während er warte, dass er zurückkehre. Es handle sich um »den Zweifel eines Mannes«, so erklärte der Papst, »der ein Zeugnis erlebt, eines Mannes, der wie jener Samariter offen ist für die Überraschungen Gottes, der es sich nie hätte träumen lassen, dass er auf der Straße eine derartige Person finden würde. Doch er war offen für Überraschungen.«

»Beide waren keine Funktionäre«, unterstrich der Papst erneut und fügte hinzu: »›Bist du ein Christ? Bist du eine Christin?‹ – ›Ja, ja, ja, ich gehe jeden Sonntag zur Messe und versuche, das Rechte zu tun, weniger zu schwätzen, denn das Schwätzen gefällt mir immer. Doch was den Rest betrifft, mache ich es gut.‹« Die wahre Frage laute: »›Aber bist du offen? Bist du offen für die Überraschungen Gottes oder bist du ein christlicher Funktionär, der verschlossen ist?‹ – ›Ich mach das, ich gehe am Sonntag zur Messe, zur Kommunion, zur Beichte einmal im Jahr, dies, das: bei mir ist alles in Ordnung.‹«

Gerade diejenigen, die so dächten, hob Franziskus noch einmal hervor, »sind die christlichen Funktionäre, Menschen, die nicht für die Überraschungen Gottes offen sind, Menschen, die viel von Gott wissen, aber Gott nicht begegnen. Menschen, die angesichts eines Zeugnisses niemals von Staunen ergriffen werden. Im Gegenteil: Sie sind unfähig, Zeugnis zu geben.« In diesem Zusammenhang lud der Papst ein, sich zu fragen, ob »ich ein Christ bin, der offen ist für das, was der Herr mir Tag für Tag schenkt, offen für die Überraschungen Gottes, der uns oft in Schwierigkeiten bringt, wie dies beim barmherzigen Samariter der Fall war«. Oder »bin ich ein christlicher Funktionär: Ich tue, was ich tun muss und entspreche damit den Vorschriften.«

Der Papst betonte: »Das ist die Frage: Bin ich offen oder bin ich ein Funktionär, der hinter seinen Regeln verschanzt ist?« Und das sei »eine schöne Frage, die wir uns heute stellen sollten, wir alle. Wir alle, die Laien und die Hirten. Alle.« »Doch da ist noch etwas anderes«, fuhr der Papst fort, »das man vielleicht ein wenig später erklären kann, bei anderen Gelegenheiten: einige frühchristliche Theologen sagten, dass in diesem Abschnitt das ganze Evangelium einbegriffen sei.

Ein jeder von uns ist der Mann dort, der Verletzte, und Jesus ist der Samariter. Und er hat die Wunden geheilt. Er ist uns nahe gekommen. Er hat für uns gesorgt. Er hat für uns bezahlt. Er hat zu seiner Kirche gesagt: ›Wenn es mehr braucht, dann zahl du, und ich werde zurückkommen und dann bezahlen.‹« Somit sei es wichtig, gut darüber nachzudenken, wiederholte der Papst, denn »in diesem Abschnitt ist das ganze Evangelium enthalten«.

»Liebe Brüder und Schwestern, keine Funktionäre «, so Franziskus abschließend. Es sei notwendig, »ernsthaft Christen zu sein. Christen, die keine Angst haben, sich die Hände, die Kleider schmutzig zu machen, wenn sie sich dem Nächsten nähern. Christen, die offen sind für die Überraschungen. Christen, die wie Jesus für die anderen zahlen.«

 



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