PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Der Skandal der Heuchler
Donnerstag, 20. September 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 42, 19. Oktober 2018)
»Auf ihrem Weg durch die Geschichte wird die Kirche von Heuchlern verfolgt: Heuchler von innen und von außen«, und »der Teufel ist ohnmächtig bei den reuigen Sündern«, er ist »stark bei den Heuchlern: er benutzt sie, um die Leute, um die Gesellschaft, um die Kirche zu zerstören«. Mit einer Aufforderung, sich immer mehr der Barmherzigkeit und der Vergebung Gottes anzuvertrauen und sich vom »Skandal der Heuchler« fernzuhalten, feierte Papst Franziskus am Donnerstag, 20. September, die Messe in Santa Marta.
»In den heutigen Lesungen gibt es drei Gruppen von Personen: Jesus und seine Jünger; die Frau und Paulus, und die Gesetzeslehrer.« Im Abschnitt aus dem Lukasevangelium (7,36-50) »wird Jesus zum Essen eingeladen, dann aber ohne große Freundlichkeit aufgenommen, ohne die für seine Zeit üblichen Höflichkeiten. Doch er tut so, als merke er es nicht, und macht weiter.
Und da taucht diese Frau auf. Das Evangelium sagt ›eine Sünderin‹ – als solche wurde sie qualifiziert –, eine von jenen Sünderinnen, deren Schicksal es war, entweder im Geheimen besucht zu werden, auch von diesen da, von den Pharisäern, oder gesteinigt zu werden.« Doch »diese Frau zeigt sich voller Liebe, mit viel Liebe zu Jesus, und sie verbirgt nicht, dass sie eine Sünderin ist, denn alle kannten sie und viele von denen, die da am Tisch saßen, hatten sie auch besucht«.
Der Papst verwies dann auf den Abschnitt aus dem ersten Brief an die Korinther und machte darauf aufmerksam, dass »Paulus, nachdem er von vielen Dingen gesprochen hatte, auch von den Charismen, von der Kirche, zum Kern des Heils übergeht: ›Vor allem habe ich euch überliefert, was auch ich empfangen habe: Christus ist für unsere Sünden gestorben. […] Ich bin der Geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe‹«.
Folglich, so Franziskus, »suchten beide Gott mit Liebe, doch mit einer ›halbherzigen‹ Liebe«. Paulus, »weil er dachte, dass die Liebe ein Gesetz sei und sein Herz für die Offenbarung Jesu Christi verschlossen war: Er verfolgte die Christen, doch aus Eifer für das Gesetz, aufgrund dieser unreifen Liebe.« Und »diese Frau«, fuhr der Papst fort, »suchte die Liebe, wie jene andere, die Samariterin: die Ärmste, viele Ehemänner, und sie fand doch die Liebe nicht, die sie suchte. Die kleine Liebe. Und Jesus sagt: ›Dieser Frau ist viel vergeben worden, weil sie viel geliebt hat.‹« »Wie bitte, lieben? Diese da verstehen es nicht, zu lieben. Sie suchen Liebe«, so der Papst.
Und »als Jesus über diese Frauen spricht, sagt er – einmal hat er gesagt –, dass sie im Himmelreich vor uns sein werden. ›Aber was ist denn das für ein Skandal…‹ – so die Pharisäer – ›diese Leute!‹« Dagegen »schaut Jesus auf die kleine Geste der Liebe, auf die kleine Geste guten Willens, und er nimmt sie und bringt sie weiter. Das ist die Barmherzigkeit Jesu: er vergibt immer, er nimmt immer an.«
»Eine andere Gruppe«, erklärte Franziskus weiter, setze sich aus den »Gesetzeslehrern zusammen, die auf Jesus blickten, um zu sehen, ob sie etwas finden könnten, wo er irrte, um ihm eine Falle zu stellen«. Diese Menschen »haben eine Haltung, die nur die Heuchler oft annehmen: sie entrüsten sich. ›Na da schau an, was für ein Skandal! So kann man nicht leben! Wir haben die Werte verloren… Jetzt haben alle das Recht darauf, in die Kirche zu kommen, auch die Geschiedenen, alle. Ja wo sind wir denn hingekommen?‹« Das sei »der Skandal der Heuchler«.
»Das ist der Dialog«, unterstrich der Papst, »zwischen der großen Liebe, die alles vergibt, der Liebe Jesu, der ›halbherzigen‹ Liebe des Paulus, der Liebe dieser Frau, und auch unserer, die eine unvollständige Liebe ist, denn keiner von uns ist offiziell heiliggesprochen worden. Sagen wir die Wahrheit.« Und »der Heuchelei: Der Heuchelei der ›Gerechten‹, der ›Reinen‹, der Heuchelei derer, die meinen, aufgrund eigener äußerer Verdienste gerettet zu sein.« Doch »Jesus nennt die Heuchler ›weiß getünchte Gräber‹. Alles schön, schöne Friedhöfe, doch im Inneren voll von Knochen der Toten und aller Unreinheit.« Genau »so ist die Seele der Heuchler«.
»Wenn die Kirche durch die Geschichte geht, wird sie von den Heuchlern verfolgt: Heuchler von innen und von außen«, sagte der Papst. »Der Teufel hat nichts mit den reuigen Sündern zu tun, da sie auf Gott blicken und sagen: ›Herr, ich bin ein Sünder, hilf mir!‹« Und wenn »der Teufel ohnmächtig ist« bei den reuigen Sündern, »ist er bei den Heuchlern stark. Er ist stark, und er benutzt sie, um zu zerstören, um die Menschen zu zerstören, um die Gesellschaft zu zerstören, um die Kirche zu zerstören.« »Das Schlachtpferd des Teufels ist die Heuchelei, denn er ist ein Lügner: er gibt sich als mächtiger, wunderschöner Fürst aus, doch hintenherum ist er ein Mörder.«
Die Liturgie unterbreite heute also »diese drei Gruppen von Personen«, erklärte Franziskus erneut: »Jesus, der vergibt, der aufnimmt, der barmherzig ist, ein Wort, das oftmals vergessen wird, wenn wir schlecht über die anderen reden. Denkt daran: Wir müssen barmherzig sein wie Jesus und dürfen die anderen nicht verurteilen.
Jesus in den Mittelpunkt.« Dann seien da »Paulus, der Sünder, der Verfolger, doch mit einer ›halbherzigen‹ Liebe« und »diese Frau, eine Sünderin, auch sie mit einer ›unvollständigen‹ Liebe«. Doch »Jesus vergibt allen beiden. Und sie begegnen der wahren Liebe: Jesus«. Schließlich seien da »die Heuchler, die unfähig sind, der Liebe zu begegnen, weil sie ein verschlossenes Herz haben, verschlossen in den eigenen Ideen, in den eigenen Lehren, in der eigenen Gesetzmäßigkeit«.
»Bitten wir Jesus«, so die Einladung von Franziskus am Schluss der Predigt, »dass er immer unsere Kirche schütze, die als Mutter heilig, doch voller Kinder ist, die Sünder sind wie wir. Und dass er sie mit seiner Barmherzigkeit und seiner Vergebung für einen jeden von uns beschütze.«
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