PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Der Stil der Christen
Donnerstag, 13. September 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 39/40, 28. September 2018)
Der Logik der Welt entsprechend ist die »Feindesliebe« eine »Torheit«. Doch es ist gerade die »Torheit des Kreuzes«, die das Verhalten jedes Christen leiten muss, denn wenn wir »als Kinder Gottes« leben wollen, müssen wir »barmherzig sein wie der Vater« und dürfen uns nicht von der »Logik Satans« leiten lassen, des großen Anklägers, der immer versucht, »dem anderen Böses anzutun«.
Der »Stil der Christen« stand im Mittelpunkt der Betrachtungen von Papst Franziskus bei der Messe in Santa Marta am 13. September. Ein Thema, wie er in seiner Predigt in Erinnerung rief, das im Evangelium oft vorkomme, in vielen Abschnitten, in denen der Herr »uns sagt, wie das Leben eines Jüngers, das Leben eines Christen sein muss. Er gibt uns Signale, um auf dem Weg voranzukommen.« Dies geschehe zum Beispiel in der Bergpredigt mit den Seligpreisungen, aus denen »etwas Revolutionäres« hervorgehe, »denn es hat den Anschein der Logik des Gegenteils«: es handle sich »um die Logik des Gegenteils in Bezug auf den Geist der Welt«. Bei jener Gelegenheit »lehrt uns der Herr, wie ein Christ sein muss«. Und im 25. Kapitel des Matthäusevangeliums, wo von den Werken der Barmherzigkeit die Rede sei, »lehrt uns der Herr, was ein Mensch tun muss, um christlich zu sein«. Es werde ein »Stil« beschrieben, angesichts dessen »wir sagen: ›Christ zu sein ist nicht leicht.‹ Nein. Doch es macht uns glücklich. Es ist der Weg des Glücks, des inneren Friedens.«
Die Liturgie vom Tag unterbreite einen Abschnitt aus dem Evangelium (Lk 6,27-38), der ebenfalls diesem Thema gewidmet sei. Es handle sich um einen Text, in dem »der Herr in die Details geht und uns vier Punkte angibt, um das christliche Leben zu leben«. Die Worte Jesu seien klar: »Euch aber, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen!
Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen!« Es seien dies »vier Gebote«, angesichts derer der Mensch normalerweise unschlüssig sei: »Wie kann ich den lieben, der mir Böses antut? Wie soll ich mich nicht rächen oder wenigstens mich verteidigen?« Die Antwort laute: »Liebt eure Feinde!« Dem möchte man entgegenhalten, so der Papst: »Aber darf ich sie nicht hassen? Ich habe ein Recht darauf, sie zu hassen, denn sie hassen mich, und ich muss sie hassen…« Die Antwort sei immer eindeutig: »Nein. Liebt! Die Feinde, jene, die euch zerstören wollen: liebt sie. ›Tut denen Gutes, die euch hassen!‹« Es bestehe ein Kontrast zwischen dem, was »normal« zu sein scheine – »wenn ich weiß, dass mich ein Mensch hasst, dann gehe ich hin und sage es allen Freunden: ›Der da hasst mich. Er will mich zerstören.‹ So trete ich ins Klatschen und Tratschen ein…« – und dem, was dem Christen abgefordert werde: »Nein. ›Tut Gutes!‹ Wenn du weißt, dass dich jemand hasst und er bedürftig ist, etwas braucht oder einen schwierigen Augenblick durchmacht, dann tu Gutes.«
Die dritte Anweisung Jesu laute: »Segnet die, die euch verfluchen.« Damit betrete man »die Logik der Antwort. Einer verflucht dich und du antwortest auf einer anderen Ebene; der andere lässt den Pegel der Verfluchung steigen und der Hass steigt an und es endet im Krieg. Das ist die Logik der Beleidigungen. Es endet im Krieg mit Beleidigungen. « Der Herr dagegen sage: »Nein. Halt inne, ›segne‹. Er hat dich verflucht? Du segne ihn«.
Dann sei da »das Schwierigste, das jetzt kommt: ›Betet für die, die euch beschimpfen!‹« Diesbezüglich fragte Franziskus: »Wie viel Zeit nehme ich mir für das Gebet, um zum Herrn für die lästigen Menschen zu beten, für die Menschen, die mir lästig fallen oder die mich schlecht behandeln?« Es sei gut, »eine Gewissenserforschung vorzunehmen«. All dies, so fasste der Papst zusammen, »ist der christliche Stil, das ist die christliche Lebensweise«. Man könne sich fragen: »Doch wenn ich diese vier Dinge nicht tue – die Feinde lieben, denen Gutes tun, die mich hassen, diejenigen segnen, die mich verfluchen und für diejenigen beten, die mich schlecht behandeln – bin ich dann kein Christ?« Auch in diesem Fall sei die Antwort klar: »Ja, du bist Christ, weil du die Taufe empfangen hast, aber du lebst nicht wie ein Christ. Du lebst wie ein Heide, mit dem Geist der Weltlichkeit.« Und, fügte er hinzu, »das sind keine poetischen Bilder: das ist es, was der Herr von uns will. So, direkt.« Es seien konkrete Anweisungen, denn »es ist so leicht, zusammenzukommen, um schlecht über die Feinde oder über jene zu reden, die zu einer anderen Partei gehören, oder auch über die, die uns nicht sympathisch sind. Die christliche Logik dagegen ist das Gegenteil.« Hiervon gebe es keine Ausnahmen: »›Aber Pater, ist das etwas, das immer zu befolgen ist?‹ Ja. ›Aber das ist doch verrückt?‹ Ja. Paulus sagt es ganz klar: ›Die Torheit des Kreuzes.‹Wenn du als Christ nicht voller Leidenschaft für diese ›Torheit des Kreuzes‹ bist, dann hast du nicht begriffen, was es heißt, ein Christ zu sein.« Zur Bestätigung dessen nahm der Papst erneut den Text des Evangeliums, um den Unterschied zu unterstreichen, den Jesus selbst zwischen Christen und Heiden mache: »Er benutzt das Wort ›Sünder‹. ›Heiden‹, ›Sünder‹, ›weltlich‹«.
Die Zusammenfassung dieser Überlegungen liefere die Schrift selbst, wo der Herr wie in einer »Inhaltsangabe« den Grund für gewisse Anweisungen erkläre: »Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurückerhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.« Das Ziel von allem bestehe, so Franziskus, darin, »sich wie Kinder zu verhalten, Kinder unseres Vaters, der immer Gutes tut, der ›barmherzig‹ ist: das ist das Schlüsselwort«.
Der Papst fügte hinzu: »Wenn man diese Sachen liest und hört, die Jesus sagt, können wir uns die Frage stellen: Bin ich barmherzig?« Wir könnten »in das Geheimnis der Barmherzigkeit eintreten« und uns fragen: »Hat mir der Herr Barmherzigkeit erwiesen? Habe ich die Barmherzigkeit des Herrn verspürt? Wenn ich barmherzig bin, bin ich Kind des Vaters.« Und gerade so, wie man bisweilen von einem Kind sage: »Ach, was ähnelt es doch dem Vater!«, ähneln »nur die Barmherzigen Gott, dem Vater«, denn das »ist der Stil des Vaters«.
Dieser Weg jedoch, warnte der Papst, gehe gegen den Strom, »er klagt die anderen nicht an« und »geht gegen den Geist der Welt«. Denn »unter uns ist der große Ankläger, der immer hingeht, um uns vor Gott anzuklagen, um uns zu zerstören. Satan: Er ist der große Ankläger. Und wenn ich in diese Logik des Anklagens, des Verfluchens und des Versuches komme, einem anderen Schaden zuzufügen, betrete ich die Logik des großen Anklägers, die zerstörerisch ist. Wer das Wort ›Barmherzigkeit‹ nicht kennt, weiß nichts, nie hat er sie gelebt.«
Der Christ stehe also immer an einem Scheideweg: auf der einen Seite die Einladung des Herrn, »barmherzig zu sein, eine Einladung, die eine Gnade ist, eine Gnade der Kindschaft, um dem Vater zu ähneln«. Auf der anderen Seite stehe »der große Ankläger, Satan, der uns dazu drängt, die anderen anzuklagen, um sie zu zerstören «. Man dürfe, so der Papst abschließend, »nicht in die Logik des Anklägers eintreten«. Vielmehr sei es so, dass »die einzige legitime Anklage, die wir Christen vorbringen können, darin besteht, uns selbst anzuklagen. Für die anderen nur die Barmherzigkeit, weil wir Kinder des Vaters sind, der barmherzig ist.«
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