PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Wahrheit ist still
Montag, 3. September 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 37, 14. September 2018)
Schweigen und Gebet »jenen Menschen gegenüber, die nicht guten Willens sind, den Menschen gegenüber, die nur auf der Suche nach dem Skandal sind, die nur Spaltung suchen, die nur auf Zerstörung aus sind, auch in den Familien«. So lautete der Rat von Papst Franziskus am Montag, 3. September, bei der ersten Messe in Santa Marta nach der Sommerpause. Franziskus kommentierte den Abschnitt aus dem Evangelium, in dem Jesus aus der Synagoge von Nazaret gejagt wird. Der Papst lud dazu ein, den Herrn um »die Gnade zu bitten, zu unterscheiden, wann wir reden müssen und wann wir schweigen sollen.
Und das im ganzen Leben: bei der Arbeit, zuhause, in der Gesellschaft… im ganzen Leben. So werden wir Jesus besser nachfolgen.« »Diese Episode aus dem Evangelium lässt uns über die Art und Weise des Handelns im alltäglichen Leben nachdenken, wenn sich Missverständnisse einstellen, wenn es zu Diskussionen kommt«, erklärte Franziskus und nahm auf den Abschnitt aus dem Lukasevangelium (4,16-30) Bezug. Doch »er lässt uns auch verstehen, wie der Vater der Lüge, der Ankläger, der Teufel, wirkt, um die Einheit einer Familie, eines Volkes zu zerstören«.
Der Papst ging vom Tagesevangelium aus und rief in Erinnerung, dass »Jesus nach Nazaret kam, wo er aufgewachsen war«. Gewiss, fügte er hinzu, »er war weggegangen, er hatte mit der Verkündigung begonnen«, doch »sein Ruf hatte sich verbreitet: ›Na da schau an, dieser da, der von hier weggegangen ist, tut Wunder!‹« Und so sei es gekommen, dass in Nazaret »die Leute darauf warteten, ihn zu sehen, und als die Leute kamen, schauten sie ihn genau an. Wir alle wissen, was in einem Dorf geschieht, wenn jemand zurückkehrt, der zum Studium weggegangen war und mit dem Diplom zurückkommt, oder wenn einer weggegangen ist, um sein Glück zu suchen und mit Geld zurückkommt, reich, und das Dorf ist gerührt: ›Das ist einer von uns, der zurückkommt.‹ Wir alle kennen das.« Und an jenem Tag in Nazareth sei »das geschehen«.
Der Papst fuhr fort: »Die Leute nahmen Jesus gut auf, und als er in die Synagoge ging, hörten sie ihm zu.« Doch »Jesus spricht nicht direkt von sich selbst; er verwendet das Wort Gottes. Immer, wenn Jesus etwas Wichtiges sagen will, verwendet er das Wort Gottes; auch wenn er den Teufel besiegen will – denken wir an die Versuchungen in der Wüste –, verwendet er das Wort Gottes.« Das Evangelium berichte, dass Jesus »den Abschnitt aus dem Propheten Jesaja liest, in dem die Zeit des Messias angekündigt wird«. Dann »schloss er die Buchrolle, gab sie dem Synagogendiener und setzte sich«, wie im Evangelium zu lesen sei. Und »die ganze Synagoge war voller Freude, voller Staunen«, erklärte Franziskus, so dass »die Augen aller in der Synagoge auf ihn gerichtet waren«, wie Lukas schreibe. Und wahrscheinlich, fügte der Papst hinzu, hätten seine Leute gesagt: »Da schau an, das ist einer von uns, wie schön. Gott wird zu uns sprechen.«
Weiter schreibe Lukas in seinem Evangelium: »Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.« Jesus nämlich »predigte nichts anderes: immer das Wort Gottes und alle stimmten ihm zu; sie staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem Mund hervorgingen«. Doch »an diesem Punkt sozusagen das erste Brücken-Wort von der Freude zu etwas anderem, vom Frieden zum Krieg: ›Ist das nicht Josefs Sohn?‹« Und Jesus »nimmt die Herausforderung an und entgegnete: ›Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Nur zu!‹« Die Leute forderten von Jesus im Grund nichts anderes als: »Tu große Dinge unter uns, wie du es in Kafarnaum getan hast, und wir werden glauben.«
Doch »Jesus erklärt ihnen: ›Amen, ich sage euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.‹ Und er ruft die Propheten Israels in Erinnerung, die hingegangen sind und außerhalb der Heimat Wunder vollbracht hatten, da die Heimat dem Glauben gegenüber verschlossen war.« Und »als er damit endete, das zu erklären, die Witwe in Sarepta, den Aussätzigen, den Elischa geheilt hatte, da gerieten die Leute in der Synagoge – alle, dieselben, die vorher voller Staunen, ja bezaubert waren – in Wut: vom Staunen zur Wut«. So »hatten sie sich verändert: Jener vom Teufel ausgesäte Same begann zu wachsen. Sie erhoben sich, sie jagten ihn weg. Sie nahmen diese Haltung der Meute an: Das waren keine Personen, das war ein Rudel wilder Hunde, das ihn aus der Stadt jagte. Sie dachten nicht vernünftig nach.«
Angesichts dieser Haltung aber »schwieg Jesus. Sie brachten ihn an den Abhang des Berges und wollten ihn hinabstürzen.« Und »dieser Abschnitt aus dem Evangelium endet mit den Worten: ›Er aber schritt mitten durch sie hindurch und ging weg.‹ Die Würde Jesu: Mit seinem Schweigen besiegt er jene wilde Meute und geht weg. Denn seine Stunde war noch nicht gekommen. « Franziskus fügte hinzu: »Dasselbe wird am Karfreitag geschehen. Die Leute, die am Palmsonntag ein Fest für Jesus gefeiert und gerufen hatten: ›Gesegnet bist du, Sohn Davids!‹, riefen nun: ›Kreuzigt ihn!‹ Sie hatten sich verändert.« So »hatte der Teufel die Lüge in ihren Herzen ausgesät, und Jesus schwieg«.
»Das lehrt uns: Wenn sich diese Art des Handelns einstellt, nämlich die Wahrheit nicht sehen zu wollen, dann bleibt nur das Schweigen«, unterstrich der Papst. »Das Schweigen, das siegt, doch durch das Kreuz. Das Schweigen Jesu. Doch wie oft beginnen in den Familien Diskussionen über Politik, Sport, Geld, und nach und nach werden jene Familien schließlich in diesen Diskussionen zerstört, in denen zu sehen ist, dass der Teufel da ist, der sie zerstören will.« Schweigen, so der Rat des Papstes: »Sagen, was man zu sagen hat, und dann schweigen. Denn die Wahrheit ist mild, die Wahrheit ist still, die Wahrheit macht keinen Lärm. Es ist nicht leicht, was Jesus getan hat; doch da ist die Würde des Christen, die in der Kraft Gottes verwurzelt ist.«
»Gegenüber den Menschen«, so der Papst weiter, »die keinen guten Willen haben, gegenüber den Menschen, die nur auf der Suche nach dem Skandal sind, die nur Spaltung suchen, die nur auf Zerstörung aus sind, auch in den Familien: Schweigen. Und Gebet.« Und »es wird der Herr sein, später, der siegt, sowohl – wie in diesem Fall – mit der Würde Jesu, die stärkt und ihn von dem Wunsch, ihn hinabzustürzen, befreit, als auch mit der Würde des Sieges der Auferstehung, nach dem Kreuz.« Abschließend bat der Papst den Herrn um »die Gnade, zu unterscheiden, wann wir reden müssen und wann wir schweigen sollen. Und das im ganzen Leben: bei der Arbeit, zuhause, in der Gesellschaft… im ganzen Leben. So werden wir Jesus mehr nachfolgen.«
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