PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Gott hat uns zuerst geliebt
Freitag, 8. Juni 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 30/31, 27. Juli 2018)
Um die Liebe zu verstehen und zu leben, bedarf es keiner schönen Reden, sondern einfacher Werke der Barmherzigkeit: die Hungernden speisen, Kranke und Gefangene besuchen. Diese Werke sind nicht zu verwechseln mit der – wenngleich verdienstvollen – säkularen Wohltätigkeit. Denn auf die Liebe Gottes, die grenzenlos ist und sich in Kleinheit und Zärtlichkeit offenbart, antwortet man eher mit Taten als mit Worten. Das ist die Botschaft von Papst Franziskus in der heiligen Messe in Santa Marta am Freitagmorgen, dem 8. Juni, Hochfest des Heiligsten Herzens Jesu. »Wir können sagen, dass die Kirche heute das liturgische Hochfest der Liebe Gottes feiert: Heute ist das Fest der Liebe«, sagte der Papst zu Beginn der Predigt. »Der Apostel Johannes sagt uns, ›was die Liebe ist: nicht, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns zuerst geliebt hat‹. Er hat mit Liebe auf uns gewartet. Er liebt zuerst.«
Franziskus fügte hinzu: »Die Propheten verstanden das und benutzten das Symbol der Mandelblüte, denn sie blüht im Frühling zuerst.« Auch Gott »ist so, immer der Erste: Er wartet zuerst auf uns, er liebt uns zuerst, er hilft uns zuerst.« Und »das ist die Liebe, es ist die Liebe Gottes«. In diesem Zusammenhang wies der Papst auch darauf hin, dass es »schwierig ist, die Liebe Gottes zu verstehen: Im Abschnitt aus dem Brief, der heute in der Liturgie gelesen wird (Eph 3,8-12.14-19), spricht Paulus davon, den Heiden den unergründlichen Reichtum Christi zu verkünden.« Im Grunde »spricht er von dem in den Jahrhunderten in Gott verborgenen Geheimnis: jenem ›unergründlichen Reichtum‹ Gottes«. Doch der Papst bekannte: »Es ist nicht leicht, das zu verstehen: Es ist etwas Fernes, Geheimnisvolles.«
Dann »betet Paulus, dass die Christen verstehen mögen, was sie ist, und dort hebt er alle Grenzen auf: die Breite, die Länge, die Höhe und die Tiefe der Liebe Gottes«. Kurz gesagt, der Apostel »spricht von Gott und beseitigt die Grenzen: Sie übersteigt alles.« Wir stünden vor einer »Liebe, die man nicht verstehen kann«, sagte Franziskus. Denn die »Liebe Christi übersteigt alles Wissen, übersteigt alle Dinge: So groß ist die Liebe Gottes.« Ein Dichter habe sogar gesagt, sie sei »wie ›das Meer, uferlos, bodenlos‹, ein unendliches Meer«.
Genau »das ist die Liebe, die wir verstehen müssen, die Liebe, die wir empfangen«, erklärte der Papst. Und »das ist die Gnade, um die Paulus bittet: zu verstehen und ›den Heiden den unergründlichen Reichtum Christi zu verkünden‹«. Die Grundfrage laute also, »wie man die Liebe verstehen kann«, und auch, »wie der Herr uns diese Liebe offenbart hat«. Wenn man »auf die Heilsgeschichte blickt, war der Herr ein großer Pädagoge, mit der Pädagogik der Liebe«. Unter besonderer Bezugnahme auf den liturgischen Abschnitt aus dem Buch des Propheten Hosea (11.1.3-4.8-9) machte der Papst darauf aufmerksam, dass »der Herr erklärt, wie er seine Liebe offenbart hat: nicht indem er seine Macht spüren ließ«, sondern genau mit der entgegengesetzten Haltung. »Hören wir«, so Franziskus, die Worte des Propheten: »Ich habe mein Volk gehen gelehrt, indem ich es an der Hand hielt. Ich habe Sorge für es getragen.« Gott hielt sein Volk »an der Hand, nah bei sich, wie ein Vater«. Weiter heißt es bei Hosea sogar: »Mit menschlichen Fesseln zog ich sie an mich, mit den Ketten der Liebe. Ich war da für sie wie die Eltern, die den Säugling an ihre Wangen heben – welche Zärtlichkeit! – Ich neigte mich ihm zu und gab ihm zu essen. Mein Herz wendet sich gegen mich, mein Mitleid lodert auf.«
Der Abschnitt aus dem Buch Hosea bezeuge, so der Papst, dass Gott »die Liebe nicht mit großen Dingen offenbart: Er macht sich klein, immer kleiner und kleiner, mit diesen Gesten der Zärtlichkeit, der Güte.« Er sei ein Gott, der »sich klein macht, der sich nähert, und mit dieser Nähe, mit diesem Kleinwerden lässt er uns die Größe der Liebe verstehen«. »Das Große muss durch das Kleine verstanden werden«, so der Papst, der auch daran erinnerte, dass Gott »noch weiter geht: Er sendet seinen Sohn, aber er sendet ihn nicht in Majestät, in Macht, er sendet ihn im Fleisch, in sündigem Fleisch: ›Der Sohn erniedrigte sich, er entäußerte sich, er nahm die Gestalt eines Knechtes an, bis zum Tod, bis zum Tode am Kreuz.‹« Daher, betonte Franziskus, »findet die größte Größe ihren Ausdruck in der kleinsten und dramatischsten Kleinheit: Das ist das Geheimnis der Liebe Gottes, dieser Liebe, von der der Herr uns lehrt, dass wir sie eher durch Taten als durch Worte umsetzen sollen.«
Es sei, so Franziskus, »eine totale Liebe«. Und »das Symbol ist ein durchbohrtes Herz: So können wir auch den christlichen Weg verstehen«. Denn »wenn Jesus uns lehren will, wie die christliche Haltung sein soll, sagt er uns wenig, sondern zeigt uns das berühmte ›Protokoll‹, nach dem wir alle gerichtet werden: Matthäus 25«. Und jenes »Protokoll« des Evangeliums »sagt nicht: ›Ich denke, dass Gott so ist, ich habe die Liebe Gottes verstanden.‹« Der Abschnitt aus dem Evangelium nach Matthäus sage vielmehr: »Ich habe Gottes Liebe im Kleinen vollbracht: Ich habe den Hungernden gespeist, ich gab dem Durstigen zu trinken, ich habe den Kranken, den Gefangenen besucht.« Denn, so der Papst, »die Werke der Barmherzigkeit sind der Weg der Liebe, den Jesus uns lehrt, in Kontinuität zu dieser Liebe, dieser großen Liebe Gottes«. »Mit dieser unendlichen Liebe hat er sich entäußert, hat er sich in Jesus Christus erniedrigt, und wir müssen sie so zum Ausdruck bringen.« Daher »verlangt der Herr von uns keine großen Reden über die Liebe. Er verlangt von uns, Männer und Frauen zu sein mit großer Liebe oder mit kleiner Liebe – ganz gleich, aber man muss es verstehen, diese kleinen Dinge für Jesus, für den Vater zu tun«.
Aus dieser Perspektive heraus, fügte der Papst hinzu, »versteht man den Unterschied zwischen einer verdienstvollen säkularen Wohltätigkeit und den Werken der Barmherzigkeit, in Kontinuität zu dieser Liebe, die sich klein macht, die zu uns kommt und die wir vorantragen«.
»Heute ist das Hochfest der Liebe Gottes«, sagte Franziskus abschließend, »und um die Liebe Gottes zu verstehen, muss sie durch Werke weitergegeben werden, durch kleine Werke der Barmherzigkeit: So muss sie weitergegeben werden, mit Einfachheit.« Und »das wird die Verkündigung dieser Liebe sein, die keine Grenzen kennt und die daher in den kleinen Dingen zum Ausdruck kommen kann«. Möge »der Herr uns in dieses Geheimnis der Liebe Gottes eintreten lassen«.
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