PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die christliche Erinnerung ist das Salz des Lebens
Donnerstag, 7. Juni 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 30/31, 27. Juli 2018)
Zwischen »Erinnerung und Hoffnung«: Dort können wir »Jesus begegnen«. Und der Papst gab drei praktische Ratschläge, um keine »vergesslichen Christen« zu sein und damit unfähig, »dem Leben Salz« zu geben: sich an die ersten Begegnungen mit dem Herrn erinnern, an jene, die den Glauben weitergegeben haben – angefangen bei den Eltern und Großeltern – und an das Gesetz Gottes. Auf diese Hinweise, »zurückzugehen, um vorwärtszugehen«, konzentrierte sich der Papst bei der Messe in Santa Marta am Donnertag, 7. Juni. Dabei regte er auch eine Gewissenserforschung an.
Franziskus wies darauf hin, dass »Paulus in der ersten Lesung die Aufmerksamkeit des Timotheus auf das Gedächtnis lenkt: ›Mein Sohn, denke an Jesus Christus‹«. Und ebenso in Bezug auf den zweiten Brief an Timotheus (2,8-15) machte der Papst darauf aufmerksam, dass der Apostel erneut schreibe: »Rufe ihnen das ins Gedächtnis.«
Kurz, Paulus »spricht die Mahnung aus«, dass »Timotheus in der Erinnerung zurückgehen soll, um Jesus Christus zu begegnen, und die Erinnerung, wie sie die Bibel unterbreitet, ist kein, wollen wir sagen, ein wenig romantischer Gedanke, als werde gesagt: ›Die Vergangenheit war besser.‹ « Nein, erklärte der Papst, »die Erinnerung ist ein Zurückgehen, um Kraft zu finden und vorwärtsgehen zu können«. Mehr noch, »die christliche Erinnerung ist immer eine Begegnung mit Jesus Christus«. Aus diesem Grund schreibe Paulus an Timotheus: »Denke an Jesus Christus, rufe ihnen das ins Gedächtnis.« »Die christliche Erinnerung ist wie das Salz des Lebens: ohne Erinnerung können wir nicht vorwärtsgehen«, erklärte der Papst. Denn »wenn wir ›vergesslichen‹ Christen begegnen, sehen wir sofort, dass sie den Geschmack des christlichen Lebens verloren haben und zu Menschen geworden sind, die die Gebote erfüllen, doch ohne die Mystik, ohne Jesus zu begegnen«. Dagegen »müssen wir Jesus Christus im Leben begegnen «.
»Mir sind drei Situationen in den Sinn gekommen, in denen wir Jesus begegnen können«, so der Papst: »In den ersten Augenblicken, wie ich sie nenne, dann in den Lehrern des Glaubens und in unseren Vorfahren und drittens im Gesetz.« »Erinnere dich an Jesus Christus in den ersten Momenten«: so laute die erste Weisung. Und »der Hebräerbrief sei diesbezüglich klar: ›Erinnert euch an diese frühen Zeiten, nach eurer Bekehrung‹ «, ein Moment, »da ihr so leidenschaftlich«, so begeistert wart. Im Übrigen, so der Papst, »hat ein jeder von uns Zeiten der Begegnung mit Jesus«. »In unserem Leben gibt es einen Moment, zwei, drei Momente, in denen sich Jesus genähert hat, in denen er sich offenbart hat.« Es sei wichtig, »diese Momente nicht zu vergessen: Wir müssen zurückgehen und sie wieder aufgreifen, weil sie Momente der Inspiration sind, in denen wir Jesus Christus begegnen.« Aus dieser Perspektive nahm Franziskus erneut Bezug auf den Hebräerbrief: »Hefte die Augen, hefte den Blick auf Jesus Christus, den Urheber und Vollender des Glaubens! Ruft euch den ins Gedächtnis, der solche Anfeindung erlitten hat!« Daher lautete die Aufforderung des Papstes, »immer an Jesus Christus zu denken, doch in Verbindung mit bestimmten Momenten. Jeder von uns hat Momente wie diese: als er Jesus Christus begegnete, als er sein Leben änderte, als der Herr ihm seine Berufung zeigte, als der Herr ihn in einer schwierigen Zeit besuchte«.
Und »wir haben diese Momente in unserem Herzen: wir wollen sie suchen, wir wollen diese Momente betrachten«, so der Papst, der erneut mahnte, Erinnerung zu halten, »Erinnerung an jene Momente, in denen ich Jesus Christus getroffen habe, Erinnerung an jene Momente, in denen Jesus Christus mich getroffen hat«. Denn jene Momente »sind die Quelle des christlichen Wegs, die Quelle, die mir die Kraft geben wird«. Daher sei es wichtig, »immer zu jenen Momenten zurückzukehren, um Kraft zu schöpfen und voranzugehen«. An diesem Punkt, so der Papst, »kann sich ein jeder fragen: Erinnere ich mich an diese Momente der Begegnung mit Jesus, als sich mein Leben änderte, als er mir etwas verheißen hat?« Und »wenn wir uns nicht an sie erinnern, müssen wir sie suchen: jeder von uns hat solche Momente. Suchen wir sie!«
Die zweite Situation für die »Begegnung mit Jesus« sei die »Erinnerung an unsere Vorfahren«. Und »der Hebräerbrief ist auch in dieser Hinsicht eindeutig: ›Erinnert euch an eure Vorsteher, an jene, die euch den Glauben gelehrt haben‹, an jene, die mir den Glauben weitergegeben haben. « Darüber hinaus komme Paulus im selben Brief der heutigen Lesung »etwas weiter vorne hierauf zurück und sagt zu Timotheus: ›Erinnere dich an deine Mutter und an deine Großmutter, die dir den Glauben weitergegeben haben.‹« Der Apostel verweise praktisch auf »das Vorbild unserer Vorsteher, unserer Wurzeln, auf jene, die uns den Glauben gegeben haben«. Denn »den Glauben haben wir nicht per Post erhalten«, sondern »Männer und Frauen haben uns den Glauben übermittelt«. So sei im Brief an die Hebräer weiter zu lesen: »Achtet auf sie, die eine Wolke von Zeugen sind, und schöpft Kraft aus ihnen, aus jenen, die das Martyrium und vieles andere erlitten haben.«
Gewiss sei es möglich, fügte Franziskus hinzu, den Glauben auch von jenen zu empfangen, »die uns am nächsten stehen, wie Paulus hier zu Timotheus sagt: deine Mutter, deine Großmutter, jene, die uns den Glauben gegeben haben«. In dem Bewusstsein: »Immer wenn das Wasser des Lebens ein wenig trübe wird, ist es wichtig, zur Quelle zu gehen und in der Quelle die Kraft zu finden, um vorwärtszugehen.« In diesem Sinn, so der Vorschlag des Papstes, »können wir uns fragen: Denken wir an unsere Lehrer im Glauben, an unsere Vorfahren? Bin ich ein Mann, eine Frau mit Wurzeln oder habe ich meine Wurzeln verloren? Lebe ich nur in der Gegenwart? « Wenn dem so wäre, sei es angemessen, »sofort um die Gnade zu bitten, zu den Wurzeln zurückzukehren, zu jenen Menschen, die uns den Glauben gegeben haben, die den Glauben an uns weitergegeben haben: ›Erinnert euch an eure Vorfahren!‹«
»Der dritte Punkt, an den es sich zu erinnern gilt, ist das Gesetz«, erklärte Franziskus, der sich auf den Abschnitt aus dem Markusevangelium bezog (12,28-34): »Jesus ruft das Gesetz in Erinnerung « und wiederhole eindeutig, dass »das erste Gebot lautet: ›Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr.‹« Ja, »Höre, Israel!« sei ein »Wort, das im Alten Testament oft wiederholt wird, im Buch Deuteronomium, als das Volk ein wenig das Gedächtnis verloren hatte«, spreche der Herr: »Höre, Israel! Nicht vergessen, Israel!« An diesem Punkt, erklärte der Papst, »ist jener Ausdruck für die Juden zu einem Gebet geworden: ›Höre, Israel!‹« »Sie wiederholen die Worte des Herrn: die Erinnerung an das Gesetz.« Denn »das Gesetz ist eine Geste der Liebe, die der Herr uns erwiesen hat, weil er uns den Weg gezeigt hat. Er sagte uns: ›auf diese Weise wirst du nicht irren.‹«
Das also sei der Wert »der Erinnerung an das Gesetz: nicht an das kalte Gesetz, das einfach juridisch auftritt«. Vielmehr »das Gesetz der Liebe, das Gesetz, das der Herr in unser Herz gelegt hat«. In diesem Sinn riet der Papst dazu, sich zu fragen: »Bin ich dem Gesetz treu, erinnere ich mich an das Gesetz, wiederhole ich das Gesetz?« Denn »manchmal haben wir Christen und sogar die Personen des geweihten Lebens Schwierigkeiten, die Gebote auswendig zu wiederholen: ›Ja, ja, ich erinnere mich an sie‹, aber dann, an einem bestimmten Punkt, liege ich falsch, ich erinnere mich nicht.« Deshalb: »Erinnerung an das Gesetz, an das Gesetz der Liebe, das aber konkret ist«.
»Erinnere dich an Jesus Christus!«, wiederholte der Papst, der dazu einlud, »den Blick fest auf den Herrn gerichtet zu halten, in den Momenten meines Lebens, in denen ich dem Herrn begegnet bin, in den schwierigen Momenten, in den Momenten der Prüfung; in meinen Vorfahren und im Gesetz«. In der Gewissheit, dass »die Erinnerung nicht nur ein Zurückgehen ist«, sondern »ein Zurückgehen, um vorwärtszugehen«. Denn, so Franziskus, »Erinnerung und Hoffnung gehören zusammen. Das christliche Gedächtnis gehört zur Hoffnung, und die Hoffnung gehört zum Gedächtnis.« Und so »sind sie komplementär und vervollständigen sich«. In diesem Bewusstsein erneuerte der Papst die Aufforderung: »Erinnere dich an Jesus Christus, den Herrn, der gekommen ist, der bezahlt hat für mich und der kommen wird, der Herr der Erinnerung, der Herr der Hoffnung.«
Zum Abschluss machte der Papst einen Vorschlag: »Ein jeder von uns kann sich heute ein paar Minuten Zeit nehmen, um sich zu fragen, wie es um die Erinnerung an die Momente steht, in denen ich dem Herrn begegnet bin; die Erinnerung an meine Vorfahren, die Erinnerung an das Gesetz.« Und jeder solle sich auch fragen, »wie es um meine Hoffnung steht, auf was ich hoffe. Möge der Herr uns bei dieser Arbeit der Erinnerung und der Hoffnung helfen!«
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