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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Die Gabe der Tränen

Freitag, 25. Mai 2018
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 28, 13. Juli 2018)

 

»Aus Syrakus wurde das Reliquiar mit den Tränen der Muttergottes hierher gebracht. Heute ist es hier, und wir bitten die Muttergottes, dass sie uns und der Menschheit, die es braucht, die Gabe der Tränen schenken möge, damit wir weinen können: über unsere Sünden und über das viele Unglück, das das Volk Gottes und die Kinder Gottes leiden lässt.« Mit diesen Worten eröffnete Papst Franziskus am Freitag, dem 25. Mai, die Feier der Messe in Santa Marta. Das Reliquiar, das Franziskus neben den Altar der Kapelle stellen ließ, war ihm am Donnerstagabend aus der römischen Pfarrei »Santa Maria delle Grazie al Trionfale« gebracht worden, wo es im Mittelpunkt des Patronatsfests gestanden hatte.

Der Papst schlug dann in seiner Predigt »eine ›Meldung‹ für Zeitung und Fernsehen« vor: Ehefrau und Ehemann, die seit vielen Jahren zusammenleben, »sind Bild und Gleichnis Gottes«. Das sollte eher eine Nachricht wert sein als Scheidungen, Trennungen und Skandale. Der Kern der Reflexionen des Papstes, der vom Abschnitt aus dem Markusevangelium (10,1-12) ausging, ist demnach die Aufforderung, auf das Positive zu schauen und »die Schönheit der Ehe« neu zu entdecken. »Jesus lehrt die Menge«, so der Papst, der fortfuhr: »Die einfachen Menschen hören dem Herrn zu, weil sie ein Verlangen nach der Lehre haben, weil sie nach der Lehre dürsten, nach der Wahrheit dürsten. Sie haben einen Glauben, der wachsen will.« Und die einfachen Menschen »erkennen auch, dass der Herr ein Prophet, ein Meister ist und folgen ihm nach. Sie hören ihm einfach zu.«

Franziskus griff den Abschnitt aus dem Evangelium erneut auf: »Die Pharisäer – oder auch die Schriftgelehrten – kamen zu Jesus, um ihn mit einer kasuistischen Frage auf die Probe zu stellen: eine jener Glaubensfragen mit ›darf man, oder darf man nicht‹, wo der Glaube auf ein ›Ja‹ oder ein ›Nein‹ reduziert wird.« Aber »nicht das große ›Ja‹ oder das große ›Nein‹, von denen wir gehört haben«, erläuterte der Papst mit Bezug auf den Abschnitt aus dem Jakobusbrief (5,9-12). Für die Pharisäer dagegen laute die Frage: »Darf man oder darf man nicht?« Und »das christliche Leben, das gottgefällige Leben, liegt den Pharisäern zufolge immer darin, ob man etwas ›darf‹ oder ›nicht darf‹. Damit wollen sie ihn auf die Probe stellen.«

Doch »als Jesus diese Dinge hört, leidet sein Herz, und er geht darüber hinaus: Er geht darüber hinaus, richtet sich auf das Höhere, das Höhere«, so der Papst. »Bei der Frage geht es um die Scheidung, um die Ehe: Für sie scheint die Ehe aus ›dürfen oder nicht dürfen‹ zu bestehen: Bis wohin darf ich gehen, bis wohin nicht.« Jesus dagegen, so Franziskus, »wendet sich in die Höhe, gelangt bis zur Schöpfung und spricht von der Ehe, die vielleicht das Schönste ist«, was der Herr »in jenen sieben Tagen, sieben Etappen«, geschaffen habe. Im Abschnitt aus dem Markusevangelium heiße es nämlich: »Am Anfang der Schöpfung aber hat Gott sie männlich und weiblich erschaffen. Darum wird der Mann Vater und Mutter verlassen und die zwei werden ein Fleisch sein. Sie sind also nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.«

»Der Herr gebraucht hier starke Worte«, sagte der Papst und fuhr fort: »Gott hat sie am Anfang so erschaffen. Der Herr sagt nicht: ›Sie sind ein Geist, eine Liebe‹, sondern ›ein Fleisch‹, und das kann man nicht trennen!« Aber, so fügte er hinzu, »er lässt das Problem der Trennung beiseite und geht über zur Schönheit der Ehe, zur Schönheit des Ehepaars, das vereint sein muss«. Und so »verlassen der Mann und die Frau ihre Familien, um einen neuen Weg zu beginnen«. Es gibt also »einen Bruch beim Mann und bei der Frau, um das zu beginnen: der Bruch mit dem, was vorher war, mit der vorherigen Familie. ›Verlassen, um zu werden‹ und dann das ganze Leben diesen Weg gemeinsam vorangehen: nicht zwei, sondern eins«. Das heißt: »So im Leben als eine Einheit vorangehen, und was eins ist, muss eins bleiben: Das ist es, was der Herr sagt.«

»Wir dürfen nicht wie die Schriftgelehrten dabei stehenbleiben, ob man eine Ehe scheiden ›darf‹ oder ›nicht darf‹«, so der Papst. »Manchmal gibt es das Unglück, dass sie nicht funktioniert«, erklärte er. »Dann ist es besser, sich zu trennen, um einen Weltkrieg zu vermeiden, aber das ist ein Unglück.« Vielmehr sollten wir »auf das Positive schauen«. Und aus dieser Perspektive heraus, fügte er hinzu, »möchte ich heute darüber sprechen, denn unter euch sind sieben Ehepaare, die ihren 50. oder 25. Hochzeitstag feiern«: Paare, die »gekommen sind, um zu feiern, also sich vor dem Herrn zu freuen über diese 50, über diese 25 gemeinsamen Jahre«.

»Jeder, der das erreicht, denkt über den zurückgelegten Weg nach und dankt dem Herrn«, so der Papst weiter. »Ich erinnere mich, wie ich einmal bei einer Generalaudienz die Menschen begrüßte und bei einem Paar stehenblieb: Sie waren jung, nie hätte ich gedacht, dass sie ihren 60. Hochzeitstag feiern! Sie schienen doch noch gar nicht so alt zu sein!« Dann fügte Franziskus hinzu, dass »man damals jung heiratete. Damit der Sohn heute heiratet, muss die Mutter aufhören, ihm die Hemden zu bügeln, weil er nicht von zu Hause weg will …« An jenes Paar zurückdenkend sagte der Papst weiter: »Ich schaute sie an und fragte: ›Seid ihr glücklich?‹ Und sie schauten mich an, dann haben sie einander in die Augen geschaut, und als sie dann wieder mich anschauten, waren ihre Augen feucht, und beide sagten zu mir: ›Wir sind ineinander verliebt.‹ Nach 60 Jahren war die Liebe so stark wie ein guter Wein: Die Zeit veredelt guten Wein, und wenn er altert, wird er noch besser.«

»Es ist wahr, dass es Schwierigkeiten gibt, Probleme mit den Kindern oder zwischen den Eheleuten, Diskussionen, Streit«, bekannte der Papst. Aber »wichtig ist, dass das Fleisch eins bleibt. Dann überwindet man alles.« Denn »dies ist nicht nur ein Sakrament für sie«, für die Eheleute, »sondern auch für die Kirche, gleichsam ein Sakrament, das Aufmerksamkeit anzieht: ›Seht, die Liebe ist möglich!‹« Und, so Franziskus, »die Liebe macht fähig, ein ganzes Leben lang als Verliebte zu leben, in der Freude und im Schmerz, mit den Problemen der Kinder und den eigenen Problemen«. Wichtig sei jedoch, »immer voranzugehen, in guten und in bösen Tagen, aber immer voranzugehen. Das ist die Schönheit der Ehe.«

Und »es ist so schön, weil der Herr in der Bibel, bei der Schöpfung sie als Mann und Frau erschaffen hat, nach seinem Bild und Gleichnis hat er sie erschaffen«. In der »Ehe seien der Mann und die Frau also Bild und Gleichnis Gottes«. Wenn jemand sich frage: »Wie sieht Gott aus?«, so könnte man ihm sogar vorschlagen, auf »jene Eheleute« zu schauen, »die seit vielen Jahren gemeinsam unterwegs sind, kämpfen und Kinder bekommen und vorangehen: Schau, so ist Gott!« Genau diese beiden Eheleute »sind Bild und Gleichnis Gottes«. In der Tat sei »die Ehe eine stille Predigt für alle anderen, eine alltägliche Predigt«. Und es sei »schmerzlich« festzustellen, dass ein Ehepaar, das »seit vielen Jahren zusammenlebt, für Zeitungen und Fernsehen keine Nachricht wert ist«. Eine Nachricht wert sei dagegen »der Skandal, die Scheidung oder Eheleute, die sich trennen. Wie gesagt, manchmal müssen sie sich trennen, um größeres Übel zu vermeiden. « Aber »das Bild Gottes ist keine Nachricht wert«, bedauerte Franziskus erneut und sagte noch einmal, dass das »die Schönheit der Ehe« sei: Die Eheleute »sind Bild und Gleichnis Gottes, und das ist unsere Nachricht, unsere christliche Nachricht«.

»Wir müssen mehr daran denken«, sagte der Papst. »Es ist nicht leicht, im Ehe- und Familienleben voranzugehen, denn es gibt viele Probleme «, bekannte er. »Wenn es jedoch gelingt voranzugehen und man nicht scheitert, wie schön ist das!« Und mit Bezug auf den Brief des Apostels Jakobus sagte der Papst: »Um voranzugehen war in der Ersten Lesung die Rede von der Geduld: Die vielleicht wichtigste Tugend beim Ehepaar – sowohl beim Mann als auch bei der Frau – ist die Geduld.« Und er fügte hinzu: »Msgr. Assunto Scotti, der hier mit mir arbeitet, sagt oft zu mir: ›Man braucht Geduld.‹ Er sagt es mir immer wieder. Ja, um eine Ehe voranzubringen, braucht man Geduld. Man braucht Geduld. Doch es ist die Geduld, die dieses Bild und Gleichnis Gottes voranbringt.« Abschließend lud der Papst ein, den Herrn zu bitten, dass er »der Kirche und der Gesellschaft ein tieferes, schöneres Bewusstsein von der Ehe schenken möge«, damit »wir alle verstehen und betrachten können, dass in der Ehe das Bild und Gleichnis Gottes vorhanden ist«.

 



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