PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Für die Herde, nicht für die Karriere
Dienstag, 15. Mai 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 23/24, 8. Juni 2018)
Bischof ist man für die Herde und nicht für die Karriere: der letzte priesterliche Rat des heiligen Paulus, ein richtiggehender »Abschied«, ist das bestmögliche »Testament«, da Jesus Christus im Mittelpunkt von allem steht. Diese Worte des Apostels erläuterte Papst Franziskus in seiner Predigt am 15. Mai.
»In der ersten Lesung aus dem Buch der Apostelgeschichte (Apg 20,17-27)«, erklärte der Papst, »haben wir den Abschied des Paulus gehört, den Abschied eines Apostels, den Abschied eines Bischofs: es ist ein eindringlicher Text, ein Text, der zu Herzen geht.« Doch »es ist auch ein Text, der uns den Weg eines jeden Bischofs in der Stunde des Abschieds vor Augen stellt«. Von dieser Rede »lesen wir die Hälfte heute, die andere Hälfte morgen «, so der Papst, der hinzufügte: »Ich werde dies eher kommentieren, als eine Homilie zu halten. Es ist ein Kommentar zu diesem Abschnitt.« Denn »der Text spricht für sich«.
»Paulus lässt die Priester von Milet nach Ephesus kommen«, erklärte Franziskus. Er halte mit den Priestern praktisch »eine Versammlung des Priesterrats ab, um sich von ihnen zu verabschieden, denn er muss fortgehen«. Und »als sie sich versammelt haben – im Text steht: ›Als sie bei ihm eingetroffen waren, sagte er…‹ –, beginnt er mit einer Gewissenserforschung: ›Ihr wisst, wie ich vom ersten Tag an, seit ich die Provinz Asien betreten habe, die ganze Zeit in eurer Mitte war.‹« Paulus »sagt, was er seiner Meinung nach getan hat, was er getan hat, und er legt es allen zur Beurteilung vor«, wie »eine Art Gewissenserforschung des Bischofs vor seinem Presbyterium«.
»Wenn man diesen Abschnitt mit unserer Mentalität liest, kann es den Anschein haben, dass Paulus ein wenig stolz ist, dass Paulus sich zu sehr brüstet.« In Wirklichkeit »ist Paulus objektiv. Er sagt, was er getan hat« und »rühmt sich allein zweier Dinge: Er rühmt sich seiner Sünden und des Kreuzes Jesu Christi, das ihn gerettet hat.« Dies gehe so weit, dass er in einem anderen Abschnitt »auf sich blickt und sagt: ›Nun, ich bin ein Sünder, ich habe die Christen verfolgt, ich habe getötet. Ich bin gleichsam eine Missgeburt‹ – er beschreibt sich mit harten Worten –, ›aber ich rühme mich all dessen‹, und ›blicke auf den Herrn. Doch ich rühme mich auch Jesu, der mich gerettet hat, der mich berufen hat, der mich auserwählt hat.‹«
Wenn Paulus »diese Dinge sagt, ist er objektiv: Er sagt, was er getan hat, doch sein Geist ist weit entfernt von jeglicher menschlicher Eitelkeit. Er ist wahrhaftig.« Deshalb »sagt der Apostel nach dieser so klaren Gewissenserforschung, die wir gehört haben, in einem zweiten Abschnitt: ›Und siehe, nun ziehe ich, gebunden durch den Geist, nach Jerusalem.‹« Paulus lebe »diese Erfahrung des Bischofs: eines Bischofs, der es versteht, den Heiligen Geist zu unterscheiden, der zu unterscheiden weiß, wann es der Geist Gottes ist, der spricht, und der sich zu verteidigen versteht, wenn der Geist der Welt spricht«.
»Gebunden durch den Geist«, »ohne zu wissen, was mir dort geschehen wird«, gehe Paulus »voran. Er ahnte dunkel, ja er wusste, weil ihm dies ein Prophet offenbart hatte.« Und der Apostel »erklärt dann ein wenig, warum er es wusste: ›Jedoch bezeugt mir der Heilige Geist von Stadt zu Stadt, dass Fesseln und Drangsale auf mich warten.‹ « Mit vollem Bewusstsein »geht Paulus den Drangsalen entgegen, hin zum Kreuz, und das lässt uns an den Einzug Jesu in Jerusalem denken: Er zieht ein, um zu leiden, und Paulus ist unterwegs zur Passion«, indem er praktisch sage: »Ich will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde.«
In diesem Geist »sieht Paulus den Dienst, das Leben. Man erkennt den Keim des Martyriums, den Märtyrer. Er bringt sich dem Herrn dar, im Gehorsam.« Das sei der Sinn der Worte »›gebunden durch den Geist‹: Der Bischof, der immer weitergeht, doch dem Heiligen Geist gemäß. So ist Paulus«, betonte der Papst. Derselbe Paulus, der dann den »dritten Schritt« tut: »Nach seiner Gewissenserforschung, nachdem er gesagt hat, wohin er gehen wird und was ihn erwartet, tut er den dritten Schritt: ›Und siehe, ich weiß, dass ihr mich nicht mehr von Angesicht sehen werdet, ihr alle, zu denen ich gekommen bin und denen ich das Reich verkündet habe.‹« Auf diese Weise »verabschiedet sich« Paulus. Dieser Ausdruck »wir werden uns nicht mehr sehen«, den der Apostel benutzt, »ist, als sei dies der Tod, verbunden mit dieser Zärtlichkeit«.
Der Papst fügte hinzu: »Der Text geht weiter, und das wird morgen verlesen werden.« Nachdem Paulus »gesagt hatte: ›Wir werden uns nicht mehr sehen‹, beginnt er, Ratschläge zu geben«. Und »in diesem Testament rät Paulus nicht etwa: ›Dieses Gut, das ich hinterlasse: Gebt es dem da, das dem anderen, und das…‹« Es handle sich nicht um »das weltliche Testament«, denn »seine große Liebe ist Jesus Christus« und »die zweite Liebe ist die Herde«. So sage er: »Gebt Acht auf euch und auf die ganze Herde!«
Paulus mahne: »Gebt Acht auf die Herde! Seid Bischöfe für die Herde, um die Herde zu behüten, nicht um eine kirchliche Karriereleiter hochzuklettern! « Das also ist sein »Abschied. ›Tut, wie ich an euch getan habe: Gebt Acht auf die ganze Herde, auf die so große Herde, in der euch der Heilige Geist zu Vorstehern bestellt hat, damit ihr als Hirten für die Kirche des Herrn sorgt.‹« Doch Paulus »erklärt auch, warum er rät, wachsam zu sein: ›Ich weiß, dass nach meinem Weggang reißende Wölfe bei euch eindringen und die Herde nicht schonen werden. Und selbst aus eurer Mitte werden Männer auftreten, die mit ihren falschen Reden die Jünger auf ihre Seite ziehen. Seid also wachsam, überaus wachsam, und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht aufgehört habe, unter Tränen jeden Einzelnen zu ermahnen.‹« Und so kehre Paulus »wieder zur Gewissenserforschung zurück: Erinnert euch an das, was ich getan habe, und seid künftig wachsam.«
So »endet der Apostel mit dem großen Herzen, dem demütigen Herzen jenes Mannes, der weiß, dass er nichts zu tun vermag: ›Und jetzt vertraue ich euch Gott und dem Wort seiner Gnade an.‹« Als sage er: »Gott wird euch behüten, er wird euch helfen, er wird euch die Kraft geben, denn er hat die Macht, aufzubauen, und er verleiht das Erbe all jenen, die von ihm geheiligt worden sind.« Dann komme der Apostel »ein weiteres Mal auf die Gewissenserforschung zurück: ›Silber oder Gold oder Kleider habe ich von keinem verlangt.‹« Paulus sei »arm«. Und dann, so die Apostelgeschichte, »kniete er nach diesen Worten nieder und betete mit ihnen allen«. Auf diese Weise, bekräftigte der Papst, »endet diese Sitzung des Priesterrats – die letzte in Ephesus – mit dem Gebet«. Weiter sei in der Apostelgeschichte zu lesen: »Alle brachen in lautes Weinen aus, fielen Paulus um den Hals und küssten ihn; am meisten schmerzte sie sein Wort, sie würden ihn nicht mehr von Angesicht sehen. Dann begleiteten sie ihn zum Schiff.« In diesen Worten »sind die Liebe und Zärtlichkeit der Priester gegenüber ihrem Bischof zu sehen: der Kuss, die Umarmung, das Weinen«.
»Das Testament des Paulus ist ein Zeugnis, es ist eine Verkündigung« und »es ist auch eine Herausforderung: ›Ich habe diesen Weg zurückgelegt. Jetzt macht ihr weiter‹«. Aber der Papst machte darauf aufmerksam, »wie weit entfernt doch dieses Testament von den weltlichen Testamenten ist: ›Das hinterlasse ich dem, das jenem, das noch einem anderen…‹«– mit »vielen Gütern «, die zu verteilen seien. »Paulus hatte nichts«, unterstrich der Papst erneut, »nur die Gnade Gottes, den apostolischen Mut, die Offenbarung Jesu Christi und das Heil, das der Herr ihm geschenkt hatte.« Und, so gestand der Papst: »Wenn ich diesen Abschnitt lese, dann denke ich an mich. Ich denke auch an mich, weil ich Bischof bin und mich verabschieden muss. Ich bitte den Herrn um die Gnade, mich auf diese Weise verabschieden zu können. Und aus der Gewissenserforschung werde ich nicht wie Paulus als Sieger hervorgehen. Doch der Herr ist gut, er ist barmherzig.« Franziskus fügte hinzu: »Ich denke an die Bischöfe, an alle Bischöfe. Der Herr schenke uns allen die Gnade, dass wir uns so verabschieden können, in diesem Geist, mit dieser Kraft, mit dieser Liebe zu Jesus Christus, mit diesem Vertrauen auf den Heiligen Geist.« So »wollen wir für alle Bischöfe beten, damit sie auf diesem Weg des Paulus gehen, um am Ende ein derartiges Testament hinterlassen zu können«.
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