PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
Die Kirche braucht Propheten
Dienstag, 17. April 2018
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 18, 4. Mai 2018)
»Für die Kirche ist es erforderlich, dass wir alle Propheten sind«, das heißt »Menschen der Hoffnung «, die immer »direkt« und nie »lau« sind und es vermögen, zum Volk »starke Worte« zu sagen, »wenn diese gesagt werden müssen«, und gemeinsam zu weinen, wenn es angebracht ist. Dieses Profil des Propheten zeichnete Papst Franziskus bei der heiligen Messe in Santa Marta am Dienstag, 17. April. In seiner Predigt schlug der Papst einen richtiggehenden »Test« vor, um den echten Propheten zu erkennen. Dieser sei kein »Unglücksprophet« und ebenso wenig ein »berufsmäßiger Tadler«. Vielmehr sei er ein Christ, der »tadelt, wenn es notwendig ist«, dabei immer »die Türen weit aufmacht« und persönlich seine »Haut« für die Wahrheit riskiert, um »die Wurzeln und die Zugehörigkeit zum Volk Gottes wiederherzustellen«.
»In der ersten Lesung haben wir den Bericht über das Martyrium des Stephanus«, erklärte der Papst und bezog such dabei auf den Abschnitt aus der Apostelgeschichte (7,51-8,1). »Es ist das Ende einer langen Geschichte, die zwei Kapitel des Buches einnimmt« und »so endet«. Eine Geschichte, so präzisierte Franziskus, die »ihren Anfang nimmt, als einige aus der Synagoge der Libertiner etwas sehen, und zwar die Wunder und die Weisheit, mit der Stephanus sprach, und dann zu ihm gegangen sind, um zu diskutieren; und er diskutierte mit ihnen.« Doch »sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen, und statt die Argumente anzuerkennen, stifteten sie zu einigen Verleumdungen an und brachten Stephanus vor Gericht.«
»Dort, sobald er das Gericht betreten hatte«, fuhr der Papst fort, »erschien den Leuten, die dort waren, sein Gesicht wie das Gesicht eines Engels: transparent, stark, leuchtend.« So »begann Stephanus, mit ihnen zu reden, doch von Anfang an, und er erzählte die ganze Geschichte des Volkes Israel: Stephanus wollte nicht nur über das Heute diskutieren. Er wollte die Wurzeln jener Leute heilen, die verschlossen waren, die die Geschichte vergessen hatten.« Aus diesem Grund »gibt er im siebten Kapitel diese lange Erklärung der ganzen Geschichte Israels. Doch am Ende bemerkt er, dass jene Leute verschlossen waren, dass sie nicht hören wollten. « Denn »sie waren in ihren Gedanken verschlossen «, unterstrich der Papst, »und Stephanus tadelt sie, wie auch Jesus das Volk getadelt hatte, fast mit denselben Worten: ›Ihr Halsstarrigen, unbeschnitten an Herz – das heißt Heiden, weil sie ihre Wurzeln vergessen hatten – und Ohren. Immerzu widersetzt ihr euch dem Heiligen Geist.‹« Als sage er: »Ihr stimmt mit dem Leben, das aus euren Wurzeln kommt, nicht überein.«
Stephanus »erzählt, dass auch die Propheten von ›euren Vätern‹ verfolgt wurden, das heißt von denen, die wie ihr vertrocknete Wurzeln hatten «. Der Abschnitt aus der Apostelgeschichte mache darauf aufmerksam, dass »sie, als sie dies hörten, in ihrem Herzen voll Wut waren: Sie waren aufs Äußerste über ihn empört und knirschten mit den Zähnen gegen Stephanus.« Diese Haltung, so Franziskus, »lässt die entfesselte Leidenschaft erkennen: Wenn ein Prophet zur Wahrheit kommt und das Herz anrührt, dann öffnet sich das Herz entweder oder es wird härter, und die Wut, die Verfolgung entfesseln sich, wie sie sich später, nach dem Tod des Stephanus, gegen die ganze Gemeinde von Jerusalem entfesselten.«
Die Apostelgeschichte berichtet auch von der Reaktion des Stephanus: »Er aber, erfüllt vom Heiligen Geist, blickte zum Himmel empor, sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen und rief: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen.« So »verwandelt sich jenes Gesicht eines Engels, das er am Anfang hatte, in Betrachtung, und er sah Gott«. Die Apostelgeschichte bezeuge jedoch, dass seine Gesprächspartner, als sie die Worte des Stephanus gehört hätten, »ein lautes Geschrei erhoben und sich die Ohren zuhielten«. Dies »war eine Geste, um zu sagen: ›Das will ich nicht hören.‹ Eine sehr bedeutsame Geste«, um zu erklären: »Ich will diese Worte nicht hören, die ein Fluch zu sein scheinen, da mein Herz nicht hören will; es ist gegenüber dem Hören des Wortes verschlossen. « Und damit sei es nicht zu Ende, die Apostelgeschichte berichte weiter: »Sie stürmten einmütig auf ihn los, trieben ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn: so endet das Leben eines Propheten. «
Im Übrigen, fuhr der Papst fort, »haben die Propheten immer diese Probleme der Verfolgung gehabt, da sie die Wahrheit sagten, und die Wahrheit ist unbequem, oft ist sie nicht angenehm«. Immer »haben die Propheten damit begonnen, die Wahrheit mit Milde zu sagen, um zu überzeugen, wie Stephanus. Doch am Ende, wenn sie nicht gehört wurden, waren sie es, die harte Worte gesprochen haben.« Und »auch Jesus sprach fast dieselben Worte wie Stephanus: ›Heuchler‹«. »Was ist für mich der Test, dass ein Prophet die Wahrheit sagt, wenn er harte Worte spricht?«, war dann die Frage, die der Papst stellte. »Wenn dieser Prophet«, so die Antwort, »nicht nur zu sprechen vermag, sondern auch fähig ist, um sein Volk zu weinen, das die Wahrheit aufgegeben hat.« Und tatsächlich: »Einerseits tadelt Jesus mit diesen harten Worten – ›böse und treulose Generation‹, sagt er zum Beispiel –, und andererseits weinte er um Jerusalem.« Gerade »das ist der Test: ein wahrer Prophet ist einer, der um sein Volk zu weinen vermag und auch fähig ist, harte Dinge zu sagen, wenn er sie sagen muss. Er ist nicht lau, er ist immer direkt.«
Aus diesem Grund, fuhr Franziskus fort, »ist der wahre Prophet kein Unglücksprophet, um es mit den Worten des heiligen Johannes XXIII. zu sagen«, sondern »ein Prophet der Hoffnung: Türen öffnen, die Wurzeln heilen, die Zugehörigkeit zum Volk Gottes wiedererstellen, um vorwärtszugehen «. Also »ist er kein berufsmäßiger Tadler«, im Gegenteil, »er ist ein Mann der Hoffnung. Er tadelt, wenn es notwendig ist, und macht die Türen weit auf, mit dem Blick auf den Horizont der Hoffnung.« »Wenn der wahre Prophet seine Aufgabe gut zu verrichten weiß, dann riskiert er seine Haut, und wir sehen es hier bei Stephanus.«
Die Apostelgeschichte berichte: »Die Zeugen legten ihre Kleider zu Füßen eines jungen Mannes nieder, der Saulus hieß, und dieser Saulus war mit der Ermordung« des Stephanus »einverstanden «. In Wirklichkeit »hatte Saulus die Bedeutung seiner Wurzel vergessen. Er kannte das Gesetz gut, doch hier«, so der Papst, der sich auf die Brust klopfte, um auf das Herz zu verweisen, »hatte er sie vergessen«. So also »berührt dann der Herr das Herz« des Saulus, »und wir wissen, was nachher geschah«.
Eine Geschichte, so der Papst weiter, die »uns an einen schönen Satz eines der ersten Kirchenväter denken lässt: ›Das Blut der Märtyrer ist der Same der Christen.‹« Hier »mit diesem Ende, so stirbt Stephanus, gesteinigt, weil er der Wahrheit und der Zugehörigkeit zum Volk gegenüber konsequent war. Und er scheint, die Fackel« dem Saulus weiterzugeben, der in diesem Augenblick »noch ein Feind war, der dort war, zu dem aber der Herr sprechen wird und den der Herr die Wahrheit sehen lassen wird«. »Das ist der Same: der Same des Stephanus, der Same eines Märtyrers, der Same der neuen Christen.«
»Die Kirche braucht die Propheten«, erklärte Franziskus, der hinzufügte: »Ich sage noch mehr: es ist notwendig für sie, dass wir alle Propheten sind. Keine Kritiker, das ist was anderes«, denn gewiss sei es kein Prophet, der sich stets zum »kritischen Richter erhebt, dem nichts gefällt, dem gar nichts gefällt: ›Nein, das ist nicht in Ordnung, und das ist nicht in Ordnung, und das ist nicht in Ordnung, das geht nicht; das muss so sein…‹« Dagegen ist »der Prophet der, der betet, der auf Gott blickt, der auf sein Volk blickt, der Schmerz empfindet, wenn das Volk Fehler macht, der weint – der fähig ist, um sein Volk zu weinen –, der sich persönlich gut einsetzt, um die Wahrheit zu sagen«. »Wir wollen den Herrn bitten«, so Franziskus abschließend, »dass es der Kirche nicht an diesem Dienst der Prophetie mangeln möge und dass er Propheten wie Stephanus senden möge, die helfen, unsere Wurzeln erstarken zu lassen, unsere Zugehörigkeit, um immer weiter voranzugehen.«
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