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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Hirte unter den Menschen

Dienstag, 30. Januar 2018

 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 9, 2. März 2018)

 

»Nähe und Zärtlichkeit« sind die Haltungen des wahren Hirten, der immer mitten unter den Menschen ist und sich um konkrete Probleme kümmert, der sich berühren lässt und der persönlich dorthin geht, wohin er gerufen wird, auch bis zur körperlichen Erschöpfung, sollte dies erforderlich sein. Und ohne sich dabei wie ein Prophet oder spiritueller Berater oder Heiler zu gebärden, der Besuchszeiten und eine Preisliste hat. Die Gestalt des nach dem Zeugnis Jesu geformten Hirten, der immer auf der Straße mitten in der Menschenmenge war, führte Papst Franziskus in der heiligen Messe am Dienstag, den 30. Januar, in Santa Marta erneut vor Augen.

Für seine Betrachtungen ging der Papst vom Evangelium aus, das »mehr betrachtet werden als Gegenstand des Nachdenkens sein muss«, wie er in Bezugnahme auf den Abschnitt aus dem Markusevangelium (5,21-43) feststellte. »Betrachten« also, »wie ein Tag im Leben Jesu war: Gott hatte versprochen, sein Volk zu begleiten, mit ihm zu gehen, und Gott begleitete sein Volk und sandte Jesus, damit er die Fülle dieses Weges bringe«. Jesus, so erklärte der Papst, begleitet »das Volk als Hirt. Er macht kein Büro für spirituelle Beratung auf, mit einem Schild an der Tür, auf dem steht: ›Der Prophet empfängt am Montag, Mittwoch und Freitag von 15 Uhr bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet soundsoviel, oder, wenn ihr wollt, könnt ihr etwas spenden.‹« Der Herr »macht das nicht so«, sagte der Papst, und »ebenso wenig eröffnete er eine Arztpraxis mit dem Schild: ›Die Kranken können kommen an dem und dem und dem Tag und werden geheilt werden.‹« Nichts von alledem. Im Gegenteil: »Jesus geht mitten unter das Volk.«

»Fast das ganze Leben Jesu, sein öffentliches Leben, war ein Leben auf der Straße mit den Leuten«, erklärte Franziskus, »und wenn er lehrte, war da immer jenes Wort, das sich wiederholt: ›Eine große Menschenmenge war da‹, die Menge der Leute, die ihm folgten.« Und »er sorgte sich um die Leute, dass sie gut verstünden, und er sorgte sich auch, wenn er dachte, dass sie Hunger hätten: ihnen zu essen geben.« Jesus war immer »mitten unter den Leuten: Das ist der Hirt, das ist die Gestalt des Hirten, die Jesus uns vorgibt, und er sagt uns Hirten, wie die Leute zu begleiten sind: mitten unter dem Volk.«

»Einmal«, erzählte der Papst, »sagte mir ein heiliger Priester, der auf diese Weise sein Volk begleitete: ›Die Leute sind ermüdend: Wenn der Tag zu Ende ist, bin ich kaputt.‹ Ich sagte zu ihm: ›Aber glücklich?‹ – ›Ja!‹« Und »fürs Einschlafen brauchte jener Hirt keine Tabletten: Er schlief sehr gut, weil er wirklich müde war, aber wirklich müde, nicht nur in einem ideellen Sinn: die Müdigkeit dessen, der arbeitet, der Person, die arbeitet und so das Volk begleitet.«

Im Abschnitt aus dem Evangelium, so Franziskus, »kommt das Wort ›berühren, anfassen‹ fünf Mal vor«. Jesus »wird von den Leuten ›berührt‹«. Doch »auch heute sehen wir das: Wenn der Bischof zu einem Pastoralbesuch kommt, oder der Pfarrer, dann berühren die Gläubigen ihn, um eine Gnade zu erhalten, so sagen sie.« Denn, fügte er hinzu, »so ist das Volk, und wenn du Hirt und mitten unter dem Volk bist, dann musst du das spüren«. In Wirklichkeit sage »das heutige Evangelium mehr: ›Viele Menschen folgten ihm und drängten sich um ihn.‹«

Und wenn die Menge »sich um ihn drängte, sagte Jesus nicht: ›Nein, bleibt dort!‹« Als sagten wir heute: »Rührt den Priester nicht an, nein, bitte, macht Platz, wenn er kommt, wenn der Bischof oder der Priester kommt.« Und so ist es also, dass Jesus »dort war, in ihrer Mitte: Jesus war mehr als ein Priester und ein Bischof«, und »er ließ sich berühren, drücken: er spürte sie alle«. Mitten in dieser Menge, so berichtet Markus in seinem Evangelium, »kam dieser Synagogenvorsteher « namens Jaïrus »und sagte zu ihm: ›Meister, meine Tochter liegt im Sterben.‹« Als Antwort »geht Jesus, er geht hin. Er sagte nicht: ›Bringt sie zu mir!‹« Vielmehr lautete seine Antwort: »Ich gehe.« Das heißt: »Der Hirt geht dorthin, wo die Probleme sind, wo die Schafe sind. Er geht dorthin, wo die Schwierigkeiten sind.« Er antwortet immer: »Ich gehe.«

In seiner Auslegung des Evangeliums verwies Franziskus auf die Gestalt »jener alten Frau, die nicht wusste, wie sie von ihrer Krankheit geheilt werden sollte, die Ärmste: Glauben hatte sie, jene Frau, und sie sagt: ›Wenn ich das Gewand Jesu berühre…‹« Denn sie dachte sich: »Wenn ich auch nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt.« Und Jesus »bemerkte« jene Geste der Frau, »denn Jesus bemerkte die Gesten der Leute«. Aber »nie kam Jesus der Gedanke in den Sinn: ›Diese ignoranten Leute, die nichts von Theologie wissen, diese abergläubischen Leute…‹ Niemals!« Dagegen fragt er als Hirt: »Wer hat mein Gewand berührt?« Und sofort die Zusicherung: »Keine Angst. Geh in Frieden. Dein Glaube hat dich geheilt.« Und »so löst er die Probleme«. Franziskus riet auch zu einer Betrachtung jenes Moments, in dem im Bericht des Evangeliums »die Nachricht vom Tod des Mädchens kommt«. Zum Vater sagt Jesus »Fürchte dich nicht! Glaube nur!« Und er geht zum Haus des Kindes. »Es hat den Anschein, dass es Jesus gefällt «, erklärte der Papst, »den Schwierigkeiten, den Problemen entgegenzutreten, wenn ihn die Leute darum bitten.« Bei der Ankunft in »jenem Haus« muss Jesus »den Eintritt bezahlen: den Eintrittspreis des Spotts, des Verlachtwerdens, denn da waren Leute, da waren die Klageweiber, die weinten und schrien, wie man das im Orient bei den Nachtwachen, bei den Totenwachen tat«. Und er fordert die Menschen auf, vom Weinen abzulassen, da das Mädchen schlafe und nicht tot sei. Mit diesen Worten ernte Jesus »Spott«, doch »wortlos geht er weiter. Er zahlt mit der Anstrengung, mit der Müdigkeit, auch mit der Scham, er zahlt, um das Gute zu tun.«

Und »dann, am Ende, lässt er mit jener Geste das Mädchen ins Leben zurückkehren, und übergibt es seinen Eltern. Er sagt nicht: ›Der Herr segne euch!‹ Es gibt keine Zeremonie.« Er sagt einfach: »Man soll dem Mädchen etwas zu essen geben.« Im Übrigen, so erklärte Franziskus, »ist Jesus gegenüber kleinen Dingen aufmerksam: das kommt mir in den Sinn, wenn er den Sohn der Witwe von Naim auferweckt«. Und der Bericht aus dem »Evangelium endet: ›Und er gab ihn seiner Mutter zurück.‹« Jesus »gibt, auch jene Tochter, er gibt«.

»Das sind für mich die Spuren der Handlungsweise Jesu, mit seinem Volk zu gehen, inmitten seines Volkes: Nähe und Zärtlichkeit«, unterstrich der Papst erneut. »Gott«, fügte er hinzu, »war immer nahe bei seinem Volk, er ging mit seinem Volk. Er war sehr zärtlich, wie eine Mutter: Er selbst sagt es durch die Propheten.« Und auch »Jesus, Gott und Mensch, lässt diese Nähe des Vaters real und konkret werden, und ebenso diese Zärtlichkeit«.»Der Hirt wird am Tag seiner Priester- und Bischofsweihe mit Öl gesalbt«, erklärte der Papst. Doch »das wahre Öl, jenes innere, ist das Öl der Nähe und der Zärtlichkeit«. Jenem Hirten dagegen, »der es nicht versteht, nahe zu sein, fehlt etwas: Vielleicht ist er ein Herr auf seinem Feld, aber er ist kein Hirt.« Denn »ein Hirt, dem die Zärtlichkeit fehlt, wird ein rigider Hirte sein, der die Schafe knüppelt«. »Nähe und Zärtlichkeit« seien also notwendig; das sähen wir im heutigen Tagesevangelium: »So war Jesus. Und ein Hirte wie Jesus beendet seinen Tag müde, doch mit dieser Müdigkeit, weil er Gutes getan hat«. Deshalb sind »Nähe und Zärtlichkeit « die »Haltungen eines wahren Hirten«.

»Heute könnten wir in der Messe für unsere Hirten beten«, legte Franziskus nahe, »auf dass der Herr ihnen diese Gnade schenke, mit dem Volk zu gehen, beim Volk mit viel Zärtlichkeit, mit viel Nähe gegenwärtig zu sein«. Und »wenn das Volk seinen Hirten findet, spürt es dieses Besondere, das man allein in der Gegenwart Gottes spürt«. Dies rufe gerade der Schluss des Evangeliums in Erinnerung, als die Empfindungen der Anwesenden beschrieben würden: »Die Leute waren ganz fassungslos vor Entsetzen.« Und das ist »das Staunen darüber, die Nähe und die Zärtlichkeit Gottes im Hirten zu spüren«.

 



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