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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
 

Unterwegs

Donnerstag, 11. Mai 2017
 

(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 22, 2. Juni 2017)

 

Ein »Volk unterwegs«, das »unter Gnade und Sünde« in der Geschichte vorangeht hin zur »Fülle der Zeiten«. Und zu diesem Volk gehört jeder einzelne Christ, der seinen persönlichen Weg hin zu dem Tag geht, an dem er sich »von Angesicht zu Angesicht« vor jenem Gott wiederfinden wird, der uns in der Zwischenzeit »nie alleine lässt«. Es ist ein die ganze Heilsgeschichte umfassender Aspekt, den Papst Franziskus in der Predigt bei der Messe in Santa Marta am Donnerstag, 11. Mai, aufzeigte.

Die Betrachtung ging vom Abschnitt aus der Apostelgeschichte (13,13-25) aus, in dem von einer Predigt des heiligen Paulus in Antiochia in Pisidien zu lesen ist. In diesem Abschnitt, so der Papst, »zieht die Tatsache die Aufmerksamkeit« auf sich, »dass Paulus, um von Jesus zu sprechen, weit ausholt: er beginnt mit dem Augenblick, als das Volk aus Ägypten ausgezogen war«. Dasselbe, fügte der Papst hinzu, hatte Stephanus getan, der »vor seiner Steinigung Jesus Christus verkündigt, aber bei Abraham beginnt, in noch weiterer Ferne«. Und dasselbe tut Jesus mit den Jüngern von Emmaus, als er »bei Moses begann und dann die Propheten erklärte«.

Eine Besonderheit hat die Neugier des Papstes erweckt: »Warum gingen sie nicht sofort zum Mittelpunkt der Verkündigung, der Jesus Christus ist, wie dies zum Beispiel Markus am Anfang des Evangeliums tat?« Stattdessen »beginnt die Verkündigung von fast allen beim Anfang, mit der Geschichte«. Dies sei der Tatsache geschuldet, dass »sich Gott in der Geschichte zu erkennen gegeben hat: das Heil Gottes, jenes Wunder seiner Barmherzigkeit, das wir heute am Anfang im Gebet erwähnt haben, hat eine große Geschichte, eine lange Geschichte; eine Geschichte der Gnade und der Sünde«.

Franziskus vertiefte also diesen Aspekt und riet zum Beispiel dazu, die Genealogien Jesu zu lesen, wie sie von Markus und Lukas verfasst wurden, wo man »vielen guten Männern und Frauen, vielen Heiligen und vielen Sündern« begegne. In dieser Aufeinanderfolge »ging die Verheißung Gottes voran, und als die Fülle der Zeiten gekommen war, sandte er seinen Sohn«. Das also war die erste Erwägung: »Das Heil Gottes ist unterwegs zur Fülle der Zeiten«, ein Weg, auf dem es »Heilige und Sünder« gibt. Der Herr, erklärte der Papst, »führt sein Volk, in guten und schlechten Momenten, in Freiheit und Knechtschaft; doch er führt das Volk zur Fülle«, das heißt »als Jesus erschien«.

Der Papst fuhr fort: »Damit ist die Geschichte nicht zu Ende gewesen: Jesus ist weggegangen, doch er hat uns den Geist hinterlassen.« Jenen Geist, der »uns die Botschaft Jesu begreifen lässt«. So beginnt »ein zweiter Weg, der Weg des Gottesvolkes nach Jesus«, in Erwartung »einer anderen Fülle der Zeiten, wenn Jesus das zweite Mal kommen wird«. Es ist der Weg der Kirche, die »vorwärts geht«, mit »vielen Heiligen und vielen Sündern; unter Gnade und Sünde«, mit der Haltung, die in der Offenbarung des Johannes zu finden ist: »Komm, Herr Jesus, komm. Wir erwarten dich.«

Dieser zweite Weg, so der Papst, diene dazu, »die Person Jesu zu verstehen, sie zu vertiefen, den Glauben zu vertiefen«, dies »dank des Heiligen Geistes, den Jesus uns hinterlassen hat«. Und er diene auch dazu, »die Moral, die Gebote zu verstehen «. Denn »etwas, das in der Vergangenheit normal erschienen war, das keine Sünde war«, wird heute als eine »Todsünde« erachtet: in Wirklichkeit »war das Sünde, aber der historische Moment gestattete es nicht, es als solche wahrzunehmen«. Um diesen Begriff besser zu verstehen führte Franziskus einige Beispiele an, angefangen bei der Sklaverei: »Als wir in die Schule gingen, erzählten sie uns, was mit den Sklaven getan wurde, man brachte sie von dem einen Ort weg und verkaufte sie an einem anderen, in Lateinamerika wurden sie verkauft und gekauft«. Heute wird dies als eine »Todsünde« gesehen, damals nicht; »im Gegenteil, einige sagten, dass man das tun konnte, weil diese Leute keine Seele hätten!«

Offensichtlich »musste man weitergehen, um den Glauben besser zu verstehen, um die Moral besser zu verstehen«. Und es sei nicht so, dass es heute keine Sklaven mehr gäbe: »Heute gibt es noch mehr von ihnen, aber wenigstens wissen wir, dass das eine Todsünde ist.« Derselbe Prozess habe sich mit der »Todesstrafe« eingestellt, »die einst normal war. Und heute sagen wir, dass die Todesstrafe inakzeptabel ist.« Oder denken wir weiter an die »Religionskriege «: heute, so der Papst, »wissen wir, dass das nicht nur eine Todsünde ist, es ist geradezu ein Sakrileg, ein Götzendienst«.

Dieser Weg sei auch mit vielen Heiligen übersät, die dabei helfen, den Glauben und die Moral »zu klären«. Die Heiligen, »die wir alle kennen, und die verborgenen Heiligen: die Kirche ist voller verborgener Heiliger!« Gerade diese Heiligkeit, so der Papst, »ist es, die uns voranbringt, hin zur zweiten Fülle der Zeiten, wenn der Herr am Ende kommen wird, um alles in allen zu sein«. Das sei die Weise, auf die sich der Herr »von seinem Volk erkennen lassen wolle: unterwegs«. Und das Volk Gottes selbst sei unterwegs, immer. Mehr noch: »Wenn das Volk Gottes stehen bleibt, wird es zum Gefangenen wie ein kleiner Esel in einem Stall«, es steht dort und »begreift nicht, es geht nicht weiter, es vertieft den Glauben, die Liebe nicht, es läutert die Seele nicht«. Der Papst setzte seine Betrachtungen fort und hob »eine weitere Fülle der Zeiten, eine dritte« hervor, das heißt »die unsrige«. Was bedeute: »Jeder von uns ist unterwegs hin zur Fülle der eigenen Zeit. Jeder von uns wird zu dem Augenblick der vollen Zeit gelangen, und das Leben wird enden und den Herrn finden müssen. Und das ist unser Augenblick. Unser persönlicher Augenblick «. Die Apostel und die ersten Verkünder »mussten begreifen machen, dass Gott sein Volk unterwegs geliebt, gewählt hat, dass Gott sein Volk unterwegs geliebt hat, immer«. Und noch heute »ist es der Geist, der uns dazu drängt zu gehen «. Das, so der Papst, »ist das große Werk der Barmherzigkeit Gottes. Und ein jeder von uns ist unterwegs hin zur persönlichen Fülle der Zeit«. Abschließend lud Franziskus alle ein, sich einige Fragen zu stellen: »Glaube ich, dass die Verheißung Gottes eine Verheißung unterwegs war? Glaube ich, dass das Volk Gottes, die Kirche unterwegs ist? Glaube ich, dass ich unterwegs bin?«. Und er fügte hinzu: »Wenn ich zur Beichte gehe, sage ich, ja, drei oder vier Sachen, bei denen ich einen Fehler begangen habe«, oder »denke ich, dass jener Schritt, den ich tue, ein Schritt auf dem Weg hin zur Fülle der Zeiten ist?«.

Viele Heilige im Alten Testament (wie David) und auch nach dem Kommen des Heiligen Geistes (wie Saulus) »haben um Vergebung gebeten«, doch es ist notwendig zu begreifen, dass »Gott um Vergebung zu bitten nichts Automatisches ist«. Es heiße dagegen, »zu verstehen, dass ich unterwegs bin, in einem Volk, das unterwegs ist, und dass ich mich eines Tages – vielleicht heute, morgen oder in dreißig Jahren – von Angesicht zu Angesicht mit jenem Herrn vorfinden werde, der uns nie allein lässt, sondern auf dem Weg begleitet «. Es sei also notwendig zu verstehen, dass dieser Weg »das große Werk der Barmherzigkeit Gottes« ist.

 



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