PAPST FRANZISKUS
FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"
In einem Meer ohne Ufer
Donnerstag, 20. Oktober 2016
(aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 44, 4. November 2016)
Beten, anbeten, sich als Sünder bekennen: Das sind die drei Wege, die dem Christen die Kenntnis und das Verstehen des göttlichen Mysteriums eröffnen, so Papst Franziskus in der heiligen Messe am 20. Oktober in Santa Marta. Zunächst verwies der Papst auf das Wort des heiligen Paulus aus dem Philipperbrief (3,8.9), das im Ruf vor dem Evangelium erklungen war: »Ich habe alles aufgegeben, um Christus zu gewinnen und in ihm zu sein.« Der Wunsch, »Christus zu gewinnen«, sei auch »die Gnade«, die der Apostel in der ersten Lesung für die Epheser (3,14-21) erbitte. Es handle sich dabei um ein Gebet, erläuterte Franziskus. Denn Paulus lehre die Epheser »diesen Weg« und bete »auf den Knien: ›Ich beuge meine Knie vor dem Vater und bitte, er möge euch aufgrund des Reichtums seiner Herrlichkeit schenken, dass ihr in eurem Innern durch seinen Geist an Kraft und Stärke zunehmt.‹«
Der Apostel bitte um die Gnade, »durch den Heiligen Geist im Inneren stark zu sein, gestärkt zu werden«. Aber warum wolle er, »dass die Epheser durch den Heiligen Geist an Stärke zunehmen «? Paulus antworte: Damit »Christus durch den Glauben in eurem Herzen wohne«. Das sei »der zentrale Punkt«. Aber dabei »bleibt der Apostel nicht stehen, sondern fährt fort: ›In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen fähig sein, Christus zu verstehen.‹« Und dieses Verstehen erkläre der Epheserbrief auf originelle Weise: »…zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt«.
Der Papst fuhr fort: »In diesem Gebet geht Paulus weiter und taucht in dieses Meer ein, dieses Meer ohne Grund und Ufer, ein unermessliches Meer: die Person Jesu.« Und so »betet er, dass der Vater den Ephesern – und er betet auch für uns – diese Gnade schenken möge: Christus zu kennen«. Wie aber könne man »Christus kennen«, und zwar so, dass er »der wahre Gewinn« sei, vor dem »alles andere Verlust ist«? Das könne man durch das Evangelium. Denn Christus sei »im Evangelium gegenwärtig«: Das heißt, »wenn wir das Evangelium lesen, lernen wir Christus kennen«. Und »wir alle tun dies. Zumindest hören wir das Evangelium, wenn wir in die Messe gehen.« Sicherlich könne man Jesus auch »durch das Studium des Katechismus« kennenlernen: »Der Katechismus lehrt uns, wer Christus ist.« Aber dies, so Franziskus, »reicht nicht aus. Um die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe Jesu Christi zu verstehen, muss man zuerst in eine Atmosphäre des Gebets eintreten, wie das Paulus auf Knien tut: ›Vater, sende mir den Heiligen Geist, damit ich Jesus kennenlernen kann.‹« So könne die Kenntnis über das Oberflächliche hinausgehen und in die Tiefe des Geheimnisses eindringen. »Wir kennen das Jesuskind, Jesus, der Kranke heilt, Jesus, der predigt, der Wunder tut, der für uns stirbt und aufersteht. Wir wissen dies alles, aber das bedeutet noch nicht, das Geheimnis Christi zu kennen.« Denn »es handelt sich um etwas Tieferes und dafür ist das Gebet notwendig: ›Vater, sende mir deinen Geist, damit ich Christus kennenlerne.‹ Das ist eine Gnade. Es ist eine Gnade, die der Vater schenkt.« Über das Gebet hinaus sei die Anbetung notwendig.
Paulus »betet nicht nur, sondern er betetdieses Geheimnis an, das alle Erkenntnis übersteigt, und im Kontext der Anbetung erbittet er diese Gnade von dem, ›der durch die Macht, die in uns wirkt, unendlich viel mehr tun kann, alswir erbitten oder uns ausdenken können, er werde verherrlicht durch die Kirche und durch Christus Jesus in allen Generationen‹«. Dies sei »ein Akt der Anbetung und des Lobes: anbeten«. Denn »man kennt den Herrn nicht, ohne diese Gewohnheit der Anbetung, der stillen Anbetung «. Eine Haltung, die dem Papst zufolge, im Leben des Christen nicht immer Raum findet. »Ich glaube, wenn ich mich nicht irre, dass dieses Gebet der Anbetung das Gebet ist, das wir am wenigsten kennen, das wir am wenigsten verrichten «, als bedeute es, »Zeit zu verlieren vor dem Herrn, vor dem Geheimnis Jesu Christi«. Man müsse dagegen »die Stille der Anbetung« wiederentdecken: »Er ist der Herr, und ich bete an.«
Schließlich »ist es notwendig, uns selbst zu kennen, wenn wir Christus kennen wollen, das heißt wir müssen die Gewohnheit haben, uns selbst anzuklagen, sich selbst anklagen« und vor Gott zugeben: »Ich bin ein Sünder. Aber nein, ich bin Sünder per definitionem, denn du weißt, was ich getan habe und was zu tun ich in der Lage wäre.« In diesem Zusammenhang erinnerte Franziskus an das 6. Kapitel aus dem Buch Jesaja: Als der Prophet »den Herrn und die Engel sieht, die den Herrn anbeten«, rufe er aus: »Weh mir, ich bin verloren. Denn ich bin ein Mann mit unreinen Lippen«, das heißt, er gebe zu, ein Sünder zu sein. Daher »kann man nicht anbeten, ohne sich selbst anzuklagen«. »Um in dieses Meer ohne Grund und Boden,ohne Ufer einzutreten, welches das Geheimnis Jesu Christi ist« seien die drei Haltungen notwendig, die der Papst abschließend zusammenfasste: »Das Gebet: ›Vater, sende mir den Heiligen Geist, damit er mich führe, Christus kennenzulernen.‹ Zweitens, die Anbetung des Geheimnisses, anbetend in das Geheimnis eindringen. Und drittens, sich selbst anklagen: ›Ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen.‹« Franziskus sprach zuletzt die Bitte aus, dass »der Herr uns diese Gnade schenken möge, die Paulus für die Epheser und auch für uns erbittet, die Gnade, Christus zu kennen und ihn zu gewinnen«.
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